Zweigsänger ist ein wundervoller Name für jene Vögel, die sich mit ihren langen Zehen an einen Zweig klammern, wenn sie singen.
Sie erheben sich nicht hoch in die Luft – wie die Feldlerche – um ihren Gesang hinaus zu schmettern; jedenfalls meistens nicht.
Zu den Zweigsängern gehören unter anderem über 20 Grasmückenarten, etwa die Mönchsgrasmücke, die Dorngrasmücke und auch die Brillengrasmücke, die ich auf Lanzarote sah.
Was für Namen! Nicht nur die Mönchsgrasmücke mit schwarzer Kappe trägt ihren Artnamen zu Recht, sondern auch die Brillengrasmücke: Ihre dunklen Augen sind jeweils von einem hellen Ring eingefasst. Wie eine Brillenträgerin sieht sie aus; vor allem die „bunteren” Herren.
Wer bei uns im Sommer mal eine Dorngrasmücke gesehen hat, kann sie mit dieser verwechseln. Aber die Brillengrasmücken sind deutlich kleiner, und ihr Gefieder ist etwas stärker getönt – wie man zum Beispiel im Kosmos Vogelführer sieht (Lars Svensson, Stuttgart 2017, 2. Aufl.).
Und schließlich: Die Brillengrasmücke kommt das ganze Jahr über im nördlichen Afrika und auf den Kanaren vor. Sie ist dort ein Jahresvogel – kein Sommergast wie die Grasmückenarten, die bei uns im Frühjahr einfliegen. Mir begegnete die bebrillte Art im Februar, zwischen Vulkankegeln in einem Trockental bei Yaiza. Wie üblich waren der Zufall und ein wenig Glück dabei.
Stehen bleiben und lauschen
Ich war eigentlich auf der Suche nach dem Turmfalken, der hier über dem steppenartigen Gelände seine Kreise dreht. Als ich den ansteigenden Weg langsam hochging und mich mit dem Fernglas umschaute, hörte ich plötzlich einen Gesang, den ich so nicht kannte. Das war kein Piepsen, sondern ein durchaus beeindruckendes Lied mit etwas ratternden Elementen und hohen Pfeiftönen.¹
Übrigens hätte ich den hübschen Sänger wohl nicht gehört, wenn an diesem Tag der starke Wind der letzten Tage noch geweht hätte. Und auch nicht, wenn ich auf dem knirschenden Vulkanschotter unermüdlich und ohne Stopps den Weg hochgelaufen wäre.
Ein Sänger, der sich laut hören lässt, den kann man als Vogelfan auch relativ leicht entdecken: Die grau-braune Grasmücke saß auf einem Wolfsmilchgewächs, der oleanderblättigrigen Kleinie. Diese Euphorbien gehören zum typischen und ursprünglichen Bewuchs von Lanzarote und anderer Kanareninseln. Sie brauchen viel Sonne und nur wenig Wasser.
Etagenwechsel: sicher ist sicher
Um die Brillengrasmücke nicht zu stören, hatte ich mich auf einen entfernten Felsbrocken gesetzt. Aber ganz glücklich war der kleine Vogel damit nicht und flog bald eine Etage tiefer – auf ein blattloses Dorngestrüpp –, wo er sich weniger von seinem Umfeld abhob.
Es dauerte nicht lange und er begann erneut, sein Lied zu schmettern, um so ein Revier zu markieren oder eine der unauffälliger gefärbten Grasmückendamen anzulocken. Entdeckt habe ich allerdings keine. Vielleicht ging es dem eifrigen Sänger ähnlich, irgendwann düste er jedenfalls davon.
¹Wer sich für Vogelstimmen besonders interessiert, dem empfehle ich an dieser Stelle die App „Stimmen der Vögel Europas“ von Hans-Heiner Bergmann u.a. (Aula-Verlag 2018). Sie ist auch auf Reisen ein guter Begleiter.
Brillengrasmücke | Fauvette à lunettes | Spetacles Warbler | Sylvia conspicillata
Vielen Dank für den interessanten Beitrag über die Brillengrasmücke. Er erinnerte mich an meine erste Begegnung mit dieser spannenden Art. Das war vor vielen Jahren auf der Insel La Palma. Ich bemerkte einen kleinen Vogel, der wenige Meter vor meinen Füßen in einem gelb blühenden Busch verschwand, bei dem es sich wohl um eine Ginsterart handelte (spanischer Name: codeso). Ich wollte natürlich wissen, um welche Vogelart es sich handelte, und ging näher an den Busch heran. Er war mehr oder weniger kugelig
gewachsen und hatte einen Durchmesser von etwa zwei Metern – insgesamt also eine übersichtliche Angelegenheit. Zumindest dachte ich das auf den ersten Blick. Allerdings verhinderten die dichten Zweige und die vielen Blüten dieses Strauchs, dass man ins Innere schauen konnte. Da ich mir sicher war, dass der Vogel sich noch in diesem Busch befand, umrundete ich den Strauch mehrmals und versuchte, dessen inneren Bereich ins Auge zu nehmen, ohne allerdings die Zweige auseinander zu ziehen, denn ich wollte den kleinen
Vogel ja nicht verscheuchen. Das dauerte so etwa eine halbe Stunde.
Als ich schon drauf und dran war aufzugeben und weiterzugehen, bemerkte ich, dass der fragliche Vogel seinen Kopf direkt über dem Boden ganz vorsichtig aus der Deckung der Zweige vorstreckte und mich mit einem Auge ansah – eine Wange direkt an den Boden geschmiegt, die andere Kopfseite mir zugewandt. Kurz darauf nahm der Vogel ungestüm Reißaus.
Dieser kurze Moment „Auge in Auge“ reichte mir, um das Vögelchen als Brillengrasmücke zu bestimmen – es war, wie gesagt, meine erste Beobachtung dieser mediterranen Spezialität.
Erstaunlich fand ich die Furchtlosigkeit, aber vor allem auch die Ausdauer des kleinen Vögelchens, das fast eine halbe Stunde lang auf die Deckung der Zweige und Blüten vertraute. Es wäre ihm ein Leichtes gewesen, auf der mir abgewandten Seite einfach wegzufliegen, aber das tat er nicht. Wollte wohl auch wissen, wer ihm da so lange auf die Nerven ging. Klein, aber oho! Chapeau!
Welch wunderbarer Kommentar. Danke @Elmar Kreihe! Auch ich bin immer total fasziniert, wenn ich längere Zeit bei einem Vogel stehe, ihm zuschaue und dann realisiere, dass nicht nur ich ihn beobachte, sondern er mich auch. Und wenn man sich in die Augen schaut, sind das wirklich besondere Augenblicke.
Kleine Ergänzug für alle, die auch eine Brillengrasmücke sehen wollen. Dafür muss man nicht nach Nordafrika oder die Kanaren reisen, sie kommt im ganzen westlichen mediterranen Raum bis Italiens Ostküste vor. Und — großes Wunder — voriges Jahr hat ein Paar erfolgreich in der Eifel gebrütet. Das kam vom Wetter zwar hin, ist aber trotzdem höchst erstaunlich. Mal sehen, ob sie wiederkommen…
Danke für diese kleine Ergänzung und dein Lob kürzlich. Offenbar ist die Eifel wirklich ein Hot Spot der Vogelwelt. Und falls sich die Brillengrasmücke wieder dort einfindet, dann würde ich mich über eine Info sehr freuen.