Das Rotkehlchen warnt

25. November 2020 | Kleine Vögel, Wissenswertes | 1 Kommentar

Rotkehlchen Anfang November. Manche bleiben im Winter hier.

Das kleine, oft aufgeplustert dasitzende Rotkehlchen tut uns einen großen Gefallen: Es bleibt immer häufiger im Winterhalbjahr hier, also wenn viele Vogelarten nach Süden verschwinden. Zudem leuchtet seine rote Kehle ab dem Spätherbst besonders schön. Denn Ende Oktober ist die Vollmauser der Rotkehlchen beendet. Die hübschen Vögel tragen dann ein frisches, unverwechselbares Federkleid.

Und weil nun mehr und mehr Laub von den Bäumen fällt, lassen sich Rotkehlchen bei Spaziergängen oft gut beobachten – zumal sie eine kräftige Stimme haben, wenn es darauf ankommt.

Heiliger See im Neuen Garten von Potsdam mit Stockenten und Blässhühnern.

Kürzlich begegnete mir ein Rotkehlchen am Heiligen See in Potsdam. Vormittags war der Besucherandrang dort nicht allzu groß, und im Novemberdunst grüßte das Marmorpalais idyllisch vom gegenüberliegenden Ufer.

Gerade war an der benachbarten Havel erst einer, dann ein zweiter blau-schillernder Eisvogel an mir vorbeigezischt, als ich das Rotkehlchen sah – beziehungsweise es hörte. Offenbar war ich dem knapp sperlingsgroßen Kerlchen unbedacht zu nahe gekommen. Es „beschwerte sich“ jedenfalls über diese Störung.

Bitte nicht stören

Das Rotkehlchen auf einer noch grünblättrigen Hasel warnt

Um zu warnen oder ihr Revier zu präsentieren, nutzen Vögel neben Vokalisationen – also akustischen Signalen – oft auch Ausdrucksbewegungen – also optische Signale. Das sind in der Regel Bewegungen aus dem üblichen Verhaltensrepertoire der Art, die gezielt und manchmal „übertrieben“ eingesetzt werden, um etwas zu kommunizieren.

Zeichnung eines Rotkehlchens (a, b, c), das einen Störenfried (rechts) mit akustischen und optischen Signalen auf Distanz hält (Das Rotkehlchen, 1979, Seite 55)

In der Verhaltensbiologie, auch Ethologie genannt, sprechen wir heutzutage an dieser Stelle – also bei den optischen Signalen – meist von „Display“, einem Lehnwort aus dem Englischen.

Der deutsche Begriff „Zur-Schaustellen“, den Rudolf Pätzold verwendet, trifft es meiner Meinung nach auch sehr gut. (Das Rotkehlchen, Die Neue Brehm-Bücherei 520, 1979 Lutherstadt Wittenberg/2004 Magdeburg)

Rufe sind kein Gesang

Vor Greifvögeln wie dem Sperber, Katzen und anderen gefährlichen Säugetieren – inklusive dem Menschen – zu warnen, das machen Vögel vor allem mit ihren Rufen. Sie nutzen dazu also nicht den jeweils arttypischen Gesang, von dem eine Gesangskünstlerin wie die Nachtigall viele Elemente in ihren ersten Lebensmonaten erlernen müssen, sondern sie rufen.

Rufe klingen innerhalb einer Art von Vogel zu Vogel weitgehend identisch, weil sie im Erbgut – also genetisch – gut verankert sind. Das macht sie als Signal zuverlässiger als ein Gesang, der von jedem Individuum neu gelernt werden muss und dadurch Umwelteinflüssen unterliegt.

Der folgende Videoausschnitt am Rand des Neuen Gartens in Potsdam ist nicht gefiltert und enthält daher natürliche Atmo samt Hundegebell und Nebelkrähen.

Üblicherweise sind Rufe meist schlicht und kurz, können aber aneinandergereiht werden. Und wie gesagt: Sie werden nicht erlernt, sondern sind ererbt – werden sozusagen mit den Genen von Ei zu Ei oder von Generation zu Generation transportiert.

Manche Vogelrufe sind leise, kaum wahrnehmbar – etwa die an Nestlinge gerichteten Kontaktlaute. Andere sind durchdringend. Das Rotkehlchen zum Beispiel leistet sich laute, fast drohende Rufe, wenn es sich gestört fühlt. Seine Ruftiraden setzen sich aus „zik“-Elementen zusammen, die der kleine Vogel mal kürzer, mal länger aneinanderreiht.

Der „Sitzplatz“

Wie anfangs erwähnt bleiben viele Rotkehlchen im Winter bei uns, solange es nicht zu kalt wird. Sie sind Teilzieher. Manche von ihnen starten in Richtung Niederlande, Frankreich oder Spanien, sobald es kälter wird. Andere kommen aus Nordosteuropa zu uns und verbringen hier den Winter.

Sowohl die heimischen, standorttreuen Vögel als auch die zugereisten machen es uns in der Tat leicht, sie zu beobachten. Zum einen sind Rotkehlchen nicht besonders scheu, zum anderen liegt ihr Lebensraum in einem Bereich, der auch ohne Fernglas leicht zu erkunden ist.

Ich fand in der Neuen Brehm-Bücherei (Das Rotkehlchen, 1979, Seite 27) eine wunderbare Grafik, die genau das illustriert: Während etwa die Ringeltaube hoch oben in den Bäumen sitzt, auch Blau- und Schwanzmeise sich gerne weiter oben herumtreiben, ist das Rotkehlchen eher bodenständig oder in Sträucher zu finden.

Mit anderen Worten: Es bewegt sich oft auf Augenhöhe, nicht in den allerhöchsten Wipfeln.

Vogelarten nutzen in der Vertikalen verschiedene Bereiche. Das Rotkehlchen ist unten angesiedelt (a.a.O. Seite 27)

Das Rotkehlchen war ursprünglich ein Waldbewohner. Heute zeigt es sich oft an Feldrändern, aber auch in der Stadt: in naturbelassenen Gärten, Grünanlagen und auf „unordentlichen“ Friedhöfen fühlen sich Rotkehlchen wohl, sofern sie Unterholz, verrottendes Laub und Feuchtigkeit – beziehungsweise ein kleines Gewässer – vorfinden. Rudolf Pätzold drückt die Ansprüche an das Habitat so aus, Seite 27

Charakterisiert wird der Lebensraum des Rotkehlchens in den Sommerwäldern auch durch Laubabwurf in der kalten Jahreszeit, der zu Rohhumusbildung führt und damit eine reiche Bodenfauna begünstigt.

Die Verwandtschaft

Das Rotkehlchen hat eine attraktive Verwandtschaft: Dazu gehören Nachtigall und Sprosser, die wie auch Haus- und Gartenrotschwanz im November längst in den Süden oder nach Südwesten gezogen sind. Gleiches gilt für Braunkehlchen und Schwarzkehlchen, den Heckensänger und die Gruppe der Steinschmätzer. Sie alle gehören zur Gruppe der Fliegenschnäpper (Muscicapidae)¹ und haben uns im November längst verlassen.

Sommer: Schwarzkehlchen in Brandenburg

Sommer: Braunkehlchen in Brandenburg

Dass das Rotkehlchen bei uns als Teilzieher² gilt und oft nicht wegzieht, hat auch mit seiner Ernährung zu tun. In der warmen Jahreszeit fressen sie Insekten in allen Entwicklungsstadien, das heißt als Ei, Raupe oder flugfähiges Insekt. Auch Ringelwürmer wie den Regenwurm und kleine Schnecken stehen auf ihrem Speiseplan, während sie sich für Tausendfüßer und Feuerwanzen eher nicht begeistern. In Versuchen lassen sie diese jedenfalls liegen, berichtet Rudolf Pätzold (a.a.O. Seite 28).

Wilder Wein an der Hauswand

In den kälteren Monaten sind Käfer eine ihrer animalischen Hauptspeisen.

Aber die Vögel wechseln in dieser Zeit zu vorwiegend vegetarischer Kost:

Vogelbeeren, Himbeeren, Johannis- und Brombeeren wie auch die Früchte von Seidelbast, rankendem Wein, Efeu und Traubenkirsche stehen auf dem herbstlichen Speiseplan. Selbst Gartenfrüchte wie Birnen, Äpfel und Pflaumen schmecken den Rotkehlchen.

Im Frühjahr ist dann animalische Kost für adulte Vögel und als Nahrung für die Jungen unersätzlich.

Große und kleine Unterschiede

Männchen und Weibchen sind einander im Federkleid übrigens sehr ähnlich. Die Kleinen unterscheiden sich jedoch stark von den Eltern und sind zunächst unauffällig getönt. Johann F. Naumann formulierte das in der Naturgeschichte der Vögel Mitteleuropas (1905, 3. Aufl., Bd. I, S. 21) vor weit über 100 Jahren so, Seite 21

Dieser bekannte Vogel kann alt nicht leicht mit einer anderen Art verwechselt werden. Im Jugendkleide ist es aber schwerer, ihn von anderen jungen Sängern mit gefleckten Gewändern zu unterscheiden, namentlich von den jungen Nachtigallen, denen sie täuschend ähnlich sehen…

Eine Raupe für den Jungvogel (Grafik in: Johann F. Naumann, Bd 1, 1905, Tafel 4)

Dass Rotkehlchen bei der Futterwahl wenig wählerisch sind und im Winterhalbjahr von animalischer Kost auf weitgehend vegetarische Kost umschwenken, ist eine Voraussetzung dafür, auch kältere Winter gut zu überstehen.

Mindestens ebenso wichtig ist allerdings, dass in den Gärten und Parkanlagen das Herbstlaub unter den Büschen liegen bleibt und endlich das große „Reinemachen” mit Laubsauger und Laubbläser aufhört.

Denn: Gerade unter verrottenden Blättern, die außer den Rotkehlchen auch die Amseln ständig wenden, finden Vögel im Winter wichtige Insektennahrung.

¹ Von manchen Autoren werden Rotkehlchen weiterhin zur Familie der Drosseln (Turdidae) gerechnet. Das ist nicht mehr aktuell. Drosseln und Fliegenschnäpper gelten indes als nah verwandt.

² Ausführliches zu den genetischen Faktoren und Umweltfaktoren, die das Zugverhalten bestimmen, findet sich in Vogelzug von Peter Berthold (aktuell: 7. Aufl., Darmstadt 2017).

Rotkehlchen | Rouge-gorge | Robin | Erithacus rubecula

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1 Kommentar

  1. Heute wurde das Rotkehlchen zum „Vogel des Jahres“ 2021 gekürt. Der kleine Singvogel ist auf jeden Fall ein hübscher Muntermachen und ein attraktiver Preisträger. Letzten November traf ich einen kecken Vertreter in Potsdam.
    Und frühere Jahresvögel findet ihr in der rechten Seitenleiste dieses Vogelblogs. Dazu etwas herunterscrollen.

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Frau mit Fernglas beobachtet etwas in der Ferne

Mit Fernglas und Kamera auf Vogel-„Jagd“ zu gehen, ist mancherorts geradezu ein Sport und von Wetteifer geprägt. Ich halte aber wenig davon, möglichst viele und auch seltene Arten aufspüren zu wollen, um sie akribisch in Listen zu erfassen. Mein Ding ist: stehen bleiben, lauschen und schauen, was Tiere so treiben.

Textes en français

Si cela t’intéresse: Ma chère amie Annie Riou a traduit quelques articles du blog en français. Et depuis 2023 Juliette Rakei, étudiante de la zoologie à Berlin et bilingue, fait des traductions. Merci! Tu les trouves ici.

Vogel des Jahres

Zwei schwarz-weiße Vögel mit teils schillernden Flügeln stehen sich gegenüber, unter ihnen ein kleiner Jungvogel.

2024  Der Kiebitz

Zwei Braunkehlchen sitzen auf einer Distelblüte, es sind Männchen und Weibchen.

2023  Das Braunkehlchen

Ein Rotkehlchen hockt auf einem Ast und füttert mit einem Wurm, den es im Schnabel hält, einen Jungvogel.

2022  Das Rotkehlchen

Wiedehopf mit gesträubter Haube - Ausschnitt aus einer Grafik im "Naumann" Bd.IV

2021  Der Wiedehopf

Eine rosabrüstige Taube sitzt auf einem Ast und blickt mit ihrem roten Auge zu uns.

2020  Die Turteltaube

Vier Lerchenvögel, in der Mitte ein adultes männliches Tier mit kleiner Holle.

2019  Die Feldlerche

Männlicher und weiblicher Star im Frühjahr im Prachtkleid - mit weißen Tupfern auf schwarzem Grund - auf einen Zweig sitzend.

2018  Der Star

Ein Waldkauz sitzt auf einem Ast; kolorierte Zeichnung aus Brehms Tierleben.

2017  Der Waldkauz

Ein Waldkauz sitzt auf einem Ast; kolorierte Zeichnung aus Brehms Tierleben.

2016  Der Stieglitz

Seevogel des Jahres

Ein Waldkauz sitzt auf einem Ast; kolorierte Zeichnung aus Brehms Tierleben.

2024  Der Sterntaucher

Brandseeschwalbe mit schwarzem Schädel und Mähne steht auf einem Felsen am Meer.

2023  Die Brandseeschwalbe

Ein möwenartiger Vogel steht auf einem Felsstein im nordisch anmutenden Meer

2022  Der Eissturmvogel

Der Jahresseevogel 2021 als Zeichnung: Zwei Weißwangengänse mit weißer Stirn und weißer Kehle vor einem nordischen Meer mit steilen Felsen.

2021  Die Weißwangengans

Auf einem Felsvorsprung am Meer steht eine Fluss-Seeschwalbe mit deutlich schwarzer Schnabelspitze. Links eine Zwergseeschwalbe und hinter ihr eine Küstenseeschwalbe.

2020  Die Fluss-Seeschwalbe

Eine schwarzweiß gemusterte Eiderente mit pfirsichfarbener Brust paddelt mit den Füßen im grünlich Meerwasser.

2019  Die Eiderente

Drei Sandregenpfeifer stehen am Meeresstrand. Links das Weibchen, rechts ein blasser gefärbter Jungvogel und in der Mitte das Männchen auf einem Stein. Jungtier

2018  Der Sandregenpfeifer

Vier Eisenten hocken auf Steinen im Wasser: großes männliches Tier mit brauner Brust, helleres weibliches Tier und zwei ebenfalls helle Jungvögel.

2017  Die Eisente

Drei Basstölpel in verschiedenen Altersstufen: weißes Baby, dunkler Jungvogel und weißer Altvogel mit gelblichem Kopf.

2016  Der Basstölpel

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