Auf Vogelfüße passen keine Schlittschuhe, die sich bekanntlich zum kontrollierten Gleiten auf gefrorenem Wasser bestens eignen. Doch viele Wasservögel kommen nicht drumherum, sie müssen das Schreiten und Abbremsen, das Starten und Landen auf glattem Eis lernen und perfektionieren.
Als Jungvögel erleben sie den zugefrorenen See, zumal die spiegelglatte Eisfläche, das erste Mal. Da heißt es, sich an widrige Lebensumstände anpassen.
Was sich daraus ergibt, wirkt auf uns komisch – es ist zum Lachen, teils lächerlich. Doch Spaß darf sein, auch bei ernsthafter Vogelbeobachtung. Darum also: Was habe ich mich amüsiert und mich gewundert – über die Unbeholfenheit und all die Techniken der Wasservögel, auch über ihre Expertise.
Vorsichtiger junger Höckerschwan in Begleitung einer Stockente
In diesem Blogpost mit dem Motto „Vogel auf Eis” geht es nun über die Eislaufkunst auf Vogelfüßen. Die konnte ich in diesem Winter bestaunen, nachdem sich auch in Berlin viele Wasserflächen in Eisflächen verwandelt hatten.
Jumbos mit Schwimmhäuten
Schwäne tragen an den Füßen Schwimmhäute zwischen den drei nach vorn gerichteten Zehen. Und sie haben denselben watschelnden Gang wie Enten.
Beides ist kein Vorteil beim Schreiten auf Eis. Mit ihrem insgesamt breiten Körper liegen Enten und Schwäne zwar gut im Wasser, aber ihre zwei Beine stehen breit auseinander und sind weit hinten am Körper eingelenkt.
Diese Anatomie erfordert beim Gehen eine ständige Schwerpunktverlagerung von links nach rechts, auf das jeweilige Stützbein. Wenn es glatt ist auf dem Untergrund, dann lohnt definitiv etwas Bedächtigkeit. Das illustriert das Eingangsvideo mit einem subadulten Höckerschwan.
Aber auch die adulten Artgenossen haben Respekt vor der eisglatten Wasserfläche. Hier schreitet ein Höckerschwan breitbeinig und zögerlich übers Eis.*
Manche Artgenossen haben offenbar einige Expertise im Eislaufen. Die Schwanenfrau – zu erkennen an dem kleineren Stirnhöcker über dem Schnabel – kommt mit den Tücken einer glatten Eisdecke auf heimischen Gewässern gut zurecht. Und sie hat es anscheinend besonders eilig.
Der langbeinige Graureiher
Mit ganz anderen Herausforderungen hat der langbeinige Graureiher zu kämpfen, den viele Menschen als Fischreiher kennen. Er ist nicht auf großflächigen, schwimmhautbewehrten Füßen unterwegs, sondern stakst aufgerichtet mit langen, schmalen Zehen durchs Gelände. Sehr mobil ist er nicht. Mal steht er im Schilf, mal spekuliert er am Ufer auf Beute oder döst vor sich hin. Für Eisflächen ist seine anatomische Ausstattung jedenfalls denkbar ungeeignet.
Während ich zwei seiner Artgenossen auf dem sandigen Boden im Uferbereich stehen sah, hatte dieser Reiher einen Ortswechsel im Sinn. Es war nur eine kurze Passage über das Eis, doch das Schreiten behagte ihm offensichtlich gar nicht, die Füße schienen ihm geradezu wegzugleiten.
Mit einem mutigen Satz erreichte er schließlich flügelschlagend sein Ziel, einen im Wasser querliegenden, derzeit eingefrorenen Ast.
Hier fand der Graureiher sicheren Halt und wirkte geradezu erlöst. Und ich konnte wieder einmal seine im Februar so schönen Schmuckfedern bewundern.
Von Stockenten und Kanadagänsen
Die Graugänse und Kanadagänse, die ich am Wannsee beobachten konnte, hielten sich vor allem am Ufer auf. Das Eis liegt ihnen nicht, und Futter finden sie jetzt weniger im fließenden Wasser als an Land, wo Gräser und anderes Grünzeug überwintert, wo Berliner und Berlinerinnen regelmäßig Vogelfutter ausstreuen.
Manchmal standen die Gänse wie gelangweilt auf dem Eis, oft ließen sie sich dort nieder – geschützt von einem wärmenden Federkleid.
Wesentlich mehr als Grau- und Kanadagänse hatten die Stockenten zu bieten. Sie sind rasch bereit, ihr Plätzchen zu wechseln oder einen größeren Ortswechsel vorzunehmen, wenn sie Passanten mit Futter entdecken.
An der Havel – die sich in Berlin zum Wannsee dehnt – kommen Stockenten zuverlässig vom offenen Wasser der Fahrrinne ans Ufer geflogen, wenn dort gefüttert wird. Sie legen dabei ganz wunderbare Landemanöver hin.
Im Winter wird die Fahrinne frei gehalten, dort versammeln sich viele Wasservögel.
Nicht nur auf freier Fläche rutschen Enten bäuchlings über das Eis, auch dort, wo sich andere Wasservögel tummeln, landen sie ebenso elegant wie belustigend.
Dass die Enten andere Wasservögel nicht sonderlich bedrängen, liegt an ihrer Landetechnik. Auch über dem Erdboden und über Wasser müssen sie im Landeanflug vor allem ihr Tempo drosseln. Der großartige Ornithologe Einhard Bezzel beschrieb das in seinem Klassiker für das Biologiestudium (Ornithologie, Ulmer Verlag 1977) auf Seite 65 so
Beim Bremsen wird der Anstellwinkel dadurch vergrößert, daß der Vogel seinen Flügel mit der Vorderkante aufwärts dreht. Dadurch wird der Auftrieb reduziert …
Und weiter formulierte er
Beim Landen oder Wassern werden verschiedene Methoden der Vernichtung energetischer Energie angewendet, so z.B. mit Bremsflügelschlägen mit hohem Anstellwinkel…
Eben das vermittelt der folgende Videoausschnitt, der das Landemanöver von Stockenten in Zeitlupe – halbe Geschwindigkeit – darstellt. Nicht nur die Flügel sind quasi „hochgestellt”, der ganz Körper steht fast senkrecht und bremst den Vogel.
Leider lässt Einhard Bezzel sich nicht über das Landen von Wasservögeln auf Eisflächen aus – gewissermaßen ihre Eislaufkunst. Aber dass diese Landungen für Wasservögel eine besondere Herausforderung darstellen, ist keine Frage. Anschaulich beschreibt der Ornithologe auf derselben Seite die Vorteile des Wasserns
Vögel, die auf dem Wasser niedergehen, nutzen die Möglichkeit der Verformung der Unterlage; viele Wasservögel setzen durch vorstrecken der Beine die Füße als zusätzliche Bremsfläche ein.
Das können wir oft beobachten. Nur, auf dem Eis mit starrer Oberfläche beziehungsweise Landebahn, geht das eben nicht. Da lässt sich nichts verformen. Die Folge sind längere Rutschpartien, an denen wir unser Vergnügen haben.
Noch ein Vogel auf Eis: ungebremste Blässhühner
Was die Anatomie der Füße angeht, liegen die Blässhühner zwischen Vögeln mit Schwimmhäuten und Vögeln mit langgestreckten, unverbundenen Zehen. Das lässt sich an dieser alte Grafik aus „dem Naumann”¹ ablesen.
Links: Der Gänsesäger hat Zehen mit Schwimmhäuten.
Rechts: Die Zehen des Blässhuhns mit Schwimmlappen.
Unten: Der langbeinige Sattelstorch hat lange Zehen mit winzigen Häuten dazwischen. Sie stabilisieren ihn in sumpfigem Gelände.
Blässhühner gehören zu den Rallen und haben an den Zehen Lappen, die eine größere Fläche erzeugen und den Antrieb beim Schwimmen optimieren, ohne beim Schreiten groß zu stören.
Für die Eislaufkunst sind auch solche Füße ziemlich nutzlos. Doch um von A nach B zu kommen, müssen Blässhühner im Winter manchmal über glattes Eis. Wohin das führen kann, demonstrierten sie kürzlich auf dem Wannsee nahe Kladow.
Aus seinen lappigen Zehen schliddert das Blässhuhn ungebremst in Wasser. Manchmal scheint es vorteilshaft, flügelschlagend etwas abzuheben, als übers Eis zu sprinten. Vögel haben verschiedene Möglichkeiten, wieder ins feuchte Nass zu kommen.
Glattes Eis
Glattes Eis | ein Paradeis | für Den, der gut zu tanzen weiß. Diese Sentenz von Friedrich Nietzsche geht mir sofort durch den Kopf, wenn kurzbeinige Stockenten übers Eis schreiten. Sie stellen sich dabei nämlich recht geschickt an – also nicht nur bei ihren Landeanflügen wie eingangs gezeigt.
Dieses Entenpaar war gemeinsam unterwegs. Ich sah sie Anfang Februar auf der festen Eisfläche zwischen der Uferpromenade von Kladow und der naturgeschützten Insel Imchen, wo laut balzende Kormorane eine Brutkolonie haben.
Mein Eindruck: Die beiden Stockenten hatten sich mit dem Zustand ihres winterlich vereisten Gewässers durchaus arrangiert.
Übrigens war das Weibchen offensichtlich etwas zielstrebiger als der Erpel, oder sie machte es besser als ihr Gatte, der nach und nach hinter ihr zurückblieb.
Eindrucksvolle Bilder lieferte mir schließlich dieser Erpel, weil er – soeben vom Wasser aufs Eis gesprungen – gut zu Fuß war und zugleich offenbarte, was es bedeutet mit einem watschelnden Gang auf glattem Eis unterwegs zu sein.
Und die Komik
Auf den ersten Blick wirkt die „Eislaufkunst“ der Wasservögel komisch. Wir müssen lachen. Betrachten wir die Möglichkeiten eines Vogels, sich auf glatten Flächen fortzubewegen, stellt sich die Sache anders dar. Als ich noch darüber nachdachte, erinnerte ich mich an Überlegungen von Konrad Lorenz, Verhaltensforscher und Nobelpreistäger.
In seinem Buch Er redete mit dem Vieh, den Vögeln und den Fischen (dtv 1964) gibt es das kleine Kapitel Lachen über Tiere. Dort konstatiert Lorenz, dass er sich über Menschen ärgert, wenn diese über Tiere und etwa ihre skurile Körperform lachen, Seite 139.
Es ärgert mich oft, wenn im zoologischen Garten oder im Aquarium die Besucher über ein Tier lachen, das in extremer Anpassung an eine besondere Lebensweise eine Körperform entwickelt hat, die vom Herkömmlichen abweicht. Der „Publikus“ lacht dann nämlich über etwas, das mir heilig ist: über die Rätsel des Artenwandels, der Schöpfung und des Schöpfers. Die groteske Gestalt eines Chamäleons, eines Kugelfisches oder eines Ameisenbären erweckt in mir ehrfürchtiges Staunen, nicht Heiterkeit.
Sein Argument leuchtet ein, denn Füße, die zum Schwimmen oder zum Laufen auf Fels, auf sandigem oder sumpfigem Untergrund gemacht sind, stoßen bei glattem Eis an ihre Grenzen. Lorenz fasst das so zusammen
Über das Bizarre an Tieren lacht der Verständige im allgemeinen nicht.
Der Verhaltensbiologe gesteht aber durchaus ein, dass auch er über Tiere lacht. Vor allem über bizarres, zuvor nie gesehenes Verhalten.
Freilich, über unerwartete Bizarrerien habe auch ich schon gelacht, obwohl dieses Lachen ja an sich nicht weniger dumm ist als das des Publikums, das mich ärgert.
Dem ist nichts hinzuzufügen.
Aber wie erklärt Lorenz sich und uns sein Lachen, zum Beispiel über den Schlammspringer, den er zuvor nicht gekannt hatte und der passenderweise in einem Wasserbecken untergebracht war? Als dieser Fisch ganz unvermittelt,
auf den Rand sprang, dort im „Stütz“sitzen blieb, den Kopf zu mir emporwandte und mit seinem Mopsgesicht, den vorquellenden scharfen Augen mich fixiert, da habe ich gelacht.
Konrad Lorenz meint, die Komik liege nicht allein im unerwarteten Aussehen und Verhalten, also im Bizarren, sondern zu einem guten Teil in der verblüffenden Menschenähnlichkeit von Tieren.
Wir lachen vor dem Affenkäfig und nicht bei der Betrachtung einer Raupe oder Schnecke, und wenn die Balz eines kraftprahlenden Graugänserichs so unglaublich komisch wirkt, so deshalb, weil menschliche Jünglinge sich ähnlich verhalten.
Da ist was dran. Ob und in welchem Umfeld es allerdings heute angesagt ist, sich als Vertreter der Generation Z kraftprahlend zu verhalten, möchte ich hier nicht diskutieren. Aber mir fallen sofort die aufheulenden PKW-Motoren in Berlin-Neukölln ein und die dröhnenden Motorräder auf idyllischen Landstraßen …
Zum Schluss noch ein flügelschlagender Abgang von der eisigen Bühne. Also: Vorhang auf für einen letzten kurzen Auftritt von Schwan und Schwan.
* Um das Format des Blog nicht zu sprengen, kann ich leider immer nur kurze Videoabschnitte einstellen.
¹ Johann F. Naumann: Naturgeschichte der Vögel Mitteleuropas, 1887-1905, 3. Aufl., Bd. I, S. 15
Höckerschwan | Cygne tuberculé | Mute swan | Cygnus olor
Stockente | Canard Colvert | Mallard| Anas platyrhynchos
Blässhuhn | Foulque macoule | Eurasian Coot | Fulica atra
Graureiher | Héron cendré | Grey heron | Ardea cinerea
Ein sehr interessanter und unterhaltsamer Focus! Der Start vom Eis aus gestaltet sich vermutlich noch schwieriger als die Landung … wenn sie überhaupt möglich ist.
Stimmt, das Starten ist kaum zu bewerkstelligen. Sie starten möglichst vom Wasser aus, mit heftigen Flügelschlägen oder vom Ufer aus. Auf dem Eis gelingt es, wenn etwas Schnee gefallen und festgefroren ist.