In der Deckung singen

Vogel mit weit geöffnetem Schnabel auf einem Ast

Wenn eine Nachtigall singt, ist es ein Kinderspiel sie zu hören und zu identifizieren. Denn der kleine 25-Gramm-Vogel hat ein Stimmchen, das es in sich hat. Und sein Gesang ist von anderen Vogelarten gut zu unterscheiden. Den aufmerksamen Sänger zu sehen, ist jedoch ein anderes Ding.

Das hat nicht nur damit zu tun, dass Nachtigallen besonders anhaltend und intensiv in der Nacht singen, sondern auch damit, dass sie immer schnell in Deckung gehen und oft im Verborgenen sitzen, wenn sie kraftvoll ihre Melodien flöten. Hier singt am Wegesrand in Berlin-Steglitz eine männliche Nachtigall hinter einem Blättervorhang. Sehen konnte ich sie zunächst nicht.

Am Anfang und Ende des Videos singt eine Nachtigall, dazwischen Amseln (Kopfhörer empfehlswert!).

Zum Glück war der Vogel hungrig und flog auf den Boden, wo Nachtigallen im trockenen Laub, aber auch zwischen Wildkräutern und Grasbüscheln gerne nach Nahrung suchen. Was die animalische Kost angeht, beschreibt Alfred Hilprecht in Nachtigall und Sprosser (Neue Brehm-Bücherei, 1965/1995, VerlagKG Wolf) das Nahrungsspektrum der Nachtigall so (Seite 65)

Ihre Nahrung sucht die Nachtigall auf dem Boden oder liest sie von Zweigen und Blättern ab. Sie hat eine Vorliebe für Falllaub, das eine reiche Bodenfauna aufweist. Hier findet sie allerlei Ungeziefer, durch dessen Vertilgung sie sich nützlich macht. Zu ihren Nahrungstieren gehören u.a. Kerbtiere aller Art und ihre Larven, glatte Raupen, Erdgewürm, Puppen, Fliegen, kleine Schmetterlinge, Spinnen und Ameisenpuppen.

Deckung im Gebüsch

Der kleine Sänger unterbrach allerdings sehr rasch seine Mahlzeit am Boden und machte mir einen Strich durch die Rechnung: Kaum hatte ich ihn im Fokus der Kamera, war er schon hinter Grashalmen verschwunden. Dort saß er bewegungslos, hatte mich allerdings ständig im Blick und nutzte die erste Gelegenheit aufzufliegen.

von Gras und Löwenzahn bewachsener Boden.
Suchspiel mit Nachtigall
Der Boden ist mit Gras und Kraut bewachsen.
Ein Auge blickt durch die Grashalme.

Doch dann hatte ich viel Glück, weil es in dem Buschwerk, das der Vogel angesteuert hatte, eine Art Fenster gab. Das ermöglichte gute Sicht auf die Zweige und ein paar Fotos. Und wie erstaunt war ich über dieses leuchtend rostrote Schwanzgefieder! Reflexhaft dachte ich an einen Gartenrotschwanz – eine Verwechselungsmöglichkeit, die auch der großartige deutsche Ornithologe Johann Friedrich Naumann thematisiert. Aber nein: Dies war die Nachtigall!

Nachtigall auf einem Zweig sitzend von hinten. Leuchtend rostroter Schwanz.
Ein leuchtend rostroter Schwanz – aber kein Gartenrotschwanz

Es hängt eben stark von den Lichtverhältnissen ab, ob eine Nachtigall mit ihrem hübschen Gefieder imponieren kann, oder ob das bräunliche Federkleid ganz schlicht wirkt und uns insbesondere ihr zartes Gesicht mit den dunklen Augen beeindruckt.

Nachtigall von hinten auf einem Zweig. Sie blickt über die Schulter zurück.
Mal testen, ob die Zuschauerin noch da ist.
Nachtigall auf Zweig dreht sich weit herum
Mutig einen zweiten Blick riskieren.

Mit Gesang anlocken

Vor wenigen Tagen war mir im brandenburgischen Linum, im Garten der Storchenschmiede, bereits eine andere singende Nachtigall aufgefallen. Kein Wunder, denn im Mai ist im doppelten Sinne „Hoch-Zeit“ bei den kleinen Sängern: sie singen viel, verpaaren sich und markieren gesanglich ihre Reviere.

Der unscheinbare Vogel hatte mich durch seinen Gesang angelockt und saß verborgen in einem knorrigen Apfelbäumchen, dabei so wunderbar in Deckung, dass ich ihn hinter Zweigen und Blättern sofort aus dem Auge verlor – vor allem aus dem zoomenden Kameraauge –, wenn ich mich nur ein, zwei Zentimeter zur Seite bewegte.

Im Geäst eines knorrigen Apfelbaums sitzt eine Nachtigall
Zwischen den Zweigen mit bloßem Auge kaum zu entdecken.
Mit weit geöffnetem Schnaberl singt eine Nachtigall.
Mit starkem Zoom und fokussiert auf den Kopf.

Diese Nachtigall sang unablässig und hatte womöglich noch kein Weibchen abbekommen. Denn eine Partnerin für sich selbst und für ein Brutrevier zu interessieren, ist einer der Gründe für das unermüdliche Singen der Männchen von Mitte April bis Mitte Mai und teilweise bis in den Juni hinein.

Dank Shakespeare wissen nicht nur Biologen und Biologinnen, dass Nachtigallen vor allem in der Nacht und am sehr frühen Morgen lautstark singen. Sie machen das allerdings auch tagsüber, obgleich nicht so eindringlich. Das liegt unter anderem daran, dass die Vögel ihre typischen, langgezogenen „Schluchzer“ – wissenschaftlich Pfeifstrophen“ genannt – vor allem nachts produzieren; und das in längeren Serien als tagsüber.

Ab der Hälfte des Videoausschnitts ist das monotone, etwas gedehnte Schluchzen zu hören. Es ist hier, also im Tagesgesang, weniger intensiv und weniger andauernd als nachts.

Biologinnen wie Henrike Hultsch interpretieren die Pfeifstrophen als Signal für die Weibchen, die einige Tage nach den Männchen aus dem afrikanischen Winterquartier bei uns eintreffen. Ihnen wird auf diese durchdringende Weise gesagt, dass vor Ort ein potenzieller Partner samt Revier zur Verfügung steht. Und je intensiver die Pfeifstrophen, desto interessierter zeigen sich die weiblichen Nachtigallen. Das hat ein Team von Verhaltensbiologinnen, zu denen unter anderem Silke Kipper gehört, an der Freien Universität Berlin durch Experimente mit Nachtigallgesang herausgefunden.¹

Nachtigall sitzt auf einem dicken Zweig, der Schnabel ist zu.
Kurze Gesangspause
Nachtigall mit geöffnetem Mund steht auf einem Ast.
Und schon geht es weiter.

Wie schon erwähnt, richtet sich der Gesang nicht nur an Weibchen, die einen Partner suchen, sondern signalisiert anderen Männchen, dass hier ein Revier etabliert wird oder bereits besteht.

Nachtigallen brüten oft benachbart. Dabei wahren sie eine gewisse Distanz, die zu einem großen Teil akustisch verhandelt wird – was viele gesangliche Interaktionen mit sich bringt. Das stimmliche Verhalten ist bei Nachtigallen deshalb so spannend, weil jede von ihnen mit rund 200 oder noch mehr verschiedenen Strophentypen ein enormes vokales Repertoire hat. Viel schlichter ist beispielsweise der Gesang der Blaumeise, der aus wenig einfachen, vielfach wiederholten Elementen besteht.

Zufall und System

Längst ist bekannt, dass Nachtigallen ihre Strophen – man könnte sie vielleicht mit gesprochenen Sätzen vergleichen – nicht völlig wahllos in die Welt schmettern.² Berliner Verhaltensbiologen aus der Arbeitsgruppe von Dietmar Todt untersuchen daher seit langem
einerseits die Gesetzmäßigkeiten der Abfolge bei einem einzelnen Sänger und
anderseits das System der Interaktion zwischen singenden Artgenossen. Aber dazu ein andermal.

Vielleicht noch das: Die einzelnen Strophen werden sehr stereotyp gesungen. Wir können sie oft hörend wieder erkennen, und WissenschaftlerInnen können sie als Muster mit einem definierten Tonhöhenverlauf per Computerprogramm analysieren: So erfahren sie aus diesen Sonagrammen oder Spektrogrammen etwa, welcher Nachtigallmann welche Strophentypen im Repertoire hat. Und sie konnten experimentell belegen belegen, dass er einen Großteil der gesungenen Abschnitte als Nestjunges von seinem Vater gelernt hat.³

Die Nachtigall singt zweimal dieselbe Stophe, am Ende der Sequenz: eine Dohle.

Zurück zum Nachtigallengesang und seiner Wirkung auf uns. Johann Friedrich Naumann schrieb vor 150 Jahren (Naturgeschichte der Vögel Mitteleuropas, 1887-1905, 3. Aufl., Bd. 1, S. 15) voller Begeisterung

…es herrscht darin eine solche Fülle der Töne, eine so angenehme Abwechselung und eine so hinreissende Harmonie, wie wir sie in keinem anderen Vogelgesange wiederfinden, daher man auch die Nachtigall die Königin aller gefiederten Sänger nennt.

Und ich selbst muss gestehen, viel geht verloren, wenn wir die Vielfalt der Strophentypen nur als Frequenzverläufe betrachten, um ihre Abfolge und Funktion zu analysieren. Darum nochmals die Faszination des kleinen Sängers mit Naumanns Worten

Mit unbeschreiblicher Anmut … wechseln sanft flötende Strophen mit schmetternden, klagende mit fröhlichen und schmelzende mit wirbelnden; wenn die eine sanft anfängt, nach und nach an Stärke zunimmt und sterbend endigt, so werden in der anderen eine Reihe Noten mit geschmackvoller Härte hastig angeschlagen und in der dritten melancholische Töne mit reinster Flötenstimme sanft in fröhlichere verschmolzen.

Mehr geht nicht…

 

¹ C. Bartsch u.a.: What is the whistle all about? J. Ornithol., 2016, 157, S. 49-60
² D. Todt: Äquivalente und konvalente gesangliche Reaktionen einer extrem regelmäßigen singenden Nachtigall (Luscinia megarhynchos L.), Z. vergl. Physiologie, 1971, 71, S. 262-285
³ Ich hatte das Glück, als Doktorandin am Institut für Verhaltensbiologie (FU Berlin) zu arbeiten, wo unter Leitung von Dietmar Todt genau solche Fragen der Biokommunikation im Fokus standen.

Nachtigall | Rossignole philomèle | Nightingale | Luscinia megarhynchos



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2 Kommentare zu “In der Deckung singen

  1. Hallo Elke,

    NICHT SCHLECHT !!!

    Mir ist es bisher leider noch nicht vergönnt gewesen die Nachtigall zu Gesicht zu bekommen, obwohl hier in der Nähe zurzeit recht viele ihr schönes Lied vortragen.

    Ich bin mir übrigens nicht immer absolut sicher, ob ich es mit der Nachtigall oder dem Sprosser zu tun habe, deshalb Frage an die Expertin:
    ich zitiere Dich mal… „[…] Ab der Hälfte des Videoausschnitts ist das monotone, etwas gedehnte Schluchzen zu hören. […]“

    Sehe ich das richtig, dass dem Sprosser genau dieses Schluchzen im Gesang fehlt und/oder gibt es da noch andere/weitere sichere Merkmale für die Bestimmung?

    Viele Grüße, Joachim

    1. Hallo Joachim, im Prinzip hast du Recht. Das langgezogene Schluchzen ist typisch für die Nachtigall und zu hören ist es vor allem nachts. Den nahverwandten Sprosser habe ich in meinem Blogpost ausgeklammert. Er kommt im Nordosten Deutschlands vor, also üblicherweise in Mecklenburg-Vorpommern und Brandenburg bis nach Berlin und dann weit nach Osten. Ich hörte ihn das erste Mal in Weißrussland (Belarus) und stimme – mal wieder – der Chrakterisierung im „Naumann“ zu: „Der Ton des Sprosser ist tiefer, hohler, aber dabei stärker und schmetternder…“ Der Punkt ist aber, dass es bei uns ein Überlappungsgebiet der beiden Arten gibt, wo auch beide brüten, gemischte Paare vorkommen und Jungvögel von der jeweils anderen Art lernen können. Wenn ich dazu eine gute Studie finde, berichte ich davon in der Blogrubrik INFOS unter WISSENSWERTES.

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