Mehr und mehr bin ich von den Entenvögeln – in der wissenschaftlichen Terminologie Anatidae – begeistert. Ihre Vielfalt ist erstaunlich. Da gibt es langgestreckte und rundliche Formen, tiefliegende und aufrecht schwimmende Gestalten, farbenprächtige und zart geschmückte Arten. Kürzlich konnte ich die wunderbare Kolbenente beobachten, bei der Jungvögel und Weibchen gut getarnt unterwegs sind, während die Erpel in ihrem Prachtkleid echte Blickfänger sind.
In einem Yachthafen der Voralpenregion bot sich mir ein sonderbares Arrangement: Zwischen den Bootsrümpfen trieben sich sechs mausernde männliche Vögel herum – fast immer gut verborgen und auf Deckung bedacht. Denn sicher waren sie durch den Gefiederwechsel flugunfähig. Und gleichzeitig war wenige Meter entfernt ein Weibchen rund um die Uhr mit seinem Sprössling beschäftigt. Es war offenbar das einzige Junge, das aus dem Gelege von üblicherweise sechs bis zwölf Eiern groß geworden war.
Dass die Verluste bei Entenbruten hoch sind, ist bekannt. Im Verdacht habe ich in diesem Fall die beiden Rabenkrähen, die auf den nahgelegenen Hausdächern herumspazierten, und auch den Greifvogel – vermutlich ein Schwarzmilan –, den ich einmal beutesuchend über den Hafen segeln sah.
Seite an Seite
Seite an Seite waren Jung- und Altvogel unermüdlich unterwegs. Das Weibchen tauchte nach Wasserpflanzen, präsentierte sie beim Auftauchen dem Jungen und fraß an der Wasseroberfläche selbst von dem fädigen Grün. Das Junge schwamm direkt zur Mutter, wenn diese auftauchte, und zupfte an den angelieferten Algen.
Manchmal hatte das Junge mit den fädigen Armleuchteralgen – um die handelte es sich vermutlich – zu kämpfen, denn sie wickelten sich oft um seinen Schnabel. Wie man Abhilfe schafft, hatte der Nachwuchs jedoch bereits verstanden: Den Schnabel ins Wasser tauchen!
Ein wenig Systematik
Die Kolbenente bildet mit wenigen anderen Arten die Gattung Netta¹. Ihr wissenschaftlicher Artname lautet Netta rufina. Die Art ernährt sich sowohl tauchend als auch gründelnd – also mit dem Bürzel in die Höhe.
Verwandt ist die Kolbenente mit der Tafelente, die wie die Reiherente eine reine Tauchente ist. Beide gehören der Gattung Aythya an und tragen den Begriff auch in ihrem Artnamen (Tafelente = Aythya ferina).
In der Gattung Anas werden die Gründelenten zusammengefasst, die kopfüber nach Nahrung suchen. Allseits bekannten ist die Stockente, aber auch die seltener zu sehende Löffelente zählt dazu. (Löffelente = Anas clypeata)
Verstreute Populationen
Kolbenenten ernähren sich vorwiegend von Wasserpflanzen, leben quasi vegetarisch – „herbivor“ heißt es in der Biologie. Und sie brüten meist im Schilf. Je nachdem, in welcher Region ihre Jungen groß werden, ziehen sie in der kalten Jahreszeit weit weg, nur ein Stück weit oder gar nicht.
Die Kolbenente
bewohnt Mündungen, langsam fließende Flüsse, Teiche und Seen mit Süß- oder Brackwasser von größerer Tiefe und mit ausgedehnten Schilfflächen
lese ich in dem exzellenten Bestimmungsbuch von Sébastien Reeber Entenvögel (2017, Franckh-Kosmos, Stuttgart)².
Weil sie an das Wasser gebunden sind, brauchen Kolbenenten offene Gewässer. Die großen Populationen, die in einem Gebiet zwischen der Türkei und der Mongolei leben, sind Mittel- und Langstreckenzieher. Sie fliegen im Herbst westwärts oder südwärts. Größere Ansammlungen sind am Kaspischen Meer und am Schwarzen Meer zu beobachten. Manche Gruppen überwintern im Norden von Indien.²
Neben diesen Vögeln gibt es Kolbenenten, die in Norddeutschland und an Voralpenseen brüten – etwa in der Schweiz und am Bodensee. Sie bleiben im Winter vor Ort, solange das Wasser nicht gefriert.
Früher zogen die Kolbenenten aus Schleswig-Holstein, Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg und Bayern nach der Mauser südwestwärts und überwinterten etwa in der Camargue von Südfrankreich oder in Spanien.
Dass neuerdings immer mehr Individuen bei uns ganzjährig auf offenen Seen zu beobachten sind, ist als eine Folge des Klimawandels zu bewerten. Und dass der Bestand hierzulande insgesamt zunimmt, ist vermutlich dem hiesigen Jagdverbot zu verdanken.³
Tauchen: Kopfüber ins Wasser
Obwohl sich Kolbenenten von Wasserpflanzen ernähren, haben Magenuntersuchungen ergeben, dass sie auch kleine Fische und andere animalische Kost verschlucken. Ein Teil davon ist sicher Beikost, die zufällig im Magen landet.
Am Grund des Yachthafens wächst ihre „Leibspeise”, gefressen wird über Wasser.
Am Beispiel der Reiherenten habe ich bereits über das Abtauchen von Tauchenten berichtet. Sie schwammen am Nordufer des Genfer Sees, wo das Wasser gerade besonders klar und der Lichteinfall zudem günstig war.
Hier nun möchte ich zeigen, wie die jungen Kolbenenten sich verhalten, die als Nestflüchter zwar schwimmen und früh tauchen können – obgleich nicht so tief wie adulte Artgenossen –, die aber vom Schlüpfen an sechs bis sieben Wochen brauchen, bis ihre Flügel sie tragen.
Der weibliche Altvogel taucht nach Nahrung.
Der Jungvogel wartet auf die abgetauchte Entenmutter.
Das Junge entscheidet selbst abzutauchen, als das Weibchen länger unten bleibt. Beide kommen fast gleichzeitig wieder hoch.
Früh übt sich: Gefiederpflege
Mit Vergnügen habe ich beobachtet, wie das Junge sein Gefieder pflegte. Es war gerade dabei, die feinen Nestdunen zu verlieren und das Jugendkleid zu entwickeln. Mit anderen Worten: Die Flügel- und Schwanzfedern wachsen, so dass der junge Vogel bald abheben kann, während die Dunen, auch Daunen genannt, nach und nach fallen ausfallen.
Die Putzbewegungen laufen beim Jungvogel so wie beim Altvogel ab und sind sicherlich als motorisches Programm vererbt beziehungsweise angeboren. Denn Gefiederpflege ist eine lebensnotwenige Hygienemaßnahme, die zuverlässig klappen muss, erinnerte mich erst kürzlich Dietmar Todt. Man spricht in der Verhaltensbiologie von einer Erbkoordination oder Instinkthandlung.
Auffällig war, dass das Junge sich immer dann putzte, wenn es auch der Altvogel tat. Dahinter steckt das, was wir in der Verhaltensbiologie unter sozialer Ansteckung (social facilitation) verstehen. Gut zu sehen ist es, wenn eine äsende Gruppe von Feldgänsen oder Kranichen beunruhigt ist und vom Boden auffliegt: Zunächst werden einzelne Vögel unruhig, dann immer mehr, und während die ersten schon auffliegen, durchströmt Unruhe die ganze Gesellschaft, bevor plötzlich alle in der Luft sind. – Hier ist also die Unruhe ansteckend.
Zurück zu den Putzbewegungen der Kolbenente, von denen viele geradezu klassisch ablaufen. Dazu gehört das steile Aufrichten und das Gefiederschütteln, wodurch lose, bereits abgestoßene Federchen davonfliegen.
Abschließend nochmals Vorhang auf für die junge Kolbenente, die vermutlich gut drei Wochen alt ist! Auch sie richtet sich bei der Gefiederpflege hoch auf, so dass ihre kleinen Stummelflügel sichtbar werden. Bis sie abheben kann, dauert es allerdings noch ein wenig.
¹ Viktor Wember verrät in Die Namen der Vögel Europas (Seite 87), woher der wissenschaftliche Name stammt: aus dem Griechischen. Und die Bedeutung ist unmissverständlich: Ente.
² Die eigentlich Heimat der Kolbenenten sind Gewässer in Zentralasien und Südrussland. Ersten Bruten wurden in Deutschland 1920 registriert.
³ Tafel- und Reiherente dürfen hingegen zwischen dem 1. Oktober und 15. Januar geschossen werden.
Kolbenente | Nette rousse | Red-crested Pochard | Netta rufina
0 Kommentare