Die bodenständige Ammer

10. Dezember 2022 | Kleine Vögel | 0 Kommentare

Goldammer in der Novembersonne

Goldammer in der Wintersonne

Viele der kleineren Singvogelarten, die in Deutschland brüten, ziehen im Herbst nach Süden. Das gilt zum Beispiel für das Schwarzkehlchen und den Ortolan. Auf die hübsch gezeichnete Goldammer trifft das jedoch nicht zu.

Sie bleibt uns üblicherweise in der kalten Jahreszeit erhalten. Die Population wird sogar noch durch Vögel verstärkt, die aus dem Nordosten – also etwa aus Russland oder Finnland – zu uns kommen.

Der Grund für die Bodenständigkeit oder Heimattreue der Goldammer liegt auf der Hand:

Auf den Zug nach Süden machen sich speziell solche Vogelarten, die ganzjährig auf Insekten als Nahrung angewiesen sind. Dazu zählen Vögel wie Nachtigall und Rauchschwalbe, die im Mittelmeerraum und teils in Afrika überwintern.

Winterlandschaft in der Boddenregion an der Ostsee: unauffällige Goldammern im Gebüsch

Manche der Vogelarten, deren herbstliche Zugrichtung angeborenermaßen nach Südwesten orientiert ist, futtern sich in Frankreich oder Spanien durch. Die Goldammer aber, deren kräftiger Schnabel sich zum Knabbern von Sämereien gut eignet, lebt in der Regel ganzjährig bei uns. Sie ist ein Standvogel in Deutschland – auch Jahresvogel genannt.¹

Wegweiser zwischen Wustrow und Ahrenshoop

Vorort zu bleiben und nicht in die Ferne zu ziehen, gelingt der Goldammer, weil sie ihren Speiseplan umstellt: In der kalten Jahreszeit frisst sie nur noch wenig Insekten und ernährt sich hauptsächlich von pflanzlicher Nahrung. Es wundert also nicht, dass ich Ende November eine kleine Schar hungriger Ammern an der Boddenküste von Mecklenburg-Vorpommern entdeckte.

Im Winter sozial

Goldammern leben im Winter nicht paarweise, sondern als lockere Gruppe. Sie finden sich gemeinsam an Orten ein, wo es ausreichend Nahrung gibt. Früher sah man sie oft dort, wo Hühner herumliefen und gefüttert wurden, schreibt Hans Hasse in der Monographie Die Goldammer (Die Neue Brehm-Bücherei, 1963/Nachdruck von 1995). Heute sind freilaufende Hühner eine Seltenheit, und den Goldammern bleibt zum Überleben, was sie immer schon genutzt haben: Reste auf abgeernteten Getreidefeldern, Ausgekeimtes auf brachligenden Flächen und die Samen von Wildkräutern.***

Dass ich an der Ostsee, genauer am Hohen Ufer zwischen Wustrow und Ahrenshoop, auf Goldammern stieß, verdanke ich vermutlich den Bluthänflingen, die sich am Wegrand auf kahlen Zweigen niedergelassen hatten.² Manchmal flogen die Vögel auf, kurvten als Schwarm herum und landeten kurz danach auf einem brachliegenden Feld.

Bluthänflinge haben im Winter eine streifige, leicht rosa getönte Unterseite.

Nur weil ich das Fernglas bereits vor den Augen hatte, entdeckte ich die Goldammern. Sie hatten es auf dem unbewirtschafteten Acker auf trockene Blütenstände, Sämereien und vielleicht auch auf das ein oder andere Insekt abgesehen.

Wer jedenfalls schnurstracks auf den Wegen am Hohen Ufer unterwegs ist, sei es zu Fuß oder per Rad, der wird die Vögel kaum bemerken. Denn Goldammern sind höchst aufmerksam und am Boden gut versteckt.

Suchbild mit fünf Goldammern

Und die Auflösung des Rätsels

Die Vögel fallen entweder gar nicht auf oder werden als „Spatzen“ verkannt, obwohl vor allem im Gefieder der Männchen die gelbe Färbung hervorsticht. Beim genauen Hinschauen zeigt sich auch der zimtbraune Bürzel, der allerdings bei angelegten Flügeln verdeckt ist.

Diese überschaubare Gruppe von insgesamt zehn Vögeln, Männchen und Weibchen gemischt, waren immerzu am Boden beschäftigt und meist zwischen krautigen Grünpflanzen verborgen. Nur hin und wieder flogen sie auf und setzten sich auf die Sträucher am Feldrand. (Zu sehen auf dem Eingangsfoto mit der Winterlandschaft in der Boddenregion.)

Fünf Goldammern bei der Nahrungssuche

Ich war den Bluthänflingen also dankbar, weil ich ihretwegen das Fernglas vor den Augen hatte und die Goldammern genauer betrachten konnte. Dabei bemerkte ich noch etwas: Zwischen den Hänflingen saß am Wegrand in einem der windschiefen, kahlen Bäumchen eine Goldammer.

Vergesellschaftet mit anderen Arten

Rechts: eine Goldammer unter Hänflingen

Eigentlich zählen Goldammern nicht zu den Vögeln, die sich im Winter häufig mit anderen Arten vergesellschaften. Solche gemischten Gruppen sind vor allem von Staren und Sperlingen bekannt.

Warum diese eine Goldammer über längere Zeit bei den Hänflingen saß, blieb mir gänzlich rätselhaft. Selbst als diese als Schwarm aufflogen, blieb sie zurück, sauste aber in das Blattwerk des benachbarten Baumes.

Goldammer: geschützt im Gewirr von Zweigen und Blättern

Vielleicht fühlte sie sich hier sicherer als am Boden, vielleicht hatte sie genug gefressen oder einen Greifvogel entdeckt. Jedenfalls erlaubte sie mir ein paar Fotos, bevor sie dann doch abflog.

Allein im Geäst …

… und weg.

Goldammer am Ende des Winters

Es ist für mich immer wieder erstaunlich, wie sich Verhaltensweisen unter dem Einfluss von Außenfaktoren wie Licht und Temperatur verändern. Dafür sind Goldammern ein gutes Beispiel: Im Winter können wir sie in größeren Gruppierungen beobachten. Da sind sie dann recht verträglich untereinander.

November: Noch singen die Goldammern nicht; links 2 Herren, rechts 1 Dame

Aber im Verlauf des Februars ändert sich das. Die Männchen haben miteinander mehr Stress und verlassen nach und nach die Gruppe. Sie besetzen dann ein geeignetes Brutrevier, das sie vehement gegen andere Geschlechtsgenossen verteidigen. Diese dürfen ihnen nicht zu nahe kommen.

Nach den Männchen lösen sich auch die weiblichen Ammern peu à peu aus dem lockeren Verband. Unterdessen beginnen die männlichen Goldammern zu singen. Der Gesang hilft ihnen, Weibchen anzulocken, das Revier zu markieren und zu behaupten.

Getriggert wird der Verhaltensumschwung durch äußere Faktoren, vor allem das Licht. Rezeptoren ermitteln die Tageslänge und beeinflussen bestimmte Zentren im Gehirn.³ Bei Vögeln sprechen wir in der Biologie von Kerngebieten. Diese wiederum steuern hormonell die Geschlechtsorgane an, triggern die Fortpflanzungsbereitschaft und parallel das Gesangs- und das Revierverhalten.

*** Ich mag es schon gar nicht mehr erwähnen, aber für sehr viele Tierarten ist es überlebenswichtig, dass Ackerflächen zeitweise brachliegen. Nur so können sich Wildkräuter und Insekten erhalten und vermehren, nur so finden Vögel ausreichend Nahrung. Denn diese ist ihnen durch die intensive Bewirtschaftung von Ackerflächen, zumal mit unpassenden Feldfrüchten, verloren gegangen.

¹ Ein ausführliches und aktuelles Buch zum Vogelzug hat der internationale Experte Franz Bairlein verfasst: Das große Buch vom Vogelzug, Wiebelsheim 2022
² Die Vogelart wird manchmal auch schlicht als Hänfling bezeichnet.
³ Nachzulesen zum Beispiel im Handbook of Bird Biology, 2016 3. Aufl.), Kap: Production and control of song

Goldammer | Bruant jaune | Yelowhammer | Emberiza citrinella

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Frau mit Fernglas beobachtet etwas in der Ferne

Mit Fernglas und Kamera auf Vogel-„Jagd“ zu gehen, ist mancherorts geradezu ein Sport und von Wetteifer geprägt. Ich halte aber wenig davon, möglichst viele und auch seltene Arten aufspüren zu wollen, um sie akribisch in Listen zu erfassen. Mein Ding ist: stehen bleiben, lauschen und schauen, was Tiere so treiben.

Textes en français

Si cela t’intéresse: Ma chère amie Annie Riou a traduit quelques articles du blog en français. Et depuis 2023 Juliette Rakei, étudiante de la zoologie à Berlin et bilingue, fait des traductions. Merci! Tu les trouves ici.

Vogel des Jahres

Zwei schwarz-weiße Vögel mit teils schillernden Flügeln stehen sich gegenüber, unter ihnen ein kleiner Jungvogel.

2024  Der Kiebitz

Zwei Braunkehlchen sitzen auf einer Distelblüte, es sind Männchen und Weibchen.

2023  Das Braunkehlchen

Ein Rotkehlchen hockt auf einem Ast und füttert mit einem Wurm, den es im Schnabel hält, einen Jungvogel.

2022  Das Rotkehlchen

Wiedehopf mit gesträubter Haube - Ausschnitt aus einer Grafik im "Naumann" Bd.IV

2021  Der Wiedehopf

Eine rosabrüstige Taube sitzt auf einem Ast und blickt mit ihrem roten Auge zu uns.

2020  Die Turteltaube

Vier Lerchenvögel, in der Mitte ein adultes männliches Tier mit kleiner Holle.

2019  Die Feldlerche

Männlicher und weiblicher Star im Frühjahr im Prachtkleid - mit weißen Tupfern auf schwarzem Grund - auf einen Zweig sitzend.

2018  Der Star

Ein Waldkauz sitzt auf einem Ast; kolorierte Zeichnung aus Brehms Tierleben.

2017  Der Waldkauz

Ein Waldkauz sitzt auf einem Ast; kolorierte Zeichnung aus Brehms Tierleben.

2016  Der Stieglitz

Seevogel des Jahres

Ein Waldkauz sitzt auf einem Ast; kolorierte Zeichnung aus Brehms Tierleben.

2024  Der Sterntaucher

Brandseeschwalbe mit schwarzem Schädel und Mähne steht auf einem Felsen am Meer.

2023  Die Brandseeschwalbe

Ein möwenartiger Vogel steht auf einem Felsstein im nordisch anmutenden Meer

2022  Der Eissturmvogel

Der Jahresseevogel 2021 als Zeichnung: Zwei Weißwangengänse mit weißer Stirn und weißer Kehle vor einem nordischen Meer mit steilen Felsen.

2021  Die Weißwangengans

Auf einem Felsvorsprung am Meer steht eine Fluss-Seeschwalbe mit deutlich schwarzer Schnabelspitze. Links eine Zwergseeschwalbe und hinter ihr eine Küstenseeschwalbe.

2020  Die Fluss-Seeschwalbe

Eine schwarzweiß gemusterte Eiderente mit pfirsichfarbener Brust paddelt mit den Füßen im grünlich Meerwasser.

2019  Die Eiderente

Drei Sandregenpfeifer stehen am Meeresstrand. Links das Weibchen, rechts ein blasser gefärbter Jungvogel und in der Mitte das Männchen auf einem Stein. Jungtier

2018  Der Sandregenpfeifer

Vier Eisenten hocken auf Steinen im Wasser: großes männliches Tier mit brauner Brust, helleres weibliches Tier und zwei ebenfalls helle Jungvögel.

2017  Die Eisente

Drei Basstölpel in verschiedenen Altersstufen: weißes Baby, dunkler Jungvogel und weißer Altvogel mit gelblichem Kopf.

2016  Der Basstölpel

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