Die Freude an der gefiederten Welt – aber auch das Leiden an der allgegenwärtigen Zerstörung natürlicher Lebensräume¹ – ist etwas, was viele Menschen gut kennen: Ornis und generell Vogelbegeisterte, Biologinnen, Umweltschützer, naturbewusste Ausflügler… Aber Begeisterung, wie auch Verzweifelung, erfasst auch zahllose Künstler und Künstlerinnen. Und inspiriert sie.
Einer von ihnen ist Matthias Garff, über dessen Vogelplastiken ich vor einigen Jahren in der Berliner Galerie Tammen gestolpert bin. Zufällig, wie das so ist. Seither verfolge ich neugierig das Schaffen des jungen Künstlers, der aus Solothurn in der Schweiz stammt, an der Hochschule für Bildende Kunst in Dresden studierte und sein Atelier heute in Leipzig hat.
Kleinere Werke von ihm schmücken mein Zuhause.
Und schon recht lange lädt dieser Garffsche Buntspecht auf der Webseite von Flügelschlag und Leisetreter zu einem Abo ein.
Diesen freundlich blickenden Kunst-Specht, der uns zugleich forsch und auffordernd fixiert, möchte ich zunächst in seiner kruden Gegenständlichkeit vorstellen. Im Ausstellungsflyer der Galerie Tammen von 2019 steht schlicht und ergreifend:
Maße: 30 x 80 x 50 cm.
Material: Mandoline, Kehrblech, Kupfertopf, Skier, Kleiderbügel, Lack.
Ein derartiger Mix an Utensilien erscheint zunächst sonderbar, und doch ergibt sich daraus – klug und kenntnisreich zusammengefügt – ein wunderbarer Specht: Der schwarz-weiß-rotlackierte Kupfertopf bildet den Kopf. Aus einer Mandoline entsteht der Rumpf mit naturfarbenem Bauch und Brust. Durchgesägte Skier dienen als Flügel. Und als Füße halten Kleiderbügel her.
Kein lebendiger Buntspecht sieht so aus wie diese Skulptur*.
Und doch ist das hier unbedingt ein Vogel der Dendrocopos-Gruppe, also ein Vogel aus der biologischen Gattung der Buntspechte.
Zu dieser gehören, außer dem heimischen Buntspecht, unter anderem der Weißrückenspecht und der Blutspecht.
Doch Grau- und Grünspecht gehören zum Beispiel einer anderen Spechtgattung an, genannt Picus.
So aufrecht stehend, sehen wir Buntspechte in ihrer natürlichen Umgebung normalerweise nicht. Aber in dieser fast kerzengeraden Haltung hocken sie oft festgeklammert – und stabilisiert durch ihren Stützschwanz – am Baumstamm. Sie hämmern mehr oder minder lautstark und kontrollieren das Umfeld.
Matthias Garff hat sich die künstlerische Freiheit genommen, seinen Specht auf sehr lange Beine aus verkürzten Skistöcken zu setzen, und die Flügel sind aus Langlaufski gebaut. Warum auch nicht.
(Fotorechte: Garff | Tammen ©Elke Brüser)
Faszination in Kunsträumen
Was mich an den Vogelplastiken des Leipziger Künstlers von Anfang an fasziniert hat, das sind seine tollkühnen Entwürfe, bei denen das Tier immer größer ist als „in natura“ und vielfach sogar mehr als menschengroß. Ein Brocken ist etwa seine Kohlmeise von 2017 mit einer Höhe von 2.40m – zu bestaunen auf dem Startfoto mit dem Atelier. Die Idee dahinter: Der kleine Vogel wird erhabener, kann es mit dem Menschen aufnehmen.
Riesig ist auch die Blaumeise von 2017, die Matthias Garff wie üblich aus diversen Materialien modelliert hat: Holz, Kunststoff, Gewebe, Jeanshose, Esslöffel, Putzlappen.** Und doch hat sie die zarte, niedliche und etwas putzige Ausstrahlung einer Blaumeise.²
Es ist nicht einfach eine oberflächliche Attitüde des Künstlers, mit Fundstücken zu arbeiten, genauer gesagt: mit entsorgten Dingen, mit Ausgedientem, mit Müll. Er möchte bewusst machen, was da an Wertvollem weggeschmissen wird.
Darum sammelt er ein, was andere nicht mehr wertschätzen, und setzt seine Fundstücke neu zusammen, indem er klebt, hämmert, schraubt, schweißt, biegt, bemalt und Beton anmischt. Er lässt im Sinne von Upcycling neu entstehen, was unsere Gesellschaft mit rüder Wegwerfmentalität fallen lässt, in Luft, Wasser und Boden „entsorgt” und andere Kreaturen an den Rand ihrer Existenz treibt. Vögel zum Beispiel und vielerlei Insekten!
Kein Wunder, dass der Leipziger Künstler sich auch den Insekten widmet. Er kennt sich aus mit zentralen Fragen der Ökologie und Biodiversität und weiß, wie bedroht die Natur ist. Im Mitteldeutschen Rundfunk hat er kürzlich Klartext geredet (mdr Kultur 11. Juli 2022).³
Diese Biodiversität, das ist ja ein Riesenthema. Es gibt sehr viele Tierarten, die bedroht sind in ihrem Lebensraum, weil die Nischen immer kleiner werden … Das ist schon ein großes Thema, das da bei meiner Arbeit immer mitschwingt.
Und ebendort
Meine Tiere sprechen ja auch für diese Zeit, also unseren Umgang mit Ressourcen, klar dieser ganze Müll – Material, das in der Umwelt landet. (…) In dem Moment, in dem das in mein Atelier kommt, ist das kein Müll mehr. Das ist eher so, dass ich Freude habe Materialien zu verwenden und Potenzial entdecke in Dingen, die andere wegwerfen.
Dietmar Schuth, Künstlerischer Leiter des Kunstvereins Schwetzingen, drückt das Verhältnis von Künstler und Kunstgegenstand in dem Katalog Menagerie** so aus, Seite 8
Doch Garff ist Künstler und kein Umweltaktivist. Sein Thema ist sicherlich auch der Unfrieden, der zwischen den Menschen und der Natur herrscht. Wichtiger jedoch sind seine Lust am kreativen Spiel mit den Materialien, seine Lust am Generieren und sein Respekt vor den Bauplänen der Natur, die er mit großer Liebe unermüdlich nachvollzieht.
Gestaltete Vogelgestalten
Aus seinen Fundstücken lässt Matthias Garff in seiner Leipziger Werkstatt Vogelgestalten entstehen, die ungemein passend das Wesen – als im Bild eingefrorenes Verhalten – der jeweiligen Vogelart repräsentieren. Zugleich ist jeder seiner Kunstvögel einmalig und eine Persönlichkeit.
Eine beeindruckende Anzahl von ihnen konnte ich im Frühjahr 2021 in der Ausstellung Habitat – konzipiert von der Galerie Tammen – bestaunen, und zwar in dem kleinen denkmalgeschützten Haus der Kunstsammlung Neubrandenburg.
Es war Corona-Zeit mit all ihren Einschränkungen. Aber einige Tage waren die Pforten des Museums mit seinen attraktiven Innenräumen geöffnet. Und die Anfahrt aus Berlin hat sich gelohnt.
Natürlich kommt bei der Betrachtung der Vogelplastiken die Frage auf: Wie sieht der Künstler quasi im Voraus, was er aus den unsystematisch angesammelten Dingen mit seinen Händen und mit Hilfe von durchaus massivem Werkzeug formt? Schaut man ihm bei der Arbeit zu, ist die Antwort klar: Es ist ein Prozess. Er hat eine Idee, findet Objekte in seiner Materialsammlung und lotet aus, was passt.³
Vogelplastiken: Die Singdrossel
Zu den kleinen, sehr beeindruckenden Vögeln in der Menagerie von Matthias Garff gehört für mich die Singdrossel, die in meinem Zuhause längst einen passenden Platz gefunden hat.
Durchgestreckt, stolz und geradezu selbstvergessen steht sie da – und singt mit halb geöffnetem Schnabel.
Nicht anders wirkt diese Drossel mit ihrer gelblichen Unterseite und den schwarzen Flecken, wenn sie im Frühjahr ihre Töne förmlich herausschmettert.
Wunderbar hat der Künstler ihre langen Beine erdacht, das heißt geformt aus ausrangierten Gabeln. Genauso stolz und unanfechtbar wie dieser Kunstvogel steht die lebendige Singdrossel im Geäst, wenn sie im Frühjahr eine Partnerin anlocken will oder ihr Revier gesanglich markiert.
(Fotorechte: Garff | Tammen ©Elke Brüser)
Vogelplastiken: Die Elster
Oder nehmen wir diese Skulptur einer Elster, deren Sitzstange aus Metall ich mit Birkenrinde und Moos ummantelt habe. Ihr Hauptbestandteil ist ein lackierter Schuh als Rumpf. Sie hat eine unverkennbare Gestalt und Körperhaltung: Elster eben.
Dieser einerseits ungeliebte Räuber von Vogeleiern und Nestlingen wird andererseits wegen seiner Klugheit und dem kontrastreichen Federschmuck von vielen bewundert. Meist sehen wir vor allem das Schwarz-Weiß des Großgefieders, aber wenn eine Elster fliegt, sind ihre leuchtend blauen Federn durchaus prächtig. Das weiß Matthias Garff.
Vielleicht sollten wir uns für all die ideenreichen Skulpturen ein wenig bei seinem Großvater bedanken, der zwar wie ein Teil der Familie in Argentinien lebt, der aber offenbar seinem Enkel die Vogelwelt nahe gebracht hat. Daher also die Passion des Bildenden Künstlers für die Gefiederten und die Natur insgesamt.
Nicht nur Vögel
Es klang ja bereits an: Nicht allein Vögel stehen im Fokus von Garff, sondern auch Insekten – die er mit Hilfe von Kronkorken, bunten Kunststoffschnipsel, zufälligen Fundstücken und allerlei Draht nachbildet. Auch Säugetiere hat er immer wieder modelliert.
Zu den Hinguckern zählen für mich seine metallisch glänzenden Waschbären mit Sektkühlerbauch (er kennt sie von nächtlichen Besuchen in seiner Werkstatt), ein 220cm langer Kater aus silbrig schimmerndem Zinkblech und dieser Fuchs aus lackiertem Aluminiumblech, der mit Nieten zusammengehalten wird.*** Der bringt es ebenfalls auf stattliche Ausmaße: 120 x 60 x 200cm.
Schon von hinten wirkt dieses Tier ungemein attraktiv, dynamisch. Der „empörte” Schwan im Hintergrund des Ausstellungsraumes scheint ihn zu reizen und die überdimensionale Heuschrecke zu verstören. Welch Arrangement!
Herrlich getroffen ist der Kopf des listigen Fuchs. Wer möchte nicht wissen, was er plant – im Auge hat. Muss der Schwan um sein Leben fürchten?
Wer nun Lust auf Mehr bekommen hat, der kann nach Skulpturen von Matthias Garff im Kindermuseum ANOHA des Jüdischen Museums in Berlin fahnden. Dort stehen zwanzig seiner Kunstwerke in der eindrucksvollen Arche Noah. Auf dass sie ausnahmslos gerettet werden!
Es gibt noch eine ganz andere Möglichkeit, die teils skurril anmutenden Werke zu besichtigen: Am Schwanenteich von Borsdorf bei Leipzig entwickelt Matthias Garff eine Art Naturpfad mit Skulpturen von heimischen Tieren, die er dort beobachten konnte. Es warten schon: Prachtlibelle, Schwan, Buntspecht …
Weiter Infos finden sich auf der Homepage von Matthias Garff, dessen Vogelplastiken im Jahr 2022 zuletzt auf der art Karlsruhe zu sehen waren und demnächst wieder auf der Positions in Berlin von der Galerie Tammen präsentiert werden.
Wer dem Künstler bei der Arbeit zuschauen möchte, dem empfehle ich das mdr-Video auf seiner Homepage. Man findet es auch hier.
¹ Ich verweise nur auf die verbrecherische Umweltschädigung der Oder, todbringend nicht nur für Fische, sondern unzählige andere Organismen.
² So wirken sie auf uns, aber es sind wilde Kerle, die Johann F. Naumann als „zänkisch und bissig“ bezeichnete und die Rivalen durchaus verletzen können.
³ mdr Kultur; verschriftlicht und arrangiert von E. Brüser
* Ich verwende die Begriffe Skulptur und Plastik als Synonyme wie es in der Alltagssprache üblich ist.
** Matthias Garff. Menagerie (Hrsg. Galerie Tammen, Kunstverein Schwetzingen, Galerie Tobias Schrade, Ulm 2021)
*** Eden. Matthias Garff, Lars Theuerkauff (Konzeption Werner Tammen, Berlin 2021)
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