Die meisten jungen Singvögel sind Ende August, Anfang September längst flügge, haben das Nest also verlassen. Aber oft sind die Nachkommen aus späten Bruten* am Aussehen und Verhalten noch als „Kinder“ zu erkennen.
Viele fallen durch geringe Scheu und Possierlichkeit** auf. Es ist amüsant und lohnt sich, sie zu beobachten.
Kürzlich hatte ich mit einem spät geschlüpften Hausrotschwanz zu tun, der dabei war, die Welt zu erkunden.
Und das kam so:
Ein Familienfest hatte mich in die Oberpfalz gelockt, und da ich die Gegend von Neunburg vorm Wald – ja so heißt die hübsch gelegene Stadt – noch nicht kannte, war die eine oder andere kleine Vogeltour eingeplant. Die erste führte mich rund um meine Unterkunft in ländlicher Umgebung, wo ich bei der Ankunft bereits Rotschwänze gesichtet hatte. Aber wo trieben sie sich herum? Und waren es Gartenrotschwänze oder Hausrotschwänze?
Meine Fragen ließen sich rasch beantworten: Vor allem Hausrotschwänze mögen es ein wenig unübersichtlich, unaufgeräumt. Ihr ursprünglicher Lebensraum ist schroffes Felsgestein. Doch sie haben längst die menschlichen Siedlungen für sich entdeckt. Sie sind sogenannte Kulturfolger. Allerdings bevorzugt die Art nicht etwa unsere Gärten und Grünanlagen, sondern industrielles Gelände.
Heinz Menzel schreibt in Der Hausrotschwanz¹ über die Habitatvorlieben beziehungsweise Habitatansprüche der Art, Seite 32
Neben Fabrikanlagen siedelt sich diese Vogelart in Dörfern und Städten an, wobei es ihm einerlei ist, ob es ein- oder vielstöckige Häuser, Ställe oder auch nur Schuppen sind. In den Nachkriegsjahren benutzte der Hausrotschwanz auch oft die zerbombten Gebäude als Brutplatz. Es wird also auch völlig vegetationsfreies Gelände besiedelt. Weiter bewohnt diese Art Plätze auf denen Steine, Bretter, Baumstämme oder Stapel von meterlangem Holz lagern. In Steinbrüchen, Kiesgruben, Braunkohletagebauen usw. können wir diese Art ebenfalls als Brutvogel antreffen.
Einen solchen Ort fand ich ganz in der Nähe meiner Unterkunft nahe Neunburg a.W.. Und es zeigte sich dort – nach einem leichten Gewitterschauer – bald ein junger Hausrotschwanz. Das Gefieder dieser Vogelart ist aschgrau getönt, bei den älteren männlichen Vögeln ist es manchmal sehr dunkel. Und die Kopfgegend ist bis zur Brust hin schwarz. Auf Französisch heißt der Hausrotschwanz konsequenterweise: Rougequeu noir, also schwarzer Rotschwanz.
Wie der mehr bräunlich getönte Gartenrotschwanz hat auch der Hausrotschwanz diesen leuchtend roten Schwanz, der die Vögel im Flug wie im Sitzen verrät. Er wird von den Steuerfedern gebildet und schmückt bereits das Federkleid der Jungvögel.
Hörbar, aber auf Distanz
Immer wieder hörte ich nun die typischen „zrt-zrt…“-Laute eines bettelnden Jungvogels und die Stimmen von Altvögeln.² Aber wo steckten sie? Mit dem Fernglas suchte ich das Gelände ab, und entdeckte schließlich einen kugeliges, aufgeplustertes Etwas.
Gut verborgen unter Buschwerk konnte ich mich hinsetzen und den kleinen dunkelgrauen Hausrotschwanz längere Zeit beobachten. Wie er da ruhig wartete – auf einen futterbringenden Altvogel –, wie er scheinbar neugierig herumschaute, wie er eine Bachstelze und Fitisse beobachtete und diese offenbar als interessante, aber nicht bedrohliche Nachbarn erlebte.
Bei jungen Vögeln, die noch nicht lange das Nest verlassen haben, fällt immer wieder auf, wie gut sie sich von uns beobachten lassen. Zum Beispiel warten sie manchmal auf einem kahlen Zweig, einem Zaunpfahl oder einem anderen Ansitz lange darauf, von einem Altvogel gefüttert zu werden, der ganz in der Nähe – aber für unsere Augen verborgen – hockt.
Meist ist es aber so: Der Jungvogel wird nicht gefüttert, solange wir in der Nähe sind und stören. Manchmal wird das Junge von den Eltern mit dem Insektenfutter im Schnabel auch weggelockt, wie ich das einmal beim Schwarzkehlchen beobachten konnte.
Auf dem Tummelplatz
Der junge Hausrotschwanz saß – wie auf den vorausgehenden Fotos zu sehen – zunächst etwas geschützt zwischen abgestellten Bauwagen und Gerätschaften, flog dann aber auf ein Metallgitter.
Es war ein typischer Ansitz für kleine, insektenjagende Singvögel und ebenso für Vogelkinder, die auf Futter warten: Solch ein aufrecht stehendes Gitter bietet einen guten Überblick, und Vogeleltern können den hungrigen Nachwuchs dort gut anfliegen und Schnäbel stopfen.
Die Altvögel ließen auch in diesem Fall auf sich warten. Sie hielten sich also verborgen.
Stattdessen flatterten aus den nahen Bäumen gelb-grüne Fitisse herbei, die zu den Laubsängern gehören. Im Vergleich zum Hausrotschwanz wirkten sie wie unruhige Geister.
Was sie da trieben, blieb mir verborgen. Es sah nach einem gegenseitigen Jagen aus.
Möglicherweise waren es Jung und Alt. Denn während der eine Vogel schön ausgefärbt war, wirkte das Gefieder eines anderen eher blass – wie für einen Jungvogel typisch. Der Unterschied zeigte sich allerdings erst, als zwei der Vögel sich niedergelassen hatten.
Nachdem die Fitisse erneut für eine Weile davongeflogen waren, ließen sie sich bald ganz nah bei dem jungen Hausrotschwanz nieder, der mittlerweile wieder auf „seinem” Metallgitter Platz genommen hatte. Er zeigte sich zunächst davon unberührt.
Möglicherweise wurde es dem jungen Hausrotschwanz irgendwann zu bunt, denn die Fitisse flatterten weiter hin und her, mal huschten sie hinter das Gitter und mal hindurch.
Und der Vater
Als die Fitisse endlich abgedüst waren, ließ sich Herr Hausrotschwanz blicken. Plötzlich saß er neben dem Jungvogel, der mittlerweile einen anderen Ansitz gewählt hatte. Abgelenkt von einer jungen Bachstelze, hatte ich diesen Platzwechsel zunächst gar nicht bemerkt.
Kurz darauf verschwand der Altvogel, aber ich entdeckte ihn vor einem der Bauwagen. Und danach flog er genau dorthin, wo der Jungvogel lange gesessen – und gewartet – hatte.
Es handelte sich eindeutig um ein älteres Männchen. Denn obwohl dieser Vogel gerade sein Federkleid wechselte, sind nicht nur das sehr dunkle Grau seines Äußeren und der namensgebende rostrote Schwanz gut erkennbar, sondern auch der weiße Spiegel***. Der wird von den weißen Federsäumen – also den Rändern – der Hand- und Armschwingen gebildet wird und markiert seine Geschlechtzugehörigkeit. Diesen Spiegel, das auch als weißes Flügelfeld bezeichnet wird, haben weibliche Hausrotschwänze nicht.
Ich gehe davon aus, dass beide Eltern in der Nähe waren. Es ist nämlich üblich, dass die Familie noch drei bis vier Wochen zusammenbleibt, wenn die Jungen einer späten Brut ausgeflogen sind. (Bei früheren Bruten einer Saison bleibt die Familie nur etwa zwei Wochen zusammen.)
Hausrotschwanz-Kinder kehren nach dem Ausfliegen nicht zum Nest zurück. Sie werden zunächst weiterhin gefüttert und vor Katzen und anderen Feinden von den Eltern mit Alarmrufen gewarnt. Diese Rufe beschreibt die App Die Stimmen der Vögel Europas² als eine Folge von tonlosen „fid-tk-tk …“-Lauten. Je größer die Gefahr, desto schneller die Abfolge.
Leider habe ich nicht gesehen, ob der Jungvogel noch gefüttert wurde. Der nächste Gewitterschauer hätte mich sonst erwischt.
* Zwei Bruten nacheinander sind nicht ungewöhnlich.
**Das ist ein etwas antiquierter Begriff, aber er passt gut. Denn im „Wahrig“, Deutsches Wörterbuch, wird „possierlich“ als eine Ableitung von „Posse” dargestellt und als „lustig, drollig” übersetzt. Und genau so nehme ich junge Singvögel oft wahr.
*** Der Spiegel oder Flügelspiegel ist ein Bereich im Flügel, der durch Federn auffällt, die sich kontrastreich von den anderen Federn des Flügels absetzen.
¹ Heinz Menzel, Der Hausrotschwanz, Magdeburg 1995, Die Neue Brehm-Bücherei, Bd. 475
² Hans-Heiner Bergmann, Wiltraud Engländer, Sabine Baumann, Hans-Wolfgang Helb, Die Stimmen der Vögel Europas, Aula-Verlag, Wiebelsheim 2018
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