Streiterei um die Badewanne

Mehr als ein Dutzend bräunlliche Vögel stehen auf einer Betonpromenande am Meer.

Die flinken Steinwälzer sind eine Vogelart, die mich immer wieder fasziniert. Zuletzt sah ich sie an einem total verregneten Tag in Wilhelmshaven, wo sie am Jadebusen nicht etwa in den Nordseewellen badeten, sondern auf der Strandpromenade eine Pfütze zum Baden gewählt hatten. Aber der Reihe nach. Wo treiben sich Steinwälzer herum? Und was können wir beobachten, wenn sie baden?

Überraschung am Südstrand

Es war nicht das erste Mal, dass ich am Südstrand von Wilhelmshaven Vögel beobachten konnte. Da gab es zum Beispiel letzten Sommer einen hungrigen Austernfischer und junge Fluss-Seeschwalben zu sehen, die von ihren Eltern gefüttert wurden. Und nun überraschte mich an einem scheußlichen Regentag eine Gruppe von Steinwälzern, die bei mächtig viel Wind und Regen plötzlich auf der Strandpromenade landeten. Sie hielten den Kopf in den Wind, damit bei diesem Schietwetter – wie es Norddeutsche nennen – das Gefieder geglättet und nicht durch Rückenwind aufgewirbelt wird.

Bräunliche Vögel auf einer regennassen Promenade aus Stein und Beton.
Zugvögel im norddeutschen Schietwetter

Steinwälzer sind quirlige Vögel, die immer unterwegs sind und mich bereits damit begeistern. Viele Strandgäste und Spaziergänger nehmen kaum Notiz von ihnen, gehen unachtsam an ihnen vorbei statt stehen zu bleiben und ihnen zuzuschauen. Schade eigentlich. Denn ihr Verhalten ist höchst unterhaltsam. Vielleicht liegt das Desinteresse an dem etwas unscheinbaren, spatzenähnlichem Outfit der Steinwälzer.¹ Es sind eben keine weißglänzenden Silberreiher oder imposante Kraniche. Neben einer Lachmöwe sind sie nicht nur klein, sondern wirken auch unattraktiv.

Eine Lachmöwe und mehrere bräunliche Steinwälzer am Deich.
Größenvergleich: Lachmöwe versus Steinwälzer

Die Gruppe von rund 25 Vögeln lief unruhig – geradezu aufgebracht – auf der Promenade herum. Nur hin und wieder standen sie still. Es war gerade Flut am Jadebusen, und durch den starken Wind klatschten die Wellen geräuschvoll an das Gestein.

Das Meer war heute definitiv nichts für Steinwälzer, die sich normalerweise am Spülsaum oder auf steinernen Buhnen aufhalten und nach Nahrung suchen. Sie wichen daher auf den grasbewachsenen Deich aus und fanden dort offenbar auch allerlei Fressbares: Insekten und Spinnen vermute ich, vielleicht auch Sämereien. Was den Speiseplan angeht sind Steinwälzer flexibel, lese ich im Handbuch der Vögel Mitteleuropas. (Hrsg. Urs N. Glutz von Blotzheim, Wiebelsheim 2011, Bd. 7, Seite 603).

Die kleinen Watvögel finden auf den Buhnen und im Spülsaum des Meeres animalische Kost wie Flohkrebse, Muscheln und Schnecken. Aber pflanzliche Nahrung wie Moose, Beeren und Algen schmeckt ihnen ebenfalls. Durstig waren die Ankömmlinge am Jadebusen übrigens auch, denn sie tranken Wasser aus den Pfützen, die der Regen gefüllt hatte.

Bräunlich-weiße Vögel am grünen Deich
Auf Nahrungssuche am Deich
Zwei bräunlich-weoé Steomwälzer auf Nahrungssuche im grünen Gras
Unterwegs im tarnfarbenen Schlichtkleid

Irgendwann entdeckten einige von ihnen die kleinen Pfützen als ideale „Badewanne“. Mit dem folgenden Video möchte ich zunächst zeigen, wie Steinwälzer sich an Land verhalten. Zu sehen ist ihr Hin- und Hergelaufe, wie sie aus einer Pfütze trinken und welches Flugbild sich bietet, wenn Passanten ihnen zu nahekommen und sie auffliegen. Wie Steinwälzer baden, illustriert dann das zweite Video weiter unten.

Woher kamen die Steinwälzer?

Steinwälzer brüten nicht in Deutschland – bis auf ganz wenige Paare an der Nordseeküste von Schleswig-Holstein. Dass sie mir mehrfach an der ostfriesischen Küste, im Bereich des Wattenmeeres, begegneten liegt an ihrem Zugverhalten.

Sie begeben sich zum Brüten weit nach Norden, und zwar nach Island und Skandinavien beziehungsweise in die Arktis von Nordamerika und in die Tundrengebiete von Russland. Steinwälzer, die bei uns erscheinen, sind also auf der Durchreise: im Spätsommer geht es südwestwärts, also längs der Nordseeküste teils bis nach Westafrika, und im Frühjahr ziehen nordostwärts, also vom Winterquartier aus via Wattenmeer nach Skandinavien.²

Steinwälzer auf der Promenade vor einer großen umschlagenden Welle
Die Nordsee lädt heute nicht zum Baden ein!

Wenn sie an der hiesigen Nordseeküste unterwegs sind, sehen sie wie schon erwähnt etwas langweilig aus – außer wenn sie, wie im ersten Video zu sehen war, flach dahinfliegen und ein kontrastreiches Flugbild abgeben. Ihr sommerliches Brutkleid beziehungsweise Prachtkleid ist im Vergleich zum sogenannten Schlichtkleid der Wintermonate durchaus attraktiv: Schultern und Flügel sind orange-braun gefärbt und der Kopf ist weiß-schwarz gestrichelt.

Eine Ahnung von dieser Pracht bekam ich bereits früher an der bretonischen Küste, wo die Vögel Anfang August ihr geradezu buntes Prachtgefieder noch nicht abgelegt hatten. Ihr Gefiederwechsel stand offenbar noch bevor.

Streithähne und Streithennen

Bisher habe ich keine brütenden Steinwälzer beobachten können und kenne sie nur als ziehende Vögel. In dieser Phase sind sie, wie viele andere Arten auch, als Gruppe unterwegs. Männliche und weibliche Vögel sind dann am Gefieder nicht zu unterscheiden. Nur im Prachtkleid sind die Farben bei den Herren etwas intensiver.

In der Gruppe wirken die Vögel einseits sehr einträchtig, andererseits gönnen sie dem oder der anderen: Nichts. Wer also wie an der Strandpromenade von Wilhelmshaven ein schönes Badeplätzchen hat, verteidigt es. Da wird gedroht und angegriffen, und der Flüchtling wird durchaus noch weiter verfolgt. Erst wenn die Körperpflege weitgehend beendet ist oder wenn ein übermächtiger Artgenosse aufgetaucht ist, wird die Badewanne freigegeben.

Das folgende Video zeigt drei verschiedene Szenen aus einer längeren Sequenz: Zunächst vertreibt Vogel A Vogel B von der Pütze und verfolgt ihn flügelschlagend. Danach kommt eine Szene, in der ein badender Vogel seine Badewanne mit drohend geöffnetem Schnabel gegenüber Artgenossen behauptet, bevor er selbst vertrieben wird. Abschließend ist die feuchte Gefiederpflege nochmals im Detail zu sehen.

Es lohnt sich das Video zm Thema „Wenn Steinwälzer baden” ein zweites Mal anzuschauen und dabei auf Kleinigkeiten zu achten. Zum Beispiel wird im mittleren Teil zunächst nur der Schnabel ins Wasser getaucht, immer etwas tiefer, dann der ganze Kopf und schließlich auch der Hals. Durch die „Verbeugungen“ des Vogels fließt schließlich das Wasser auch über seinen Rücken, bevor es flügelschlagend und durch kräftiges Schütteln verteilt beziehungsweise aus dem Gefieder entfernt wird.

Baden als Komfortverhalten

Für Vögel ist die Gefiederpflege ungemein wichtig, außer dem Bad im Wasser gehören das Sonnenbad und ausgiebiges Putzen dazu.³ Der übergeordnete Begriff für diese Verhaltensweisen ist Komfortverhalten. Dabei entfernen Vögel lästige Schädlinge aus ihrem Gefieder und befreien sich insbesondere während der Mauser von toten, abgestoßenen Federn. Diese sind ihnen unangenehm, wie ich unter anderem bei jungen Habichten feststellen konnte.

Zwei bräunliche-weiße Vögel in einer Pfütze.
Flügelschlagender Badespaß

Beim sogenannten Putzen werden die Federn geglättet und in Ordnung gebracht. Das lässt sich gut bei großen Vögeln beobachten, wenn sie die einzelnen Federn durch den Schnabel ziehen. Danach greifen die Widerhaken der feinen Strahlen, die die Federfahne bilden, wieder passgenau ineinander, sodass beim Fliegen eine lückenlose, stabile Tragfläche entsteht.

Wasservögel wie Stock- oder Eiderenten pflegen ihr Gefieder schwimmend auf dem Meer oder auf einem anderen Gewässer.

Viele Vogelarten bevorzugen allerdings flaches Wasser, also seichte Ufer und am Meer die Bereiche, wo die Wellen auslaufen. Zusätzlich bieten Regenpfützen kleineren Arten eine gute Gelegenheit, das Gefieder zu pflegen. Das zeigt sich etwa, wenn Steinwälzer baden.

Typisch für badende Vögel sind Tauch- und Schüttelbewegungen, durch die Wasser im Gefieder verteilt und abgeschlagen wird. Wer Entenvögel auf dem Wasser etwas länger beobachtet, der sieht sicherlich auch, wie sie sich flügelschlagend aufrichten. Als „Sichflügeln“ ist diese Verhaltensweise bekannt. (Auf dem Saisonfoto vom Februar 2024 zeigt es ein männlicher Gänsesäger.)

Wenn Vogelarten kein oder eher selten Wasser zur Verfügung haben, nutzen sie eine andere Gelegenheit zur Körperpflege: Sie baden im losen, trockenen Substrat. Verbreitet ist dieses Sandbaden bei Hühnervögeln, doch unsere Haussperlinge zeigen es ebenfalls. Kleine Vertiefungen entstehen dabei im Boden. Im Jargon der Jäger werden diese Kuhlen als Huderpfannen bezeichnet.

¹ Die eher modderigen Gefiederfarben haben einen Grund: Es sind Tarnfarben und die schützen den Vogel vor Angriffen.
² Wer mehr über die Zugrouten und das Zugverhalten von Vögeln wissen möchte, dem empfehle ich Das große Buch vom Vogelzug.
³ Mehr zu Themen wie Gefiederpflege, Zugverhalten, die Sinne der Vögel, ihr Gedächtnis und viele praktische vogelschützende Tipps sind allgemeinverständlich in Wie funktionniert ein Vogel?  von Hans-Heiner Bergmann nachzulesen (Quelle & Meyer, Wiebelsheim 2022)

Steinwälzer | Tournepierre à collier | Ruddy Turnstone | Arenaria interpres



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