Manchmal möchten wir nicht wirklich von Zufall sprechen. Und vielleicht steckt auch hier mehr dahinter. Finden Goldammern die Autobahn anziehend? Mögen sie das Rauschen der vorbeiziehenden PKW oder LKW? Oder bin ich zu wenig am Rand von ökologisch oder traditionell bewirtschafteten Feldern unterwegs, wo man die kleine Ammer noch finden kann?
Meine erste Goldammer sah ich in Weißrussland*: Kurzer Stopp mit dem kleinen Reisebus an einer Tankstelle, nachdem wir den Flughafen von Minsk verlassen hatten … und da sang sie unüberhörbar auf der anderen Straßenseite.
Unüberhörbar jedenfalls für die erfahrenen Birder und Birderinnen, mit denen ich unterwegs war. Auf mich gestellt, da hätte ich die Ammer weder gehört, noch auf der Spitze der hochstämmigen Birken entdeckt.
Meine zweite Goldammer saß ebenfalls an der Autobahn. Wir machten auf dem Weg nach Rügen auf einem kleinen Rastplatz in Mecklenburg-Vorpommern Halt, und da sang sie wieder. Und dieses Mal erkannte ich sie an ihrem melancholischen Gesang sofort.
Man hört ihn zu allen Stunden des Tages, vom grauenden Morgen bis zum dämmernden Abend, bald von der obersten Spitze eines Baumes, bald aus einem niedrigen Gebüsch, meist vielmals auf einer Stelle, sein Liedchen wiederholen.
Das hat der angesehenste deutsche Ornithologe des 19. Jahrhunderts Johann Friedrich Naumann über den kleinen Sänger geschrieben (Naturgeschichte der Vögel Mitteleuropas, 1905, 2. Aufl., Bd. 3, S. 185).
Die mecklenburgische Goldammer sang, solange ich nicht mein Objektiv auf sie richtete. Das gefiel ihr offenbar gar nicht, sie brach den Gesang ab und wurde unruhig. Ich werde den Eindruck nicht los, dass sie sich verstecken wollte.
Dennoch konnte ich mich einigermaßen heranpirschen, aber ein Zaun hielt mich letztlich ab. Jedenfalls saß das Männchen auf einem der höheren Zweige im Gebüsch, drehte sich nach links, nach rechts, mir den Rücken zu und schien den Kopf unter die kleinen Weißdornblätter stecken zu wollen.
Tolle Porträts sind meine Fotos nicht, aber man sieht den gelben Kopf und vor allem den rostbrauenen Bürzel, der für diese Ammernart typisch ist. Kürzlich las ich in der Zeitschrift Vögel. Magazin für Vogelbeobachtung (3, 2017) einen ausführlichen Artikel über die Unterschiede der europäischen Ammern. Dem entnehme ich, dass Kopf- und Bürzelfärbung die Goldammer kennzeichnen und beides hilft, sie zum Beispiel von der Zaunammer oder dem Ortolan – ebenfalls eine Ammernart – zu unterscheiden.
Die etwa spatzengroße Goldammer mit ihrem auffällig langen Schanz war früher bei uns eine stark verbreitete Vogelart und außerhalb der Brutzeit häufig in großen Schwärmen unterwegs.
Aber auch ihre Zahl hat stark abgenommen und nimmt weiter ab.
An den vielen Autobahnen wird es wohl nicht liegen, aber die moderne Agrarwirtschft raubt ihnen die Wiesen, Hecken und traditionellen Stoppelfelder, auf denen sie noch lange nach der Ernte ihre Nahrung finden könnten.
Johann F. Naumann schreibt zu ihrem Speiseplan, Seite 186
Im Sommer leben die Goldammern meistens von Insekten, verachten jedoch nebenbei die Sämereien, von welchen sie sich im Winter lediglich ernähren müssen, nicht ganz und man sieht sie nach solchen oft weit vom Gebüsch auf die frisch besäeten Äcker fliegen; dies ist besonders mit Hafer- und Hirsenäckern der Fall.
Wo immer mehr Mais und Raps angebaut wird, hat es die Goldammer, die bei uns kein Zugvogel ist, besonders schwer, da sie im Winter auf Getreidereste und Samen von Wildpflanzen angewiesen ist. Vogel des Jahres war sie in Deutschland 1999 und in Tschechien 2011.
* Heute wird Weißrussland aus politischen Gründen und international üblich als Belarus bezeichnet. Inhaltlich sind die Begriffe bedeutungsgleich: Belarus ist eine Kombination aus den Bestandteilen bela- (slawisch für „weiß“) und Rus (Name des mittelalterlichen ostslawischen Herrschaftsgebiets) zusammen. (Ergänzung 29.11.2022)
Goldammer | Bryant jaune | Yellowhammer | Emberiza citrinella
Was ich zu deiner Vogelbeobachtung vielleicht sagen kann, ist eigentlich etwas Erfreuliches. Vor ca. 10 Jahren hörte ich im Radio einen Fachmann noch sagen: um die Goldammer zu hören, muss man inzwischen weit nach Norden fahren.
Das hat sich geändert. Egal, wohin ich komme, ich höre sie überall und – wie hier in der Döberitzer Heide – komme ich ihnen zuweilen auch recht nah.
Ich maile dir dazu ein Foto.
Und hier das Foto der Goldammer, das Gabriele Greaney mir mailte.