Als „Ballerina“ wird die Bachstelze im Italienischen bezeichnet. Welch schöne Idee! Denn mit ihren schlanken Beinen und dem langen Schwanz, mit ihrem flinken und doch grazilen Schreiten erinnert die Bachstelze durchaus an eine Tänzerin – beispielsweise wenn sie an sandigen Ufern auf Nahrungssuche ist.¹
Nicht nur an der Gestalt und der kontrastreichen, schwarz-weißen Gefiederzeichnung lassen sich Bachstelzen gut erkennen, sondern auch daran, wie sie laufen: Amseln, Haussperlinge und viele andere Singvogelarten bewegen sich am Boden hüpfend fort. Aber Bachstelzen schreiten – so wie ihre nahen Verwandten, also die Schafstelze, die Zitronen- und die Gebirgsstelze, es auch tun. Nicht umsonst zählen diese Arten zu den Stelzen, der biologischen Gattung Motacilla.
Zurück aus dem Winterquartier
Im Winter sind die Bachstelzen bei uns verschwunden. Die Ballerinas, die in Deutschland brüten, halten sich dann auf der Iberischen Halbinsel oder in Nord-West-Afrika auf. (F. Bairlein u.a.: Atlas deutscher Zugvogelarten, Wiebelsheim 2014).² Doch im März kommen sie aus ihrem Winterquartier zu uns zurück. Passend zu ihrem deutschen Namen, entdecken wir sie im Frühjahr – und auch danach – häufig in der Nähe von Wasser. Über den Lebensraum, den die Bachstelze bevorzugt, schreibt Helmut Ölschlegel in seiner lesenswerten Monographie Die Bachstelze (A. Ziemsen Verlag, 1985, Bd. 571) auf Seite 53
Wenn die Gewässer flache Ufer haben oder bei geringem Wasserstand ein steiniges Bett aufweisen, ist mit dem Vorkommen von Bachstelzen zu rechnen. Sie machen dann keinen Unterschied, ob es sich um ein fließendes oder stehendes Gewässer, um den Meeresstrand, das Ufer eines Binnensees, um einen Bachrand oder um das Ufer eines Stromes handelt. Hier wie da trippeln sie in Sand, Schlamm und Geröll am Ufer, oder sie fliegen inmitten der Gewässer von Stein zu Stein.
Aber Bachstelzen kommen auch an wasserarmen Orten vor, etwa in Kiesgruben und Steinbrüchen, an Bahndämmen und auf Bergbauhalden. Zumindest Regenpfützen sollten aber in der Gegend sein.
Bemerkenswert ist, dass die Bachstelze wenig Scheu vor Tieren und Menschen hat. Sie besucht Segelhäfen und Strandpromenaden, sofern dort mit Insektennahrung zu rechnen ist. Traditionell kommt sie häufig in die Dörfer, wo sie in der Nähe von Tierställen, bei Enten und anderem Geflügel allerlei animalische Kost finden kann. Helmut Ölschlegel berichtet eine weitere Besonderheit, Seite 53
Auf Weiden suchen sie sich ihr Futter, ohne auf Rinder, Pferde und andere Weidetiere zu achten. Gern halten sie sich in der Nähe von Schafherden auf. Sie setzen sich sogar rittlings auf den Rücken der Tiere oder laufen auf dem Boden unter ihnen hindurch.
Übrigens nimmt der französische Name der Bachstelze auf ihre Vorliebe für Schafsherden und die Gefiederfarbe Bezug: Er lautet Bergeronnette grise. Sie ist also die graue (grise) Begleiterin des Schäfers (le berger). Für Deutschsprachige kann das leicht zu Verwirrung führen. Denn wir haben ja zusätzlich die gelbliche Schafstelze, auch Wiesenschafstelze genannt. Äußerlich sind beide allerdings gut zu unterscheiden.
Auf Futtersuche
Oft suchen Bachstelzen am Boden nach Futter. Doch sind sie weder auf hochgrasigen Wiesen unterwegs, noch im Wald zu finden. Auf Feldern sehen wir sie dann, wenn gerade geackert wurde oder später im Jahr nach der Ernte. Hohe Vegetation meiden die Bachstelzen, denn es kommt ihnen darauf an, Übersicht zu haben. Ihr Revier ist der vegetationsarme oder vegetationslose Boden.
Gut geeignet zur Futtersuche ist auch der Meeresstrand, wo die Vögel nach angeschwemmten Insekten Ausschau halten und auch kleine Wasserlebewesen mit dem Schnabel ergreifen, zum Beispiel winzige Schnecken und Krebschen. Mit einigem Abstand konnte ich am Ostseestrand der Kurischen Nehrung in Litauen eine hungrige Bachstelze längere Zeit beobachten. Der kleine Videoausschnitt illustriert, wie der Vogel zwischen den Sandkörnern unermüdlich nach Nahrung sucht und mit dem Schnabel danach schnappt. Typisch für die Bachstelze sind ihre nickenden Kopfbewegungen, der lange, ständig wippende Schwanz und die schnellen trippelnden Schritte.
Nicht nur am Boden findet die Bachstelze ihr animalisches Futter. Oft lässt sie sich erhöht nieder und scannt die Umgebung. Ständig dreht sich dann der kleine Kopf: von oben nach unten, von rechts nach links und oft umschreibt er zugleich abenteuerliche Kreise.
Lässt sich ein Insekt blicken, fliegt die Bachstelze blitzschnell ab, oder sie stürzt sich auf einen Käfer oder eine Spinne am Boden. Nochmals lasse ich Helmut Ölschlegel zu Wort kommen, Seite 120
Ein Teil der Beute wird in der Luft ergriffen. Meist erfolgt die Jagd vom Boden aus, doch dienen auch Bäume, Holzstöße oder Gebäudeteile als Warte für die Jagd in den Lüften. Wenn eine Bachstelze ein vorüberfliegendes Insekt gewahrt, erhebt sie sich blitzschnell, versucht das Beutetier mit dem Schnabel zu fassen, und kehrt anschließend zum Ausgangspunkt zurück, um es zu verzehren.
Genau das konnte ich an Warthe in Polen beobachten: Die Bachstelze saß auf ihrem Ausguck und schaute ständig umher. Aber plötzlich war sie aus meinem Fokus verschwunden und kehrte kurz darauf mit einem Insekt im Schnabel an denselben Platz zurück.
Die Bachstelze und der Kuckuck
Ihr Nest baut die Bachstelze in Hohlräume hinein. Sie ist ein Halbhöhlenbrüter³, kein Höhlenbrüter wie etwa der Buntspecht. Neststandorte findet sie in Steinmauern und Steinhaufen, unter Brücken und selbst auf Booten, in Schuppen, Lauben und baufälligen Häusern. Auch in Förderbändern und Bretterstapeln versteckt sie ihre Nester. Was mich überrascht hat: Die Bachstelze hat oft Ärger mit dem Kuckuck, dessen Verhalten in Der Kuckuck. Gauner der Superlative ganz wunderbar beschrieben ist. Er legt sein Ei bekanntlich in das gemachte Nest von verschiedenen Singvögeln und überlässt diesen unfreiwilligen „Wirten“ die Brutfürsorge. In der Biologie sprechen wir von Wirtsparasitismus. Das bedeutet nicht nur, dass die kleinen Wirtsvögel das große Kuckuckskind sattfüttern müssen, es bedeutet auch, dass die Bachstelzen-Eier vom Kuckucksweibchen oder dem jungen Kuckuck aus dem Nest befördert werden. Das musste ich mir an der Wesermündung nicht ansehen, stattdessen freute ich mich über die Fütterung eines flüggen Jungvogels, der an seinem blassen Gefieder gut zu erkennen ist. Hier gab es also arterhaltende Brutfürsorge: von Bachstelze zu Bachstelze.
Dass die Bachstelze trotz des Kuckucks erfolgreich eigene Junge großzieht, hat unter anderem damit zu tun, dass sie früher als der lästige Wirtsparasit aus dem Winterquartier zurückkehrt. Sie kommt im März, der Kuckuck erst Anfang Mai. Je nach Witterung haben die Bachstelzen, dann schon das erste Gelege ausgebrütet und füttern ihre Nachkommen. Der Klimawandel könnte dazu führen, dass Bachstelzen früher als bisher aus dem Winterquartier zurückkommen und schneller das Brutgeschäft starten. Ob und wie sich das auf die Vermehrungschancen von Wirt und Wirtsparasit auswirkt, bleibt abzuwarten. Immerhin kann der Kuckuck damit rechnen, dass viele seiner Wirtsvögel pro Saison zwei- oder sogar dreimal brüten. Das ist seine Chance und zugleich die der Bachstelze.
¹Die Fotos stammen aus unterschiedlichen Begegnungen mit der Bachstelze: auf der Kurischen Nehrung (Haff und Strandseite) von Litauen, an der Warthe in Polen und an der Wesermündung. ² Bachstelzen sind Zugvögel mit einer Zugscheide. Das bedeutet, dass sie je nach Herkunft ein andere Zugroute wählen. Hiesige Bachstelzen ziehen nach Südwesten, skandinavische Bachstelzen wählen eine Zugroute in südöstlicher Richtung. ³ Halbhöhlen- oder Nischenbrüter legen ihr Nest üblicherweise in Nischen von Felswänden, Geröllhalden, Gebäuden, Bäumen, Böschungen usw. an. Nistkästen, die als Halbhöhle bezeichnet werden, eignen sich für Hausrotschwanz, Bachstelze, Grauschnäpper und Zaunkönig.
Bachstelze | Bergeronnette grise | Wagtail | Motacilla alba
Hiho, ich habe dein Blog gleich in meinem eigenen verlinkt, damit ich es – auch ohne Postkarte – schnell wiederfinde. Wenn du mal zum Kraniche beobachten in meinen Garten kommen magst, bist du herzlich willkommen! Jetzt sind sie allerdings gerade wieder weitergezogen…
LG
poupou