Das Braunkehlchen wurde vom NABU und dem LBV gerade zum Vogel des Jahres 2023 gekürt. Das ist gut und richtig und wichtig. Denn dieser nur 12-14 cm große Vogel ist in seinem Bestand bedroht, weil er sich hierzulande nicht mehr gut ernähren und fortpflanzen kann, wenn er im April aus seinem afrikanischen Winterquartier zurückkehrt.
Das liegt an der artenarmen und intensiv genutzten Agrarlandschaft in Europa, die das Aus für viele insektenfressende Wiesenvögel bedeutet.
Ihnen geht die Nahrung aus und ihre Gelege in Bodennestern sind durch unökologische Anbaumethoden und häufiges Mähen von Wiesen gefährdet. Zum Füttern der geschlüpften Nachkommen fehlen ebenfalls die Insekten, die blühende Wiesen bevölkern.
Dennoch können wir Braunkehlchen in den Sommermonaten bei uns entdecken. Aber sie sind rar. Ornithologen und Ornithologinnen schlagen seit Jahren Alarm¹ – und der NABU wirbt längst für Spenden, die helfen sollen etwa Brachflächen und Moore zu erhalten.
Im Habitat der Braunkehlchen
Wer Braunkehlchen beobachten möchte, hat auf den sogenannten Ackerbrachen² und nicht-wirtschaftlich genutzten Wiesen in Naturschutzbereichen die besten Chancen. Ihnen nahe zukommen ist allerdings fast unmöglich, ein gutes Fernglas sollten wir also parat haben.
Sehr schön ist im Urania Tierreich (Ausgabe Rowohlt 1974, Vögel Bd.3) beschrieben, wie das typische Habitat dieses kleinen Singvogels aussieht – wo also sein Lebensraum ist und wo wir es finden können. Ich lese auf Seite 396
Unser Braunkehlchen (Saxicola rubetra) lebt auf hochgrasigen Wiesen, Lichtungen und Mooren, wo einzelne Büsche und andere erhöhte Sitzwarten, vor allem hohe Stauden, stehen. Es nistet gut versteckt an der Erde, sucht seine Nahrung aber hauptsächlich in der Krautschicht …
Vor Jahren habe ich das erste Mal ein Braunkehlchen beobachten können, im naturgeschützten Bereich der Nuthe-Nieplitz-Niederung. Da war ich als Birderin noch nicht lange unterwegs – und der kleine Vogel bekam einen ebenso kleinen Auftritt im meinem Vogelblog, der sich damals gerade erst entwickelte.
Was ich aber vor allem sagen möchte: In demselben Gelände treffe ich in jedem Frühjahr erneut Braunkehlchen an. Es hat sich in den gut sechs Jahren dort dank Naturschutz wenig verändert. Bekannt ist, dass viele Vögel aus dem Winterquartier dorthin zurückkehren, wo sie bereits gebrütet haben oder selbst aus dem Ei geschlüpft sind. Mit anderen Worten: Wer einen Vogel nochmals beobachten möchte, vielleicht länger und mit anderen Fragen als zuvor, der geht am besten dorthin, wo er ihn bereits einmal entdeckt hat.
Die Braunkehlchen-Wiese
Bei meinem letzten Besuch in dem Wiesengelände konnte ich die kleinen braunkehligen Vögel beim Insektenfang beobachten. Es waren sogar zwei, ein Männchen und ein Weibchen, die von ihrem jeweiligen Ansitz aus starteten. Manchmal saßen sie auch nah beieinander auf demselben krautigen Gewächs, das ihnen ausreichend Überblick ermöglichte und auch Deckung bot.
Fotos zum Insektenfang habe ich leider nicht, zu weit waren die Vögel entfernt. Aber wieder einmal hat der Ornithologe Johann F. Naumann in seinem Hauptwerk (Naturgeschichte der Vögel Mitteleuropas, 1887-1905, 3. Aufl, Bd I) das Verhalten einer Vogelart ganz wunderbar beschrieben, Seite 112
Von ihrem erhabenen Sitze herab können sie einen größeren Umkreis überschauen, und so sieht man sie bald hier-, bald dorthin fliegen, ein Insekt von der Erde aufnehmen, einem anderen hier in einigen Sprüngen nachsetzen u.s.w. und sich dann wieder auf die erste oder eine ähnliche Stelle setzen, um von neuem aufzupassen.
Und weiter
Aber nicht allein auf die kriechenden, sondern auch auf die fliegenden Insekten erstreckt sich ihre Jagd, und sie fangen die vorbei- und darüberwegfliegenden mit ungemeiner Gewandtheit im Fluge, so dass sie oft von ihrem Sitze senkrecht in die Höhe fliegen …
Kleiner Tipp: Den Braunkehlchen zuzuschauen, macht großen Spaß. Am besten ist es, sich ruhig auf den Boden zu setzen – das wirkt weniger bedrohlich –, und wenn sie sich an die fremde Person gewöhnt haben, verhalten sie sich geradezu ungestört. Was ansonsten zu beachten ist, habe ich in meinem Birdingtext bereits notiert.
Ich habe einmal geschrieben und auch im Hörfunk erzählt, dass die Vogelbeobachtung für mich etwas Meditatives hat. Gerade am Rand dieser stillen Braunkehlchen-Wiese habe ich das Innehalten und Besinnen oft genossen. Und dann kreisen die Gedanken und gleiten davon …
… vielleicht ausgehend von der Vorstellung, dass dieser zarte Vogel im Herbst über 5000 Kilometer weit in sein westafrikanisches Winterquartier fliegt. Später dann im zeitigen Frühjahr dieselbe Strecke zurücklegt. Nachts. Vor allem aber: Ohne zu wissen, ob sein Brutgebiet noch in Takt ist, ob die weite Reise lohnt.
¹ z.B.: T. Langgemach, T. Ryslavy u.a.: Vogelarten der Agrarlandschaft in Brandenburg – Bestände, Bestandstrends, Ursachen aktueller und langfristiger Entwicklungen und Möglichkeiten für Verbesserungen, in: Naturschutz und Landschaftspflege, 2019, Heft 2, 3, S. 3 – 69
² Zur Bedeutung der Ackerbrachen für die Feld- und Wiesenvögel hat Jörg Hoffmann geforscht und vielfach publiziert, z.B. Ackerbrachen in Der Falke 2019, 10, S. 18-23
Braunkehlchen | Tarier des prés | Whinchat | Saxicola rubetra
0 Kommentare