Vor allem schwarz sind der relativ kleine Kopf, der Schnabel und das Gefieder der Ringelgans.
Namensgebend ist ein auffälliges Detail: der weiße Ring oder Ringel an ihrem Hals. Selbst im Flug ist er oft gut zu sehen.
Bei manchen Rassen dieser Art – heute heißt es Unterart statt Rasse – ist der Ring etwas breiter und vorne am Hals geschlossen. Bei den beiden Unterarten, die in Europa verbreitet sind, ist er offen.
Wer ist wer?
Die meisten Ringelgänse, die alljährlich zu Tausenden an der Nordseeküste rasten und den Winter vor allem an der Küste der Niederlande und Großbritanniens verbringen, haben ihr Brutgebiet in der hochnordischen Tundrazone von Russland. Sie bilden die Unterart der „dunkelbäuchigen Ringelgänse“ und heißen laut der wissenschaftlichen Nomenklatur Branta bernicla bernicla. Weiß ist bei ihnen nur das Gefieder im Steißbereich – in der Biologie sprechen wir von den Unterschwanzdecken.
Den Gruppenamen „Branta“ tragen alle Meeresgänse – also auch Arten, die wie die Weißwangengans (Branta leucopsis) und die Kanadagans (Branta canadensis). Sie leben am Meer oder in Flussmündungen.
Info: Feldgänse und Meeresgänse
Feldgänse wie die Blässgans (Anser albifrons) oder die Graugans (Anser anser) führen den Gattungsnamen Anser. Das Wort Anser kommt aus dem Lateinischen und bedeutet einfach „Gans“.
Bei den Meeresgänsen ist das Wort Branta eine sogenannte Latinisierung. Ursprünglich stammt die Bezeichnung aus dem Englischen „Brent goose“ und bedeutet so viel wie „schwarze Gans“. Der Begriff Branta ist eine Ableitung davon, also ein Wort, das sich lateinisch gibt. – Wer sich für Die Namen der Vögel Europas und ihre Herkunft interessiert, dem empfehle ich das Buch von Viktor Wember mit eben diesem Titel.
Die verschiedenen Unterarten der Ringelgans lassen sich jeweils an ihrem dritten Namensteil erkennen:
Branta bernicla bernicla ist die dunkelbäuchige Ringelgans, die in Russland brütet, bei uns rastet und an den Küsten des Ärmelkanals überwintert. Hell ist nur das Bauchgefieder am Steiß.
Branta bernicla horta ist die hellbäuchige Ringelgans, deren Brutgebiete in Spitzbergen und Grönland liegen. Der helle Bauch ist vom schwarzen Hals deutlich abgesetzt. Sie überwintert vor allem in Dänemark und auf den Britischen Inseln.
Branta bernicla nigricans wird auch als schwarzbäuchige Ringelgans bezeichnet. Ihr weißer Ring ist breiter und teilweise geschlossen. Sie ist ein Brutvogel Ostsibiriens und überwintert an den Küsten von Nord-West-Amerika.
Rastende Zugvögel
Ab Mitte März kommen die dunkelbäuchigen Ringelgänse zu uns, um vor allem im Naturschutzgebiet des Wattenmeeres zu rasten, bevor sie sich in ihre fernen Brutgebiete aufmachen. Das wichtigste liegt in Nordsibirien auf der Taimyr-Halbinsel. Bis dorthin sind es etwa 4.000 Kilometer.¹
Mit „rasten“ ist keineswegs ein entspanntes Ausruhen vor der enormen Flugroute gemeint, sondern ein Auftanken. Die Vögel fressen den ganzen Tag über. Das konnte ich schon mehrmals auf der Hallig Hooge beobachten.
Auf den Halligen an der Küste von Schleswig-Holstein sind die meisten Ringelgänse im April anzutreffen. Über Nacht sind Anfang Mai die großen Ansammlungen plötzlich verschwunden, die einige Wochen die Salzwiesen, Viehweiden und das Watt förmlich besetzt hatten. Ich kam auf die Hallig, als der Abzug gen Norden schon begonnen hatte. Die letzten Gänse fliegen Mitte Mai ab.
Die beeindruckende Invasion von Ringelgänsen und anderen Rastvögeln ist an der Nordseeküste alljährlich Anlass, die „Ringelganstage“ Mitte April zu feiern. Allerdings müssen die Führungen, Vorträge und sonstigen Festlichkeiten zur Zeit der COVID19-Pandemie ausfallen. Aber womöglich tut das der Natur auf den Halligen sogar gut. Denn auch hier ist der touristische Druck erheblich – seit klar ist, dass sich mit Naturschutz Geld verdienen lässt.
Auftanken an Land
Zurück zu den Ringelgänsen und ihren „Tankstellen“ im Wattenmeer. Was fressen die Vögel überhaupt? Auf den Salzwiesen und Viehweiden in Meeresnähe sind es Kräuter und Gräser, die mit dem hohen Salzgehalt des Bodens klar kommen – wie Andelgras und Strandwegerich. Die Gänse machen mit ihnen kurzen Prozess. Und das sieht dann so aus:
Wer viel frisst, der muss auch viel verdauen. Die Kotschnüre mit ihrem weißlichen Ende sind überall auf dem Grünland zu sehen. Dazu erklärte mir Rainer Borcherding von der Schutzstation Wattenmeer in Husum:
Das ist im Prinzip gequetschtes Gras, das nach gerademal 45 Minuten Darmpassage nur etwas durchgewalkt und ausgepresst ist. Hinzu kommt am Ende ein weißer Klecks Harnsäure wie bei allen Vögeln, da sie ja nicht urinieren. Die Kotschnüre zerregnen und kompostieren dann langsam auf der Fläche.
Eines Morgens, es war kurz nach 6 Uhr, traf ich auf eine Gruppe Ringelgänse an einem Tümpel, dessen Randbereich übrigens mit Kotschnüren übersät war. Offensichtlich waren die Gänse durstig, denn sie gingen ins Wasser, um zu trinken.
Manche Gänse beäugten mich skeptisch und waren offenbar fluchtbereit. Allerdings sind Meeresgänse heute weniger scheu, seit sie zunehmend unter Schutz gestellt wurden. Mittlerweile gibt es rund 250.000 dunkelbäuchige Ringelgänse, nachdem ihr Bestand in den 1950er Jahren auf 10.00 – 20.000 Individuen geschrumpft war. Schuld an dem Tiefstand war die jahrzehntelange Bejagung in Russland, aber auch in Europa.
Als besonders bedrohlich kam hinzu, dass in der Nordsee eine Pilzerkrankung den Bestand an Seegras (Zostera marina), einer ihrer wichtigsten Nahrungspflanzen, erheblich reduziert hatte.² Erschöpft und ausgezehrt starben unzählige Ringelgänse, bevor sie ihre fernen Brutgebiete erreicht hatten; und das obwohl sie keine ausgesprochenen Nahrungsspezialisten sind.
Bei Ebbe im Watt
Nicht nur auf den Wiesen der Inseln und am Festland sind Ringelgänse ein paar Wochen im Jahr omnipräsent, sondern auch im Schlickwatt und auf dem Wasser: Im Watt fressen sie salzhaltige Kräuter wie den Queller, auch kleine Schnecken und Muscheln.
Oft sieht man bei der Futtersuche die Paare beieinander. Kein Wunder, wie andere Gänsearten auch gehen Weibchen und Männchen eine vieljährige Liaison ein.
Manchmal dümpeln Ringelgänse auf dem Wasser und scheinen zu ruhen, meistens sind sie aber auch hier mit der Nahrungsaufnahme beschäftigt. Das heißt, sie zupfen das Seegras ab oder schnappen nach Grünalgen, die im Wasser treiben. Diese Gruppe hat vermutlich Grünalgen entdeckt.
Und diese Ringelgänse zupfen vielleicht Seegras ab, das unter der Wasseroberfläche wächst. Wieder hat eine den Kopf erhoben und ist wachsam, während die anderen den Kopf gesenkt haben.
Auffliegen mit Übergewicht
Während ihrer Rast an der norddeutschen Küste legen Ringelgänse an Gewicht zu. Das ist nötig, um wohlgenährt die Brutgebiete zu erreichen. Die angefutterte Körperfülle zeigt sich, wenn die Vögel Auffliegen, denn da müssen sie kräftig Anlauf nehmen, um beim Abheben der etwa 1,5 Kilogramm gleich genug Druck unter die Flügel zu bekommen.
Die Flügel sind bereits erhoben und können im nächsten Moment für den Auftrieb sorgen. In der Luft steigen die Gänse dann mit kraftvollen Flügelschlägen langsam höher.
Und ist einmal die angestrebte Flughöhe erreicht, wirken die kompakten Ringelgänse geradezu elegant. Sie sind mit 55 bis 62 Zentimeter Körperlänge etwas kleiner als die nahverwandten Weißwangengänse. An den Rastplätzen sind die beiden Arten übrigens durchaus gemeinsam anzutreffen.
¹ Rainer Borcherding: Die Ringelgans
² Grizmeks Tierleben, Hrsg.: Bernhard Grizmek, Zürich, 1968, Bd. 7, Kap. 12, S. 288
Ringelgans | Bernache cravant | Brant Goose | Branta bernicla
Liebe Frau Brüser,
Vielen Dank auch für diesen Blogpost, er war wie immer sehr interessant und ich habe viel gelernt. Ich freue mich über jeden, auch wenn ich mir nicht mehr alles merken kann.
Ich bin alt und kann kaum noch laufen, mein Reich ist mein Garten. Ich beobachte auch meine Vögel jetzt ganz anders.
Vielen lieben Dank
Liebe Frau Stang,
Ihr Kommentar hat mich sehr gerührt. Ich freue mich außerordentlich, wenn ich Ihnen das eine oder andere über die Vögel in unserer Nähe oder in der Ferne erzählen kann und es Ihnen gefällt. Und noch besser, wenn es gelingt, Ihnen einen neuen, weiteren Blick auf das Vogelleben zu eröffnen. Wie schön, dass Sie einen Garten haben!
Herzliche Grüße und auch Danke!
Elke Brüser