Während der Sandregenpfeifer am Meeresstrand der norddeutschen Küste zu sehen ist, treffen wir den Flussregenpfeifer meist im Binnenland an. Er lebt am Ufer von Flüssen und Bächen, an Binnenmeeren und dort, wo ein Fluss ins Meer mündet. Der Salzgehalt des Wassers darf nicht zu hoch sein, denn dieser kleine Regenpfeifer ist an Süßwasser beziehungsweise Brackwasser angepasst.
Das bedeutet: Seine Salzdrüsen sind schwächer entwickelt als bei dem nahverwandten Sandregenpfeifer. Er wird das mit der Nahrung aufgenommene Salz also nicht so schnell wieder los wie typische Meeresvögel. Anders ausgedrückt: Fluss- und Sandregenpfeifer unterscheiden sich in der sogenannten Salinitätstoleranz.
Sichtbare Unterschiede
Wer den kleinen Flussregenpfeifer vom ähnlich aussehenden Sandregenpfeifer unterscheiden möchte, kann einerseits das Biotop zu Rate ziehen, also den Lebensraum des Vogels. Aber es gibt auch eindeutige äußere Merkmale, die sich zumindest per Fernglas gut entdecken lassen.
Sichtbar sind diese vor allem im Prachtkleid, das die Tiere während der Balz- und Brutzeit tragen.
Sehr auffällig sind dann etwa die zitronengelben Augenringe des Flussregenpfeifers.
Außerdem ist sein Schnabel dunkel – fast schwarz. Er ist nicht gelb und mit einer schwarzen Spitze verziert wie beim Sandregenpfeifer. Schließlich sind die Beine – und zwar das ganze Jahr über – graugelblich und insgesamt blass gefärbt. Gelborange leuchten hingegen die Beine des Sandregenpfeifers.
Durchaus flexibel
Das traditionelle Habitat des Flussregenpfeifers sind nahrungsreiche, aber vegetationsarme Flachufer von stehenden oder fließenden Gewässern. Für ihr Bodennest bevorzugt die Art ein Terrain mit grobkörniger Oberfläche, die mit Muschelschalen, Pflanzenteilen oder Kies strukturiert sein kann.
Schon im 19. Jahrhundert und auch nach danach sind viele der natürlichen Brutgebiete zerstört worden, weil in Folge von Wasserbaumaßnahmen – etwa Begradigung von Flussarmen – flache Ufer wegfielen. Außerdem stieg vielerorts durch starke Niederschläge der Wasserspiegel, so dass Kies- und Sandbänke als Brut- und Ruheplatz verschwanden.
Dadurch sank der Bestand an Flussregenpfeifern hierzulande so stark, dass man die Art Ende 1920 unter Schutz stellen wollte. Aber dem standen wirtschaftliche Interessen entgegen. Und die üblichen privaten Initiativen sind in diesem Fall zum Scheitern verurteilt. Denn es hilft Vögeln wie dem Flussregenpfeifer nicht die Spur, Nistkästen aufzuhängen und im Winter Futter zu streuen: Als Bodenbrüter gehen sie nicht in Nistkästen, wie es Stare und andere Felsenbrüter gerne tun, und den Winter verbringt der Flussregenpfeifer als insektenabhängiger Zugvogel jenseits der Sahara.
Was der Flussregenpfeifer braucht, beschrieb Heinrich Dathe – später langjähriger Direktor des Tierparks Berlin – in der Reihe Die Neue Brehm-Bücherei bereits 1953 in Der Flussregenpfeifer¹ so, Seite 7
Schutz heißt bei diesem Vogel Rettung seiner Lebensräume …
und er hob hervor: Freibrütern wie dem Flussregenpfeifer sei
nur zu helfen, wenn Wälder, Teichlandschaften, Altwässer und ähnliche möglichst ursprüngliche Gebiete befriedet und menschliche Eingriffe jeder Art daraus verbannt sind.³
Allerdings hat der Flussregenpfeifer viele Menschen – und auch Heinrich Dathe – überrascht. Die Bestandszahlen nahmen in den 1930er Jahren wieder zu, weil die Vögel sich als äußerst anpassungsfähig erwiesen. Dathe berichtet, dass sie zunehmend dort auftauchten, wo der Mensch „buddelte“, um Autobahnen, Straßen und Kanäle anzulegen.
Solche Brutplätze halten jedoch oft nur eine Saison. Zum Glück kann der Flussregenpfeifer noch andere menschengemachte Brutgelegenheiten nutzen: Sand- und Kiesgruben, Truppenübungsplätze, Flächen im Braunkohletagebau, Uferflächen an Talsperren, selbst Müllhalden und mit Sand oder Kies bestreute ebene Hausdächer. – Doch auch bei diesen Ersatzbiotopen handelt es sich oft um vorübergehende Notlösungen.
Flussregenpfeifer am Haff
Ich hatte das Glück den kleinen Kerl – es könnte auch eine „Kerlin“ sein, denn die Geschlechter unterscheiden sich äußerlich nur unwesentlich – in seinem ursprünglichen Lebensraum zu sehen.
Zunächst fiel er mir als Winzling bei einem Blick vom Beobachtungsturm bei Dreverna auf. Um ihn genauer beobachten zu können, stieg ich hinunter.
Der zart wirkende Vogel war in Litauen am flachen, sandigen Ufer des Kurischen Haffs gerade auf Nahrungssuche. Hier fahndete er im Spülsaum nach Insekten und deren Larven, nach Spinnen, Würmern und Weichtieren wie kleinen Schnecken und winzigen Muscheln.
Auffälliges Verhalten
Nicht nur das teils kontrastreiche schwarz-weiße Gefieder des Flussregenpfeifers ist auffällig, auch sein Verhalten. Um an Nahrung zu gelangen, macht er viele kleine Tippelschritte – bevor er kurz stehen bleibt und pickt.
Tippelnde Schritte bevor er den Kopf zum Picken senkt.
Hin und wieder zeigt er ein kurzes Kopfnicken, das auch als „Nickkoppen“ bekannt ist. In wissenschaftlichen Publikationen wird diskutiert, dass es Vögeln nützt, Beute zu fokussieren, weil durch die Kopfbewegung der Schärfebereich entsprechend verschoben wird. Aber auch als Zeichen von Erregung wurde das Verhalten schon gedeutet.
Am Spülsaum auf Nahrungssuche: leichtes Kopfnicken – auch Nickkoppen genannt.
Kopfnicken lässt sich bei diversen Vogelarten beobachten. Wer kennt es nicht von Tauben, die beim Gehen den Kopf vor- und zurückbewegen und so das Bild, das sie sehen, konstant halten können. Es ist eben so, dass Vögel – anders als wir – ihre Augäpfel kaum nach links und rechts oder auf und ab bewegen können. Sie kompensieren das mit nickenden und drehenden Kopfbewegungen, die von der Halsmuskulatur ausgehen.
Eins ist sicher: Uns hilft das Nickkoppen als angeborenes Bewegungsmuster den Flussregenpfeifer zu entdecken und zum Beispiel vom Flussuferläufer, der in ähnlichem Biotop vorkommt, zu unterscheiden.
¹ Heinrich Dathe: Der Flussregenpfeifer, Die Neue Brehm-Bücherei, Bd. 93, 1953, Leipzig.
² Ein Haff ist ein Küstengewässer, das durch eine Nehrung oder durch vorgelagerte Inseln vom Hauptteil des Meeres abgetrennt ist. Der Salzgehalt ist gering, es handelt sich um einen Brackwasserbereich.
³ Dass das Überleben jeder Tierart davon abhängt, ob sie einen Lebensraum nutzen kann, der ihren Bedürfnissen entspricht, ist heutzutage selbstverständlich.
Flussregenpfeifer | Pluvier petit-gravelot | Little Ringed Plover | Charadrius dubius
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