Die Uferschnepfe ist ein Phänomen: nicht nur wegen ihres extrem langen Schnabels und ihrer ewig langen Beine, sondern auch deshalb, weil sie als weitreisender Zugvogel problemlos in Höhen von 4.000 bis 6.000 m fliegt.
Die Kälte dort oben macht ihr nichts aus, und die Windbedingungen weiß sie geschickt zu nutzen. Leider ist dieser große Watvogel, der wie der Säbelschnäbler und der Rotschenkel zu den Regenpfeifferartigen zählt, hierzulande nur selten zu sehen. Und das liegt nicht daran, dass er sich schon im Juni – also kurz nach der Brut – wieder auf den Weg nach Süden macht. (Ich komme darauf zurück.)
Markenzeichen der Uferschnepfe
Der Rumpf einer Uferschnepfe ist etwa so groß wie der einer Taube. Doch durch die langen Beine und den rund 10 cm langen Schnabel wirkt der langhalsige Vogel gänzlich anders, wenn er am Ufer oder im Flachwasser unterwegs ist. Der Schnabel ist zur Brutzeit gelb, sonst gelblich-rosa gefärbt. Die Spitze ist immer dunkel.
Dass der Schnabel absolut gerade ist, hilft uns, die Uferschnepfe von dem nahverwandten Brachvogel zu unterscheiden, denn dessen imposanter Schnabel ist abwärts gebogen. Auch die Pfuhlschnepfe hat einen auffälligen Schnabel: Er ist aber nicht ganz so lang und leicht aufwärts gebogen. In der Biologie sagen wir, „er ist aufgeworfen“.
Im Übrigen ist die Pfuhlschnepfe durch kürzere Beine ganz offensichtlich kleiner.
Und während diese bei uns nur als durchziehender Gast an Meeresküsten zu beobachten ist, lebt und brütet die Uferschnepfe an Flussniederungen und flachen Ufern von Binnengewässern. Auch hierzulande.
Männliche und weibliche Uferschnepfen tragen ein oberseits bräunliches Federkleid. Die Unterseite ist heller, wird zu Beginn der Fortpflanzungszeit streifiger und verfärbt sich an Hals und Brust rostbraun. Dieses Prachtkleid ist bei den Herren etwas ausgeprägter, ansonsten unterscheiden sich die Geschlechter bei der Uferschnepfe wenig. Allerdings sind die Damen im Schnitt etwas größer. Auch ihre Flügel sind um 2 cm länger, und der Schnabel misst im Mittel 1 cm mehr.
Wenn der Vogel auffliegt, sieht man seine beachtliche Flügelspannweite von rund 70 cm und zugleich seine schöne Flügelzeichnung. Aber dazu später.
Feuchte Wiesen sind beliebt
Das frühsommerliche Verbreitungsgebiet der Uferschnepfe ist riesig: Es erstreckt sich von Island über Westeuropa bis nach Mittelsibirien und erreicht einzelne Regionen Ostasiens. Dennoch gelang es mir bisher nicht, die auffällige Schnepfe in Norddeutschland, wo sie vor allem auf Feuchtwiesen und im Niedermoor brütet, aus der Nähe zu beobachten. Kein Wunder: Gerade in Westeuropa sind jene Biotope verloren gegangen (besser gesagt vernichtet worden), die der Vogel braucht und liebt.
Vor über 50 Jahren hat Klaus Kirchner in der Monographie Die Uferschnepfe (Die Neue Brehm-Bücherei, Bd. 413, 1969 Wittenberge/Magdeburg) den Lebensraum des langbeinigen Vogels detailreich beschrieben. Doch seither hat sich durch Trockenlegung von Mooren, durch eine naturunverträgliche Bewirtschaftung von Wiesen und Agrarflächen, schließlich durch neu ausgewiesene Bebauungsflächen auf dem Land einiges geändert.
Klaus Kirchner, der in Holstein lebte, kannte zu Lebzeiten noch viele Brutplätze und schrieb, Seite 14
Wir finden die Uferschnepfe (…) ihrer Vorliebe für Grasland mit nicht zu tiefem Grundwasserstand zufolge fast ausschließlich im Norden und dort vorwiegend in den Marschen und in den Niederungen der größeren Flüsse, so an der Ems bis hinauf zum Niederrhein, am Dümmer, an der Weser, im Wümme- und Hammegebiet, im Blockland und St. Jürgensland und an der Niederelbe … vom Alten Land über Stade bis Kehdingen.
Auch die Brutgebiete an der Nordseeküste von Schleswig-Holstein, auf den Nordseeinseln und in kleineren Gebieten im Süden Deutschlands, zählt Kirchner auf. Daneben nennt er Vorkommen in Brandenburg, etwa auf den Elbwiesen bei Wittenberg.
Womöglich gibt es bei uns heute nicht einmal mehr 4.000 Brutpaare. Diese Zahl wurde rund 50 Jahre nach Kirchners Monographie im Atlas deutscher Brutvogelarten ADEBAR von 2014 publiziert. Doch sie ist sicher überholt. Und der Bestand sinkt und sinkt.
Mittlerweile zählt die Uferschnepfe in der Rote Liste deutscher Brutvögel zu den Arten, deren Bestand zu erlöschen droht. Immerhin: Auf naturgeschützten Wiesen, wie in der Wümmeniederung von Niedersachen und Bremen, brütet die Uferschnepfe noch. Das weiß ich aus sicherer Quelle.
Wo ansonsten Uferschnepfen noch Junge großziehen können, wird sich erst in ein paar Jahren zeigen, wenn der neue Brutvogelatlas erstellt ist.
Die systematische Erfassung von Brutvögeln in Deutschland für dieses Werk hat gerade erst begonnen.
Stochern im Modder
Während der deutsche Artname der Uferschnepfe auf den Lebensraum (Ufer) und auf den langen Schnabel (Schnepfe ist wohl eine Ableitung des germanischen Wortes für Schnabel) Bezug nimmt, machte man es sich mit dem wissenschaftlichen Bezeichnung einfach: Limosa limosa ist eine Doppelung des lateinischen Wortes für Schlamm limus beziehungsweise schlammig limosus. Das verrät Viktor Wember in seinem Klassiker Die Namen der Vögel Europas.
Hauptsächlich im Schlamm oder im weichen Grasboden – Norddeutsche sprechen hier von Modder – sucht die Uferschnepfe nach Nahrung. Manchmal sieht sie ein Beutetier, meist erfühlt sie es beim Stochern mit dem langen Schnabel. Wie der Austernfischer und andere Stocherer nimmt sie mit Tastrezeptoren an der Schnabelspitze Beute und deren Bewegungen wahr.
Beim Sondieren steckt der Vogel langsamen vorwärtsschreitend den fast senkrecht gehaltenen Schnabel in Schlamm oder Erde – bis zu 4,3 Einstiche pro Sekunde wurden gezählt.
Wenn ein Beutetier mit der sensiblen Schnabelspitze ertastet ist, stößt die Uferschnepfe meist kräftig nach, und der Schnabel verschwindet durchaus bis zum Ansatz. Zugleich wird er vorne leicht geöffnet und schnappt sich den Regenwurm, die Schnecke, den Wattwurm oder was auch immer.
Es ist meinen Fotos und Videos nicht unbedingt zu entnehmen, dass sie von einem kleinen Feuchtgebiet in der südlichen Küstenregion des Oman stammen. Hier bei Salala überwintern in Lagunen wie Khor al Dahriz viele Zugvögel. Oder sie legen dort – im Frühjahr aus Ostafrika und im Herbst aus Sibirien kommend – einen Zwischenstopp ein. Viele solcher Fernzieher sind Anfang Februar noch im Gefiederwechsel, wenn sie sich auf dem Frühjahrszug in ihre nördlichen Brutgebiete befinden. Darum liegen am Ufer der Lagune so viele Federchen. Es sind die verschlissenen, abgestoßene Federn von dort mausernden Vögeln.
Auch im Wasser sind Uferschnepfen kräftig am Stochern. Nicht selten stehen sie in „bauchtiefen“ Bereichen, so dass der Kopf und vielfach sogar der Hals der Schnepfe fast vollständig untertaucht. Das illustriert das folgende Video in Zeitlupe. Und wenn der Schnabel leicht geöffnet wieder auftaucht, ist darin meist eine kleine Beute versteckt.
Uferschnepfen ernähren sich nicht nur von „kleinem Getier“ im Boden, sondern in trockenen Regionen – oder wenn es im Brutgebiet an Feuchtigkeit fehlt – auch von Insekten, Käfern und Larven. Sie nehmen zudem im Winterquartier allerlei Sämereien auf. Dazu gehört auskeimendes Saatgut. Daher sind sie in afrikanischen und (mittel)asiatischen Gebieten auf Reisfeldern nicht gerne gesehen.
Zwischen Winterquartier und Brutplatz
Uferschnepfen sind Fernzieher – auch Weitstreckenzieher genannt. Manche der Vögel, die bei uns brüten, verbringen den Winter an der Atlantikküste Frankreichs, Portugals und Spaniens. Viele ziehen über Marokko und die Sahelzone weiter südwärts. Andere ihrer Artgenossen verbringen den Winter in Ostafrika oder im Mittleren Osten, etwa in Feuchtgebieten, die im Irak oder eben im Sultanat Oman liegen.
Unterschiedliche Zugstrategien
Von den Weißstörchen wissen wir, dass sie entweder Westzieher oder Ostzieher sind, die das Mittelmeer an Meerengen praktisch umfliegen, nämlich an der Straße von Gibraltar oder am Bosporus. Sie nutzen einen schmalen Korridor und gelten als Schmalfrontzieher. Uferschnepfen sind hingegen Breitfrontzieher: Von dort, wo sie gebrütet haben oder ausgebrütet wurden, ziehen sie südwärts beziehungsweise süd-westwärts – und zwar nicht in einer schmalen Schneise sondern quasi in breiter Front.
Im Oman hatte ich es mit Vögeln zu tun, die von Sibirien aus ihr Winterquartier angesteuert hatten und nun auf dem Zug in ihre nördlichen Brutgebiete waren. Sie trafen am Rand des Indischen Ozeans auf andere Watvögel, etwa die eleganten Stelzenläufer. Beide Arten sieht man allerdings nicht am Meer, sondern in flachen Binnengewässern.
Bei manchen Uferschnepfen ist zu erkennen, dass der Wechsel vom Ruhekleid zum Brutkleid bereits begonnen hat. Da verfärbt sich der Brustbereich zunehmend rostbraun und die helle Unterseite ist erkennbar gestrichelt. Vor dem Abflug ins nördliche Brutgebiet, wird jedenfalls wie bei diesen beiden Vertretern, unermüdlich gestochert.
Herbe Konflikte sind eher selten
Uferschnepfen gelten als ausgesprochen soziale Vögel, die nur währende der Brutzeit – also rund zweieinhalb Monate – territorial sind und dann außer dem eigenen Partner oder der Partnerin alle Artgenossen vertreiben.
Unter Reviernachbarn kann es im Brutgebiet also auch mal heftig zugehen.
Oft bleibt es jedoch beim Drohen durch Körperhaltungen und Rufe, die das Gegenüber versteht und ernst nimmt.
Nur manchmal kommt es tatsächlich zum Kampf, wobei die Vögel ihre Schnäbel wie eine Waffe einsetzen.
Wie Konflikte entstehen und beigelegt werden, konnte ich an der Lagune Khor al Dahariz beobachten: Viele Tiere sind darauf bedacht, dass bestimmte Abstände zwischen ihnen eingehalten werden. Kommt A dem B zu nahe, bahnt sich Ärger an.
In diesem Fall döste eine der beiden Uferschnepfen, während die andere auf Nahrungssuche war.
Die schläfrige ließ sich nicht weiter stören, war aber durchaus wachsam.
- Du stehst im Weg.
- Mach endlich Platz.
Und dann war es plötzlich passiert: Beide flogen, wie in der Grafik von Klaus Kirchner* abgebildet, laut rufend auf. Sie landeten jedoch kurz darauf wieder.
Der Konflikt war rasch bereinigt, denn beide Vögel setzten offenbar auf Deeskalation. Sie wichen einander aus und erzeugten einen sich ständig vergrößernden Abstand.
Warum Uferschnepfe A keinen Bogen um B gemacht hatte, blieb mir unverständlich. Vielleicht erwartete sie (oder er) gerade dort, wo B döste, gute Beute. Womöglich ging es um eine Machtdemonstration. Oder war B nach einer langen Flugstrecke aus Ostafrika kommend zu müde?
Schließlich der Abschied
Die vorherigen Aufnahmen verraten ja nicht unbedingt, wo sie entstanden sind. Das macht aber das Foto von einer abfliegenden Uferschnepfe. Insgesamt etwas unscharf, zeigt es Palmen und die arabische Architektur im Hintergrund der Lagune Khor al Dahariz.
Erkennbar sind außerdem wichtige Kennzeichen dieser Watvogelart: ein breites weißes Querband auf den Flügeln, eine schwarze Endbinde – also ein schwarzes Schwanzende, das im Englischen und Französischen namensgebend ist – und lange Beine, die im Flug hinten unter dem Körper herausragen.
Vielleicht noch das: Uferschnepfen fliegen nicht nur sehr hoch und weit, sondern sie werden auch sehr alt. Ein beringter Vogel, der tot aufgefunden wurde, hatte mindestens 17 Jahre gelebt. Sogar von 20jährigen wird berichtet.
*Die Grafiken habe ich mit Genehmigung der VerlagsKG Wolf in Magedeburg aus Die Neue Brehm-Bücherei Bd. 413 übernommen und leicht bearbeitet.
Uferschnepfe | Barge à queue noire | Black-tailed Godwit | Limosa limosa
Vielen Dank für den Blog, den ich seit Jahren mit Freude lese. Und wirklich traurig, dass es die Uferschnepfe in Deutschland so schwer hat. In Brandenburg gilt sie mittlerweile als ausgestorben, die letzten Vorkommen im Nationalpark Unteres Odertal sind erloschen. Immerhin besteht Hoffnung für sie auf den Wiesen des Polders Bugewitz, südlich des Anklamer Stadtbruchs in MV. In diesem Zusammenhang möchte ich einen kleinen Fehler korrigieren, die Stadt mit den Elbwiesen in Brandenburg heißt Wittenberge mit e. Wittenberg hat auch Elbwiesen, befindet sich aber in Sachsen-Anhalt. Das Umland beider Orte lohnt sich übrigens für Vogelbeobachter. Herzliche Grüße, Renate
Danke Renate für deine Hinweise, und ich werde den Fehler sofort korrgieren. Eigentlich sollte ich die zwei Städte unterscheiden können …