
Colca Canyon: Links auf den Felsen Kondore in der Morgensonne. Am Horizont die Fünftausender der Anden.
Es ist schon eine Weile her, dass ich in den peruanischen Anden dem Kondor begegnet bin – eigentlich muss es heißen, gezielt dorthin gefahren bin, wo man ihm noch begegnen kann. Und so wie mich damals seine enorme Spannweite und die eleganten Flugmanöver begeistert haben, so haben das jetzt auch die Fotos und Erinnerungen. Hier kommt eine kurze Vorstellung dieses Neuweltgeiers, den man nicht hübsch finden muss. Aber eine Attraktion ist er allemal.
Schon der Ort, wo diese Andenkondor-Population lebt, ist prächtig: Tief hat sich der Rio Colca in das Hochgebirge eingegraben und bildet einen Canyon, der von den Gipfeln der angrenzenden Berge bis zum Talboden 3.400 Meter tief ist. Der Colca Canyon – etwa eine Tagesreise von Arequipa, der zweitgrößten Stadt Perus, entfernt – ist damit doppelt so tief wie der nordamerikanische Grand Canyon.
Hier, und speziell am Aussichtspunkt „Kreuz des Kondors“ (Cruz del Cóndor), kann man am Vormittag die mächtigen Vögel bei ihren imposanten Flugkünsten beobachten.
Morgens hocken junge und alte Kondore meist auf spitzen Felskanten und breiten von Zeit zu Zeit ihre Flügel aus, um in der aufsteigenden Luftströmung des Canyons über der beeindruckenden Schlucht zu schweben und Richtung Fluss hinabzukurven.
Wenn die Sonne höher steigt und die Thermik stimmt, schrauben sie sich immer höher und verschwinden irgendwann am Horizont auf der Suche nach Nahrung.
Ein Genuss, auch wenn manchmal viele Touristen hier unterwegs sind. Die Kondore sind daran gewöhnt und lassen sich von solchem Besuch nicht stören.
Segelflieger mit Fingern
Zunächst war ich von den Flug- und Landekünsten dieser großen Vögel mit bis zu 3m Spannweite einfach nur fasziniert.
Auffällig und typisch für solche Langstreckensegler sind die breiten Flügel, die sofort an Störche erinnern. Und relativ rasch entdeckt man bei Hinschauen die fast filigranen Finger an den Flügelenden, genauer gesagt: an den Handschwingen. Auch die hat der Storch und zwar aus demselben flugtechnischen Grund.
Ich bin der Sache nochmals auf den Grund gegangen und wurde dann bei Georg Rüppell Vogelflug fündig; übrigens ein wirklich gutes rororo Sachbuch, das zunächst bei Kindler und dann 1980 bei Rowohlt erschienen ist.

Breite Flügel, lange Finger.
Vorab zur Info: Wer fliegt, hat mit Widerstand zu tun, weil an der Oberfläche des Körpers Reibung entsteht. Zusätzlicher Widerstand rührt daher, dass beim Fliegen der Luftstrom auf die Flügel prallt.
Neben diesem Druckwiderstand gibt es einen „induzierten Widerstand“: Unterhalb eines Flügels, ist der Druck hoch, oberhalb gering. An den Flügelenden, also an den Handschwingen, stoßen hoher und niedriger Druck aufeinander. Das führt zu Verwirbelungen, die auf jeden Fall viel Energie kosten.
Dagegen helfen lange, spitz zulaufende Flügelenden oder bei den breitflügeligen Seglern endständige Federn, die sich spreizen lassen – man spricht auch von Fingern. Sie besänftigen sozusagen die störenden Verwirbelungen.

Bei Vögeln mit hohem induziertem Widerstand (W.ind.) mindern „Finger“ den Verlust an Bewegungsenergie (Ekin). Seevögel mit langen, spitz zulaufenden Flügeln erzeugen generell weniger Widerstand. (Grafik: Georg Rüppell, Vogelflug, Rowohlt, Reinbek, 1980)
Und nun etwas präziser der Zoologe Georg Rüppell in Vogelflug, S. 65:¹
Die Luft ist bestrebt einen Druckausgleich zwischen der Unter- und der Oberseite des Flügels herbeizuführen. Sie strömt aus dem Gebiet des Überdrucks auf der Flügelunterseite in das Gebiet des Unterdrucks auf der Flügeloberseite. Diese Ausgleichsströmung findet an den Flügelenden statt … Dadurch entstehen Wirbel. Die Energie, die nötig ist, um diese Luftströme zu verwirbeln, geht dem vorwärtsfliegenden Vogel von seiner eigenen Bewegungsenergie verloren: Der Vogel wird gebremst. An Flügeln mit viel Seitenfläche kann viel Ausgleichsstrom von unten nach oben fließen, viele Wirbel entstehen und so viel Widerstand. … Vögel, wie Geier oder Bussarde, verringern ihre Seitenflächen durch Auffingern der spitz zulaufenden Handschwingen.
Es dauerte eine ganze Weile, bis mir auffiel, dass im Canyon sowohl braune Individuen navigierten als auch schwarze. Und erst dann fiel mir ein, dass ja die braunen Jugendliche sind und die schwarzen Erwachsene. Später las ich, dass es sechs Jahre dauert bis dem Nachwuchs das adulte Gefieder mit der weißen Halskrause gewachsen ist.
Ganz schwarz ist das Gefieder des adulten Andenkondore übrigens nicht, obwohl das im Gegenlicht meist so aussieht. Die Schulterfedern sind hauptsächlich weiß, so dass der segelnde Vogel von oben silbrig-weiß glänzt. DerAussichtspunkt am Colca Canyon ist so hoch, dass man auch von oben auf die Vögel schauen kann.
Mit „Hahnen“kamm
Schon im Jugendkleid sind männliche und weibliche Kondore gut zu unterscheiden: Die Männchen haben auffälligere Kehllappen und ihnen wächst ein „Hahnen“kamm. Den Weibchen nicht.

Er zeigt, was er hat: imposanter Kamm, rötlicher Hals, großer Kehlsack, weißer „Nerz“kragen, silbirges Schultergefieder … und eine „Perlenkette“.
Ansonsten sind die Geschlechter etwa gleich groß – männliche Kondore allerdings gewichtiger. Um die Nachkommen kümmern sich beide Eltern: gleichberechtigt. Erst mit sechs Monaten sind die Jungen flügge, viele Monate werden sie mit Nahrung versorgt.

Juveniles Männchen mit Kamm und heller Halskrause. Der Hals ist eingezogen und wirkt daher nicht so nackt.
Der Andenkondor ist ein Neuweltgeier, der zwar in vielem wie ein Altweltgeier wirkt, aber näher mit den Störchen verwandt ist als mit einem Gänsegeier oder mit dem sogenannten Schmutzgeier.
Die äußere Ähnlichkeit beruht auf ähnlichen Lebensbedingungen, Biologen sprechen von Konvergenz: Geier sind Aasfresser – sowohl diesseits als auch jenseits des Atlantiks – und da sind ein kahler Kopf und Hals, die man tief in einen Kadaver stecken kann, ohne dass Federn oder Haare sogleich verschmutzen, mehr als praktisch.
Mit breiten Flügeln lässt es sich zudem gut segeln und im Flug nach einer verendeten Ziege oder einem toten Lama Ausschau halten. Das gilt in den Pyrenäen, einem Hotspot für Altweltgeier, wie auch in den Anden.
Jugendliche Rangeleien
Ich hatte das Vergnügen einer Gruppe junger Kondore dabei zuzusehen, wie sie sich auf einem felsigen Ruheplatz rangelten und es den anfliegenden Kollegen schwer machten, sich ebenfalls dort niederzulassen. – Es war in der Tat etwas eng geworden.
Anfangs sahen die Streitereien harmlos aus, man rangelte mit den Hälsen. Aber es wurde dann doch auch zugeschnappt und mit rauem Krächzen geschimpft, bis der Kollege oder die Kollegin etwas Platz machte oder doch lieber sofort in den Canyon segelte.
Ich blieb so lange am „Kreuz des Kondors“, bis die Vögel sich immer höher in die Luft schraubten und nach und nach verschwanden. Der Anden-Kondor fliegt übrigens durchaus 300 km bis an die Küste des Pazifiks, um dort nach toten Fischen, angespülten Kadavern von Seelöwen oder nach Vogeleiern zu fahnden.
Zur Familie der Neuweltgeier (Cathartidae) gehört außer dem Andenkondor auch der Kalifornische Kondor. Dieser US-amerikanische Gefährte war – dank Schießwut und Gift – schon einmal fast ausgerottet, konnte aber durch Schutzmaßnahmen gerettet werden. Der Bestand ist nun stabil.
Allerdings sind alle Geierarten bedroht, denn sie sind auf Aas angewiesen und es gibt immer weniger Tiere, die draußen verenden. Außerdem dürfen in vielen Regionen die Schäfer ein verendetes Lamm heutzutage nicht mehr einfach liegen lassen. Aber manchmal sterben Geier eben auch, weil sie einen vergifteten Kadaver gefressen haben. Doch das ist eine andere, sehr traurige Geschichte.
¹ Zitat aus: Georg Rüppell, Vogelflug, Rowohlt Verlag GmbH, Reinbek, 1980, S.65
Andenkondor | Condor des Andes | Andean condor| Vultur gryphus
Ein beeindruckender, toller Bericht. Vielen Dank dafür.
Majestätische Tiere.
HerzensDank für den so tiefgründigen Bericht ❣️
Ich liebe sie sehr die Könige der Lüfte …
Und die Anden faszinieren mich schon geraume Zeit –
WunderVolle Bilder und Erfahrungen teilst du mit uns teilst
Da wird mir ganz warm ums Herz
Alles Liebe
Liebe unbekannte Katja, da hast du mir mit deinem Kommentar heute Morgen aber große Freude geschenkt. Danke!
Danke, dass du uns den Flug der Kondore so nah gebracht hast. Ich bin leider immer ohne Fernglas unterwegs und konnte deshalb, als ich in den Anden war, diese faszinierenden Vögel nie in voller Schönheit sehen.
Ein wunderbarer und außergewöhnlicher Bericht von diesem großen Vogel. Bin beeindruckt. Um dieses Erlebnis
beneide ich Dich :))
Im Zoo Berlin gibt es ja auch Kondore in einer zugegeben sehr schönen Voliere. Aber Kondore gehören m.E. eben nicht
in solch eine Begrenzung. In Deinem Bericht sieht man, wie sie sich in ihrem natürlichen Habitat bewegen und das
sieht einfach grandios aus !!! So soll es auch sein …