Um es gleich vorweg zu sagen: Vögel von Kalle Nibbenhagen ist ein Büchlein, das eine ganz wichtige Lücke füllt. Es richtet sich an Menschen, die schon jetzt Spaß daran haben, Vögel zu beobachten, aber weit entfernt davon sind „echte“ Birder zu sein. Und deren Ziel dies wahrscheinlich auch gar nicht ist.
Mit anderen Worten, der Biologe und Vogelfreund seit Kindesbeinen hatte beim Schreiben nicht ornithologisch geschulte Menschen vor seinem geistigen Auge, sondern ornithologische Laien – also jene, die auf einem Spaziergang einen Vogel singen hören und wissen möchten, wer da eigentlich zwitschert. Oder jene, die den Kohlmeisen am Futterhaus zuschauen und sich fragen, was man ihnen Gutes tun kann.
Und auch das könnte Jung und Alt interessieren: Wann ist endlich die Nachtigall aus dem Winterurlaub in Afrika zurück? Kalle Nibbenhagen umschreibt sein Anliegen so, Seite 11
Mit diesem Buch möchte ich dich für die gewöhnlichen Dinge und Besonderheiten der Vogelbeobachtung begeistern, dich mitreißen und motivieren rauszugehen, auch wenn dir nicht danach ist. Ohne Erwartungen loszugehen, sich überraschen zu lassen und das mit Freude und Zufriedenheit, das ist so toll.
Vögel ist kein trockenes Bestimmungsbuch. Vielmehr erläutert der junge Autor unterhaltsam und unkompliziert, worauf im Einzelnen zu achten ist, wenn wir einen Vogel identifizieren wollen und sein Verhalten besser verstehen möchten. All das macht er als „Kalle“ und im Du-Modus.
Kalle Nibbenhagen ist längst ein Experte für Vögel und befüllt gleich zwei YouTube-Kanäle: @KalleNibbelhagen und @ornithologiefueranfaenger. Er weiß aber noch genau, wie er einmal angefangen hat und was ihm beim Erkunden der Vogelwelt anfangs geholfen hat und bis heute nützt. Davon profitiert das übersichtliche Buch.
Zur Unterscheidung von Habicht und Sperber gibt er beispielsweise unter dem Stichwort „So habe ich’s mir gemerkt“ einen guten Tipp und liefert ein erklärendes Foto gleich dazu, Seite 57
Habichte haben dickere Beine als ihr Augendurchmesser groß ist. Beim Sperber ist es umgekehrt.
Artenporträts: Länge, Stimme, Lebensraum, Wann bei uns?
Den Hauptteil von Vögel machen die mehr als 100 Artenporträts aus. Egal, ob es um die Stockente, das Rebhuhn oder den Pirol geht, diese Porträts zeichnen sich dadurch aus, dass sie gewichten: Wir erfahren also nicht alles Mögliche über eine Art, sondern wenig. Eben das, worauf es ankommt, um einen Vogel von ähnlichen Arten zu unterscheiden und sein Verhalten einzuschätzen. Zahlreiche Fotos, auf denen die relevanten Merkmale markiert sind, helfen dabei.
Ein zusätzlicher Gewinn sind die Details, die schnipselartig und graphisch abgesetzt in den Text eingestreut sind. Meist als Sprechblase. Solche Ergänzungen können aber auch mal zwei Seiten in Anspruch nehmen, etwa bei der Frage, wie es sich erlernen lässt, die Gefiederten an ihrem Gesang zu unterscheiden.
Und nun ein paar Beispiele zu den Schnipseln:
Höckerschwan: Kalle Niddelhagen nennt sie „elegante Riesen“, beschreibt kurz und knapp ihr Äußeres im Vergleich zum Singschwan und warnt, S.14
Gerade bei städtischen Höckerschwänen mit Nest oder Nachwuchs in der Nähe ist … besondere Vorsicht geboten. Am häufigsten hört man einen explosiven „Hjorr“-Ruf. Höckerschwäne können aber auch fauchen.
Zwergtaucher: Der Autor nennt sie „Luftkissenboote“ und erklärt damit zugleich, woran wir sie auf dem Wasser erkennen können. Und dann fügt er noch unter der Überschrift „Eltern-Taxi“ ein typisches Verhalten der Jungen von Haubentaucher & Co. hinzu, Seite 22
Wie auch bei anderen Lappentauchern verstecken sich junge Zwergtaucher gerne auf dem Rücken ihrer Eltern.
Flussregenpfeifer: Hier lesen wir unter dem Stichwort „störungsanfällig“ einen wichtigen Hinweis. Damit diese bodenbrütende Art bessere Chancen hat, ihre Jungen im Kiesbett von Gewässern großzuziehen, erklärt Kalle, Seite 31
Flussregenpfeifer werden leicht übersehen. Hunde oder unaufmerksame Badegäste können die gut getarnten Gelege zertrampeln.“
Und zu guter Letzt noch diese kleine Anmerkung zur Heckenbraunelle unter der Überschrift: „Maus? Nein – Heckenbraunelle!“, Seite 90
Wenn eine Heckenbraunelle geduckt und ruckartig über den Boden huscht, kannst du sie mit einer Maus verwechseln.
In diesem „Nature Guide“ – einer jungen naturkundlichen Reihe im Kosmos Verlag – zu lesen, macht Spaß. Und da es wohl ohne Anglizismen nicht mehr geht: Vögel ist ein perfektes Starterkit. Ohne große Vorkenntnisse zu erwarten, bringt es seinen Lesern und Leserinnen die Vogelwelt näher. Nicht die exotische, sondern die vor der Haustür.
Vom Genuss der Vogelbeobachtung
Was mich an diesem abwechslungsreich illustrierten Büchlein ganz besonders freut, ist die Sichtweise des Autors auf die Vogelwelt. Da habe ich einen Verbündeten entdeckt! Ein Abschnitt ist zum Beispiel so überschrieben: „Die eigentliche Beobachtung fängt erst nach der Bestimmung an”. Kalle Nibbenhagen verät hier mit einem Augenzwinkern seine Passion, Seite 64
… Häufig genug gehe ich nach der Bestimmung schnurstracks weiter. Doch eigentlich beginnt dann der schöne Teil der Beobachtung. Wenn du die Möglichkeit hast, einen Vogel störungsfrei über längere Zeit zu beobachten, dann mach es! Genieße den Moment!
Stehen zu bleiben und über die Bestimmung hinaus zu beobachten, macht das Erlebnis noch viel intensiver!
Um das zu illustrieren, ist – wie zu vielen anderen Themen auch – ein Video eingebunden, das sich über die Kosmos-App gezielt und kostenfrei abrufen lässt.
Was absolut zu begrüßen ist: Vögel ist keine Anleitung zu der Frage, wie es gelingt, möglichst viele Vogelarten mindestens einmal im Leben gesehen zu haben und sie (als erledigt) in Listen abzuhaken – was typisch für ehrgeizige Birder ist. Stattdessen rät der Autor, die Tiere in Ruhe zu beobachten und ihnen bei ihrem Treiben zuzuschauen. Das kann die Ringeltaube im Garten sein oder ein Stockentenpaar auf einem vereisten Gewässer. Über seine „Wasservogel-Erlebnissen“ an einem Baggersee, wo es manchmal Überraschungen gibt, berichtet er so, Seite 6
Mir geht es darum, das Verhalten einzelner Individuen zu beobachten, Gefiederdetails zu sehen und die Schönheit der Natur zu genießen. Und wenn dann auf dem besagten Baggersee im Frühling alle paar Jahre eine Knäk- oder Löffelente rastet, dann ist die Freude umso größer.
Danke Kalle! So kenne ich das auch. Dieses Büchlein ist mit seinen rund 150 Seiten ein gelungenes Starterkit für alle, die Augen und Ohren für die Gefiederten haben und sie näher kennenlernen möchten, und zwar ohne trockenes ornithologisches Lehrbuchwissen zu bemühen.
Nature Guide: Vögel
Autor: Kalle Nibbenhagen
Jahr: 2024
Verlag: Kosmos
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