
Brutkolonien von Seeschwalben und Möwen haben etwas Berauschendes. Denn sie brüten immer nah beieinander und sind wirklich nicht still. Schon von weitem ist ein ewiges Geschrei, ein ziemlich hochfrequentes Gekreische, zu hören. Und die meisten von ihnen sind Ende Juni ständig zwischen Brutplatz und dem Meer unterwegs. Speziell die Brand-Seeschwalben mit ihrer schwarzen Mähne sind ein Erlebnis.
Aus dem Meer holen sie für sich und ihre Jungen Sandaale und andere kleine Fische. Dabei tauchen Brand-Seeschwalben manchmal vollständig unter Wasser. Schaut man den schnittigen, verwegen aussehenden Vögeln zu, hat man den Eindruck, hier werde auf einer vorgezeichneten Rennstrecke geflogen.

Perfekte Tarnung
Als ich bei trübem Wetter auf der Wattenmeerinsel Neuwerk auf einem der markierten Wege in der Schutzzone 1 unterwegs war, hatte ich das Glück, junge Brand-Seeschwalben zu entdecken. Aber: Kaum hatte ich vorsichtig die Kamera auf sie gerichtet, waren sie auch schon verschwunden.¹

Es ist nämlich bei ihnen und verwandten Arten ein angeborenes Verhaltensmuster, sich zu ducken und zwischen Sand, Kieselsteinen und Gras unsichtbar zu werden, wenn Gefahr droht und die Altvögel lauthals warnen. Auf diese Weise schützen sich nicht nur Seeschwalben wie die Fluss- und Küsten-Seeschwalbe vor Angreifern sondern auch Möwenkinder. Sie alle haben eins gemeinsam: Die Eier liegen auf dem Boden, meist in einer kleinen Kuhle. Sie und die Jungen sind also nicht in einem Nest zwischen belaubten Zweigen oder in einer Bruthöhle gut verborgen und geschützt.

Dass ihr erstes Federkleid, die wuscheligen Dunen, unregelmäßig bräunlich gefleckt sind, macht die Jungen dieser Seevögel zusätzlich unsichtbar. Selbst Naturschützer, die sich zum Beringen einer Kolonie annähern, müssen höllischen aufpassen, damit sie nicht auf ein Junges treten.
Nestflüchter
Die Jungen sind nämlich Nestflüchter, und das heißt schon nach einigen Stunden oder wenigen Tagen im Gelände unterwegs. Sie schlüpfen nicht nackt und blind aus dem Ei wie ein Eichelhäher, ein Haussperling, Spechte und andere Nesthocker, sondern mit plüschigen, wärmenden Dunen und gut entwickelten Sinnen.
Allerdings sind Seeschwalben nicht so mobil und unabhängig wie etwa Stockenten, die kaum geschlüpft der Mutter folgen, schwimmen und sich selbst ernähren. Brand-Seeschwalben müssen nämlich zunächst von ihren Eltern gefüttert werden. Wolfgang Makatsch bezeichnete sie daher in dem wundervollen Heft „Der Vogel und seine Jungen“ als uneigentliche Nestflüchter im Gegensatz zu den eigentlichen Nestflüchtern. (Die Neue Brehm-Bücherei, 1951, Leipzig)
Letzte Rettung: Schutzzonen

Heute sind die Brand-Seeschwalben mit dem schwarzen, manchmal etwas struwweligen Schopf und dem dunklen fast vier Zentimeter langen Schnabel an der Nord-und Ostseeküste eine Rarität. Vor rund 150 Jahren war das anders. Es gab Brutkolonien mit mehreren Hunderttausend Vögeln.
Das hat Johann F. Naumann, der die Nordseeküste und einige vorgelagerte Inseln besucht hat, sehr anschaulich beschrieben (Naturgeschichte der Vögel Mitteleuropas, 1887-1905, 3. Aufl., Bd. XI, S. 156):
Das kleine Eiland Norderoog war damals von einer Kolonie dieser Meerschwalben bewohnt, die gewiss mehr als eine halbe Million Vögel zählte. Ich sah dies flache, mit Rasen bedeckte, zur Weide für einige Schafe benutzte Inselchen zuerst in einer Entfernung von einer Seemeile und hätte es, wenn es nicht Juni war, für eine Schneeinsel halten mögen, weil gerade die von den Vögeln bewohnte Seite sich mir entgegen stellte und diese den Erdboden so buchstäblich bedeckten, dass alles schneeweiß aussah …


Bis heute befindet sich auf der seit hundert Jahren geschützten Insel Norderoog die größte Brand-Seeschwalbenkolonie von Deutschland. Aber was die Seeschwalben angeht ist sie ein Nichts im Vergleich zu früher, denn mehr als ein- bis zweitausend Paare brüten dort nicht mehr.
Manche Gründe für den Zusammenbruch der vielen Kolonien an der Nordseeküste sind bekannt, etwa intensives Eiersammeln und Bejagen um 1900. Und in den 1960er Jahren töteten die Chlorkohlenwasserstoffe, die aus dem Rheindelta bis ins Wattenmeer schwappten, viele Embryonen ab. Das entnehme ich dem so wertvollen Atlas Deutscher Brutvogelarten. Warum aber durch bessere Reinhaltung der Flüsse sich die Bestände zunächst erholten und dann wieder zusammenbrachen, ist immer noch unklar. Es wird vermutet, dass durch Überfischung für die Brand-Seeschwalbe die Nahrung knapp wurde.

Auf Neuwerk brüteten 2017 über 200 Brand-Seeschwalbenpaare, erfuhr ich im Naturparkhaus, das dort der Verein Jordsand betreibt. Brutkolonien gibt es auch im südlichen Ostseeraum, außerdem an den Küsten von Großbritannien, Frankreich und Spanien, am Schwarzen Meer und am Kaspischen Meer.
Brand-Seeschwalben sind Zugvögel. Sie verlassen uns Ende August, spätestens Anfang September. Manche bleiben in Südeuropa, andere fliegen längs der Küsten Afrikas nach Süden. Erst im April oder Anfang Mai kommen sie in den Norden zurück.

Wer die rasanten Flieger, deren Flügelspannweite mit über 80 cm doppelt so groß ist wie ihre Körperlänge von rund 40 cm, einmal beobachtet hat, der möchte sie nicht missen. Verwegen sehen sie aus, mit ihrer schwarzen Mähne, die sie bei Erregung etwas aufstellen.
Und wer genau hinschaut, der erkennt bei den Altvögeln die charakteristische gelbe Schnabelspitze.
(Dazu lassen sich viele Fotos durch bis zu zweimal Anklicken vergrößern.)
¹ Es versteht sich von selbst, dass die Vogelfreundin oder der Vogelfreund dann auf dem Weg bleiben, statt sich der Kolonie anzunähern.
Brand-Seeschwalbe | Sterne caugek |Sandwich Tern | Sterna sandvicensis
Ah, dieses Geschrei. Jetzt verstehe ich, warum die Möwen den lieben langen Tag “so ein Theater” machen. Wir haben für ein paar Tage auf Amrum auf einem Campingplatz mitten in den Dünen gewohnt und hatten den Möwen-Sound als Dauerton immer uns um herum.