Die Rohrammer hat je nach Region verschiedene volkstümliche Namen. „Rohrspatz“ beispielsweise trifft es gut, aber mir gefällt auch „Schilfsperling“, „Riedmeise“ oder „Schilfschwätzer“. Ich traf diese Ammernart natürlich an einem Schilfgürtel, also im Rohr: Dort saßen ein von Zeit zu Zeit singendes Männchen und seine Partnerin, die nur einmal kurz aufflatterte und sonst tiefer im Schilfrohr verborgen war. Sie verschwand dort, wo wahrscheinlich schon das Nest geplant ist.
Das typische Habitat dieser Ammer hat Johann F. Naumann (Naturgeschichte der Vögel Mitteleuropas, 1887-1905, 3. Aufl., Bd. III, S. 214) wie üblich sehr treffend beschrieben, und meine Fotos wirken wie eine Illustration seiner Worte. Die Rohrammer
wohnt nur am Wasser. Solche Striche, in welchen viel Rohr, Schilf mit Weidengesträuch und Erlen vermischt wachsen, wo langes Gras nicht fehlt, Sümpfe und Moräste, Teiche, Landseen, Flussufer und andere dergleichen, sind sein gewöhnlicher Aufenthalt.
Die Rohrammer, mit dem wissenschaftlichen Namen Emberiza schoeniclus, ist weit verbreitet: von Europa über Zentralasien bis nach Japan. Es gibt viele Unterarten, die etwas unterschiedlich gefärbt sind und einen mal mehr, mal weniger kräftigen Schnabel haben.
„Emberiza“ ist der sogenannte Gattungsname, den neben der Rohrammer auch die Grau-, Gold- und die Kappenammer tragen. Diese lateinische Wortbildung kennzeichnet die Verwandtschaftsgruppe, der zweite Begriff „schoeniclus“ steht für die Art. Über seine Bedeutung habe ich gerade gelernt, dass er das Habitat markiert (H. Blümel: Die Rohrammer, Die Neue Brehm-Bücherei, Bd. 544, S. 4):
Der Artname schoeniclus ist hergeleitet vom griechischen schoinos, was Binse heißt.
Sperlingsartiges Federkleid
Auffällig ist der schwarze Kopf des Vogels, dessen dunkle Rückenfedern rostbraun gesäumt sind. Wenn er sich an einen Schilfhalm klammert, der sich im Wind wiegt, sieht der kleine Kerl von hinten – bis auf den Kopf – durchaus wie ein schön gefärbter Sperling aus. Namen wie Rohrspatz, Wasser- oder Schilfsperling lassen grüßen.
Gerade im Frühjahr kann man Rohrammermännchen leicht entdecken, denn sie setzen sich meist hoch oben auf einen Schilfhalm oder auf einen Weidenbusch, um von dieser Warte aus eindrucksvoll – wenn auch nicht sonderlich melodiös – zu singen.
Hochsaison haben diese eifrigen Sänger ab Mitte April. Doch als ich kürzlich an einem sonnigen Tag im März unterwegs war, ließ sich der hübsche Vogel mehrfach hören – jedoch nicht singend fotografieren. Aber das Frühjahr hat ja gerade erst begonnen.
Wechselhafter Unterschied
Bei vielen Vogelarten unterscheidet sich nicht nur das Gefieder der Jung- und Altvögel, sondern es ändert sich bei den adulten Tieren saisonal. So auch bei der Rohrammer.
Jetzt im Frühjahr sehen die Rohrammer-Herren ganz anders aus als ihre Partnerinnen. Wie schon beschrieben, sind der Kopf und auch die Kehle intensiv schwarz, und im Nacken leuchtet der weiße Halsring.
Die Damen sind blasser getönt und damit unauffälliger. Ein Vorteil, wenn sie auf dem Nest sitzen und brüten.
Nach der Mauser, also dem Federwechsel, im Spätsommer unterscheiden sich die beiden Geschlechter kaum. Das Gefieder des Männchens ist dann dem des Weibchens sehr ähnlich.
Diese Zeichnung aus Naumanns Naturgeschichte der Vögel Mitteleuropas (a.a.O. Tafel 25), in der alte und junge Vögel zu verschiedenen Jahreszeiten beieinander sitzen, macht klar, warum man früher dachte, hier handle es sich um zwei Vogelarten: Ganz oben das Männchen im Frühjahr, dann das Weibchen und als dritter Vogel von oben das Männchen im Spätsommer nach der Mauser.
Ganz unten ein Jungvogel.
Wer also im April oder Mai an einem schilfbestandenen Ufer spazieren geht und eine Rohrammer sehen möchte, der hat gute Chancen, wenn er oder sie Ohren und Augen offen hält. Und wie ich beim Thema Birding schon erwähnt habe: Es lohnt sich, hin und wieder stehen zu bleiben und zu lauschen. Denn diese Rohrspatzen machen sich bei zu viel Unruhe geschickt unsichtbar.
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