Die Zippammer ist einer dieser kleinen Singvögel, die leicht übersehen werden, zumal sie meist rasch hinter Zweigen und Laub verschwinden. Um so schöner ist es, wenn wir die hübsche Ammer freisitzend entdecken und wenn sie, nachdem wir Fernglas oder Kamera (endlich) fokussiert haben, noch immer auf genau dem Ast zu sehen ist, auf dem sie eben noch gehockt – vielleicht sogar gesungen – hatte.
Die folgenden Fotos sollen das Problem ein wenig illustrieren. Sie zeigen aber auch, dass es lohnt, ein gutes Fernglas dabei zu haben und ein passables Teleobjektiv für die Fotos.
Das dunkle Wasser gehört übrigens zum spanischen Fluss Tajo, dem längsten Fluss der Iberischen Halbinsel. Er heißt in Portugal Tejo und mündet bei Lissabon in den Antlantik.
Ist der Vogel gesichtet, bewahrheitet sich, was Johann Friedrich Naumann in seinem von mir gern zitierten Klassiker aus dem 19. Jahrhundert Naturgeschichte der Vögel Mitteleuropas¹ mit wenigen Worten ungemein treffend beschreibt, Seite 199
Ein ansehnlicher, netter Vogel, der sich von anderen einheimischen Arten besonders durch die über das ganze Gefieder als Hauptfarbe verbreitete Rostfarbe leicht unterscheidet.
Die Zippammer und ihre Verwandtschaft
Während das erste Erkennungsmerkmal die insgesamt zimtfarbene bis rostbraunen Erscheinung des Vogels ist, ist das zweite die auffällige Kopfzeichnung. Hervorzuheben sind die schwarzen Zügel* unterhalb des Auges und die markanten Kopfstreifen, die durch Reihen von schwarzen beziehungsweise hellen Federchen entstehen.
In der Grafik (Tafel 23) aus der 3. Auflage der Naturgeschichte der Vögel Mitteleuropas sind diese Artmerkmale, die aber nur der männliche Vogel ausbildet, gut zu erkennen.
Zugleich wird deutlich, wie verwandte Ammernarten einerseits – in Größe und Grundfarbe – einander ähnlich sind und wie sie sich andererseits farblich voneinander unterscheiden.
Von oben nach unten zeigt die Lithographie (Beschriftung E.Brüser):
Fichtenammer (m.)
männliche Zippammer
weibliche Zippammer
Türkenammer (m.)
In Deutschland brüten sechs Arten von Ammern.
Vier von ihnen haben hier in Flügelschlag und Leisetreter bereits einen eigenen Auftritt, nämlich Goldammer und Grauammer, Rohrammer und Ortolan. Ja, auch der Ortolan zählt zu den Ammern. Er wurde im 19. Jahrhundert übrigens meist noch als Gartenammer bezeichnet.
Was in Flügelschlag und Leisetreter bisher fehlte sind Zippammer und Zaunammer. Erstere bekommt nun einen eigenen Blogpost. Die Zaunammer muss noch warten.
Auch die Kappenammer, die sich nur ausnahmsweise zu uns verirrt und mir in Armenien begegnete, konnte ich bereits vorstellen. Bemerkenswert erscheint mir, dass bei vielen Ammerarten, die Farben Zimtbraun beziehungsweise Rostrot im Gefieder vertreten sind. Auch ein Goldgelb tritt oft auf. Die Grauammer macht da natürlich eine Ausnahme.
Ausgedehntes Verbreitungsgebiet
In Deutschland ist die wärmeliebende Zippammer nicht stark verbreitet. Viele ursprünglich genutzte Habitate wurden durch Flurbereinigungsmaßnahmen ab den 1960er Jahren zerstört.² ³ Daher gilt sie als „spärlicher Brutvogel“. Traditionell brüten Zippammern in den südwestlichen Regionen Deutschlands, beispielsweise im Ahrtal und im mittleren Maintal, auch im Weinbaugebiet der Mosel sowie an den Hängen der Rheintäler. Dort findet sie, was sie zum Überleben braucht: Magerrasen inklusive Felsgestein, Einzelgehölze und Hecken. Ein verbuschtes Gelände und auch der Wald sagen ihr definitiv nicht zu.³
Gute Chancen, eine Zippammer zu entdecken, haben alle, die etwa im Urlaub die Mittelmeerregion besuchen.
In Frankreich, Spanien und Portugal, in Marokko und anderen nordafrikanischen Ländern kommt sie häufiger vor. Auch die Fotos „meiner” Zippammer stammen nicht aus Deutschland, sondern aus Spanien. Sie war am Ufer des Tajp unterwegs.
Passende Habitate findet die bei uns so seltene Zippammer außer in solchen mediterranen Zonen Europas zusätzlich in fernen Steppen- und Gebirgsregionen.
Das Verbreitungsgebiet der Zippammer erstreckt sich jedenfalls von Südwesteuropa bis Südosteuropa und weiter über Kleinasien bis nach Vorder-, Mittel- und Zentralasien.
Das Habitat der Zippammer
Glück im Unglück hatte ich mit meiner in Spanien gesichteten Zippammer: Sie war mir aus dem Gesichtsfeld geflattert. Aber ich hörte sie kurz darauf auf der anderen Straßenseite. Dort, wo die Felsen aufsteigen, saß sie plötzlich am Hang auf einem kahlen Ast. Eine typische Singwarte für Ammern.
Gebirge und Wasser, das sind zwei Elemente, die der Zippammer zusagen. Bei Naumann, der übrigens noch von „dem Zip-Ammer” spricht, liest sich das so, Seite 200
Er scheint mehr gebirgige Gegenden zu lieben, wo er sich aber nicht auf den Bergrücken, sondern in den fruchtbaren und anmutigen Thälern aufhält … auch er liebt die Nähe des Wassers und ist daher gern an den Ufern der Bäche und Gräben, sitzt da in dem dichten Gesträuch oder auf niedrigen Bäumen und geht häufig auf den Erdboden herab.
Am Boden sucht die Zippammer nach Nahrung. Es werden Grassamen aufgepickt oder die Samen von allerlei Kräutern abgezupft. In der Brutzeit sammeln die Vögel überwiegend Insekten in verschiedenen Entwicklungsstadien. Dazu gehören im Frühjahr die Larven von Spannern und Wicklern. Später erbeuten sie zunehmend auch Heuschrecken, schreiben Volker Hartmann und Ingolf Schuphan in ihrem Bericht über eine Zippammer, die an den Hängen der Mosel lebte und das stolze Alter von mindestens zehn Jahren erreicht hat.²
Insekten können die Zippammern von Gräsern, Kräutern, Stauden, Sträuchern und Bäumen ablesen, aber manchmal erbeuten sie diese auch nach kurzem Verfolgungsflug in der Luft.
Und wer beim nächsten Foto ganz genau hinschaut, der ahnt vielleicht, dass der Vogel singt. Johann F. Naumann schreibt, Seite 201
Sie singen sehr fleißig und sitzen dazu auf dem Gipfel eines mittelmäßigen Baumes, oder im niederen Gebüsch auf einem Zweig.
Der Gesang wird als silberhell klingend bezeichnet und ist dem der Heckenbraunelle ähnlich. Er ist übrigens namensgebend: Jede Strophe beginnt mit einem kurzen „zip“ oder einem feinen Pfiff. Die Vögel lassen sich in ihrem Brutgebiet schon ab Ende Februar hören. Einen Eindruck von dem Gesang vermittelt die folgende Aufnahme aus den französischen Alpen. Ich habe sie aus dem wertvollen Portal für Tierstimmen xeno-canto hochgeladen, wo viele andere Zippammer-Rufe und -Gesänge zu hören sind.
Manchmal wird die Zippammer als ausgesprochen dumm dargestellt. Das liegt daran, dass sie sich von Vogelfängern leicht anlocken ließ beziehungsweise lässt.** Im Französischen wird sie als Bruant fou oder schlicht Fou bezeichnet, wobei „fou” mit verrückt oder blöd übersetzt werden kann. Dass sich im Artnamen diese Charakterisierung erhalten hat, ist zumindest erstaunlich.
¹ Johann F. Naumann: Naturgeschichte der Vögel Mitteleuropas, 1887-1905, 3. Aufl., Bd. III, S. 199-201
² Volker Hartmann, Ingolf Schuphan: Zippammer-Veteran über zehn Jahre Brutvogel an der Mosel, Der Falke 7/2021, S.21 ff
³ Ingolf Schuphan: Die Zippammer profitiert von Ausgleichsmaßnahmen, Der Falke 3/2024 S. 14ff
* Als Zügel werden farblich abgesetzte, dunkle Linien bezeichnet, die vom Schnabel aus in Richtung Hinterkopf ziehen. Ihr Verlauf entspricht also weitgehend den Zügeln des Pferdegeschirrs.
** Ammern wurden lange Zeit als Delikatesse geschätzt. Ihr Fleisch war begehrt. Vor allem auf dem Zug ins Winterquartier, wenn sie fett waren, wurden sie gefangen. Die Vögel waren nicht geschützt. In Deutschland hat man früher – etwa bis 1900 – Ammern, die nach Südwesten in ihre Winterquartiere zogen, mit Futter und mit gekäfigten Goldammern angelockt. Die Goldammern, die ähnlich den Zippammern singen, sorgten dafür, dass die Zippammern sich sicher fühlten. Sie flogen zum Fressen auf den Boden – und unter eine Netzfalle. Der Vogeljäger oder Vogelsteller löste von seinem Versteck aus die Falle aus, um die Ammern am Auf- und Wegfliegen zu hindern. Sie wurden eingesammelt und gegessen. In manchen Regionen am Mittelmeer werden sie – wie auch andere kleine Singvögel – heute weiterhin und gesetzeswidrig gefangen.
Zippammer | Bruant fou | Rock bunting | Emberiza cia
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