Wenn Krähen „hassen“

04. Dezember 2020 | Falke & Co, Große Vögel | 2 Kommentare

Greifvogel sitzt verborgen im Baumwipfel und Nebelkrähen flattern um ihn herum.

Ein hochbeiniger Greif ⇓ hat sich ins Geäst des Ahorns geflüchtet.

Kürzlich wurde es in unserem Garten mit altem Baumbestand laut – und ich neugierig. Denn da regten sich offenbar Nebelkrähen wiedereinmal ganz gewaltig auf. Sie lassen wirklich keine Gelegenheit aus, sich zu behaupten.

Eigentlich konnte an diesem sehr grauen Novembermorgen nur ein Greifvogel der Anlass des anhaltenden Gekrächzes sein. Die Frage war allerdings welcher: Turmfalke, Sperber oder Habicht?

Ein Habicht sitzt auf einem Ast, über ihm zwei Nebelkrähen.

Schon klar, wer es ist?

Alle drei Greifvogelarten hatte ich in den letzten Tagen durch das Fenster zum Garten beobachten können. Kein Wunder, denn Turmfalke und Habicht brüten alljährlich in nahe Grünanlagen und turmartigen Gebäuden.

Und die Sperber lassen sich im Winter hin und wieder mal bei uns blicken.

Es sind dies vermutlich Zugvögel aus Skandinavien, die speziell in der Nähe von Futterhäuschen für kleine Singvögel auf Vogelfang gehen. Auch in diesem Jahr sah ich einen hungrigen Sperber dort schon sitzen.

Hassen = dem Feind drohen

Aus der Nähe hörten sich die lärmenden Nebelkrähen beeindruckend an, und ohne Frage: Sie hatten da einen Feind ausgemacht und stürzten sich mit viel Gekrächze gewissermaßen auf ihn. Wie üblich hatten sich dazu die Krähenpaare und mehrere Krähen aus der Umgebung zusammengeschlossen, bildeten eine aufgeregte Meute.

Zunächst ruft eine Elster, dann das warnende Krächzen von Nebelkrähen, die den „Feind” verfolgen.

Dieses Verhalten wird in der Biologie Hassen genannt. Als Gruppe setzen die hassenden Vögel den potenziellen Feind enorm unter Druck und fliegen durchaus auch Attacken. Dabei geht es nicht so sehr darum, ihn gezielt zu verletzen, sondern ihn nachhaltig zu vertreiben.

Hassen ist ein Drohsignal, das gegenüber anderen Arten, die als Prädatoren gefährlich sein könnten, angewandt wird. Irenäus Eibl-Eibesfeldt – ein Schüler von Konrad Lorenz und Leiter der AG Humanethologie am Max-Planck-Institut für Verhaltensphysiologie – hat das Verhalten im Grundriss der vergleichenden Verhaltensforschung (Piper, 1980, 4. Aufl.) in seinem Kapitel über Drohsignale so beschrieben, Seite 229

Eine eigene Kategorie von Abwehrgebärden sind die sog. Haßreaktionen, mit denen viele Singvögel im Schwarm Raubvögel bedrängen. Mit besonderen Haßlauten, bisweilen mit Scheinangriffen, drängen sie von allen Seiten auf den Freßfeind ein, der daraufhin meist abzieht.

Nebelkrähen gehören zur Gruppe der Singvögel, obgleich sie nicht so melodiös vokalisieren wie etwa Mönchgrasmücke, Amsel oder Nachtigall. Ihre Lautäußerungen sind jedoch vielfältig, sie werden meist als ein Krächzen bezeichnet.

Dieses klingt beim Hassen sonor, etwas weicher und tiefer als sonst. In der sehr guten App Die Stimmen der Vögel Europas von Hans-Heiner Bergmann und seinem Team werden diese Laute als „ein gedämpftes, schnorrendes ‚krrr krrr’ ” und als ein „manchmal hartes ‚krrah’ ” beschrieben.

Dunkle Nebelkrähen in Baumwipfeln, unte ihnen ein Greifvogel - zur Illustration eingekreist.

Greif im Belagerungszustand: Der Vogel sitzt mittig. Mit gesenktem Kopf hassen die Krähen auf ihn.

Chancenloser Greif

Und so ging die Geschichte weiter: Die Nebelkrähen geben keine Ruhe. Der Greif möchte ihnen entkommen, aber sobald er auffliegt, setzen sie ihm nach. Hier nochmals kurz typische Hasslaute:

Schließlich gelingt es dem bedrängten Vogel, die Umzingelung zu durchbrechen.

Bräunliche Silhouette eines fliegenden Greifvogels vor dunklen Bäumen.

Aber die Kerle – ich möchte sie fast „finstere Kerle“ nennen, dabei sind gerade die Nebelkrähen kluge und unterhaltsame Vögel – sind erneut rasch an seiner Seite und drängen ihn wieder in die Baumkronen zurück. Die Folge: Er sitzt wieder im Baum und wird von allen Seiten angedroht.

Zwischen den ästen einer robinie sitzt ganz versteckt ein großer vogel. Drumherum hocken Nebelkrähen im teilweise belaubten Geäst

Nebelkrähen belagern den Greif, der mittig im Blättergewirr gut verborgen ist.

Greifvogel von hinten. Er sitz im Geäst und dreht den Kopf zu uns.

Der Greif blickt um sich, scheint nach einem Fluchtweg zu suchen.

Im Geäst sitzt eine Nabelkrähe, zwischen den Ästen fliegt ein Habicht ab.

Ein neuer Fluchtversuch – während eine Krähe abgelenkt ist.

Wer ist es?

Unzweifelhaft handelt es sich um einen Habicht. Turmfalken sind wesentlich kleiner, und das gesamte Gefieder spricht für einen Habicht, einen jungen. Erst im Juni wird er flügge geworden sein und muss nun selbst klar kommen. Das heißt: Auf der einen Seite muss er Beute schlagen, um satt zu werden. Die Amseln und Ringeltauben im Garten haben vermutlich sein Interesse geweckt. Auf der anderen Seite steht er – als Vogeljäger – unter Beobachtung und muss sich der Nebelkrähen erwehren.

Und das ist offensichtlich: Dieser Vogel ist ein Neuling, da es ihm zunächst nicht gelingt, den hassenden Nebelkrähen zu entkommen. Der folgende Versuch, sah dann so aus. (Der Videoausschnitt zeigt gleich am Anfang den braunen Vogelrücken des Habichts – auf der Flucht nach rechts. Eventuell mehrfach anschauen.)

Doch auch dieser Versuch scheitert: Der Jungvogel landet in derselben Baumgruppe, dieses Mal auf einer Birke.

Da lässt sich am Federkleid noch besser erkennen, dass es sich um einen jungen Habicht handelt: die Unterseite – also Brust und Bauch – hat noch nicht die arttypische Querstreifen, sondern die tropfenartige Längsmusterung der Junghabichte. Außerdem schimmert das braune Rückengefieder leicht rötlich. „Rothabicht” wird ein junger Habicht in der Jägersprache daher genannt.

Junger Habicht mit gestrichelter Unterseite sitzt an einer weißrindigen Birke.

Der Junghabicht mit gestrichelten Unterseite. (Wie üblich lassen sich alle Fotos im Blog vergrößern.)

Endlich geschafft

Ich war tatsächlich erleichtert, als es die junge Habichtdame – männliche Artgenossen sind kleiner – es dann doch geschafft hat, der Nebelkrähen“meute“ zu entkommen. Verfolgt von den Krähen rettete sie sich in einen mächtigen, dichten Nadelbaum. Und die Nebelkrähen? Sie gaben bald darauf endlich Ruhe, flogen einfach davon und zerstreuten sich wieder.

Dass Krähen angesichts eines Greifs so ein Theater machen, ist nachvollziehbar: Habichte jagen nicht nur Tauben, auch mal Eichhörnchen und allerlei kleinere Vögel, sondern sie holen sich in der Brutzeit durchaus Eier und Jungvögel aus einem Krähenhorst, plündern auch die Nester von Elstern. Die „Hassgebärde“ oder „Hassreaktion“ macht also Sinn. Sie wird zu jeder Jahreszeit durch Greifvögel als potenzielle Prädatoren ausgelöst.

Hassen | Mobbing calls

Liebe Fans meiner Fotos, ich freue mich, wenn euch das eine oder andere Foto so gefällt, dass ihr es von meiner Website herunterladen möchtet. Allerdings sind alle mit ©Copyright geschützt. Darum fragt mich bitte per E-Mail vor jedem Download. Elke Brüser

2 Kommentare

  1. Wir haben auf der Burg in Nürnberg eine wunderschöne Webcam-Installation zur Beobachtung von Wanderfalken bei der Brut.
    https://lebensraum-burg.de/Wanderfalke/Webcam
    Im letzten Jahr haben es vier Jungvögel geschafft. Und im Moment geht es wieder los.
    Viel Freude beim beobachten.
    Joachim Ehrich, Oberasbach

    Antworten
    • @ Joachim Ehrich: Danke für deinen Hinweis auf die Webcam zu den Wanderfalken: Vier Eier sind jetzt gelegt. Wie schön! Und es lohnt immer wieder einmal das Treiben auf der Burg zu beobachten.

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Mit Fernglas und Kamera auf Vogel-„Jagd“ zu gehen, ist mancherorts geradezu ein Sport und von Wetteifer geprägt. Ich halte aber wenig davon, möglichst viele und auch seltene Arten aufspüren zu wollen, um sie akribisch in Listen zu erfassen. Mein Ding ist: stehen bleiben, lauschen und schauen, was Tiere so treiben.

Textes en français

Si cela t’intéresse: Ma chère amie Annie Riou a traduit quelques articles du blog en français. Et depuis 2023 Juliette Rakei, étudiante de la zoologie à Berlin et bilingue, fait des traductions. Merci! Tu les trouves ici.

Vogel des Jahres

Zwei schwarz-weiße Vögel mit teils schillernden Flügeln stehen sich gegenüber, unter ihnen ein kleiner Jungvogel.

2024  Der Kiebitz

Zwei Braunkehlchen sitzen auf einer Distelblüte, es sind Männchen und Weibchen.

2023  Das Braunkehlchen

Ein Rotkehlchen hockt auf einem Ast und füttert mit einem Wurm, den es im Schnabel hält, einen Jungvogel.

2022  Das Rotkehlchen

Wiedehopf mit gesträubter Haube - Ausschnitt aus einer Grafik im "Naumann" Bd.IV

2021  Der Wiedehopf

Eine rosabrüstige Taube sitzt auf einem Ast und blickt mit ihrem roten Auge zu uns.

2020  Die Turteltaube

Vier Lerchenvögel, in der Mitte ein adultes männliches Tier mit kleiner Holle.

2019  Die Feldlerche

Männlicher und weiblicher Star im Frühjahr im Prachtkleid - mit weißen Tupfern auf schwarzem Grund - auf einen Zweig sitzend.

2018  Der Star

Ein Waldkauz sitzt auf einem Ast; kolorierte Zeichnung aus Brehms Tierleben.

2017  Der Waldkauz

Ein Waldkauz sitzt auf einem Ast; kolorierte Zeichnung aus Brehms Tierleben.

2016  Der Stieglitz

Seevogel des Jahres

Ein Waldkauz sitzt auf einem Ast; kolorierte Zeichnung aus Brehms Tierleben.

2024  Der Sterntaucher

Brandseeschwalbe mit schwarzem Schädel und Mähne steht auf einem Felsen am Meer.

2023  Die Brandseeschwalbe

Ein möwenartiger Vogel steht auf einem Felsstein im nordisch anmutenden Meer

2022  Der Eissturmvogel

Der Jahresseevogel 2021 als Zeichnung: Zwei Weißwangengänse mit weißer Stirn und weißer Kehle vor einem nordischen Meer mit steilen Felsen.

2021  Die Weißwangengans

Auf einem Felsvorsprung am Meer steht eine Fluss-Seeschwalbe mit deutlich schwarzer Schnabelspitze. Links eine Zwergseeschwalbe und hinter ihr eine Küstenseeschwalbe.

2020  Die Fluss-Seeschwalbe

Eine schwarzweiß gemusterte Eiderente mit pfirsichfarbener Brust paddelt mit den Füßen im grünlich Meerwasser.

2019  Die Eiderente

Drei Sandregenpfeifer stehen am Meeresstrand. Links das Weibchen, rechts ein blasser gefärbter Jungvogel und in der Mitte das Männchen auf einem Stein. Jungtier

2018  Der Sandregenpfeifer

Vier Eisenten hocken auf Steinen im Wasser: großes männliches Tier mit brauner Brust, helleres weibliches Tier und zwei ebenfalls helle Jungvögel.

2017  Die Eisente

Drei Basstölpel in verschiedenen Altersstufen: weißes Baby, dunkler Jungvogel und weißer Altvogel mit gelblichem Kopf.

2016  Der Basstölpel

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