Manchmal kommt uns beim Vogelgucken der Zufall zu Hilfe. So erging es mir mit dem Bluthänfling. Ich habe diese Finkenart zufällig in drei verschiedenen Habitaten und in drei aufeinander folgenden Monaten beobachten können: im April, Mai und Juni. Jedes Mal um den 20. des Monats herum.
Dies ist insofern spannend, als die Aufnahmen zeigen, was in der Ornithologie wohlbekannt ist:
Das Federkleid des männlichen Vogels verändert sich im Jahreslauf, von Monat zu Monat. Manche sprechen hier von Saisondimorphismus¹. Der Scheitel und das Brustgefieder werden nämlich vom Frühjahr bis in den Sommer immer „blutroter“. Johann Friedrich Naumann, der Begründer der deutschen Ornithologie, drückt das in seinem Hauptwerk Naturgeschichte der Vögel Mitteleuropas (1887-1905, 3. Aufl., Bd. III) so aus, Seite 315
Es ist eine höchst merkwürdige und unbegreifliche Erscheinung, dass jene rote Farbe, die sich gleich nach der Mauser im Herbst nur in blasser, schmutziger, bläulicher Anlage zeigt, nach und nach schöner wird, in ein helles Blutrot und endlich sogar in ein hohes prachtvolles Karminrot übergeht, ohne dass ein Federwechsel oder sonst eine merkliche Veränderung mit den Federn stattfände.
Demgegenüber ist und bleibt das bräunliche Gefieder der weiblichen Hänflinge schlicht. Ihr unauffälliges „Schlichtkleid” unterscheidet sich deutlich vom Gefieder männlicher Bluthänflinge – vor allem vom „Prachtkleid” zur Brutzeit.
Um die saisonale Veränderung ein wenig zu illustrieren, gehe ich in der Zeitachse rückwärts und zeige zunächst, wie Herr Bluthänfling im Sommer aussieht, wenn das Brutgeschäft schon weitgehend abgeschlossen ist und bald der Gefiederwechsel ansteht.
Sommer: 20. Juni
Selbst aus großer Entfernung leuchtet bei den männlichen Vertretern die Brust im Frühsommer „blutrot“. Daher der Name Bluthänfling. Früher wurde die Vogelart, die mit dem Buchfink und dem Stieglitz verwandt ist, auch als Rotbrüstiger Hänfling oder Rothänfling bezeichnet.
Ich sah dieses Männchen in der Nähe von Großbeeren bei Berlin, wo eine weitläufige, stark besonnte Wiese und trockenes, aufgeschichtetes Altholz verschiedene Vogelarten zum Bleiben und Nisten einladen.
Frühjahr: 19. Mai
Im Mai habe ich ein Bluthänflingspaar in einer ganz anderen Region beobachten können, nämlich an der Wesermündung, wo die feuchten Wiesen des Deichvorlands an die Nordsee stoßen. Männchen und Weibchen waren wiederum von meinem Standort weit entfernt, so dass ich immer nur auf einen Vogel fokussieren konnte. Es war das farbenprächtige Männchen.
Dass die Weibchen schlichter getönt sind, ist natürlich kein Zufall, sondern Folge der Selektion: ein bräunlich gefiederter Vogel ist gut getarnt und wird von potentiellen Prädatoren – wie Sperbern, Falken, aber auch Elstern – nicht so leicht entdeckt.
Zeitiges Frühjahr: 20. April
Bereits im April konnte ich im Gebiet des Nuthe-Nieplitz-Naturparks ein Hänflingspaar beobachten, nachdem ich zuvor dem Zilpzalp zugehört hatte.
Die Schilfhalme standen zu dieser Zeit noch im winterlichen Blassgelb am Ufer der Fischteiche, und die Schwarzerlen waren noch völlig blätterlos.
Das Hänflingspaar war offensichtlich mit dem Nestbau beschäftigt.
Vermutlich widmete sich das Weibchen schon dem Auskleiden des Nestes von innen. Denn vor allem dafür suchen die Vögel nach feinen Materialien. Das kann Schafwolle sein, aber auch die pflanzliche Wolle von Weiden, Pappeln oder Disteln.
Naumann beschreibt das Nest, das sich nicht hoch oben in Bäumen befindet, sondern eher bodennah oder auf Augenhöhe so, Seite 319
Das Nest ist ein dickes Flechtwerk, nicht ganz kunstlos, aber auch nicht besonders schön gebaut… Die äußere Lage bilden einige gröbere Stengel und Halme oder Quecken, dann folgt ein dickes Geflecht von feinen braunen Würzelchen, die zuweilen mit Wollklümpchen und Fäden durchwebt sind… Es ist ein weiches warmes Nestchen.
Das hört sich auf jeden Fall sehr einladend an. Zurück zu den Farben:
Im April ist das Brustgefieder der Männchen zwar rosa getönt, aber keineswegs so „blutrot“ wie im Sommer. Die Hänflingsdame trägt wie immer ein schlichtes Federkleid in Brauntönen. Sie entspricht ziemlich genau dem, was nicht nur englisch sprachige Birder oder Ornis als „LBB“ bezeichnen – als „Little Brown Bird“.
Wer vogelkundlich nicht vorgebildet ist, wird diese „kleinen braunen Vögel“, zu denen viele Singvogelarten gehören, kaum voneinander unterscheiden können. Ein gutes Fernglas, ein Bestimmungsbuch und ein Foto, das wir später am PC auswerten können, sorgen allerdings für ein immer besseres Unterscheidungsvermögen.
Federkleid des Bluthänflings
Weil das Federkleid von Bluthänflingen so unterschiedlich gefärbt sein kann, wurde zeitweise bezweifelt, dass es sich um eine Art handelt. Allerdings hebt schon Johann Friedrich Naumann in seiner Naturgeschichte der Vögel Mitteleuropas die Farbunterschiede dieser Finkenvertreter hervor.
Eine Grafik (Bd. 3, Tafel 38) aus dem „Naumann“ zeigt oben links das Männchen, rechts das Weibchen, darunter ein Junges und links davon einen Jungvogel im Herbst.
Darunter dann drei Berghänflinge.
Beim Lesen des Kapitels bin ich über eine spezielle Anmerkung gestolpert. Der angesehene Ornithologe aus Köthen in Sachsen-Anhalt notiert dort, dass männliche Bluthänflinge in Gefangenschaft – sei es in der Wohnung oder draußen in Volieren untergebracht – nicht ihre schöne Färbung entwickeln.
Und er beschreibt ausführlich, dass Jungvögel nach der ersten Mauser in Gefangenschaft ihre rötliche Gefiederfarbe zunehmend verlieren und nicht wieder bekommen.
Das Rot geht verloren,
wenn man im Herbst ein fertig gemausertes Männchen einfängt und einsperrt … in weniger denn zwei Monaten ist alles Rot am Gefieder verschwunden oder allenfalls in Strohgelb verwandelt, das auch bald vergeht und so wenig wie jenes jemals wiederkehrt, solange der Vogel in Gefangenschaft bleibt.
Das war früher eine wichtige Information, wo es üblich war, Singvögel in Käfigen zu halten und zu züchten. Als „Stubenvögel“ wurden sie bezeichnet. Denn Vogelkäfige standen – gewissermaßen statt eines Fernsehers – oft in der Wohnstube. Die Stubenvögel haben allerdings, wie auch die „gute Stube“, begrifflich ausgedient.
Und warum geht die rote Farbe in Gefangenschaft verloren oder entsteht erst gar nicht? Die Vogelhalter haben im 19. Jh. allerlei ausprobiert, insbesondere ernährungstechnisch und im Hinblick auf das Sonnenlicht, das in Innenräumen ja fehlt und für ausschlaggebend gehalten wurde. Auf das richtige Rezept kam man damals jedoch nicht. Heute ist klar, dass es an speziellen Inhaltsstoffen des Futters liegt. In der Natur wählen die Vögel das „Richtige” aus, heutige Vogelhalterinnen oder Vogelzüchter helfen manchmal mit chemisch angereichertem Spezialfutter nach.
Wie entstehen die rötlichen Partien?
Das Rot bildet sich durch Farbstoffe in der Nahrung, es handelt sich nicht um Strukturfarben.
Nach der Mauser im Spätsommer sind die männlichen Vögel zunächst recht unauffällig – also vornehmlich bräunlich getönt wie die Damen. Nur ein leichter Rosaschimmer ist bei den Herren auf Brust und Scheitel zu entdecken. Im Laufe der Zeit stoßen sich die feinen Enden der Federchen aber ab, dadurch kommen ihre rötlichen Abschnitte zum Vorschein – und dominieren im Frühjahr zunehmend das Brustgefieder und den Scheitelbereich am Kopf.
Vergleichbar ist der Prozess mit den saisonalen Veränderungen beim Star, obgleich der Effekt gegenläufig ist: Nach der Mauser und den Winter über, wirkt das schwarze Gefieder wie weiß gepunktet und fasziniert uns ganz besonders. Das liegt an den hellen Federsäumen. Mit der Zeit stoßen sich diese ab, so dass Stare im Frühsommer (nur noch) blau-schwarz schimmern.
¹ Dimorphismus meint genau genommen eine Zweigestaltigkeit, hier handelt es sich jeoch eigentlich um eine eher kontinuierliche Veränderung. Allerdings ist der Unterschied zwischen Herbst und Frühsommer besonders frappant.
Bluthänfling | Linotte mélodieuse | Linnet | Linaria cannabina = Carduelis cannabina
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