Als ich das erste Mal für einige Tage eine Hallig besuchte, hatte ich das Glück, einem Sandregenpfeifer zu begegnen. Und nun wurde der muntere Watvogel vom Verein Jordsand zum Seevogel des Jahres 2018 gekürt. Das ist einerseits schön, denn es bringt dem hübschen Kerl etwas Aufmerksamkeit, und es ist anderseits bedauerlich, denn der Anlass ist ein Drama.
Aktuell brüten deutschlandweit kaum 1.000 Paare dieser Regenpfeiferspezies. Sie ist nach der Roten Liste der Brutvögel hierzulande höchst bedroht.
Denn bei uns nisten seit Jahren immer weniger Sandregenpfeifer und ziehen erfolgreich ihre Jungen auf. Das ist auch dem Atlas Deutscher Brutvogelarten zu entnehmen.
Auf der Nordseeinsel Sylt waren es Anfang der 1970er Jahre noch über 600 Paare, inzwischen ist die Zahl auf höchstens 25 Brutpaare gesunken.
Das gleiche Bild bietet sich an der Ostsee in Schleswig-Holstein: In einem vogelreichen Schutzgebiet an der Schlei gab es 1979 noch 40 Nester. Doch mittlerweile findet der Vogelwart in manchen Jahren dort nur noch zwei, wenn es gut kommt auch mal fünf Gelege.
Wer trägt die Schuld?
Wie so oft kommt Vieles zusammen: Der etwa Drossel große Vogel brütet fast immer küstennah und sucht für das Gelege Flächen mit viel Sand oder Kies, aber auch Salzwiesen mit wenig Bewuchs. Meist lebt und brütet er am Strand, auf kleinen Wällen oder Dünen, die das Meer gerade erst gebildet hat und vielleicht schon bald wieder verschiebt. Man sagt: Er liebt dynamische Küstenlebensräume.
Darum sind massive Befestigungsanlagen aus Beton oder Stein zum Schutz vor Sturmfluten nicht gerade sein Revier. Und auch die vielen Strandurlauber tun dem Sandregenpfeifer nicht gut. Die Vorsitzende des Vereins Jordsand Erika Vauk-Hentzelt betonte¹:
Dort, wo wir im Sommer unsere Handtücher ausbreiten, liegt eigentlich der Lebensraum der Tiere. Deshalb schützen wir kleine Strandbereiche, etwa auf der Helgoländer Düne, wenn wir dort ein Sandregenpfeifer-Gelege feststellen.
Schließlich gefährden Füchse den weiß-braunen Sandregenpfeifer, der an seinen gelb-orangenen Beinen und den ebenso leuchtenden Schnabel mit schwarzer Spitze gut zu erkennen ist. Auch der nachtaktive Marderhund, der sich in Deutschland seit den 1960er Jahren von Westrussland aus ausgebreitet hat, frisst Eier und Küken von bodenbrütenden Vögeln. Er gehört längst zu den ungeliebten Neozoen.
Sandregenpfeifer, was nun?
Der Weltbestand an Sandregenpfeifern, der vor allem im hohen Norden brütet, ist erstaunlich groß: eine halbe Million bis eineinhalb Millionen Vögel soll es geben. Aber bei uns könnte diese Watvogelart – auch Limikolen genannt – schon bald als Brutvogel verschwinden. Damit teilt sie das Schicksal des nahverwandten Seeregenpfeifers.
Um das zu verhindern, werden an der Küste Schutzzonen eingerichtet, die unauffälligen Bodennester umzäunt, aber auch Prädatoren wie Füchse und Marderhunde von Fachleuten erlegt.
Der Verein Jordsand schlägt außerdem vor zu prüfen, ob einzelne Küstenabschnitte der natürlichen Dynamik von Strömungen, Wind und Wellen überlassen werden können, so dass sich neue Sandaufspülungen und damit die fehlenden Bruthabitate entwickeln. Zugunsten vieler Watvögel.
Klappt nicht immer
Das so genannte “Verleiten“ ist eine eigentlich raffinierte Taktik des Sandregenpfeifers, der damit seinen Nachwuchs schützen will. Und das geht so: Nähert sich eine räuberische Gefahr, trippelt er ein paar Meter von den schon mit wenigen Tagen sehr aktiven Jungen weg und stellt sich unbeholfen und flügellahm. So macht er sich interessant für den potenziellen Angreifer und verleitet ihn dazu, Aufmerksamkeit und Richtung zu ändern, also vom Nest abzulassen und den vermeintlich schwachen Altvogel zu verfolgen. Der fliegt dann aber plötzlich geschickt davon und kehrt meist im Bogen zum Nachwuchs zurück.
Nur: Bei den dämmerungs- und nachtaktiven Vierbeinern kommt er damit nicht weit. Eier und Jungen sind tagsüber sowieso miserabel geschützt, sobald der Altvogel das Gelege oder die bereits geschlüpften Jungen alleine lässt, weil er auf Nahrungssuche geht. Da hilft den Küken, die sich bei Gefahr platt auf den Boden drücken, auch ihre gesprenkelte Tarnfärbung nicht.
Vom kleinen Unterschied
Sandregenpfeifer und ihre nahen Verwandten haben ein typisches Fortbewegungsmuster: Sie verharren eine kurze Weile, dann trippeln sie unvermittelt eine kleine Strecke und stoppen ebenso plötzlich wieder. Bei diesen „Start-Stopp-Läufen“ halten sie permanent nach Nahrung Ausschau: kleine Krebse und Schnecken, Fliegenlarven und Käfer.
Übrigens war den Vogelkundigen im 19. Jahrhundert noch nicht klar, wie sich Fluss-, See- und Sandregenpfeifer unterscheiden. Der Köthener Ornithologe Johann F. Naumann, der unter anderem die Seevögel auf Helgoland und Sylt besuchte, hat aber die drei verwandten Arten sauber auseinandergehalten und sie messtechnisch genau erfasst, zum Beispiel den Schnabel (Naturgeschichte der Vögel Mitteleuropas, 3. Aufl., 1905, Bd. VIII, S. 60):
Der Schnabel ist nicht so schlank wie bei den beiden ihm ähnlichen Arten, eher dick, besonders an der Wurzel, kurz, meistens in der Mitte ein wenig aufwärts gebogen, mit kolbiger harter Spitze, 13 bis 14 mm lang, an der Wurzel starke 6 mm hoch und 4 mm breit.
Zur Unterscheidung merkt man sich am besten: Der Sandregenpfeifer ist der größte dieser drei Watvögel. Seine gelb-orange leuchtende Schnabelfärbung ist genauso charakteristisch wie seine gelben Beine. Beim Seeregenpfeifer sind Schnabel und Beine dunkel, auch fehlt ihm der schwarze Halskragen, der den Sandregenpfeifer wie auch Flussregenpfeifer schmückt.
Wie der Name schon verrät, leben Flussregenpfeifer vor allem im Binnenland – viele zum Beispiel in Ostdeutschland an der Mittelelbe und an den Ufern wassergefüllter Kiesgruben. Dort brüten sie auch. In früheren Tagebaugebieten hat der Flussregenpfeifer einen passenden Lebensraum gefunden. Sein Bestand gilt derzeit als stabil. Und das zeigt, wie wichtig der Schutz angestammter und die Entwicklung neuer Habitate etwa durch Renaturierung ist.
¹Die promovierte und engagierte Biologin starb nach kurzer Krankheit überraschend Ende 2017.
Sandregenpfeifer | Grand gravelot |Common ringed plover | Charadrius hiaticula
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