Mit Tönende Tiere haben Dominik Eulberg¹ und Matthias Garff² ein beeindruckendes und ganz außergewöhnliches Naturkundebuch geschaffen. Oder ist es ein Naturkunstbuch?
Der eine von beiden ist ein ornithologisch versierter Biologe, preisgekrönter Buchautor, Soundkünstler und sowohl in der Natur als auch in der Clubkultur zu Hause. Der andere ist ein renommierter bildender Künstler aus Leipzig, der mit ausrangierten Materialien und Objekten der Konsumgesellschaft phantastische Tierfiguren auf mal kurze, mal lange Beine stellt. Und manche läßt er am Boden kriechen, andere durch die Luft flattern.
Diese beiden „kreativen Naturen“ haben sich für ein spannendes Projekt zusammengetan und demonstrieren so, dass die Welt der Tiere mehr ist als ein Gegenstand naturkundlicher Betrachtung.*
Aus der Natur zur Kunst, zum Soundtrack
Das Buch Tönende Tiere stellt auf großformatigen Doppelseiten 52 ausgewählte Tiere vor, und zwar 34 heimische Vögel und 18 andere Tierarten, darunter Feldgrille, Rotfuchs und Wechselkröte. Auf der linken Buchseite umreißt Dominik Eulberg in knappen Texten und mit klaren Worten die Stimme einer Tierart inklusive ihrer Lebenswelt. Rechts illustriert Matthias Garff die äußere Erscheinung der Spezies mit einem seiner Kunstwerke: prägnant, ungewöhnlich, amüsant. Dazu ein Beispiel.
Der Große Brachvogel
Dominik Eulberg begnügt sich generell nicht damit, schlichte Daten wie Größe, Gewicht oder Höchstalter eines Tieres aufzulisten, sondern präsentiert die Arten, etwa diesen schönen und immer seltener zu sehenden Watvogel, in ihrem typischen Lebensraum, Seite 42
Der Schnabel ist ein ideales Werkzeug, um Schnecken, Insekten und Würmer vom Boden aufzulesen oder in Erdlöchern aufzustöbern … Sein Ruf ist ein herrlich wehmütiges “kur li“ … Im Frühjahr markieren männliche Brachvögel mit trillernden, flötenden Strophen im Singflug ihre Brutgebiete in Mooren und Feuchtgebieten.
Im Fokus des abgebildeten Großen Brachvogels stehen natürlich der schmale, abwärts gebogene Schnabel und diese ewig langen Beine, mit denen diese Schnepfenart auf feuchtem Grund unterwegs ist. Matthias Garff hat für die Stelzenbeine auf Kartoffelhacken zurückgegriffen, den Rumpf aus einer bauchigen Mandoline gebildet und den imposanten Schnabel aus Fahrradblech geformt. Das ist genial und eine wunderbare Ergänzung zu detaillierten Grafiken, die jeder und jede in Bestimmungsbüchern und im Internet findet.
Einen besonderen Reiz erhält Tönende Tiere dadurch, dass über einen QR-Code die natürlichen Laute oder Gesänge von jeder der 52 Tierarten abrufbar sind. Die Lautfolgen gehen sukzessive in einen Soundtrack über, in dem Eulberg die digital gespeicherten Tierstimmen – ausgehend von Synthesizer-Daten – mit speziellen Sounds und Effekten angereichert hat. Diese betonen den Charakter der jeweiligen Tierstimme, erweitern dieses Klangbild und machen das Zuhören spannend. – Wenn die Sequenzen doch nur noch etwas länger wären …
Eine Stimme der Nacht
Den Gesang einer Amsel, wer kennt den nicht von Straßenbäumen, aus Gärten oder Parkanlagen. Anders ist es mit dem Waldkauz. Dessen Sound haben viele Menschen in der Natur nie gehört, kennen ihn aber aus Schauermärchen – „das Käuzchen ruft“ – beziehungsweise aus Thrillern, wo die Rufe als markantes Alarmsignal ertönen, wenn das Unheil naht.
Der Waldkauz
Noch ein Blick in das im wahrsten Sinne des Wortes kunstvolle Tierstimmen-Buch. Dominik Eulberg schreibt über die bei uns heimische Eule, Seite 98
Tagsüber ist der nachtaktive Waldkauz dank seines rindenfarbenen Gefieders auf einem Baum sitzend bestens getarnt … Bereits im Herbst kann man die typischen „Huh-Huhuhu-Huuh“-Revierrufe des Männchens vernehmen. Im März beginnt dann die eigentliche Balz, bei der das Weibchen mit einem rauen „Kuwitt“ antwortet.
Besser lässt sich, worauf es akustisch ankommt, kaum kondensieren. Und welch anmutige Illustration ergänzt dazu Matthias Garff!
Wer den Kosmos Vogelführer von Lars Svensson zur Hand nimmt, kann nachlesen, wie gelungen seine Käuzchenplastik ist. Im Klassiker der Vogelbestimmung heißt es nämlich über den Waldkauz: „Eine mittelgroße und kompakte Eule mit … großem runden Kopf“. Und als charakteristisch gilt außerdem ein „freundlich wirkendes Gesicht.“
Es ist schlicht bewundernswert, wie der Leipziger Künstler solche Eigenarten des Vogels eingefangen hat: mit einem Topf, den er für den Kopf verwendet, einer Aluschüssel als Bauch und mit zwei Spülbürsten, die dafür sorgen, dass die Zehen nicht nackt, sondern – wie beim lebenden Kauz – befiedert sind.
Dafür dass der Garffsche Waldkauz kein rindenfarbiges Gefieder hat, gibt es einen simplen Grund: Es ist kein adultes Tier, sondern ein junger Ästling, dessen Unterseite noch hell und farblich schlicht ist.
Worum es geht
Tönende Tiere ist ein sehr schönes Buch. Das ist so gewollt und wurde vom Eichborn Verlag mit viel Gespür umgesetzt. Beide Künstler möchten über den Zustand der Natur nicht im „Ton der Tragödie“ berichten, wie es derzeit üblich und angesichts Artenschwund und Zerstörung der Biosphäre durchaus berechtigt ist! Die Grundmotivation von Eulberg und Garff ist eine andere, Seite 4
Aber wir entscheiden uns bewusst dafür, etwas anderes in den Vordergrund zu stellen und nicht in einen dystopischen Alarmismus zu verfallen: Wir wollen den Zauber der Natur feiern!
Über ihr Projekt und ihre Idee, die genauso auch für diesen Blog Flügelschlag und Leisetreter gilt, haben sie unter anderem im SWR Auskunft gegeben. In Tönende Tiere schreiben sie einleitend, Seite 5
Wir wollen in diesem Buch unsere Mitmenschen durch positive Emotionen bewegen, etwas zum Schwingen bringen. Beschreiben, wie man sich von der überbordenden Mannigfaltigkeit der Natur berühren lassen kann, zeigen, wieso diese Schönheit und Vielfalt so glücklich machen kann.
Mögen sich davon der sachkundige Feldornithologe, Klimaschützer und die junge Birderin anstecken lassen. Sicher fasziniert das Buch auch Menschen, die erst neuerdings die Vogelwelt für sich entdeckt haben. Doch eine Freude ist das multimediale Kunstwerk sicher nicht nur für Naturbegeisterte.
Denn hier trägt die Goldammer gelbe Gummistiefel, weiße Sneaker bilden den Leib der Lachmöwe, Gelb- und Rotbauchunke sind auf Alugabel unterwegs und der Stieglitz trägt aus guten Gründen einen gelben Zollstock im Gefieder.
Die besondere Machart der Tierfiguren und ihr Charme dürfte auch jene amüsieren, die bereits in Clubs wie Ritter Butzke auf die musikalischen Arrangements von Dominik Eulberg gestoßen sind. Oder seine LPs kennen.
Und ansprechen kann das elegante Buch zumal jene Kunstinteressierte, die etwa auf der art Karlsruhe oder bei einer Vernissage in Berlin an den „schrägen Vögeln“ von Matthias Garff nicht vorbeikamen, ohne länger stehen zu bleiben.
Als Publikum nicht zu vergessen sind schließlich all die Kinder, die in der Kinderwelt des Jüdischen Museums von Berlin ihren Spaß an den Tierplastiken des Leipziger Künstlers haben und hatten. Auch für sie ist Tönende Tiere eine Empfehlung und kann kleine Ohren für eine unbekannte Klangwelt öffnen.
¹ Wer mehr von Dominik Eulberg hören möchte, wird auf seiner Webseite oder in Sachen Musik direkt hier fündig.
² Weitere Informationen über Matthias Garff und seine Projekte stehen auf seiner Webseite.
* Vogelplastiken von Matthias Garff entdeckte ich erstmals in der Galerie Tammen und seine Plastiken spielen in diesem Blog bereits eine Rolle. Nach dem Sound von Dominik Eulberg habe ich mal getanzt.
Tönende Tiere
Autoren: Dominik Eulberg, Matthias Garff
Jahr: 2023
Verlag: Eichborn
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