Die Grauammer ist ein kleiner, aber stattlicher Vogel. Ihre Färbung ist unauffällig und wer sich ornithologisch nicht auskennt, denkt bei den grau-braunen Tönen des Gefieders leicht an einen Spatz. Wer sich hingegen auskennt, sagt eher: Die Gefiederfärbung ähnelt einer Feldlerche. Allerdings ist die Grauammer voluminöser, ungefähr Staren-groß. Und ihr kräftiger Schnabel ist wirklich beeindruckend. Sie gehört wie die Goldammer und der Stieglitz – auch Distelfink genannt – in die Gruppe der Finkenvögel.
Als ich die warnenden Rufe dieser brandenburgischen Grauammer hörte und die ersten Fotos machte, wusste ich nicht, mit wem ich es da zu tun hatte. Ich hatte nie zuvor eine Grauammer entdeckt. Das liegt nicht nur daran, dass ihr Federkleid so schlicht ist und sich vom Wiesen- oder Feldboden, auf dem sie gerne unterwegs ist und wo sie ihr Nest baut, kaum abhebt. Es liegt sicher auch daran, dass der Bestand der Art nach 1980 sehr stark abgenommen hat.
Was fehlt?
Und wieder ist die Agrarindustrie Schuld: Wenn es keine brachliegenden Flächen gibt, können Bodenbrüter schwerlich Junge großziehen, und wenn die Äcker voller Mais stehen, dann fehlt es an den Sämereien, die Grauammern bevorzugen. Bei Johann Friedrich Naumann (Naturgeschichte der Vögel Mitteleuropas, 1905, Bd. 3, S. 168) lese ich über „den Ammer“, wie man damals sagte:
Er liebt die mehlhaltenden Samen der allermeisten Grasarten vorzüglich, unter den Getreiden Hirse, Hafer und Weizen; Gerste und Roggen frißt er nur im Notfall, wenn im Winter andere knapp sind; sonst aber auch noch die Samen von Vogelknöterich und vielen anderen Pflanzen …, indem er keins mit der Hülse oder Schale verschluckt.
Und so kommt der kräftige Schnabel ins Spiel:
Zum Hülsen und Abschälen der kleinen, oft mit sehr zäher Schale umgebenen Grassämereien … ist sein großer Ammerschnabel ganz vorzüglich zweckmäßig eingerichtet, sodass ihm dieses Geschäft sehr leicht und schnell von statten geht.
Dass Naumann nicht „die“ sondern „der“ Grauammer schreibt, hat mich dazu verleitet, den „Kluge“ aus meinem Regal zu nehmen, mein geschätztes „Etymologische Wörterbuch der deutschen Sprache“. Und da finde ich nicht nur, dass die maskuline Form die fachsprachliche ist, sondern zugleich eine schöne Erklärung des Begriffs Ammer: „Ammer“ leitet sich von dem mittelhochdeutschen „amer“ ab, und das bezeichnet die Getreidesorte Emmer (Triticum dicoccum). Diese Weizenart wird heute nicht mehr angebaut, wohl aber eine andere alte und ähnliche Kulturform des Weizens, der Dinkel (Triticum spelta).
Mäuler stopfen
Dass sich der Bestand an Grauammern in den letzten Jahren etwas stabilisiert hat, ist erfreulich. Eine Erklärung finde ich nicht. Vielleicht kommt ihnen tatsächlich der Rapsanbau entgegen, denn auf Rapspflanzen leben vielerlei Heuschrecken, Käfer, Raupen und Insektenlarven – wenn sie denn nicht chemisch weggespritzt sind. Und dass all die kleinen Wirbellosen ein gutes Futter für den Nachwuchs abgeben, ist keine Frage – wenn denn genug davon vorhanden ist.
Sieht man eine Grauammer, dann sitzt sie also entweder auf der Spitze eines niedrigen Gebüschs – ähnlich der Goldammer – oder am Boden, wo sie auf Nahrungssuche ist. Wie man sich das vorstellen kann, beschrieb der Ornithologe Naumann sehr bildlich so:
Er hüpft … im Grase und Getreide, auf Wiesen und Äckern herum, sucht sehr bedächtig alles durch und braucht viel zur Befriedigung seines Appetites. Er ist als gefräßiger Vogel immer wohl beleibt, ja oft sehr fett.
Der Hinweis auf das Fettpolster ist nicht ungewöhnlich, denn zu Naumanns Zeiten kamen hierzulande viele Singvögel auf den Tisch. Und fett galt als lecker. Wie Grauammern geschossen, gefangen oder sogar gemästet werden, lässt sich ebenfalls im Naumannschen Werk nachlesen.
Grauammer | Bryant proyer| Corn Bunting |Emberiza calandra oder Miliaria calandra
Es gibt ein kleines Buch von Nigel Hinton „Im Herzen des Tals“, in welchem es um die Heckenbraunelle geht. Ökologische
Zusammenhänge werden in diesem Buch so einprägsam geschildert, daß man als Leser glaubt, die Stimme der Natur
selbst zu hören. Aber auch andere Vögel spielen hier eine existenzielle Rolle. Seit ich dieses anrührende Buch gelesen habe, bin ich immer sehr wachsam, sie vielleicht bei uns auch mal zu entdecken – leider bisher vergeblich.
Ich kenne das Büchlein von Nigel Hinton über die Heckenbraunelle noch nicht. Bin nun aber neugierig geworden und werde es dann später vllt unter Blogs.Books.Infos besprechen. Danke Gabriele für den Tipp.
Liebe Elke,
die Grauammer ist ein Vogel, der mir noch nicht vor die Linse gekommen ist, sicherlich, weil sie so selten zu finden ist. Aber ich habe seit einem Besuch auf Helgoland mein Herz an die Ammern verloren – wunderschöne kleine Vögel. Da ich mehr Hobbyfotografin bin und weniger Ornithologin – das aber auch immer mehr mit viel Begeisterung… – freue ich mich auf fundierte Informationen und Fachkenntnisse von Dir.
Andrea
Was die alten Getreidesorten Emmer und Dinkel angeht, war ich etwas oberflächlich. Darauf hat mich mein Kollege Christian dankenswerterweise hingewiesen. Darum habe ich im Blogpost nachgearbeitet und hier liefere noch eine kleine Erklärung: Die beiden alten Kultursorten sind Weizenarten und beide bespelzt – das heißt ihr Korn ist mit den umhüllenden Spelzen verwachsen. Darin ähneln sich Emmer und Dinkel, und das unterscheidet sie vom heutigen Saatweizen.
Mit Vergnügen habe ich Deinen Blogbeitrag gelesen und vor allem die zauberhaften Fotografien des Grauammer betrachtet. Eine entspannende „Lektüre“ bei all dem Sress.
Es ist übrigens gerade Erntezeit für den Raps in Mecklenburg-Vorpommern.
Das klingt gut, dass dir die „Flügelschläge“ Vergnügen bereiten. Es ist ja irgendwie die Idee, die Faszination und das Vergnügen weiterzugeben, das dieses Herumstromern draußen und direkt vor der Haustür mit sich bringt. Tatsächlich scheint meine Vogelguckerei ansteckend zu sein … Neben den erfahrenen Birdern gibt es auch bereits „Neuinfizierte“.