Als ich jetzt nochmals in dem Buch „Ornis. Das Leben der Vögel“ von Josef H. Reichholf schmökerte, fiel mir schlagartig jene Szene ein, die ich kürzlich beobachtet hatte:
Mehrere Große Brachvögel waren frühmorgens auf einer noch feuchten Viehweide beim „Frühstücken“.
Und wie sie das machten, das entsprach ziemlich genau der Beschreibung des erfahrenen Ornithologen; er nannte es ein „nähmaschinenartig schnelles Stochern“. – Ihr werdet weiter unten in einem Videoausschnitt sehen warum.
Zunächst eine Anmerkung: Der Große Brachvogel, der neuerdings schlicht Brachvogel heißt, ist ein äußerst scheuer Vogel. Der Hauptgrund dafür ist, dass diese wundervolle Schnepfe lange intensiv bejagt wurde. Die Scheu der Vögel, die an der Wattenmeerküste von den Niederlanden und Norddeutschland zu beobachten sind, bedeutet auch, dass ich sie meist nur durchs Fernglas oder mit starkem Tele etwas genauer betrachten kann.
Doch selbst aus der Ferne ist es faszinierend, wenn ein Trupp – oft sind es rund ein Dutzend Vögel – längs der Küstenlinie ziehen oder auf den Wiesen in Deichnähe nach Futter suchen. Bereits ohne den rund 16 cm langen gebogenen Schnabel sind sie immerhin etwa 50 cm lang.
Doppeltes Glück
Südlich des alten Leuchtturms von Sankt Peter Ording, also am Nationalpark Schleswig-Holsteinisches Wattenmeer, hatte ich nun doppeltes Glück: Ich entdeckte die unauffällig gefärbten Brachvögel auf einer Weide und konnte auf der kaum befahrenen Straße anhalten, um sie durch das offene Fenster des PKW zu fotografieren.
Wer Vögel beobachten möchte, sollte sein Auto nicht verlassen beziehungsweise mit dem Rad langsam weiterfahren und in einiger Entfernung absteigen, um die Tiere nicht zu beunruhigen oder aufzuscheuchen.
Zunächst beäugten mich die Vögel, dann fraßen sie weiter, entfernten sich dabei allerdings gemächlich von der Straße. Das kenne ich gut vom Grauen Kranich.
Das Stochern
Und nun kommen wir zum nähmaschinenartigen Stochern: Den langen, an der Spitze gebogenen Schnabel versenken sie dabei mit großer Geschwindigkeit und immer wieder aufs Neue in den feuchten Boden, wobei sie ständig voranschreiten.
Die Technik der Nahrungsaufnahme ist beim Großen Brachvogel gleich, egal ob er auf einer Wiese unterwegs ist, im Watt oder im sumpfigem Gebiet. Wie speziell Vögel, die an Gewässern oder Ufern leben, an ihr Habitat angepasst und je nach Art verschieden sind, beschreibt Josef H. Reichholf mit Bezug auf die Nahrungsaufnahme so (Ornis. Das Leben der Vögel, S. 232):
Bei der Nutzung der Fülle bewähren sich sodann die speziellen Anpassungen, wie Form und Länge der Schnäbel oder der Beine. Sie ermöglichen unterschiedliche Techniken, wie nähmaschinenartig schnelles oder langsam gezieltes Stochern, Durchseihen des Flachwassers mit Säbeln, die Siebkanten tragen, oder das Hineinwaten, bis der Bauch die Wasseroberfläche berührt.
Flexibel und doch bedroht
Eigentlich ist der Große Brachvogel in seinen Ansprüchen recht flexibel, passt sich durchaus wechselnden Gegebenheiten an. Hochgradig bedroht ist sein Bestand in Deutschland dennoch, weil sumpfiges Gelände, wo er gerne brütet, verschwunden ist und die Wiesen heutzutage zu früh und zu oft gemäht werden.
Auf der Weide bei Sankt Peter Ording stocherten die Vögel sicher nach Regenwürmern und Larven, die teilweise tief im Boden stecken. Wahrscheinlich waren es Durchzügler, die nordwärts ziehen und in Russland oder Skandinavien brüten. Das geht unter anderem aus Studien mit besenderten Brachvögeln hervor.
Dass die Vögel hier „frühstückten“ und nicht im Watt, wo sie auch zu sehen sind, lässt sich damit erklären, dass im Frühjahr auf naturnahen Wiesen und Viehweiden das Nahrungsangebot mit Regenwürmern, Spinnen und kleinen Schnecken besonders reichhaltig ist. Im Wattenmeer müssen die Temperaturen erst noch ansteigen, damit sich dort Würmer und Insekten zur sommerlichen Menge vermehren.
Vielleicht noch das: Der Große Brachvogel bleibt auch im Winter der Nordseeküste erhalten, solange er im Watt noch Würmer, Muscheln und andere Nahrung findet. Notfalls weicht er Richtung Niederlande und weiter südwärts aus. Im Januar, als die Wiesen im Vordeichland längst gefroren waren, begegnete mir ein kleiner Trupp in der Wesermündung, wo Silbermöwen, Brandgänse und Austernfischer Nahrung suchten. Das Watt ist dann für viele Watvögel, zu denen auch der Große Brachvogel zählt, eine gut gefüllte, warme Speisekammer.
Brachvogel | Courlis cendré | Eurasien Curlew | Numenius arquata
Ein wunderbarer Artikel, ich schaue mir später gerne weitere an.
Lg Uli
Schön, dass dir der Beitrag zu den Brachvögeln gefällt. Noch eine generelle Anmerkung: Die Art heißt ja neuerdings nicht mehr Großer Brachvogel, sondern schlicht Brachvogel. Viele Grüße von Elke.