Sie tragen ihren Namen zu Recht, die Singschwäne. Im Gegensatz zum Höckerschwan, der im angloamerikanischen Raum Mute Swan – also „Stummer Schwan“ – heißt, gilt der Singschwan als „ruffreudig“. So sagte man früher. Heute sprechen wir eher davon, dass Singschwäne „vokal aktiv“ sind. Ihren Stimmapparat, den Vokaltrakt, aktivieren sie jedenfalls häufig – egal, ob sie fliegen, auf einem Feld rasten oder auf dem Wasser schwimmen.
Kürzlich überflog mich in Brandenburg zwischen Nuthe und Nieplitz eine Gruppe von Singschwänen, die als Kette angeordnet waren – nur einer scherte gerade aus und wollte womöglich landen. Sie flogen niedrig, so dass ich sie gut hören konnte.
In diesem Fall hatte mich nicht das Rauschen mächtiger Flügel zum Himmel schauen lassen, sondern die klangvollen Laute der Schwäne. Sie waren immer näher gekommen. Ganz anders als die Höckerschwäne (Cygnus olor) produzieren Singschwäne (Cygnus cygnus) kein kräftiges Flügelrauschen, sondern sie lassen im Flug wohlklingende Kontaktlaute hören. Diese sind prominenter als das leise, verwischte Fluggeräusch der Art Cygnus cygnus.
Kleiner Rückblick
Das Ereignis erinnerte mich an die Singschwäne, die ich 2022 nahe Liebenwald an einem von Hochnebel verzauberten Januartag beobachten konnte. Manche ruhten, andere suchten zusammen mit Wildgänsen auf einem weitläufigen Acker nach Futter und waren vokal äußerst aktiv. Davon möchte ich berichten.
Als ich morgens aus Berlin eintraf, ruhten viele der Schwäne noch. Sie waren sicher von weither nach Brandenburg geflogen, und vor allem die Jungvögel schienen erschöpft zu sein. Erst später suchten sie auf dem abgeernteten Maisfeld zwischen den vielen trockenen Stoppeln nach Nahrung. Und diese teilten sie sich völlig konfliktfrei mit den Gänsen, die allerdings laut schnatternd in einem anderen Bereich unterwegs waren als die Singschwäne.
Wie klingt der Singschwan?
Wer Singschwäne ein- oder zweimal gehört hat, wird den Klang ihrer Stimme leicht wieder erkennen. Ihn zu beschreiben, also in Worte zu fassen, ist allerdings kompliziert. Viele ornithologisch Interessierte haben sich daran seit Jahrhunderten versucht. Andere haben die Klänge in Notenschrift übertragen. Heute bildet man Tierstimmen als Sonagramm ab.
Das Sonagramm (auch Sonogramm) ermöglicht Dauer und Frequenz eines Lautes zu bestimmen, aber es bringt Neugierige, die den Klang erfassen und wieder erkennen möchten, nicht weiter. Das Beste ist, die Vögel zu sehen und sie gleichzeitig zu hören. Deshalb habe ich in diesen Blogpost mehrere Videoschnipsel eingebaut.
Zunächst aber berichte ich vom Bemühen, in Textform die Lautäußerungen der Singschwäne zu charakterisieren:
Im 19. Jahrhundert beschreibt Alfred E. Brehm in seinem Hauptwerk Brehms Tierleben, welchen Eindruck der Gesang des Singschwans bei uns hinterlässt.¹ Dazu zitiert Brehm den Bericht des Zoologen Wilhelm Schilling*, der um 1800 lebte, Seite 596
Der Singschwan entzückt den Beobachter nicht nur durch seine schöne Gestalt, … sondern auch durch die lauten, verschiedenen, reinen Töne seiner Stimme, die er bei jeder Veranlassung als Lockton, Warnruf und, wenn er in Scharen vereinigt ist, … im Wettstreite und zu seiner eigenen Unterhaltung fortwährend hören lässt.
Und um den Klang zu konkretisieren, heißt an gleicher Stelle
Bald möchte man das singende Rufen mit Glockenläuten, bald mit Tönen von Glaswerkzeugen vergleichen; allein sie sind beiden nicht gleich …
Singschwäne zu belauschen ist gar nicht einfach. Sie sind äußerst aufmerksam und ziehen sich rasch zurück, wenn sich Menschen nähern. Vokal aktiv werden sie erst, wenn die Distanz groß ist und sie sich nicht beobachtet fühlen. Beobachtet fühlen sie sich allerdings leicht! Es kommt also darauf an, sich gut zu verbergen. Nicht zu stören.
Und darum sind meine Fotos und Videos mit starkem Teleobjektiv aus einem Versteck hinter Buschwerk entstanden.
Während viele Berichte über Singschwäne und deren Laute geradezu emotional abgefasst sind, finde ich bei Günther Niethammer, einer Koryphäe der deutschen Ornithologie aus dem 20. Jahrhundert, eine trockene Charakterisierung. In seinem dreibändigen Handbuch der deutschen Vogelkunde steht folgende Anmerkung, Seite 381
Stimme: besonders im Schwimmen einsilbig, tief „ang“ oder im Fluge „ang hö“, wobei die letzte Silbe höher liegt. Gereizt gänseartig wie „kilkliih“. Ärgerlich zischen wie Gänse.
Typisch sind für Singschwäne neben den einsilbigen vor allem ihre zweisilbigen Laute. Wie vielfältig und variabel diese sind, geht aus dieser Beschreibung des Typischen jedoch nicht hervor. Mit ihrem Stimmapparat produzieren sie Töne, die sich wie menschliche Vokale zu komplexen Klängen aufbauen. Und dank ihrer langen und gewundenen Luftröhre können sie diese wunderbar modulieren.
Hier einen Videoausschnitt vom Feld mit einsilbigen Lauten
Es folgt ein Ausschnitt mit doppelsilbigen Lauten
Stimmenvielfalt in der Gruppe
Wer Singschwäne hört, kann sicher gut nachvollziehen, dass ihr wissenschaftlicher Name früher höchst passend Cygnus musicus lautete – statt heute Cygnus cygnus. Vor allem die Lautäußerungen von singenden Paaren oder in einer Gruppe lassen sich als Musik interpretieren …
Zwar ist der Gesang von kleinen Singvögeln wie Amsel oder Nachtigall viel komplexer aufgebaut, aber da singen nur die männlichen Vögel – ganz stumm sind die weiblichen Vögel auch nicht – und sie singen auch „nur”, um ein Revier zu markieren, Rivalen fernzuhalten und weibliche Vögel anzulocken. Im Hinblick auf das Sozialleben bieten Singschwäne mehr: Es vokalisieren beide Geschlechter. Und wie verpaarte Vögel es tun, das drückt Verbundenheit aus. Auch gute Bekannte begrüßen einander mit klangvollen Lauten. (Ich möchte allerdings erwähnen, dass es unter den Singvögeln auch duettierende Arten gibt, bei denen beide Geschlechter aufeinander abgestimmt singen.)
Innerhalb der deutschsprachigen Ornithologie war Ernst Christoleit wahrscheinlich der erste, der die Lautäußerungen der Singschwäne ausführlich beschrieben hat (Anmerkungen zur Biologie der Schwäne, Journal für Ornithologie, 1926, 74). Er berichtet auf Seite 476
Charakteristisch für die Singschwanstimme ist jedenfalls einerseits der reine Posaunenton, andrerseits die Neigung zum Doppelklange, dem Emporschlagen aus tieferer Lage in eine zumeist höhere.
Schwer beeindruckt war der im damaligen Ostpreußen tätige Pfarrer** zudem von den „unablässigen Stimmäußerungen rastender Singschwäne”. Das kann ich nachvollziehen, denn auf dem winterlichen Maisfeld mit rund 150 Singschwänen kehrte nie Ruhe ein. Irgendwo wurde immer „gesungen”.
Obwohl die „lautstarken“ Vögel im folgenden Videoschnipsel leider nicht im Bild sind, vermitteln diese wenigen Sekunden einen guten Eindruck von dem, was dort los war. Und im Hintergrund „quasseln“ unablässig die Wildgänse.
Aber wie lassen sich die Gesänge der Singschwäne gut beschreiben? Sind es posaunenhafte Klänge, wie viele ornithologisch gebildete Autoren meinen? Oder glockenartige? Schmettern dort Silbertrompeten? Oder hören wir das Geläut eines ganzen Glockenorchester? All das und noch viel mehr finde ich in der Literatur.
Vokale Begrüßungszeremonie
Zu dem Wundersamsten, was uns Singschwäne akustisch bieten, gehören die Begrüßungszeremonien***. Sie entwickeln sich, wenn zwei Paare aufeinandertreffen, die sich zwar kennen, die einander in der Brutzeit aber strikt meiden würden und im Streit um Nistplätze sogar bekämpfen könnten. In der Wintersaison, wenn sie gemeinsam mit anderen Artgenossen südwärts ziehen, arrangieren sie sich – so wie wir es von vielen Vogelarten, die in der kalten Jahreszeit Schwärme bilden, ebenfalls kennen.
Begrüßungsrituale sind aus verhaltensbiologischer Sicht, dazu da, Spannungen abzubauen beziehungsweise zu regulieren. Man ist also nett zu einander. Ohne Frage liegt bei solchen Aufeinandertreffen jedoch immer etwas Spannung in der Luft. Und wir können hören und sehen, wie die Erregung steigt, bevor sie langsam wieder abklingt.
Dieses Verhalten, das bei vielen Vögeln aus der Gänseverwandtschaft auftritt, wird auch als Triumphgeschrei bezeichnet. Sehr lang gestreckt sind dann die Hälse. Immer lauter und in der Frequenz höher werden zunächst die Töne, um dann wieder abzufallen und langsam auszuklingen. – Ich finde das schlichtweg phantastisch.
* Es war früher üblich, die Berichte von anderen Ornithologen wortwörtlich zu zitieren. Denn auch ein Alfred E. Brehm, konnte nicht alle Vogelarten selbst beobachten.
** Gern hätte ich hier auf einen Wikipedia-Eintrag zu Johann Eduard Ernst Christoleit verlinkt, aber den gibt es noch nicht. Es mag aber interssant sein, dass er als Pfarrer in Ostpreußen tätig war, d.h. in evangelischen Gemeinden, die heute in Litauen, Russland beziehungsweise Polen liegen. Dort hatte er definitv gute Möglichkeiten, Singschwäne zu belauschen. Und Pfarrer gehören seit langem zu den Berufsgruppen, die ornithologisch interessiert sind.
*** Von Zeremonie sprechen wir in der Verhaltensbiologie oder Ethologie, wenn der Ablauf einer Verhaltenssequenz stark ritualisiert ist, also immer in ähnlicher Weise vonstatten geht.
¹Alfred E. Brehm, Brehms Tierleben, in: Die Vögel , Bd III (Bd. VI des Gesamtwerks)
² Günther Niethammer, Handbuch der deutschen Vogelkunde, Akademische Verlagsgesellschaft, Leipzig 1938, Bd. II
³ Hans-Heiner Bergmann, Wiltraud Engländer, Sabine Baumann, Hans-Wolfgang Helb, Die Stimmen der Vögel Europas, Aula-Verlag, Wiebelsheim 2018
Singschwan | Cygne chanteur | Wooper Swan | Cygnus cygnus
Ich habe die Singschwäne in Lauenburg / Biosphärenreservat Flusslandschaft Elbe Mecklenburg Vorpommern
(www.elbetal-mv.de) live erlebt. Es war fantastisch 🙂
Ja, fantastisch trifft es gut.