Endlich will ich von meiner ersten Begegnung mit einer Waldohreule berichten. Es war dies ein ganz unerwartetes Ereignis am Rand der weißrussischen Stadt Turau, wo der mäandrierende Pripjat und seine Feuchtgebiete schon seit einigen Jahren unter Naturschutz stehen.
Ich besuchte mit anderen Ornithologen aus Deutschland eine kleine Beringungsstation, und erfuhr dort, dass sich keine 50 m entfernt eine Waldohreulenfamilie eingenistet hatte.
Der Platz war wirklich genial, denn das Nest, ein altes Krähennest, war in einer großen Mistel verborgen und ließ sich kaum einsehen. Beim Nestbau sind Waldohreulen definitiv „Faulpelze“, sie verlassen sich auf die Baukünste andere Tierarten. Und wie formulierte „Tiervater Brehm“ schon so passend (Brehms Tierleben, 1900, Bd. 5, Die Vögel Bd. 2, S. 195):
Alte verlassene Nester einer Krähe, einer Ringeltaube, der Bau eines Eichhörnchens oder der Horst eines Tagraubvogels müssen der Waldohreule zur Wiege der Jungen dienen.
Nur mit Fernglas oder Spektiv ließen sich zwischen den Mistelzweigen in der Weide die Jungvögel entdecken: kleine helle Wollknäule.
Die Mutter hatte die weißen Eier in vier Wochen ausgebrütet und war in dieser Zeit von ihrem Partner gefüttert worden – geatzt, sagt der Fachmann oder die Fachfrau.
Nun waren die Jungen, drei Wochen nach dem Schlüpfen flügge, kraxelten auf dem Nest herum und waren dabei, es zu verlassen.
Allerdings bleiben die Eltern noch bis zu acht Wochen in der Nähe, um den Nachwuchs vor Greifvögeln wie dem Habicht zu beschützen und um sie, je nach Bedarf, mit Nahrung zu versorgen. Doch lernen die Jungen in dieser Zeit eben auch, selbst Mäuse zu erjagen.
In der Beringungsstation wusste man, dass zwei Junge bereits ausgeflogen waren. Zwei hockten noch im Nest, und die Waldohreule überwachte ihre Brut von einem benachbarten Ast aus. Meist döste die nachtaktive Jägerin vor sich hin, soweit das möglich war.
Auch den Eindruck, den die ruhende Waldohreule auf uns macht, hat Brehm genial erfasst (S. 194): Tagsüber sitzt sie auf einem Ast
hoch aufgerichtet wie ein stehender Mann.
Erst in der Dämmerung begibt sie sich auf die Jagd nach Spitzmäusen und anderen kleinen Säugetieren, auch Regenwürmer, Insekten und unaufmerksame Vögel gehören zum Speiseplan. Dazu Brehm (S. 194)
ein täppisches Vögelchen wird nicht verschont.
Vom Nestling zum Ästling
Als ich am nächsten Tag glücklich die Lasurmeise gesehen hatte und nun ein zweites Mal die Waldohreulenfamilie besuchte, hatte sich einiges geändert: Es wehte so heftig in der alten Weide, dass sich die Äste bogen und die Öhrchen der Eulenmutter gewaltig flatterten.
Und inzwischen hatte ein weiteres Junges das Nest in der Mistel verlassen, war zum Nachbarbaum geflattert und dort Stück für Stück nach empor geklettert – wie das bei Eulen und Greifvögeln so üblich ist.
Und nun saß der sogenannte Ästling hoch oben in der kleinen Weide am Wasser des Pripjat.
Womöglich lag es nicht nur am nächtlichen Beutefang, sondern auch an dem heftigen Wind und den Aktivitäten des flüggen Nachwuchses, dass die Waldohreule an diesem Tag besonders geschafft aussah. Immer wieder fielen ihr beide Augen zu.
Nervende Wachholderdrossel
Und dann kam noch ein nervender Störenfried: Eine Wachholderdrossel schimpfte unermüdlich, weil sie sich von der Waldohreule belästig fühlte. Die begegnete ihr jedoch mit stoischer Ruhe, ließ sich schon gar nicht aus der Nähe des Nestes mit dem letzten Jungen vertreiben. Uun schließlich düste die Wachholderdrossel ab.
Schon Alfred E. Brehm hat das vor über 100 Jahren anschaulich beschrieben und gleich einen Exkurs über die Bedeutung der Waldohreule und den Irrsinn der Schießwütigen angehängt (S. 198):
Auch die Waldohreule ist dem gesamten Tagesgeflügel sehr verhasst und wird geneckt und gefoppt, sobald sie sich sehen läßt. Der vernünftige Mensch läßt sie unbehelligt, weil jeder Schutz, welchen man ihr gewährt, dem Walde zu gute kommt; der unverständige Bubenjäger dagegen schießt sie vom Baume herab, wenn er ihrer ansichtig wird, nagelt sie zum Merkmale seiner Thorheit mit ausgebreiteten Flügeln an das Hofthor und rühmt sich wohl auch noch seiner Heldenthat.
Streng geschützt
Heute sind Waldohreulen streng geschützt. Und sie haben es sogar als Symbol für Naturschutz auf die Beschilderung von Naturschutzgebieten geschafft. In Deutschland gibt es rund 30.00 Brutpaare, in Mitteleuropa sollen es rund 90.000 sein. Im geographischen Europa, das bis zum Ural reicht, sind es möglicherweise noch über 200.000 Paare. Dazu zählt auch die Eulenfamilie am Pripjat.
Um mehr über das Verhalten der Waldohreulen zu erfahren, wurden die Jungen bei der Beringungsstation von Turau beringt. Wie es dabei dem Nesthäkchen – der Nummer 4 im Nest – erging, habe ich hier erzählt.
Waldohreule | Hibou moyen-duc | Long-eared Owl | Asio otus
Hallo , ich wohne in Wilhelmshaven.
Und habe heute in meiner Weide im
Garten eine Waldohreule entdeckt .
Sie scheint da zu wohnen sehr schlank
Mit sehr langen Ohren.
Das freut mich. Es gibt im schönen Ostfriesland eine ganze Reihe brütender Waldohreulen. Vielleicht haben Sie ja Glück und entdecken irgendwann Nachwuchs. Die Mutter sitzt dann außerhalb des Nestes, wenn die Jungen größer werden. Aber das haben Sie ja in meinem Blogpost sicher gesehen. Viele Grüße!
Das ist ja ein ulkiger Vogel, so langgestreckt. Ich dachte Eulen wären dick und rund. Der Kopf sitzt doch immer irgendwie halslos auf dem Körper, als ob sie ihn einziehen würden. Dieser am Pripjat aber reckt sich in die Höhe.
Völlig richtig! Der Waldkauz ist so gesehen eine typische Eule, aber die Waldohreule ist eben besonders schlank … das liegt auch daran, dass sie tagsüber „die Federn knapp an den Leib gelegt“ ruht. Auch das ein Brehm-Zitat, das zu dem Eindruck „hoch aufgerichtet wie ein stehender Mann“ passt.