Über die Marmelente kann ich nur staunen. Sie ist eine weltweit bedrohte Art – und in mehrfacher Hinsicht ein Phänomen. Anders als die imposanten Greifvögel oder die Gesangskünstler unter den kleinen Singvögeln rangieren die Entenvögel bei zahlreichen Menschen unter „ferner liefen“ und erhalten wenig Aufmerksamkeit.* Dabei sind sie in Aussehen und Verhalten äußerst variantenreich, und manche geben uns bis heute ornithologische Rätsel auf. Dazu zählt die Marmelente – auch Marmorente genannt.
In meinen Fokus geriet diese Ente erstmals, als ich in der Vogelzeitschrift Der Falke einen besonderen Bericht las: Mir durchaus bekannte Ornithologen hatten im Tschad, und zwar in einem Seengebiet inmitten der Sahara, einen Rastplatz für Zugvögel und eine große Ansammlung von Marmelenten entdeckt.¹ Das hatte mich sofort elektrisiert, denn so wie die Nordsee aus Kindheitstagen, ist die Sahara durch meine Algerienreise in den 1970er Jahren ein Sehnsuchtsort. Und nun: Marmelente im Gebiet der allseits von Wüste umgebenen Ounianga-Seen.
Zwischen Afrika und Spanien
Nach ihrer ersten Entdeckung machten sich die Ornithologen Jens und Heidi Hering vom Verein Sächsischer Ornithologen sowie der Ornithologe Martin Winter – er war ein hilfreicher Guide auf meiner Vogelreise nach Weißrussland – ein zweites Mal in den Tschad auf. Die Ounianga-Seen nennt Jens Hering zu Recht ein einzigartiges Naturwunder. Nicht umsonst wurde das Gebiet 2012 in die Liste der UNESCO-Welterbestätten aufgenommen.
Nach ihrer zweiten Reise und allerlei Strapazen konnten die drei Forschungsreisenden berichten, dass an den Seen – Überbleibsel des ehemals gewaltigen Binnenmeeres der Sahara – die Marmelenten brüten und ihre Jungen großziehen.² Mehrere hundert Küken waren hier unterwegs. Wahrscheinlich handelt es sich bei den Marmelenten von Ounianga um eine Inselpopulation, mutmaßt Jens Hering.
Sie und auch andere Entenarten profitieren von dem unermesslichen Reichtum an Insekten. Es handelt sich um gewaltige Schwärme, etwa der Weitmaulfliege, die teils wie ein Teppich Wasser und Land überziehen.
Natürlich ziehen die Seen auch andere Vogelarten an, die die Sahara auf ihrem Zug von Europa ins Winterquartier und zurück überqueren.
Angestachelt wurde meine Faszination für die eher unscheinbare Marmelente zuletzt im Mai dieses Jahres in Südspanien. Im Nationalpark Coto de Doñana stieß ich ganz überraschend auf: Marmelenten! Es waren nicht Dutzende oder Hunderte, sondern nur ein einzelnes, sehr scheues Paar. Doch welch ein Glück, ich konnte es kaum glauben.
Denn diese Vogelart ist mit weltweit rund 55.000 bis 61.000 tausend Individuen eine Rarität, und in Mitteleuropa kommen die Enten praktisch nicht vor. Einzelne Tiere werden hin und wieder gesichtet. Das sind allerdings Gefangenschaftsflüchtlinge, die also aus Tierparks oder spezialisierten Vogelzüchtern entkommen sind.
In Südspanien gibt es hingegen vereinzelte Vorkommen von Marmelenten, lese ich in der Fachliteratur. Außerdem gibt es Wiederansiedlungsbemühungen im Mittelmeerraum. Und nun sah ich tatsächlich zwei von ihnen in einem sumpfigen Gelände, das von den ergiebigen Regenfällen des Frühjahrs profitierte. Sichler flogen über mich hinweg, Kuhreiher ebenfalls, und Rosaflamingos stolzierten durch überschwemmtes Gelände.
Besonderheiten der Marmelente
In dem sumpfigen Gelände war das Entenpaar immer nur kurzfristig zu sehen, gern entwischte es mir und dem „Auge“ der Kamera. Aber ich hatte Zeit und wollte unbedingt ein paar gute Fotos mitnehmen. Denn dass ich dieser Besonderheit unter den Entenvögeln nochmals begegnen würde, schien mir fraglich. Zu zerstreut sind die Populationen, von denen es überschaubare Bestände noch in Marokko und Tunesien, am Nil in Ägypten, im Irak und wohl auch am Kaspischen Meer und südöstlich davon gibt. Manche Regionen suchen die Marmelente nur zur Brutzeit auf, in anderen sind sie ganzjährig zu sehen.
Was aber ist nun das Besondere an der Spezies? Warum bildet die Marmelente in der biologischen Systematik eine eigene Gattung. Sie ist als Marmaronetta angustirostris die einzige Art der Gattung Marmaronetta.
Auf diese Frage gibt es mindestens drei Antworten:
Marmelenten wechseln wie auch andere Enten zweimal im Jahr ihr Gefieder. Aber das attraktive Prachtkleid, das speziell von den Erpeln für die Fortpflanzung angelegt wird, unterscheidet sich bei den Marmelenten nicht vom Schlicht- oder Ruhekleid, das Enten nach der Balz- und Brutzeit tragen. Dieses Prachtkleid ist bei vielen Entenarten ein Hingucker: Man denke nur an das schillernde Federkleid der männlichen Stockente oder die Farbenpracht der Mandarin-Erpel. Marmelenten haben indes ganzjährig ein getüpfeltes, beige-braunes Federkleid.
Auch ohne schillerndes oder farbenfrohes Prachtkleid, sind die Marmelente – wohl eben deshalb – eine aparte Schönheit. Sébastian Reeber beschreibt das Äußere in seinem Standardwerk Entenvögel³, das Peter H. Barthel aus dem Französischen übersetzt hat, auf Seite 437 stichwortartig so
Rundum beigebraun gefärbt, kann je nach Lichteinfall graubraun oder sandgrau wirken, aber in der Regel hell. Scheitel, Stirn, Zügel, Kinn, Kehle und Wangen weißlich beige mit dunkler Maserung des Vorderkopfs und Tüpfelung oder Schuppung des Hinterkopfs. Auffälliger dunkelbrauner Augenfleck reicht bis zum Nacken. Die langen, gefleckten Nackenfedern formen einen rundlichen, hängenden Schopf.
Und über die Musterung des Gefieders notiert er
Mantel- und Schulterfedern (…) graubraun, dunkel zentriert und außen mit großen weißlichen Flecken versehen. Dadurch wirkt die Oberseite eher dunkelbraun und weißlich gefleckt. … Flankenfedern wie die Schulterfedern mit großen weißen oder beigen Flecken an den Spitzen versehen, aber heller graubraun.
Diese auffälligen hellen Flecken sind im Deutschen namensgebend, aber welches Kind spielt noch mit Marmeln oder Murmeln – diesen leuchtenden, teils bunten Glaskugeln?
Eine zweite Besonderheit ist der geringe Geschlechtsdimorphismus der Spezies. Es gibt nur kleine äußerliche Unterschiede zwischen den biologischen Geschlechtern: Sie ist etwas kleiner. Er hat üblicherweise eine Federhaube, die sich etwas aufrichten lässt. Zur Fortpflanzungszeit sind diese Federchen bei den männlichen Vögeln meist auffälliger. Ihre Federhaube – oder Schopf – ist quasi ein rudimentäres Prachtkleid.
Auch im Verhalten und morphologischen Anpassungen nimmt die Marmelente eine Sonderstellung ein: Sie gilt weder als Vertreterin der Tauchenten (Gruppe der Aythyini) wie die Reiherente, die abtauchend nach Futter sucht, noch wird sie den Schwimmenten oder Gründelenten (Gruppe Anatini) zugerechnet. Diese durchseihen wie die Löffel- oder die Krickente oberflächlich das Wasser, außerdem sieht man sie kopfüber gründelnd im Wasser nach Nahrung suchen.
Was schmeckt?
Die Marmelente ernährt sich vielfältig: Sie frisst sowohl die Wurzeln, Samen und grünen Triebe von Wasserpflanzen, als auch Insekten und deren Larven, Schnecken und Würmer. Oft sah sie mit vorgestrecktem Kopf vorstreckt und – das Wasser filternd – umherschwimmen. Zwar ist ihr Schnabel nicht so groß wie bei der Löffelente, dennoch erinnerte sie mich stark an diese Art, die mit leicht geöffnetem Schnabel durch das Wasser pflügt.
Oft steckten die Marmelenten den Kopf unter Wasser, um etwa Wasserpflanzen abzuzwacken. Und manchmal tauchte eine von ihnen kurz ab.
Zerrissene und zerstörte Lebensräume
Marmelenten fühlen sich im sumpfigen Gelände wohl. Aber feuchte Regionen sind längst rar geworden. Die weltweit größten Bestände der Art gab es (und gibt es vielleicht noch) im südöstlichem Irak in den Sümpfen des Euphrat-Tals. Aber wie auch in den asiatischen Verbreitungsgebieten – etwa im Bereich des Nord-Westens von Indien und in Bangladesch – wurde in vielen Ländern der angestammte Lebensraum der Spezies zerstört. Allein im 20. Jahrhundert sollen 50% ihres Habitats vernichtet worden sein. Wie kam es dazu? Ich zitiere nochmals aus Entenvögel, Seite 439
Zur Ursache der Zerstörung gehören Entwässerungen für agrarindustrielle Nutzung, Wasserentnahme für Nutzflächen, Siedlungen und Großbaugebiete, darunter Staudämme zur Regulation der Wasserstände, die temporäre Feuchtgebiete nicht mehr entstehen lassen. Ein weiterer Grund für den Rückgang stellt die illegale und legale Jagd dar, vor allem im Irak, aber auch in anderen Regionen, in denen die Art der Jagd zum Opfer fällt.
Diese Marmelente bäumt sich nicht dagegen auf, dass weltweit ihr angestammtes Habitat zerstört wird. (Wer würde es ihr verdenken?) Dieser Marmelente geht es nach den ausgiebigen Regenfällen in Südspanien gut. Sie ist entspannt, widmet sich der Gefiederpflege und schlägt hochaufgerichtet und ententypisch ihre nassen Flügel.
* Viele Menschen setzen Ente mit Stockente gleich und sehen in ihr nur einen unattraktiven Stadtparkvogel, den man mit Brotresten füttert – was man nicht sollte.
¹ Jens Hering: Die Ounianga-Seen im Tschad, Der Falke, 2/2022, S. 26 – 31
² Jens Hering, Heidi Hering, Martin Winter: Die Marmelenten von Ounianga, Der Falke, 10/2023, S. 10 – 15
³ Sébastian Reeber: Entenvögel. Europa, Asien und Nordamerika, Franckh-Kosmos, Stuttgart 2017
Marmelente | Sarcelle mabrée | Marbled teal | Marmaronetta angustirostris
Was für eine Freude, dieser Artikel, vielen Dank! Ich hatte das Glück ein einzelnes Exemplar 2021 im S’Albufera Nationalpark zu entdecken. Damals war die Rückmeldung auf die Beobachtung zumeist: Muss wohl ein Gefangenschaftsflüchtling sein. Schön zu lesen, dass es mittlerweile öfter mal Beobachtungen in Südspanien gibt.
Dass die Chancen steigen, am Mittelmeer wieder öfter Marmelente zu beobachten, könnte auch daran liegen, dass es Wiederansiedlungsprojekte gibt, etwa auf Sizilien. Das erzählte mir gerade Jens Hering. Es ist in DER FALKE 7/2024 nachzulesen.