Von der Dorngrasmücke

Kleiner bruaner Vogel zwischen braunen Zweigen im Gebüsch
Suchbild mit Dorngrasmücke: meist gut verborgen, aber die Beobachterin im Blick …

Der Name dieses spatzengroßen, farblich unscheinbaren Vogels sagt eigentlich schon alles über seinen Auftritt in der Natur: Die Dorngrasmücke lebt im dornigen, dichten Gebüsch, und ihr Äußeres ähnelt in Gestalt und Farbe ihrer Verwandtschaft – genauer gesagt, der biologischen Gattung Grasmücken innerhalb der Familie der Grasmückenverwandten.

Doch diese Bezeichnung verwirrt, denn sie hat weder mit dem grünen Gras noch mit stechenden Mücken etwas zu tun. Vielmehr stammt das Wort aus dem Mittelhochdeutschen und bezieht sich auf zwei andere Charakteristika: auf die graubraune Färbung – unterseits sind die Vögel hellgrau bis rosabeige getönt – und auf das Verhalten.

Das Wort Gras stammt von Gra, dem heutigen Grau, das bei manchen Grasmückenarten dominanter ist als bei der Dorngrasmücke. Die helle Unterseite tarnt das Vögelchen, wenn wir oder ein Greifvogel es von unten gegen den hellen Himmel sehen. Die Oberseite – also der Rücken – ist bei dieser Art hingegen vorwiegend braun. Das wiederum ist eine gute Tarnung, wenn wir oder ein Greifvogel von oben auf den Vogel in seinem charakteristischen Lebensraum blicken.

Von oben durch die Brauntöne des Gefieders gut getarnt.

Die Bedeutung von Mücke erschließt sich über das mittelhochdeutsche Wort Smiegen – wir erkennen den Wortstamm noch im Anschmiegen –, das sich offenbar zu Smücke weiterentwickelt hat. Smücke wiederum wird mit Schlüpfer oder Ducker (sich ducken …) übersetzt. Die Grasmücke ist demnach die graue Schlüpferin, die geschickt und unauffällig durch das Gebüsch und selbst durch dorniges Gestrüpp schlüpfen kann.

Der Lebensraum

Ich musste bis nach Litauen kommen, um eine Dorngrasmücke beobachten zu können, und das obwohl der kleine Vogel – wie auch die Gartengrasmücke und die Mönchsgrasmücke – bei uns keine Seltenheit ist. Aber man muss eben im passenden Biotop unterwegs sein.

Drei Grasmückenarten in einer Grafik aus dem Klassiker von J.F. Naumann auf Zweigen eines JohannisbeerenstrauchesWährend Mönchsgrasmücke und Gartengrasmücke oft in Gärten, in Parks und auf Friedhöfen leben, macht sich die Dorngrasmücke dort rar, wo Menschen ihnen zu nahe kommen. Und wie die verwandte Zaungrasmücke bevorzugt die Dorngrasmücke das offene Gelände. Sie lebt zum Beispiel in Hecken am Feldrand oder auch im Buschwerk am Weg- oder Straßenrand. Dort traf ich auf sie.

Drei Grasmückenarten in einer Grafik aus J.F. Naumann: Naturgeschichte der Vögel Mitteleuropas, 1887-1905, 3. Aufl., Bd. II, Tafel 11

Zaungrasmücke

Dorngrasmücke
männlicher Vogel mit grauerem Kopf

Gartengrasmücke

Axel Siefke, der ein lesenswertes Büchlein mit dem Titel Dorn- und Zaungrasmücke verfasst hat, zählt die Dorngrasmücke zu den „Gebüschvögeln“ – ein wirklich passender Begriff.¹ Und sehr genau beschreibt der Autor, der in Mecklenburg-Vorpommern diese Art jahrelang zur Brutzeit beobachtet hat, typische Verhaltensweise des Vogels, Seite 10

Die schlanken, unscheinbar gefärbten Vögel halten sich im allgemeinen sehr behände und unruhig in mehr waagerechter als aufrechter Haltung in Gebüschen umherschlüpfend auf. Ihre Beobachtung ist dadurch nicht ganz einfach …

Dem kann ich nur zustimmen. Und ein Foto von diesen quirligen Vögelchen zu machen, ist eine besondere Herausforderung. Erwischt habe ich in Litauen eine Dorngrasmücken-Dame.

Dorngrasmücke in arttypischer waagerechter Haltung

Diese sind ihren männlichen Artgenossen zwar sehr ähnlich, haben im Frühjahr aber nicht deren Prachtkleid mit strahlend weißer Kehle, leicht rosafarbener Brust und auffällig grauem Haupt. Das Gefieder der Dorngrasmücke ähnelt stark dem der nahverwandten Brillengrasmücke, das gilt insbesondere für das Prachtkleid der Herren.

Gut zu entdecken sind Dorngrasmücken, wenn sie im Frühjahr von der Spitze eines Gebüsches aus aufsteigen, um singend ihr Revier zu markieren. Sie fliegen bei diesen Balzflügen höher als die Zaungrasmücke, bevor sie auf „ihren“ Busch zurückkehren oder darin rasch verschwinden.

Ein Sommervogel

Die Dorngrasmücke ist wie ihre Verwandten ein Insektenfresser, der es insbesondere auf Spinnen, Schmetterlinge und deren Raupen abgesehen hat. Zeitweise frisst sie auch Beeren, etwa die des Schwarzen Holunders. Um aber auch in der kalten Jahreszeit satt zu werden, überwintert diese Grasmücke jenseits des Mittelmeeres, in der Regel südlich der Sahara.

Ab Mitte August macht sich hierzulande die kleine Trans-Saharazieherin, die sich sich nach der Brutzeit ein ordentliches Fettpolster anlegt, auf die weite Reise. Sie kommt in Verlauf des Aprils oder Anfang Mai in ihr europäisches Brutgebiet zurück. Da Dorngrasmücken wie viele andere kleine Singvogelarten nachts ziehen, erscheinen sie bei uns meist in den frühen Morgenstunden. Die männlichen Vögel treffen üblicherweise vor den weiblichen ein und stecken dann ihre Brutreviere gesanglich ab.

Grafik nach Axel Siefke, Dorn- und Zaungrasmücke, 1962/1995 (mit freundlicher Genehmigung der VerlagsKG Wolf)

Wer Glück hat, kann im Frühjahr diesen Balzgesang bestaunen. Dabei erheben sich die Vögel aus dem Gebüsch, singen im Flug ihre weit hörbaren Strophen und scheinen dabei durch die Luft zu schweben. Axel Siefke beschreibt den Balzgesang der Dorngrasmücke, den er graphisch mit dem schlichteren Balzflug der Zaungrasmücke vergleicht, sehr anschaulich so, Seite 20

Er führt den Vogel in schwach wellenförmiger Linie bis zu einer bestimmten Höhe in die Luft, von wo er dann „treppenförmig“ mit gesträubten Scheitelfedern und gespreiztem Schwanz wieder ins Gebüsch zurückkehrt.

Viele Singvogelarten schaffen zwei oder sogar drei Bruten pro Saison, etwa die Stare. Die Dorngrasmücke belässt es hingegen bei einer Brut, und schon Anfang Juli sind nur noch selten Jungvögel nahe der insgesamt sehr fürsorglichen Altvögel zu sehen. Die Familienbande lösen sich in dieser Zeit bereits auf. Danach streifen die Vögel umher und verschieben ihren Aufenthalt allmählich südwärts.

Gut festgeklammert auf Insektenjagd

In Deutschland erscheinen im Sommer erste Dorngrasmücken aus dem südlichen Skandinavien und Finnland. Im Frühjahr passieren sie etwa Helgoland auf dem Weg dorthin. Das geht aus Ringablesungen der „Vogelwarte Helgoland“ des IfV hervor, die außerdem zeigen, dass es für diese unscheinbaren Fernzieher eine schwach ausgeprägte Zugscheide gibt.² Sie durchzieht Deutschland in nord-südlicher Richtung bei 10° E/Ost.

Diese Trennlinie bedeutet, dass hiesige Brutvögel und Durchzieher aus Fennoskandien³ westlich von ihr über Spanien und Marokko abziehen, während Dorngrasmücken aus Regionen östlich der Zugscheide via Italien oder Kroatien und das östliche Mittelmeer zu ihren ostafrikanischen Überwinterungsgebiete in der Sahelzone fliegen. Und auf dem Rückweg schlagen sie üblicherweise dieselbe Route ein.

Zu den südöstlich ziehenden Vögeln wird auch die litauische Dorngrasmücke gehören, die mir zum Abschluss ein kleines Porträtfoto erlaubte, bevor sie erneut im Gebüsch verschwand.

Kurz bevor die weibliche Dorngrasmücke „abtauchte“.

 

¹ Axel Siefke, Dorn- und Zaungrasmücke, Die Neue Brehm-Bücherei, Bd. 297, Magdeburg, Erstausgabe 1962, Reprint 1995 – Westarp-Wiss/VerlagsKG Wolf)
² Franz Bairlein u.a., Atlas des Vogelzugs. Ringfunde deutscher Brut- und Gastvögel, Aula, Wiebelsheim 2014; Kathrin Hüppop & Ommo Hüppop, Atlas zur Vogelberingung auf Helgoland, 2004, Vogelwarte, 42, 285-343
³ Der Begriff Fennoskandien schließt neben Norwegen und Schweden als typische skandinavische Länder auch Finnland ein.

Dorngrasmücke | Fauvette grisette | Common Whitethroat | Sylvia communis



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