Kürzlich konnte ich an der Mündung der Weser zwischen Bremerhaven und Cuxhaven wieder allerlei Vögel auf dem Zug nach Norden und auch mehrere Brutvogelarten beobachten.
Dort, im Vordeichgebiet am naturgeschützten Wattenmeer, stehen die Chancen gut, auf den saftigen Wiesen die eine oder andere Schafstelze zu entdecken.
Und häufig brüten in der Nachbarschaft auch die Wiesenpieper. Diese zwei Arten sind sozusagen gute Nachbarn.
Generell rate ich beim Vogelgucken, zu Fuß unterwegs sein. Denn vom Auto aus sehen wir bis auf ein paar Greife so gut wie keine Vögel, und auch auf dem Rad fahren wir an den meisten Gefiederten vorbei. Und noch ein paar Beobachtungstipps unter vielen anderen: langsam gehen, mal länger stehen bleiben oder eventuell hinsetzen. Dann lassen sich auch Vögel blicken, die in Deckung gegangen waren, als wir uns annäherten.
Auf dem wunderschönen Pfad zum Vogelbeobachtungsturm bei Cappel-Neufeld hatte ich dieses Mal einen Fototermin mit Motacilla flava, also der Schafstelze, eingeplant. Sie kommt in Norddeutschland als Unterart Motacilla flava flava vor und wird mittlerweile auch als eigene Art betrachtet und als Wiesenschafstelze bezeichnet.
Ich war wie gesagt mit der Schafstelze – präziser der Wiesenschafstelze – zu einem Fototermin verabredet.* Wunschgemäß – und wie schon in anderen Jahren – stand sie auf einer Sitzwarte mit gutem Rundumblick.** Der Platz war kein Zufall: Von einem erhöhten Platz aus lassen sich Luftfeinde wie Wanderfalke oder Seeadler und Bodenfeinde früh entdecken, was zur Brutzeit besonders relevant ist.
Dazu lese ich in der schönen Monographie Die Schafstelze von Hartmut und Winfried Dittberner¹ auf Seite 74
Die Schafstelzen benutzen zur Brutzeit Sitzwarten, die den Nistbereich umgebende Vegetation möglichst überragen (…) Sofern Büsche und Bäume vorhanden sind, setzen sie sich häufig auf die Zweige. Auch außerhalb der Brutzeit sind sie nicht selten auf erhöhten Plätzen anzutreffen.
Das Foto mit einer einbeinigen Schafstelze mag irritieren, aber das ist nicht nötig. Dem Vogel fehlt kein Bein, gar nichts. Aber wo ist das andere?
Es ist angezogen und im gelben Gefieder der Unterseite verborgen. Wie auch andere Vogelarten ruht der Vogel auf einem Bein – und entlastet das andere.
Bei Johann F. Naumann, diesem grandiosen Vogelkenner und wissenchaftlich arbeitendem Ornithologen des 19. Jahrhunderts, heißt die Schafstelze übrigens noch „Gelbe Bachstelze“, denn damals wurden die Arten und Unterarten anders sortiert bzw. klassifiziert.
Auf jeden Fall hat Naumann das Gefieder der Schafstelze wunderbar beschrieben, darum möchte ich ihn wieder einmal zitieren. Er formuliert hinsichtlich der Farbnuancen so detailreich, dass ich immer wieder fasziniert bin.
Kein Wunder: Bücher waren im 19. Jahrhundert oft nicht illustriert oder das nur sparsam. Da kam es auf die Wortwahl an. Und für die vielen Menschen, die damals heimische Vögel in Volieren oder einem Vogelbauer hielten, war es wichtig, schön gefärbte Arten zu besitzen.
Vom kleinen Unterschied
Über das Erscheinungsbild der Schafstelze, der männlichen, lese ich im Hauptwerk von Johann F. Naumann Naturgeschichte der Vögel Mitteleuropas (kurz: im „Naumann“)², Seite 131
Das alte Männchen in seinem Frühlings- oder Hochzeitskleide ist ein gar schönes Vögelchen. An ihm sind die Stirn, der Scheitel und das Hinterhaupt bis in den Nacken schön bläulichaschgrau; ein weißer Streif fängt hinter dem Nasenloch an und zieht sich über das Auge weg …
Was die Oberseite samt den Flügeln angeht, beschreibt Naumann die einzelnen Partien des Gefieders so akribisch, dass ich mich lieber an die Charakterisierung im Der Kosmos Vogelführer von Lars Svensson (kurz: im „Svensson“)³ halte.
Oberseite grau-grünlich oder graubraun mit im Freiland kaum erkennbarem Olivton; Beine schwarz, mittellang …
Fototermin: Bitte zunächst von der Seite, im Profil.
Weniger begeistert ist Naumann übrigens vom Federkleid der weiblichen Vögel. Und leider merkt er hier nicht an, dass die mattere Farbgebung das brütende Weibchen und den Nachwuchs schützt. Tarnung eben.
Es heißt im Naumann also: Oberkopf, Genick und Wangen sind „bräunlich aschgrau“, der weiße Augenstreif ist „rostgelb überlaufen, überhaupt schmutziger“, und der Rücken ist „sehr schmutzig olivengrün oder olivengrau“, der Unterleib ist „bleichgelb“, auch ist der „Schnabel bleicher“.***
Recht trocken heißt es hingegen im Svensson über die weibliche Schafstelze, die in einem früheren Beitrag dieses Vogelblog als fütterndes Elternteil erscheint
Etwas matter gefärbt, vor allem auf der Brust.
Fototermin: Und nun bitte von vorne. Die Front und die Unterseite.
Über die Färbung der Unterseite schreibt der angesehene Ornithologe aus der Nähe von Köthen, Mitbegründer der Deutschen Ornithologischen Gesellschaft, äußerst passend, Seite 131
Von der Kehle an bis an den Schwanz sind alle unteren Teile von einem prächtigen Hochgelb, das … ein wenig ins Grünliche zieht, wie in manchen Blumen; eine ungemein schöne Farbe.
Wandelbare Schafstelze
Manchmal sieht die elegante Schafstelze, die mit der schwarz-weißen Bachstelze, der Gebirgsstelze und der Zitronenstelze nah verwandt ist, etwas zottelig aus. Dann hat sie sich, wie im nächsten Foto, gerade geschüttelt. Daher ist das Gefieder noch nicht richtig sortiert beziehungsweise noch nicht angelegt.
Als Ausguck und Sitzwarte nutzen Schafstelzen nicht nur kompakte Geländer und Pfosten, sondern mit ihren feingliedrigen Zehen und langen Krallen finden sie auch auf zarten, schwankenden Halmen und Blüten Halt.
Fototermin: Damit sind wir durch. Danke!
Aber damit das klar ist: Schafstelzen posieren nicht nur auf erhöhten Sitzwarten für Birder und Fotografinnen. Sie sind auf den feuchten Wiesen – ihrem bevorzugten Lebensraum – vor allem am Boden fleißig unterwegs. Hier befindet sich das Nest, und hier suchen sie nach krabbelnden, hüpfenden und fliegenden Kerbtieren, nach Schnecken und Spinnen. Viele Wege werden von ihnen laufend zurückgelegt, und das sieht bei der Nahrungssuche dann so aus.
Das kleine Video illustriert nicht nur das Verhalten bei der Nahrungssuche am Boden, sondern untermauert zudem den Vergleich, den Johann F. Naumann zwischen gelben Blüten und dem gelben Vögelchen macht – obwohl auf der Wiese an der Wesermündung weder Raps noch Sumpf-Wolfsmilch (Sumpfeuphorbie im Naumann) wächst, sondern Ende April gelber Löwenzahn blüht, Seite 136
Wenn im Frühlinge einer dieser Vögel, besonders das Männchen, auf einem blühenden Rapsstengel oder Sumpfeuphorbienbusche sitzt, so hat die dem Beschauer entgegen gesetzt prächtig gelbe Brust oft eine schönere Farbe als die Blumen jener Pflanzen und nimmt sich, zumal im Sonnenschein, vortrefflich aus.
* Ursprünglich wollte ich statt Fototermin mit Schafstelze etwas fetziger Fotoshooting mit Schafstelze titeln, aber braucht es diesen Scheinanglizismus überhaupt? Eher nicht. Und nach der Lektüre von Wikipedia habe ich mich umentschieden.
** Die Begrifflichkeit ist ein Dilemma, darauf hat bereits Hans-Heiner Bergmann in einem unterhaltsamen Text hingewiesen. Oft steht der Vogel – wie auch hier – auf dem Boden oder seiner Sitzwarte. Es ist üblich, bei Vögeln generell vom Sitzen zu sprechen, auch wenn es sich manchmal sogar um ein Liegen handelt …. Dazu Hans-Heiner Bergmann: Vogelbeine. Stehen, sitzen, hocken, Vögel, 2023, Nr. 3, S. 70-73, und kurz zusammengefasst im März 2023 in diesem Vogelblog.
*** Mit Begriffen wie schmutzig oder bleich charakterisiert Naumann allerdings bei anderen Vogelarten durchaus auch das Gefieder männlicher Vertreter.
¹ Hartmut Dittberner, Winfried Dittberner: Die Schafstelze, Die Neue Brehm-Bücherei, Nr. 559, 1984, Wittenberg/Lutherstadt und Magedburg.
² Lars Svensson: Der Kosmos Vogelführer, 2017, Stuttgart
³ Johann F. Naumann: Naturgeschichte der Vögel Mitteleuropas, 1887-1905, 3. Aufl., Bd. III
(Wiesen)Schafstelze | Bergeronnette printanière type flava | Blue-headed Wagtail | Motacilla flava
Tolle Fotos, vielen Dank!
Gruß, Susanne
Schön, dass sie dir auch gefallen.