Die Watvögel, die an Meeresküsten und Flussufern unterwegs sind, lassen sich oft schwer unterscheiden. Wer jedoch weiß, welche Merkmale und welches Verhalten den Terekwasserläufer auszeichnen, wird gerade ihn leicht erkennen und seine Freude an ihm haben.
Das liegt vor allem daran, dass er typischerweise mit rasantem Tempo und leicht vornübergebeugt herumflitzt. Rasch entsteht der Eindruck, er könnte gleich auf die Nase – pardon: den Schnabel – fallen. Das tut er aber nicht. Auffällig ist zu jeder Jahreszeit sein langer, ein wenig aufwärts gebogener Schnabel. Und im frühlingshaften Brut- oder Prachtkleid hat er wunderschöne orange-gelbe Beine.
Erste Begegnung
Der Terekwasserläufer gehört zu den Watvögeln*, die wir auf sandigen Küstenabschnitten am Meer und an Flussufern beobachten können. Nur leider ist er in Westeuropa eine Ausnahmeerscheinung. Allerdings kommt die Art im Sommerhalbjahr in Finnland und ostwärts etwa in der Ukraine vor.
Die hauptsächlichen Brutgebiete liegen in der russischen Taiga und angrenzenden Gebieten. Kein Wunder also, dass ich den Terekwasserläufer zum ersten Mal auf einer Tour in Weißrussland – heute meist Belarus genannt – sah. Dort war er allerdings nicht in Aktion, nicht einmal lebendig, sondern als Kunstwerk verewigt: In der Kleinstadt Turau bzw. Turov nahe der Ukraine stand die ansprechende Skulptur auf einem begrünten Platz mitten im Ortskern. Sie zeigte übrigens nicht nur einen Vogel, sondern gleich zwei. Wer genau hinschaut sieht außer dem langen, „leicht aufgeworfenen“ (so heißt es in der Ornithologie) Schnabel wohl auch, dass bei einem der Vögel die Schnabelspitze abgebrochen ist. Schade!
Der Terekwasserläufer in Aktion
Kürzlich konnte ich den zugleich hübschen und etwas skurril herumflitzenden Vogel länger beobachten, und zwar auf einer Birdingtour durch den Oman. Dort und längs der Meeresküste von Afrika verbringen Terekwasserläufer und viele andere Watvögel die Wintermonate. Auch in Indien, Südostasien und Australien erscheinen sie im Winterhalbjahr als Zugvögel.
Zu Beginn meiner Tour begegneter mir der Vogel auf dem rötlichen Sand einer Meereslagune am Indischen Ozean. Dort hatte sich das Wasser bei Ebbe zurückgezogen. Heringsmöwen und einige Watvögel waren im feuchten Sand auf Nahrungssuche.
Beim Terekwasserläufer besteht die Nahrung aus Weich- und Krebstieren, Insekten und Spinnen. Auch Sämereien werden verzehrt. Allerdings gibt es jahreszeitliche Unterschiede, die von klimatischen und anderen Umweltfaktoren abhängen:
Zur Fortpflanzungszeit ist der Terekwasserläufer in der nordischen Taiga beziehungsweise der Waldtundra anzutreffen, wo er an flachen Flussufern und Inseln brütet. Zur Brutzeit verzehren die Vögel diverse Mücken und deren Larven, die es dort in rauen Mengen gibt. Das ist auch das Futter für den Nachwuchs.
Auf dem Zug und im Winterquartier versorgen sich Terekwasserläufer an den Küsten des Indischen Ozeans hauptsächlich mit Würmern, Muscheln und Schnecken, mit Larven und kleinen Krebstieren, die sie im Wattboden oder dem Flachwasser aufstöbern.
Dazu ein Detail: An der Küste von Südkorea hat ein niederländischer Ornithologe beobachtet, wie Terekwasserläufer Winkerkrabben erbeuten: Kleine Exemplare verzehren sie sofort, während sie größere ins Wasser tauchen und quasi waschen. Als zu groß beurteilte Krabben werden sofort aussortiert.¹
Aber zurück zur Meereslagune im Oman, wo in der flimmernden Hitze des Nachmittags die kleinen Watvögel mit bloßem Auge schwer zu unterscheiden waren. Manchmal hilft dann das Verhalten weiter, also wie sich ein Vogel bewegt, wie er frisst oder fliegt.
In der Fachliteratur lese ich, wie Terekwasserläufer typischerweise nach Nahrung suchen: Sie sind schnell unterwegs und wechseln sehr abrupt die Richtung, stochern immer wieder im Sand oder stecken den Schnabel flink ins Flachwasser. Auch hinter flüchtender oder fliegender Beute jagen sie her. Und wie die Säbelschnäbler schwingen diese viel kleinere Watvogelart ihren leicht gebogenen Schnabel im Wasser hin und her. Dabei wird der ein oder andere Partikel herausgefiltert.²
Wie das vorherige Video zeigt, begegnete „unser“ Terekwasserläufer bei der Nahrungssuche einer anderen Watvogelart: dem Mongolenregenpfeifer Charadrius mongolus.** Auch dieser kleine Vogel ist im Oman ein Zugvogel und Wintergast. Er kommt von weit her, um im Süden zu überwintern. Sein Brutgebiet liegt in teils hoch gelegenen asiatischen Steppen. Verwandt ist er mit dem Seeregenpfeifer, und eine besonders enge Verwandtschaft verbindet ihn mit dem Wüstenregenpfeifer.
Geschichtsträchtige Namenskunde
Seinen wissenschaftlichen Namen Xenus cinereus verdankt der Terekwasserläufer einerseits Johann Jakob Kaup, der im 19. Jahrhundert als Zoologe und Paläontologe forschte und publizierte. Er gab ihm den Gattungsnamen Xenus – ein Begriff aus dem Griechischen, der für Fremdling oder Gast steht. Als Xenus cinereus ist der Terekwasserläufer der einzige Vertreter dieser Gattung.
Zur Bezeichnung der Spezies oder Art hat andererseits der Naturforscher Johann Anton Güldenstädt aus Riga das Anhängsel cinereus beigetragen. Der Deutsch-Balte, der u.a. im Auftrag der deutschstämmigen Kaiserin Russlands Katharina die Große den Kaukasus erforschte, hat das Spezies-Attribut dem Lateinischen entnommen. Es bedeutet grau. Nicht umsonst heißt etwa der Graureiher Ardea cinerea, wo bei die Endung a lautet, weil ardea im Lateinischen eine weibliche Substantivform ist.³
Der deutsche Name Terekwasserläufer bezieht sich ebenso wie der englische Name Terek sandpiper auf den Terek, einen großen Fluss, der in Georgien als Tergi entspringt*** und via Russland ins Kaspische Meer mündet. Dort und an anderen Flussläufen erscheint der Vogel auf dem Zug nach Süden, wenn er seine Brutgebiete in Nordrussland und Sibirien verlassen hat. Womöglich pausiert er dort auch auf dem Rückweg, aber beim Zug ins Brutgebiet legen Vögel meist weniger Zwischenstopps ein.
Der Terekwasserläufer am ehemaligen Weihrauchhafen
Meine zweite Begegnung mit dem überwinternden Terekwasserläufer ergab sich an einem geschichtsträchtigen Ort im südlichen Oman: am ehemaligen Weihrauchhafen der Region Dhofar, bekannt als Khor Rori. Der Ort ist seit dem Jahr 2000 samt den Überresten der Stadt Sumhuram ein UNESCO-Weltkulturerbe. Von hier wurde ab dem 4. Jh. vor Chr. der Weihrauch – damals wie Gold gehandelt – in alle Welt verschifft. Die Routen, die die Handelsschiffe aus dem Oman nahmen, sind in der bearbeiteten Karte aus dem Weihrauchmuseum eingezeichnet. Der ehemalige Verschiffungshafen für die wertvolle Ware ist von mir mit einem Kreis markiert.
- Eingang Khor Rori
- Handelsrouten – Hafen markiert
Wer das Hafenareal und das Weihrauchmuseum besucht, kommt auch an den Überresten der damaligen festungsartigen Stadt Sumhuram vorbei. Ich besuchte zwar das kleine Weihrauchmuseum, ließ die Ausgrabungsstätte aber „links liegen“ und ging in Richtung Küste, um Watvögel zu beobachten.
Große und kleine Wintergäste
An diesem Küstenabschnitt, heute Teil einer Lagune, die damals die Handelsschiffe und kleinere Dhaus beherbergte und heute durch eine Sandbank vom Meer getrennt ist, war ein jagender Fischadler unterwegs. Auch er ist ein Überwinterungsgast im Oman. Gerade hatte ich mich im Schatten einer rekonstruierten Dhau niedergelassen, lief ein Terekwasserläufer, der emsig auf Nahrungssuche war, den Spülsaum ab. Er kam mir immer näher, schien aber nicht großartig irritiert.
Dieser Vogel war sicher bereits auf dem Rückflug in sein Brutgebiet. Denn das Gefieder und die Beine zeigten bereits das prächtige Brutkleid, auch Prachtkleid genannt. Ob er aus Afrika angereist war oder im Oman überwintert hatte, werde ich nie erfahren.
Zugvögel, die aus dem Süden nordwärts fliegen, unternehmen die weite Reise meist gut genährt. Sie legen aber Zwischenstopps ein, wenn Wind und Wetter es verlangen oder die Reserven erschöpft sind. Dann fressen sie und „tanken auf”. Generell haben es viele Arten auf dem Weg ins Sommerquartier eiliger als wenn sie ins Winterquartier fliegen.
Am Spülsaum des ehemaligen Weihrauchhafens gab es jedenfalls einiges zu futtern. Temporeich und mit weit ausgreifenden Beinen raste der Terekwasserläufer an der Wasserlinie entlang. Und zack war er schon an mir vorbei und im Gegenlicht kaum mehr auszumachen. Aber der verräterische Schnabel!
* Watvögel werden in der Ornithologie auch Limikolen genannt.
** Von diesem Vogel werde ich noch berichten und auch der Frage nachgehen, ob er tatsächlich ein Mongolenregenpfeifer ist.
*** Ich habe erst kürzlich realisiert, dass Tergi und Terek zwei Namen für ein und denselben Fluss sind. Und tatsächlich war ich bereits im Ursprungsgebiet des Tergi bzw. Terek, der sich aus dem Wasser eines Gletschers südlich des beeindruckenden Kasbek im Hohen Kaukasus speist.
¹ T. Piersma, Foraging behaviour of Terek Sandpipers Xenus cinereus feeding on Sand-Bubbling Crabs Scopimera globosa, 1986, J Ornithol 127, S. 475–486 (https://doi.org/10.1007/BF01640262)
² Handbook Of The Birds Of The World, Hrsg. Josep del Hoyo u.a., Lynx Edicions, Barcelona, 1996, Bd. 3, S. 508 und 513
³ Wer mehr über die Vogelnamen erfahren möchte, empfehle ich erneut das Buch Die Namen der Vögel Europas von Viktor Wember.
Terekwasserläufer | Chevalier bargette | Terek Sandpiper | Xenus cinereus
Schöner Bericht über einen außergewöhnlichen Vogel! Und die Fotos aus dem Weihrauchhafen sind Klasse, beim letzten sieht man sogar in der Spitze des aufgeworfenen Schnabels die winzige Beute, die er erbeutet hat, vermutlich auch nach einem der schnellen Spurts, für die er bekannt ist.
In Deutschland ist er ein seltener Gast mit etwas fünf Nachweisen pro Jahr.
Vielen Dank für deine positive Rückmeldung! Und ja, auf dem letzten Foto sieht man im Original noch besser, dass da etwas im Schnabel steckt. Aber ich konnte es nicht identifizieren. Es ist wahrscheinlich ein Nahrungspartikel von einer „Wasserhaut“ umgeben – ein stark glitzerndes Kügelchen.