Szenen einer Ehe: Zusammenhalt

19. Dezember 2022 | Große Vögel, Wissenswertes | 2 Kommentare

Kanadagans: Schwarz-weißer Kopf, pechschwarzer Schnabel

Die Kanadagans ist eine beeindruckende Erscheinung und größer noch als die ihr ähnliche Weißwangengans, auch Nonnengans genannt.

Sie zählt in Europa zu den eingewanderten Tierarten, den Neozoen, lebt und brütet seit rund 50 Jahren auch in Deutschland.

Einerseits verhält sich diese ursprünglich nordamerikanische Gänseart äußerst territorial. Andererseits gilt die Kanadagans als sehr soziale Vogelart und ist Menschen gegenüber frappierend zutraulich.

Von Jung und Alt läßt sie sich vor allem im Winter gerne füttern. Und wer sich die Zeit nimmt, kann an ihr auf unseren Gewässern viel „Gänsetypisches“ beobachten … und hat beste Unterhaltung. Kostenfrei!

Wasservögel an der Eisfläche des Wannsees in Berlin, wo das Wasser am Ufer nicht gefroren ist.

Mir begegnet die Kanadagans alljährlich im Winter am Wannsee, wenn eifrige Berliner und Berlinerinnen die Höckerschwäne und Stockenten, die Graugänse und Blässhühner regelmäßig füttern.* Übrig gebliebene Krümel und Haferflocken holen sich später Amseln, Blau- und Kohlmeisen, Rotkehlchen, Kleiber und andere kleine Singvögel.

Der Futterbringer streut Haferflocken auf eine kleine offene Wasserfläche im Eis

Höckerschwan & Co. kennen diese mit Futter bepackten Männer und Frauen genau, sie laufen ihnen bereits vom Wasser aus über den Strand entgegen, fressen den Menschen teilweise aus der Hand. Andere Wasservögel kommen aus größerer Entfernung angeflogen, wenn sie bemerken: Da tut sich was am Ufer.

Stockenten im Anflug: Sie landen auf der Eisfläche, wenn es Futter gibt und laufen zum Ufer

Beobachtungen aus der Nähe

Die Kennzeichen der Kanadagans sind die schwarz-weiße Kopfzeichnung und ein schwarzer Nacken, das Gefieder ist weitgehend sepiabraun, der Bauch jedoch weiß. Pechschwarz sind der Schnabel und die Füße. Wie Ringel- und Weißwangengans gehört die Kanadagans in die Gruppe der Meergänse, also zur biologischen Gattung Branta. Ihr wissenschaftlicher Name lautet Branta canadiensis.

Dort, wo Vögel gefüttert werden und besonders zutraulich sind, können wir sie in Ruhe betrachten – ohne zu stören. Das heißt, die Tiere machen das, was nötig ist und ihnen gut tut: etwa im Wasser herumpaddeln, auf dem Strand ruhen wie Jungschwan und Stockentenerpel, auf einem Bein stehen wie die Kanadagans.

Da applaudiert der Jungschwan: Gleichgewicht auf einem schmalen Bein.

Eindrucksvoll ist immer wieder die akribische Gefiederpflege bei Vögeln und erstaunlich sind all die Verrenkungen, die sie dabei machen. Da stellt sich zum Beispiel die Frage, was das rückwärts gerichtete Scheuern des Kopfes auf dem Gefieder soll. Die Antwort ist plausibel: Es dient der Pflege des Gesichts, insbesondere der Augen. Selbst wenn diese Region mit dem Fuß erreichbar wäre, ist das weiche Federkleid sicher ein geeigneterer „Waschlappen” als der kräftige, krallenbewehrte Fuß.

 

Kanadagans und Kanadaganter

Wer Gänse länger beobachtet, sieht Kabbeleien unter Artgenossen und zwischen Arten, enge und sich auflösende Familienbande, neue und alte Liebschaften. Berichten möchte ich von zwei Kanadagänsen, die einander nicht aus den Augen ließen. Im Gemenge der Höckerschwäne, der Stockenten und Graugänse waren sie immer nah beieinander – und nicht nur das.

„Wir sind ein langjähriges Paar …

… und das sollen auch die anderen wissen.“ (links: Gans, rechts: Ganter)**

Während viele Singvögel sich in jeder Saison neu verpaaren und dazu unter anderem mit großem Einsatz singen, ist von Gänsen allgemein bekannt, dass sie keine verführerischen Gesangskünstler sind. Bekannt ist aber auch, dass sie längerfristige eheartigen Verbindungen eingehen.

Tiere, die einander jahrelang verbunden sind, haben allerlei angeborene, genetisch fixierte Verhaltensmuster, mit denen sie solche Bindungen aufrechterhalten. Dazu zählt bei Affen das „Groomen“, eine gegenseitige, angenehme Fellpflege, und bei manchen tropischen Vogelarten sorgt der Duettgesang für andauernden Zusammenhalt.¹

Mit solchen, meist ritualisierten Verhaltensweisen pflegen Tiere – auch außerhalb der Fortpflanzungszeit – ihre langjährigen Paarbeziehungen. „Pflegen“ ist hier das richtige Wort. Denn es heißt nicht umsonst: von nichts kommt nichts. Was also machen die Kanadagänse, das den eheartigen Zusammenhalt fördert, die Fortpflanzung sichert und verpaarte Individuen auch in unseren Augen als Paar kenntlich macht?

Nähe: Da ist zum einen die geringe Distanz zwischen ihnen. Entweder stehen, ruhen, schwimmen und laufen beide nebeneinander, oder eine Gans folgt der anderen, so dass der Abstand kaum größer ist als ein Meter.

Seite an Seite: „Wir fressen gemeinsam.“

Abgrenzung: Gegenüber Artgenossen, männlichen wie weiblichen, benehmen sie sich abweisend – also territorial. Kommt eine andere Kanadagans ihnen zu nahe, wird er oder sie von einem der beiden oder gleichzeitig von beiden „Ehepartnern“ vertrieben.

Am Eis ruft der Ganter: „Verschwinde“ zu einem Artgenossen! Der duckt sich.

Beim Drohen wird  der Hals vorgestreckt, und es wird mächtig geschnattert. Hier folgt ein Beispiel im offenen Wasser am Rand der Eisfläche. Der Kontrahent hat bereits das Weite gesucht, die Erregung des Ganters hält aber noch an.

Der Kontrahent wurde „weggedroht“.

Kontrollfunktion: Erkennbar fungiert das Männchen als Bewacher und Beschützer des Paares. Fast immer ist sein Hals besonders hochgestreckt – er behält quasi den Überblick. Dieses Verhalten entspricht seiner Aufgabe als angehender Familienvater: Während nämlich nur das Weibchen brütet, hält sich der Ganter oder Gänserich in der Nähe des Nestes auf und vertreibt rigoros unerwünschte Artgenossen und artfremde Tiere.

Der Ganter behält den Überblick und hat Kontrollfunktion

Rituale: Besonders faszinierend ist das intensive, ritualisierte Kontaktverhalten bei Gänsepaaren. Was auf den ersten Blick aggressiv wirkt, erweist sich bei genauer Betrachtung als freundschaftliche, den Zusammenhalt untermauernde Geste. Es lässt sich als Liebesbeweis verstehen.

Szenen einer Ehe: Liebesbezeugung bei Kanadagänsen

Wie dieses Paar bereits Mitte Dezember seine Zusammengehörigkeit zelebriert und Verhaltensweisen aus dem Kontext der Fortpflanzung, der Balz, vorführt, das soll der folgende Vidoeausschnitt illustrieren.

Ritualisierte Gesten und schnatternd-knurrendes Liebes“geflüster“ unter Kanadagänsen

Genau beobachtet und detailliert beschrieben wurde der Ablauf des Balzverhaltens bei Gänsepaaren schon vor über 100 Jahren von dem großartigen Verhaltensbiologen und Ornithologen Oskar Heinroth

Übrigens: Andere Kanadagänse demonstrierten am eiskalten Wannseeufer nicht so eindrücklich ihren Paarzusammenhalt. Ob sie das machen oder lieber auf dem Sand dösend Energie sparen, ist auch eine Frage der Witterung.

Das besondere Paar

Auf die Entwicklung einer freundschaftlichen Verbindung bin ich besonders gespannt. Unübersehbar hat sich eine rotfüßige Graugans in eine Kanadagans verguckt. Das könnte ein vorübergehendes Ereignis sein, denn Graugänse schließen sich im Herbst und Winter gerne anderen Gänsen an.

Es könnte aber mehr dahinter stecken. Denn dass sich Kanadagans und Graugans verpaaren, kommt vor.³ Die Jungen der artverschiedenen Eltern wären dann Hybride. Solche Hybridisationen sind in der Zoologie unerwünscht und ergeben sich am ehesten bei Gefangenschaftshaltung, wenn Partner oder Partnerin derselben Art fehlen.

Kanadagans und Graugans – ein Paar? Das wirkt nicht so, aber die herabgezogenen Mundwinkel der Graugans besagen nichts Negatives. Sie sind der Schnabelform geschuldet.

Über das biologische Geschlecht der beiden Vögel bin ich mir nicht ganz im Klaren. Aber vermutlich ist die Graugans der männliche Part, also der Ganter. Ich bin gespannt, ob ich die beiden nochmals wiedersehehen.

* Altes Brot verbietet sich natürlich, Sämereien und z.B. Haferflocken sind hingegen willkommen.
** Männliche und weibliche Gänse unterscheiden sich im Verhalten. Dieser Ganter ist gut wieder zu erkennen: Er hat weiße Federchen über den Augen, die wie helle Augenbrauen wirken. Aus der Ferne sehen sie wie die eigentlichen Augen aus. Diese sind aber schwarz. Womöglich hat er Vorfahren, die einer Unterart (Branta canadiensis moffitti) entstammen. Für sie ist ein weißer Stirnstrich typisch.

¹ Carl J. Erickson: Natur und Funktion der Paarbindung, S. 438 – 448 in: Grzimeks Tierleben, Bd. Verhaltensforschung (Hrsg. Klaus Immelmann)
² Oskar Heinroth: Beiträge zur Biologie, insbeondere Psychologie und Ethologie der Anatiden, Verh. V. Int. Orn. Kongr. Berlin 1910, S. 589 – 702
³ Sébastien Reeber: Entenvögel, Kosmos, Stuttgart 2017, S. 278

Kanadagans | Bernache du Canada | Canda Goose | Branta canadiensis

Liebe Fans meiner Fotos, ich freue mich, wenn euch das eine oder andere Foto so gefällt, dass ihr es von meiner Website herunterladen möchtet. Allerdings sind alle mit ©Copyright geschützt. Darum fragt mich bitte per E-Mail vor jedem Download. Elke Brüser

2 Kommentare

  1. Wunderbar beobachtet und erklärt, wirklich sehr gelungen!

    Antworten
    • Danke! Über Ihre Rückmeldung freue ich mich natürlich sehr.

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Birding

Du ahnst es vielleicht schon: Im Wort Birding steckt der englische „bird“. Unter Vogelfreunden ist das ein Schlagwort für die Beobachtung der gefiederten Tierwelt – im Feld, wie man so schön sagt. Also draußen. Ein paar Anmerkungen dazu findest du → hier.

Frau mit Fernglas beobachtet etwas in der Ferne

Mit Fernglas und Kamera auf Vogel-„Jagd“ zu gehen, ist mancherorts geradezu ein Sport und von Wetteifer geprägt. Ich halte aber wenig davon, möglichst viele und auch seltene Arten aufspüren zu wollen, um sie akribisch in Listen zu erfassen. Mein Ding ist: stehen bleiben, lauschen und schauen, was Tiere so treiben.

Textes en français

Si cela t’intéresse: Ma chère amie Annie Riou a traduit quelques articles du blog en français. Et depuis 2023 Juliette Rakei, étudiante de la zoologie à Berlin et bilingue, fait des traductions. Merci! Tu les trouves ici.

Vogel des Jahres

Drei dunkle Hausrotschwänze in einer Grafik. Links der weibliche Vogel rechts davon der männliche, beide mit roten Schwanzfedern. Der männliche Vogel ist an weißen Federn am Kopf und auf den Flügeln zu erkennen. Ganz rechts auf der Grafik und neben den Eltern ein dunkelbraun-grauer Jungvogel.

2025 Der Hausrotschwanz

Zwei schwarz-weiße Vögel mit teils schillernden Flügeln stehen sich gegenüber, unter ihnen ein kleiner Jungvogel.

2024  Der Kiebitz

Zwei Braunkehlchen sitzen auf einer Distelblüte, es sind Männchen und Weibchen.

2023  Das Braunkehlchen

Ein Rotkehlchen hockt auf einem Ast und füttert mit einem Wurm, den es im Schnabel hält, einen Jungvogel.

2022  Das Rotkehlchen

Wiedehopf mit gesträubter Haube - Ausschnitt aus einer Grafik im "Naumann" Bd.IV

2021  Der Wiedehopf

Eine rosabrüstige Taube sitzt auf einem Ast und blickt mit ihrem roten Auge zu uns.

2020  Die Turteltaube

Vier Lerchenvögel, in der Mitte ein adultes männliches Tier mit kleiner Holle.

2019  Die Feldlerche

Männlicher und weiblicher Star im Frühjahr im Prachtkleid - mit weißen Tupfern auf schwarzem Grund - auf einen Zweig sitzend.

2018  Der Star

Ein Waldkauz sitzt auf einem Ast; kolorierte Zeichnung aus Brehms Tierleben.

2017  Der Waldkauz

Ein Waldkauz sitzt auf einem Ast; kolorierte Zeichnung aus Brehms Tierleben.

2016  Der Stieglitz

Seevogel des Jahres

Drei schwarzköpfige Möwen im sogenannten Prachtkleid oder Brutkleid. In der Mitte steht die Lachmöwe mit orangerotem Schnabel und ebensolchen Beinen.

2025  Die Lachmöve

Ein Waldkauz sitzt auf einem Ast; kolorierte Zeichnung aus Brehms Tierleben.

2024  Der Sterntaucher

Brandseeschwalbe mit schwarzem Schädel und Mähne steht auf einem Felsen am Meer.

2023  Die Brandseeschwalbe

Ein möwenartiger Vogel steht auf einem Felsstein im nordisch anmutenden Meer

2022  Der Eissturmvogel

Der Jahresseevogel 2021 als Zeichnung: Zwei Weißwangengänse mit weißer Stirn und weißer Kehle vor einem nordischen Meer mit steilen Felsen.

2021  Die Weißwangengans

Auf einem Felsvorsprung am Meer steht eine Fluss-Seeschwalbe mit deutlich schwarzer Schnabelspitze. Links eine Zwergseeschwalbe und hinter ihr eine Küstenseeschwalbe.

2020  Die Fluss-Seeschwalbe

Eine schwarzweiß gemusterte Eiderente mit pfirsichfarbener Brust paddelt mit den Füßen im grünlich Meerwasser.

2019  Die Eiderente

Drei Sandregenpfeifer stehen am Meeresstrand. Links das Weibchen, rechts ein blasser gefärbter Jungvogel und in der Mitte das Männchen auf einem Stein. Jungtier

2018  Der Sandregenpfeifer

Vier Eisenten hocken auf Steinen im Wasser: großes männliches Tier mit brauner Brust, helleres weibliches Tier und zwei ebenfalls helle Jungvögel.

2017  Die Eisente

Drei Basstölpel in verschiedenen Altersstufen: weißes Baby, dunkler Jungvogel und weißer Altvogel mit gelblichem Kopf.

2016  Der Basstölpel

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