Fliegende Vögel müssen nicht nur vom Boden, vom Baum oder dem Wasser aus starten können, sondern auch in der Lage sein, dort wieder sicher zu landen. Das ist aus vielerlei Gründen leichter gesagt als getan. Am Beispiel der kurzbeinigen Steinwälzer und langbeiniger Arten wie dem Rotschenkel lassen sich einige Aspekte, die beim Landemanöver eine Rolle spielen, gut beobachten. Allerdings läuft oft alles so schnell ab, dass wir Wesentliches übersehen.
Ich hatte kürzlich bei relativ guten Lichtverhältnissen das Glück, das ein oder andere Foto zu machen, das typische Bewegungsabläufe beim Landen festhält. Ein Video, ergänzt durch eine Zeitlupe, macht klar, was passiert, sobald kleine Watvögeln wie der Steinwälzer landen. Aber der Reihe nach und vorweg ein paar allgemeine Anmerkungen.
Staunen über Alltägliches
Schon vor Jahren habe ich fasziniert beobachtet, wie junge Weißstörche auf dem Horst das Fliegen üben – und dabei logischerweise auch das Landen. Kommt gerade eine Windbö, mag man manchmal gar nicht hinschauen.
Wie da hoch oben fleißig geübt wird, kann jeder und jede im Frühsommer beobachten. Und selbst wenn die Jungen bereits auf den Wiesen unterwegs sind, lässt sich anfangs gut erkennen, was für eine Herausforderung das Landen, zumal mit langen Beinen, ist.
Fast ein Wunder ist auch, mit welcher Technik und Präzision kleine Vögel wie die Schafstelze selbst bei Wind und Wetter einen passenden Landeplatz besetzen. Manchmal erfordert der anvisierte Ast oder Ausguck, die Warte, hohe Zielgenauigkeit. Manchmal ist es im Gedränge von bereits gelandeten Artverwandten schwierig, ein freies Fleckchen zu ergattern.
Warum auf Steinen?
Das freie Fleckchen zu finden, ist vor allem ein Problem, wenn Vögel im Schwarm unterwegs sind – etwa Watvögel auf dem Zug ins Winterquartier oder von dort zurück. Denn manchmal ist der Platz gerade da, wo sie am liebsten ruhen, sich putzen und nach Nahrung suchen wollen, knapp.
Heißbegehrt sind etwa beim Steinwälzer – kein Wunder bei dem Namen – Steine am Meer. Die findet der Watvogel dort, wo das Land gegen Wellen und Sturmfluten befestigt ist. Wir sehen ihn an der Nordsee darum häufig in Hafennähe oder auf den weit ins Meer reichenden, wellenbrechenden Buhnen. Die Vögel suchen hier nach angespülter Nahrung. Sie stehen dabei nur mit den Zehen im Wasser und laufen viel herum.
Die Steinwälzer, die ich Mitte August an der Nordsee beobachten konnte, waren offensichtlich nicht hungrig. Sie befanden sich bereits auf dem Zug, kamen sehr wahrscheinlich aus dem Norden, wollten nach Südwesten, waren im Gefiederwechsel und brauchten Ruhe.
Steine haben in kühlen Regionen weitere Vorteile: Sie wärmen sich in der Sonne auf und geben diese an wärmebedürftige Geschöpfe ab. Und sie bieten Schutz. Die buntscheckigen Steinwälzer sind auf und zwischen ihnen gut getarnt.
Wenn Zugvögel sich ins Winterquartier aufmachen, haben sie eine große innere Unruhe: die Zugunruhe. Sie führt unter anderem dazu, dass die Vögel bei kleinsten Irritationen auffliegen. Und weil sie im Schwarm unterwegs sind, fliegen dann immer gleich sehr viele auf. Meist alle! Das sieht für neugierige Menschen und alle Vogelbegeisterten toll aus, kostet die Vögel aber eine Menge Energie. (Provozieren sollten wir es daher nicht.)
Mein Beobachtungsplatz befand sich am Hafen von Spiekeroog nahe der Wattwiesen. Da wurden frühmorgens kleine Schiffe beladen, Fähren kamen und gingen. Das störte die Vögel manchmal gar nicht, und manchmal flogen sie auf, um bald darauf zurück zu kehren. Wie Steinwälzer landen, ließ sich an dieser Stelle daher gut beobachten.
Steinwälzer im Flug
Wenn die Vögel von ihrem steinigen Ruheplatz aufflogen, ging es zunächst aufs Wattenmeer hinaus. Sie waren mit bloßem Auge dann oft kaum noch auszumachen. Es dauerte meist nicht lange und sie machten einen Schwenk, kehrten dann flügelschlagend zurück.
Auch ohne Bewegtbild fällt das Auf- und Ab der Flügelschläge auf: Bei einigen Steinwälzern haben die Flugmuskeln die Flügel hoch über den Rumpf gezogen, bei anderen weit unter den Rumpf gerückt. Alle Zwischenstufen sind ebenfalls zu sehen. Und nicht nur Vogelbegeisterte imponiert im Anflug der schwarze Kopf im Kontrast zur weißen Unterseite.
Wenig später flogen die Steinwälzer eine Kurve und nun direkt auf die Wattwiesen der Insel zu. Nun zeigten sie ihre kontrastreiche, wunderbar gemusterte Oberseite. Mit ausgebreiteten Flügeln segelten sie dahin. Von den hübschen orange-roten Füßen ist bislang nichts zu sehen.
Das änderte sich auch nicht beim nächsten Schwenk und während der Flugstrecke über die Wattwiesen. Um endlich das anvisierte Ziel zu erreichen, bedurfte es zunächst einiger kontrollierter Flügelschläge. Noch war der Landeplatz nicht erreicht.
Wie Steinwälzer landen
Wenn Vögel zur Landung ansetzen, müssen sie ihre Fluggeschwindigkeit reduzieren. Dabei hilft es natürlich, die Flügelschläge weitgehend einzustellen. Das wichtigste Mittel ist allerdings: Flügel aufstellen beziehungsweise anstellen. Nur so kommt man zügig herunter. Ein steiler Anstellwinkel bremst und die Luftströmungen, die ansonsten für Auf- und Vortrieb sorgen, werden beeinträchtigt. Ganz abreißen dürfen sie über dem Flügel nicht. Das könnte zu einem Trudeln oder gar Herabpurzeln des Vogels führen, weil allerlei Luftwirbel entstehen, die eine kontrollierte Steuerung verhindern. (Von Flugzeugunglücken kennen wir das Problem.)
Die Evolution hat bei Vögeln mit ihren klassischen Maßnahmen, Mutation und Selektion, für Strukturen und Verhaltensweisen gesorgt, die derartige Unglücke weitgehend verhindern. Den Gefiederten ist das notwendige Werkzeug gewissermaßen in die Wiege gelegt. Wer aber Jungvögel bei ersten Ausflügen beobachtet wird erkennen, dass sie den richtigen Einsatz ihrer Möglichkeiten lernen und optimieren müssen.
Gerade bei großen Vögeln lässt sich gut beobachten, wie die Flügel, zum sogenannten Luftbremsen aufgestellt werden. Durch Einknicken werden zudem diese befiederten Tragflächen, die ansonsten für Auftrieb sorgen, verkleinert. Zum sicheren Landeanflug gehört, das sogenannte Auffingern der Flügel im Bereich der spitzzulaufenden Handschwingen. Zwischen diesen fingerartig gespreizten Federn kann Luft hindurchströmen. Das wiederum mindert den gefährlichen Abriss der Luftströmung über den Flügeln.
Außerdem gibt es unscheinbare Federn zwischen Hand- und Armbereich des Flügels, die sich anheben lassen und dann Luftwirbel über den Tragflächen – also auf der Oberseite des Vogelflügels – mindern. Diese Federchen, die Daumenfittiche (Alula spuria), werden auch als Vorflügel bezeichnet. Beim abgebildeten Weißstorch sind sie nicht angehoben, aber markiert.
Was der Storch demonstriert sehen wir auch beim Steinwälzer. Seine Landevoraussetzungen sind jedoch andere als beim Storch: die Flügel klein, die Beine kurz und kräftig, im Schwarm wird viel gedrängelt.
Was illustriert das erste Foto?
Bei einem Steinwälzer in der oberen Bildmitte sind die Federn am Ende der Flügel weit aufgefächert. Im Original ist sogar zu sehen, dass die Alula im Knick zwischen Handschwingen und Armschwingen angehoben sind. Schräg darüber flattert einer mit Geschrei ins Bild.
Links im Bild hat ein Vogel kurz vor der Landung seine Flügel extrem aufgestellt. Die Federn sind fingerartige gespreizt. „Bloß nicht jetzt noch taumeln!”
Was illustriert das zweite Foto?
Wenn Steinwälzer landen, lassen kurz vor der Landung ihre Füße hängen, strecken sie aus dem Gefieder heraus und teils auch weit vor. Besonders gut zeigt das ein Vogel im Zentrum des Fotos, der sich unmittelbar vor der Landung befindet. „Ich will hier hin. Platz da!”
Einen Landeplatz finden
Wenn ein Schwarm landet, kann es eng werden, zumal wenn nicht eine offene Landschaft wie eine Wiese anvisiert ist, sondern ein steinbewehrter Ufer- oder Küstenabschnitt wie hier. Da lässt sich oft beobachten, wie anfliegende Vögel im letzten Moment mit einem Manöver zur Seite ausweichen, weil ein anderer Vogel dort schon steht und bleiben wird. Genauso kommt es vor, dass ein Vogel am Boden sich mit einem Satz vor dem Neuankömmling rettet.
Beides ist im folgenden Video zu sehen. Es zeigt die Landung ankommender Steinwälzer im normalen Tempo: zunächst eine Handvoll, dann zwei Vögel, dann noch ein einzelner. Der letzte hat sein Ziel so konkret vor Augen, dass ein anderer wegflattern muss. Anschließend wird die Sequenz in Zeitlupe mit 50% der Tempos wiederholt.
Auch von Serienfotos lässt sich ablesen, wie Landemanöver vom verfügbaren Platz abhängen: Auf einer Abgrenzung aus hölzernen Pfählen standen bereits viele Steinwälzer wie aufgereiht, als sich ein weiterer dazugesellen wollte. Er kam von rechts angeflogen, die Flügel wurden hochgekippt und die Beine vorgestreckt 1. Aber entweder reichte ihm der Platz nicht oder die anderen ließen nicht zu, dass er sich zwischen sie platzierte. Er flog also weiter, über die anderen hinweg 2 und wandte sich der Uferböschung zu 3. Hier gelang die Landung zwischen zwei anderen Steinwälzern 4.
Ich habe ihm ein paar Worte in den Schnabel gelegt … Die Fotos in der Galerie bitte vergrößern.
Landen mit langen Beinen
Wie erwähnt haben Steinwälzer kurze kräftig Beine, was sich beim Schreiten auf glitschigem Gestein sicher von Vorteil ist. Augen und Schnabel sind ganz nah an der Beute. Die Ausmaße der Beine – was wir sehen sind vor allem die Zehen – passen ebenfalls gut zu den Anforderungen beim Landen auf Steinen.
Sie müssen ja mit ihren Muskeln, Knochen und Gelenken den Stoß beim Landen abfangen. Und dieser Stoß ist heftiger als auf einer feuchten Wiese, auf Moos oder Moorboden, wo der Untergrund nachgibt, sich verformt und einen Teil der Bewegungsenergie auffängt. Man sagt auch vernichtet. Georg Rüppell, der großartige Experte für den Vogelflug, fasst das in seinem Klassiker Der Vogelflug ¹ wie in einem Merksatz so zusammen, Seite 117
Je mehr sich der Landeplatz verformt, um so mehr kann der eigene Körper geschont werden.
Viele langbeinige Vogelarten landen vorzugsweise auf einem Untergrund, der nachgibt: die Rotschenkel, die das seichte Wasser oder die Wiese als Landplatz vorziehen, sind dafür ein Beispiel.
Langbeinige Vögel, die mehr Gewicht auf die Waage bringen als ein 120 Gramm schwerer Rotschenkel, verfolgen oft eine andere Strategie. Sie setzen beim Landen mit den Beinen nacheinander auf und laufen oder springen dann eine kurze Strecke. Das lässt sich etwa beim Grauen Kranich beobachten. Die überschüssige Bewegungsenergie, die aus dem Flug und auch aus der Erdanziehung stammt, wird dabei ins Vorwärtslaufen übertragen. Aber davon ein anderes Mal.
Nicht jeder langbeinige Vogel kann überschüssige Energie auslaufen. Wer auf einem Zweig landen möchte, muss anders kalkulieren. Gut, dass der spanische Kuhreiher das weiß. Im Übrigen hat er alles richtig gemacht: Flügel aufgestellt und abgewinkelt, Federn an den Flügelenden gespreizt und die langen Beine ausgefahren.
Steinwälzer | Tournepierre à collier | Ruddy Turnstone | Arenaria interpres
¹ Georg Rüppell, Vogelflug, rowohlt/Reinbek bei Hamburg 1980; Orginalausgabe von Kindler/München1975
Liebe Elke, aus meinen Beobachtungen von Turmfalken an den Brutkästen will ich Dir einige Details berichten:
Bei den nestjungen TF`s sieht man im Alter von 28 – 30 Tagen, wie sie erst im Bereich der Einflugöffnung stehen, dann irgendwann auf die Anflugstange steigen, sich den dort herrschenden Windverhältnissen anpassen müssen und auf Windböen zu reagieren lernen. Wobei sie schließlich ihre Flügel ausprobieren. Dieses tun sie aber immer nur, wenn sie bei unverhofftem Abheben im Kasten landen würden. Diese Übung findet also nur statt, wenn der Vogel mit dem Stoß nach draußen steht. (Auch das Koten erfolgt übrigens fast immer vom Inneren des Kastens aus in Richtung der Einflugöffnung, zumal der Vogel in dem Moment auch häufig einen kleinen Satz nach vorne macht.)
Nach dem ersten Ausflug, der von der Sitzstange in Richtung eines anvisierten Zieles in der näheren Umgebung erfolgt, wird die Rückkehr zum Kasten geübt. Der unsichere Flug wird mit zunehmender Sicherheit abgelegt.
Viele Grüße von Ludwig
Prima, dass du dich zu dem Thema gemeldet hast. Als erfahrener Turmfalkenberinger kennst du dich ja aus. In einem ganz frühen Blogpost habe ich ein Foto von der Sitzstange verwendet: „Turmfalken mit Ausblick“.
Und wer sich für die Arbeit des Beringers Ludwig Schlottke interessiert, der findet hier einen Beitrag zu dem Job in großer Höhe, nämlich auf Kirchtürmen, Wassertürmen usw. Der Blogpost dazu heißt „Unterwegs mit dem Beringer“.
Also, danke Ludwig.