Der Goldregenpfeifer ist ein Hingucker. Sein Gefieder, das teils golden schimmert, und sein Balzgesang machen ihn zu einer außergewöhnlichen Vogelart. Leider ist er auch einer der Vögel, deren Lebensraum in Europa akut bedroht ist.
Das liegt an der radikalen Entwässerung von Mooren im letzten Jahrhundert, aber auch an der Art und Weise, wie ehemalige Moor- und Heideflächen bis heute bewirtschaftet werden.
Wie der nahverwandte Kiebitzregenpfeifer zählt der Goldregenpfeifer zu den großen Regenpfeifern mit schwarzem „Bauch”. Sie bilden die Gattung Pluvialis. Die kleinen Regenpfeifer, etwa der Sand- und der Flussregenpfeifer, sind hingegen hell, tragen ein Halsband und gehören zur Gattung Charadrius.
Nur das sogenannte Prachtkleid, das die schwarz-bäuchigen Regenpfeifer zur Fortpflanzungszeit haben, ist so markant gemustert wie es die Grafik aus „Der Naumann“¹ zeigt (Bd. VIII, Tafel 2: oben Goldregenpfeifer, unten Kiebitzregenpfeifer). Nach der Brut, im Sommer, tragen beide Geschlechter ein bräunlich geflecktes, schlichtes Federkleid. Es ähnelt dem Jugendkleid.
Im Winterhalbjahr und bis Anfang Mai können wir Goldregenpfeifer als Zugvögel am Wattenmeer beobachten. Denn im Herbst ziehen sie zu Tausenden aus ihren arktischen Brutgebieten nach Süden, um an der Küste der Nordsee und des Atlantiks die kalte Jahreszeit zu verbringen. Im Frühjahr fliegen sie wieder in den Norden, wo sich ihre Brutgebiete von Island über Fennoskandien und weiter ostwärts bis in die sibirische Tundra erstrecken. Dort, in den baumlosen Moor- und Heidelandschaften, werden ihre Jungen groß.
Goldregenpfeifer auf dem Zug an der Nordsee
Das erste Mal begegneten mir Goldregenpfeifer Anfang Mai auf der Hallig Hooge. Dort hatten sie auf dem Weg nach Norden einen Zwischenstopp eingelegt, um auf den saftigen Wiesen zwischen Ringelgänsen und Weißwangengänsen aufzutanken. – So heißt es auch im Englischen „to refuel“.
Was die Nahrung angeht, ist diese Vogelart durchaus flexibel: Käfer, Spinnen, Schnecken und Würmer picken sie aus dem Boden oder von den Pflanzen. Vor allem nach Regenwürmern suchen sie auf Wiesen und Ackerflächen. Dabei stochern sie vorgebeugt im Boden, wie wir es von Amsel und Star kennen.
Im Magen von Goldregenpfeifern wurden zudem Samen und Beeren gefunden. Der Speiseplan ist eben oft auch eine Frage der Jahreszeit und also der saisonalen Verfügbarkeit.
Die Vögel, die ich auf Hooge Anfang Mai beobachten konnte, waren definitiv auf dem Zug nach Norden. Denn Goldregenpfeifer brüten bei uns nicht mehr. Zu gründlich wurden hierzulande die Moore ausgetrocknet, der Torf abgebaut, das Land kultiviert – also als Acker für Feldfrüchte und als Viehweide genutzt – und schließlich Erdöl gefördert.
Von den Auswirkungen der Kultivierung – oder Melioration – berichtete bereits im 19. Jahrhundert Johann F. Naumann¹, und 150 Jahre später machte das auch Fritz Steiniger in Die großen Regenpfeifer (Die Neue Brehm-Bücherei, Bd. 240, A. Ziemsen, Wittenberg Lutherstadt, 1959) zum Thema. Steiniger hat als Zoologe an der TU Hannover die Goldregenpfeifer Niedersachsens oft beobachtet und auch die letzten Brutpaare in Deutschland noch gesehen – etwa im Bourtanger Moor im Emsland.
Selbst auf der Insel Sylt haben früher Goldregenpfeifer gebrütet. Aber diese Zeiten sind längst vorbei, da nach dem 2. Weltkrieg die zunehmende Zahl an Sommergästen für die letzten Brutplätze in der teils moorigen Dünenlandschaft das Aus bedeutete. Es ist kein Geheimnis: Ausufernder Strandtourismus und immer neue Wassersportangebote heißt für viele Tiere nichts anderes als Habitatverlust, also Verlust an arttypischem Lebensraum.
Goldregenpfeifer im Moor am Kurischen Haff
Da uns Goldregenpfeifer nur noch als Durchzügler begegnen, war es ein großes Glück, dass auf meiner diesjährigen Vogelreise nach Litauen auch das Augstumalmoor am Kurischen Haff auf dem Plan stand.
Es war sogar ein doppeltes Glück. Denn hier begegnete mir zum einen der Goldregenpfeifer in seinem charakteristischen Bruthabitat und zum anderen stolperte ich gewissermaßen über den deutschen Moorforscher Carl Albert Weber.
Dieser vor allem botanische orientierte Biologe hat vor über hundert Jahren eine bis heute wertvolle Bestandaufnahme des Augstumalmoores und seiner Entstehungsgeschichte verfasst.² Das Hochmoor – oder auch Regenmoor – liegt heute in Litauen, damals gehört es zum Gebiet von Ostpreußen. Carl A. Weber wurde 1894 als Botaniker an die Preußische Moor-Versuchsstation nach Bremen berufen, die zum preußischen Niedersachsen gehörte.
Wie faszinierend Moorgebiete sind, können hoffentlich die folgenden Fotos vermitteln. Sie stammen aus dem naturgeschützten Bereich des Augstumalmoores nahe Šilutė – dem ehemaligen Heydekrug. Es ist heute Teil des Netzwerks europäischer Schutzgebiete Natura 2000.*
In der östlichen Zone dieses litauischen Hochmoores wird weiterhin Torf abgebaut, was weder der Natur noch dem Klima guttut. Wer mehr zu Problemen der klimaschädlichen Moorentwässerung und Chancen der Wiedervernässung erfahren möchte, dem empfehle ich als Lektüre Das Moor von Franziska Tanneberg (dtv, 2022).
Die Zielvogelart und ihr Balzgesang
Als Zielvogelart werden solche Arten bezeichnet, mit denen in einer bestimmten Region zu rechnen ist. Manchen Ornithologen und Ornithologinnen ist es sehr wichtig, auf Vogelreisen den avisierten Vogel tatsächlich zu sehen – mir eigentlich nicht. Ich freue mich über jede Vogelbeobachtung, die mit Muße verbunden ist und doch eine neue Erkenntnis bringt.
Auf der Reise nach Litauen war der Goldregenpfeifer eine unserer Zielvogelarten. Wir konnten einige Exemplare mit Fernglas und Spektiv entdecken, und bei mir blieb zudem folgende Erkenntnis haften: Dieser so markant gefärbte Vogel verschwimmt im Moor beziehungsweise in der Heidelandschaft. Hier, in seinem Brutgebiet, ist er viel unauffälliger als im Grün der Hallig Hooge.
Fritz Steiniger sprach in diesem Zusammenhang von Moormimese und erklärte, dass die tarnende Anpassung – also an den Lebensraum Moor – bei den Jungvögeln noch wesentlich stärker ausgeprägt ist als bei den Altvögeln, Seite 28
Die gelblich- bis olivgrünen Jungen zeigen die weitestgehende Moormimese, die man sich nur denken kann. Das Goldgelb der Alten ist bei ihnen noch einen Ton grünlicher … Man kann sich vornehmen, sie im Blick zu behalten, und trotzdem verliert man sie aus dem Blickfeld, ohne dass sie sich bewegten: Das Auge formt einfach ein Moospolster aus dem Jungvogel … Man kann genau wissen, wo sie sich drücken** und trotzdem sieht man immer nur ein kleines grünes Moospolster, das in seiner Umgebung optisch verschwindet.
Die für Moorgegenden so typischen Polster werden von Heidekraut, Moosen und anderen Pflanzen gebildet. Goldregenpfeifer nutzen die kleinen Erhöhungen – Bult oder Bülte genannt – häufig als Ruhepunkt oder Ausguck.
Das Federkleid des Goldregenpfeifers ermöglicht zur Fortpflanzungszeit eine perfekte Tarnung. Es löst sich gewissermaßen in der Landschaft auf, hebt sich optisch nicht von ihr ab. Das hat, wenn es etwa um die Suche nach einer Partnerin geht, für die Herren auch Nachteile. Und da kommt der beeindruckende Balzgesang ins Spiel: Wer als Vogel nicht durch farbenprächtiges Gefieder auffällt, muss sich eben akustisch zeigen.
Das „beherzigt“ nicht nur die Feldlerche, sondern auch der Goldregenpfeifer. Zwar habe ich selbst seinen Balzgesang bisher nicht gehört, aber schon der Arktisforscher Bernhard Adolph Hantzsch beschrieb den beeindruckenden Gesang in seinen Aufzeichnungen über Island³ sehr anschaulich und zugleich poetisch, Seite 15
Die Morgensonne flimmert in der klaren, leicht vom Winde bewegten Luft… Da steigt froh bewegt, auch unser Goldregenpfeifer-Männchen empor. Seine ganze Seel legt er hinein in das hundertmal wiederholte, feierliche Tü-tü-tüdiü-tüdüi-tidüi-tidüi, das ab und zu in einen lang anhaltenden, wohlklingenden Roller übergeht. Dabei beschreibt der Vogel oben am Himmel schöne Kreise, bewegt die Flügel meist langsam und gleichmäßig, schwebt aber auch zeitweilig, fängt plötzlich schnell zu flattern an, trillert und senkt sich zum Schluss steil auf den Boden hinab.
Das klingt verführerisch – und ist von dem Vogel ja auch genauso gemeint …
¹ Johann F. Naumann: Naturgeschichte der Vögel Mitteleuropas, 1887-1905, 3. Aufl., Bd. VIII.
² C.A. Weber: Über die Vegetation und Entstehung des Hochmoors von Augstumal im Memeldelta mit vergleichenden Ausblicken auf andere Hochmoore der Erde, Paul Parey, Berlin 1902
(Die Michael Succow Stiftung stellt die Schrift digital zur Verfügung:
https://www.digitale-bibliothek-mv.de/viewer/image/PPN84845457X/1/LOG_0001/)
³ Bernhard A. Hantzsch, zitiert nach Fritz Steiniger: Ein Beitrag zur Kenntnis der Vogelwelt Islands. Berlin 1905
* Für den Erhalt des Moores und seine Wiedervernässung setzt sich sowohl der Michael Succow Stiftung in Greifswald ein als z.B. auch das torfabbauende Unternehmen Klassmann-Deilmann.
** Vom Drücken sprechen wir bei Vögeln, vor allem bei Jungvögeln, wenn diese sich möglichst flach auf den Boden drücken und quasi von der Oberfläche verschwinden. Es ist ein ererbter Schutzmechanismus.
Goldregenpfeifer | Pluvier doré | Golden Plover | Pluvialis apricaria
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