Viele der kleineren Singvogelarten, die in Deutschland brüten, ziehen im Herbst nach Süden. Das gilt zum Beispiel für das Schwarzkehlchen und den Ortolan. Auf die hübsch gezeichnete Goldammer trifft das jedoch nicht zu.
Sie bleibt uns üblicherweise in der kalten Jahreszeit erhalten. Die Population wird sogar noch durch Vögel verstärkt, die aus dem Nordosten – also etwa aus Russland oder Finnland – zu uns kommen.
Der Grund für die Bodenständigkeit oder Heimattreue der Goldammer liegt auf der Hand:
Auf den Zug nach Süden machen sich speziell solche Vogelarten, die ganzjährig auf Insekten als Nahrung angewiesen sind. Dazu zählen Vögel wie Nachtigall und Rauchschwalbe, die im Mittelmeerraum und teils in Afrika überwintern.
Manche der Vogelarten, deren herbstliche Zugrichtung angeborenermaßen nach Südwesten orientiert ist, futtern sich in Frankreich oder Spanien durch. Die Goldammer aber, deren kräftiger Schnabel sich zum Knabbern von Sämereien gut eignet, lebt in der Regel ganzjährig bei uns. Sie ist ein Standvogel in Deutschland – auch Jahresvogel genannt.¹
Vorort zu bleiben und nicht in die Ferne zu ziehen, gelingt der Goldammer, weil sie ihren Speiseplan umstellt: In der kalten Jahreszeit frisst sie nur noch wenig Insekten und ernährt sich hauptsächlich von pflanzlicher Nahrung. Es wundert also nicht, dass ich Ende November eine kleine Schar hungriger Ammern an der Boddenküste von Mecklenburg-Vorpommern entdeckte.
Im Winter sozial
Goldammern leben im Winter nicht paarweise, sondern als lockere Gruppe. Sie finden sich gemeinsam an Orten ein, wo es ausreichend Nahrung gibt. Früher sah man sie oft dort, wo Hühner herumliefen und gefüttert wurden, schreibt Hans Hasse in der Monographie Die Goldammer (Die Neue Brehm-Bücherei, 1963/Nachdruck von 1995). Heute sind freilaufende Hühner eine Seltenheit, und den Goldammern bleibt zum Überleben, was sie immer schon genutzt haben: Reste auf abgeernteten Getreidefeldern, Ausgekeimtes auf brachligenden Flächen und die Samen von Wildkräutern.***
Dass ich an der Ostsee, genauer am Hohen Ufer zwischen Wustrow und Ahrenshoop, auf Goldammern stieß, verdanke ich vermutlich den Bluthänflingen, die sich am Wegrand auf kahlen Zweigen niedergelassen hatten.² Manchmal flogen die Vögel auf, kurvten als Schwarm herum und landeten kurz danach auf einem brachliegenden Feld.
Nur weil ich das Fernglas bereits vor den Augen hatte, entdeckte ich die Goldammern. Sie hatten es auf dem unbewirtschafteten Acker auf trockene Blütenstände, Sämereien und vielleicht auch auf das ein oder andere Insekt abgesehen.
Wer jedenfalls schnurstracks auf den Wegen am Hohen Ufer unterwegs ist, sei es zu Fuß oder per Rad, der wird die Vögel kaum bemerken. Denn Goldammern sind höchst aufmerksam und am Boden gut versteckt.
Die Vögel fallen entweder gar nicht auf oder werden als „Spatzen“ verkannt, obwohl vor allem im Gefieder der Männchen die gelbe Färbung hervorsticht. Beim genauen Hinschauen zeigt sich auch der zimtbraune Bürzel, der allerdings bei angelegten Flügeln verdeckt ist.
Diese überschaubare Gruppe von insgesamt zehn Vögeln, Männchen und Weibchen gemischt, waren immerzu am Boden beschäftigt und meist zwischen krautigen Grünpflanzen verborgen. Nur hin und wieder flogen sie auf und setzten sich auf die Sträucher am Feldrand. (Zu sehen auf dem Eingangsfoto mit der Winterlandschaft in der Boddenregion.)
Fünf Goldammern bei der Nahrungssuche
Ich war den Bluthänflingen also dankbar, weil ich ihretwegen das Fernglas vor den Augen hatte und die Goldammern genauer betrachten konnte. Dabei bemerkte ich noch etwas: Zwischen den Hänflingen saß am Wegrand in einem der windschiefen, kahlen Bäumchen eine Goldammer.
Vergesellschaftet mit anderen Arten
Eigentlich zählen Goldammern nicht zu den Vögeln, die sich im Winter häufig mit anderen Arten vergesellschaften. Solche gemischten Gruppen sind vor allem von Staren und Sperlingen bekannt.
Warum diese eine Goldammer über längere Zeit bei den Hänflingen saß, blieb mir gänzlich rätselhaft. Selbst als diese als Schwarm aufflogen, blieb sie zurück, sauste aber in das Blattwerk des benachbarten Baumes.
Vielleicht fühlte sie sich hier sicherer als am Boden, vielleicht hatte sie genug gefressen oder einen Greifvogel entdeckt. Jedenfalls erlaubte sie mir ein paar Fotos, bevor sie dann doch abflog.
Goldammer am Ende des Winters
Es ist für mich immer wieder erstaunlich, wie sich Verhaltensweisen unter dem Einfluss von Außenfaktoren wie Licht und Temperatur verändern. Dafür sind Goldammern ein gutes Beispiel: Im Winter können wir sie in größeren Gruppierungen beobachten. Da sind sie dann recht verträglich untereinander.
Aber im Verlauf des Februars ändert sich das. Die Männchen haben miteinander mehr Stress und verlassen nach und nach die Gruppe. Sie besetzen dann ein geeignetes Brutrevier, das sie vehement gegen andere Geschlechtsgenossen verteidigen. Diese dürfen ihnen nicht zu nahe kommen.
Nach den Männchen lösen sich auch die weiblichen Ammern peu à peu aus dem lockeren Verband. Unterdessen beginnen die männlichen Goldammern zu singen. Der Gesang hilft ihnen, Weibchen anzulocken, das Revier zu markieren und zu behaupten.
Getriggert wird der Verhaltensumschwung durch äußere Faktoren, vor allem das Licht. Rezeptoren ermitteln die Tageslänge und beeinflussen bestimmte Zentren im Gehirn.³ Bei Vögeln sprechen wir in der Biologie von Kerngebieten. Diese wiederum steuern hormonell die Geschlechtsorgane an, triggern die Fortpflanzungsbereitschaft und parallel das Gesangs- und das Revierverhalten.
*** Ich mag es schon gar nicht mehr erwähnen, aber für sehr viele Tierarten ist es überlebenswichtig, dass Ackerflächen zeitweise brachliegen. Nur so können sich Wildkräuter und Insekten erhalten und vermehren, nur so finden Vögel ausreichend Nahrung. Denn diese ist ihnen durch die intensive Bewirtschaftung von Ackerflächen, zumal mit unpassenden Feldfrüchten, verloren gegangen.
¹ Ein ausführliches und aktuelles Buch zum Vogelzug hat der internationale Experte Franz Bairlein verfasst: Das große Buch vom Vogelzug, Wiebelsheim 2022
² Die Vogelart wird manchmal auch schlicht als Hänfling bezeichnet.
³ Nachzulesen zum Beispiel im Handbook of Bird Biology, 2016 3. Aufl.), Kap: Production and control of song
Goldammer | Bruant jaune | Yelowhammer | Emberiza citrinella
0 Kommentare