Die Kanadagans ist eine beeindruckende Erscheinung und größer noch als die ihr ähnliche Weißwangengans, auch Nonnengans genannt.
Sie zählt in Europa zu den eingewanderten Tierarten, den Neozoen, lebt und brütet seit rund 50 Jahren auch in Deutschland.
Einerseits verhält sich diese ursprünglich nordamerikanische Gänseart äußerst territorial. Andererseits gilt die Kanadagans als sehr soziale Vogelart und ist Menschen gegenüber frappierend zutraulich.
Von Jung und Alt läßt sie sich vor allem im Winter gerne füttern. Und wer sich die Zeit nimmt, kann an ihr auf unseren Gewässern viel „Gänsetypisches“ beobachten … und hat beste Unterhaltung. Kostenfrei!
Mir begegnet die Kanadagans alljährlich im Winter am Wannsee, wenn eifrige Berliner und Berlinerinnen die Höckerschwäne und Stockenten, die Graugänse und Blässhühner regelmäßig füttern.* Übrig gebliebene Krümel und Haferflocken holen sich später Amseln, Blau- und Kohlmeisen, Rotkehlchen, Kleiber und andere kleine Singvögel.
Höckerschwan & Co. kennen diese mit Futter bepackten Männer und Frauen genau, sie laufen ihnen bereits vom Wasser aus über den Strand entgegen, fressen den Menschen teilweise aus der Hand. Andere Wasservögel kommen aus größerer Entfernung angeflogen, wenn sie bemerken: Da tut sich was am Ufer.
Beobachtungen aus der Nähe
Die Kennzeichen der Kanadagans sind die schwarz-weiße Kopfzeichnung und ein schwarzer Nacken, das Gefieder ist weitgehend sepiabraun, der Bauch jedoch weiß. Pechschwarz sind der Schnabel und die Füße. Wie Ringel- und Weißwangengans gehört die Kanadagans in die Gruppe der Meergänse, also zur biologischen Gattung Branta. Ihr wissenschaftlicher Name lautet Branta canadiensis.
Dort, wo Vögel gefüttert werden und besonders zutraulich sind, können wir sie in Ruhe betrachten – ohne zu stören. Das heißt, die Tiere machen das, was nötig ist und ihnen gut tut: etwa im Wasser herumpaddeln, auf dem Strand ruhen wie Jungschwan und Stockentenerpel, auf einem Bein stehen wie die Kanadagans.
Eindrucksvoll ist immer wieder die akribische Gefiederpflege bei Vögeln und erstaunlich sind all die Verrenkungen, die sie dabei machen. Da stellt sich zum Beispiel die Frage, was das rückwärts gerichtete Scheuern des Kopfes auf dem Gefieder soll. Die Antwort ist plausibel: Es dient der Pflege des Gesichts, insbesondere der Augen. Selbst wenn diese Region mit dem Fuß erreichbar wäre, ist das weiche Federkleid sicher ein geeigneterer „Waschlappen” als der kräftige, krallenbewehrte Fuß.
Kanadagans und Kanadaganter
Wer Gänse länger beobachtet, sieht Kabbeleien unter Artgenossen und zwischen Arten, enge und sich auflösende Familienbande, neue und alte Liebschaften. Berichten möchte ich von zwei Kanadagänsen, die einander nicht aus den Augen ließen. Im Gemenge der Höckerschwäne, der Stockenten und Graugänse waren sie immer nah beieinander – und nicht nur das.
Während viele Singvögel sich in jeder Saison neu verpaaren und dazu unter anderem mit großem Einsatz singen, ist von Gänsen allgemein bekannt, dass sie keine verführerischen Gesangskünstler sind. Bekannt ist aber auch, dass sie längerfristige eheartigen Verbindungen eingehen.
Tiere, die einander jahrelang verbunden sind, haben allerlei angeborene, genetisch fixierte Verhaltensmuster, mit denen sie solche Bindungen aufrechterhalten. Dazu zählt bei Affen das „Groomen“, eine gegenseitige, angenehme Fellpflege, und bei manchen tropischen Vogelarten sorgt der Duettgesang für andauernden Zusammenhalt.¹
Mit solchen, meist ritualisierten Verhaltensweisen pflegen Tiere – auch außerhalb der Fortpflanzungszeit – ihre langjährigen Paarbeziehungen. „Pflegen“ ist hier das richtige Wort. Denn es heißt nicht umsonst: von nichts kommt nichts. Was also machen die Kanadagänse, das den eheartigen Zusammenhalt fördert, die Fortpflanzung sichert und verpaarte Individuen auch in unseren Augen als Paar kenntlich macht?
Nähe: Da ist zum einen die geringe Distanz zwischen ihnen. Entweder stehen, ruhen, schwimmen und laufen beide nebeneinander, oder eine Gans folgt der anderen, so dass der Abstand kaum größer ist als ein Meter.
Abgrenzung: Gegenüber Artgenossen, männlichen wie weiblichen, benehmen sie sich abweisend – also territorial. Kommt eine andere Kanadagans ihnen zu nahe, wird er oder sie von einem der beiden oder gleichzeitig von beiden „Ehepartnern“ vertrieben.
Beim Drohen wird der Hals vorgestreckt, und es wird mächtig geschnattert. Hier folgt ein Beispiel im offenen Wasser am Rand der Eisfläche. Der Kontrahent hat bereits das Weite gesucht, die Erregung des Ganters hält aber noch an.
Der Kontrahent wurde „weggedroht“.
Kontrollfunktion: Erkennbar fungiert das Männchen als Bewacher und Beschützer des Paares. Fast immer ist sein Hals besonders hochgestreckt – er behält quasi den Überblick. Dieses Verhalten entspricht seiner Aufgabe als angehender Familienvater: Während nämlich nur das Weibchen brütet, hält sich der Ganter oder Gänserich in der Nähe des Nestes auf und vertreibt rigoros unerwünschte Artgenossen und artfremde Tiere.
Rituale: Besonders faszinierend ist das intensive, ritualisierte Kontaktverhalten bei Gänsepaaren. Was auf den ersten Blick aggressiv wirkt, erweist sich bei genauer Betrachtung als freundschaftliche, den Zusammenhalt untermauernde Geste. Es lässt sich als Liebesbeweis verstehen.
Wie dieses Paar bereits Mitte Dezember seine Zusammengehörigkeit zelebriert und Verhaltensweisen aus dem Kontext der Fortpflanzung, der Balz, vorführt, das soll der folgende Vidoeausschnitt illustrieren.
Ritualisierte Gesten und schnatternd-knurrendes Liebes“geflüster“ unter Kanadagänsen
Genau beobachtet und detailliert beschrieben wurde der Ablauf des Balzverhaltens bei Gänsepaaren schon vor über 100 Jahren von dem großartigen Verhaltensbiologen und Ornithologen Oskar Heinroth.²
Übrigens: Andere Kanadagänse demonstrierten am eiskalten Wannseeufer nicht so eindrücklich ihren Paarzusammenhalt. Ob sie das machen oder lieber auf dem Sand dösend Energie sparen, ist auch eine Frage der Witterung.
Das besondere Paar
Auf die Entwicklung einer freundschaftlichen Verbindung bin ich besonders gespannt. Unübersehbar hat sich eine rotfüßige Graugans in eine Kanadagans verguckt. Das könnte ein vorübergehendes Ereignis sein, denn Graugänse schließen sich im Herbst und Winter gerne anderen Gänsen an.
Es könnte aber mehr dahinter stecken. Denn dass sich Kanadagans und Graugans verpaaren, kommt vor.³ Die Jungen der artverschiedenen Eltern wären dann Hybride. Solche Hybridisationen sind in der Zoologie unerwünscht und ergeben sich am ehesten bei Gefangenschaftshaltung, wenn Partner oder Partnerin derselben Art fehlen.
Über das biologische Geschlecht der beiden Vögel bin ich mir nicht ganz im Klaren. Aber vermutlich ist die Graugans der männliche Part, also der Ganter. Ich bin gespannt, ob ich die beiden nochmals wiedersehehen.
* Altes Brot verbietet sich natürlich, Sämereien und z.B. Haferflocken sind hingegen willkommen.
** Männliche und weibliche Gänse unterscheiden sich im Verhalten. Dieser Ganter ist gut wieder zu erkennen: Er hat weiße Federchen über den Augen, die wie helle Augenbrauen wirken. Aus der Ferne sehen sie wie die eigentlichen Augen aus. Diese sind aber schwarz. Womöglich hat er Vorfahren, die einer Unterart (Branta canadiensis moffitti) entstammen. Für sie ist ein weißer Stirnstrich typisch.
¹ Carl J. Erickson: Natur und Funktion der Paarbindung, S. 438 – 448 in: Grzimeks Tierleben, Bd. Verhaltensforschung (Hrsg. Klaus Immelmann)
² Oskar Heinroth: Beiträge zur Biologie, insbeondere Psychologie und Ethologie der Anatiden, Verh. V. Int. Orn. Kongr. Berlin 1910, S. 589 – 702
³ Sébastien Reeber: Entenvögel, Kosmos, Stuttgart 2017, S. 278
Kanadagans | Bernache du Canada | Canda Goose | Branta canadiensis
Wunderbar beobachtet und erklärt, wirklich sehr gelungen!
Danke! Über Ihre Rückmeldung freue ich mich natürlich sehr.