Kraniche schlafen im seichten Wasser. Wenn sie abends an ihren Schlafplätzen einfliegen, ist das immer wieder ein faszinierender Anblick. Und welch ein Spektakel, wenn die großen Vogelgruppen sich bei Sonnenuntergang in geschwungenen Linien – Schnüren gleichend – annähern und ihre Rufe alles andere übertönen.
Ich habe im letzten Jahr an der Ostsee eine Boddenfahrt zum abendlichen Einflug des Grauen Kranichs mitgemacht. Es war bereits meine zweite.
Eine solche Tour zu den Schlafplätzen der rastenden Zugvögel kann ich allen empfehlen.
Wer sich einen Eindruck über das Leben und Verhaltensweisen des Grauen Kranichs verschaffen, will kann das in diesem Blog machen. Ich habe schon mehrfach unter Faszination Kranich über die Vogelart berichtet.
Bei Sonnenuntergang
Nach ihrem Frühstart am Morgen sind Kraniche tagsüber vor allem mit der Nahrungsaufnahme beschäftigt. Sie suchen abgeerntete Maisfelder auf oder fliegen auf Äsungsflächen, die speziell für sie angelegt werden. Etwa zwei Stunden vor Sonnenuntergang nähern sie sich in langen, horizontal wirkenden Reihen ihren Schlafgewässern.
Kurz vor der Landung lösen sich die „Schnüre“ auf und die Vögel lassen sich mit hängenden Beinen herab – wobei sie immer ein wenig wie landende Fallschirmspringer wirken. Nicht nur im Flug, auch bei der Landung und am Boden bleiben die Familienverbände zusammen. Wer genau hinschaut, sieht die braunen Köpfe der Jungvögel zwischen den Kranicheltern.
Der abendliche Einflug lässt sich besonders gut in der „Vorpommerschen Boddenlandschaft“ von einem sogenannten Boddenkreuzer aus beobachten. Zum Beispiel bietet die Reederei Zingst im September und Oktober spezielle Kranichfahrten an, die von einem fachkundigen NABU-Mitarbeiter begleitet werden. Diese Fahrten führen nach Pramort, wo ein Großteil der Vögel die Nacht verbringt.
Eine andere Möglichkeit sind Fahrten längs der Großen Kirr, einer naturgeschützten Insel südlich von Zingst im Barther Bodden. Die Vögel segeln dort in Ufernähe herab und landen mit hängenden Beinen – auch Ständer genannt – zwischen Graugänsen und Weißwangengänsen.
Anflug zum Schlafplatz an der Großen Kirr (Der Ton ist wegen der Windgeräusche abgeschaltet.)
Der richtige Schlafplatz
Vom Festland kommend, fliegen die Kraniche das Flachwasser an, das etwa 10-20 Zentimeter tief sein muss. Der Grund: Kraniche schlafen beziehungsweise ruhen in der Regel im Stehen, und das Gefieder sollte dann nicht nass werden.
Vor allem in Teichlandschaften wie bei Linum kann es vorkommen, dass der Wasserstand zu hoch oder zu niedrig ist, so dass die Kraniche den seit Jahren besuchten Schlafplatz wechseln. Wenn allerdings die Behörden mitspielen, lässt sich wie im Rhinluch der Wasserstand den Bedürfnissen der langbeinigen Zugvögel anpassen.
Im Prinzip verhalten sich die „Vögel des Glücks“ konservativ und nutzen immer dieselben Bereiche, wenn sie auf ihrem Zug aus Skandinavien, Polen oder Russland bei uns ihre Herbstrast einlegen. Das gilt nicht nur für die Boddenregion von Mecklenburg-Vorpommern.
Boddenlandschaft an der Ostsee mit markierten
Schlafplätzen, die ich per geführter Bootstour besucht habe. Die Große Kirr (4) und vor Pramort nahe Großer Werder (1).
Grafik: Hartwig Prange, Der Graue Kranich, Die Neue Brehm-Bücherei Nr. 229, S. 139, Ziemsen 1989/VerlagsKG Wolf; Markierung von E. Brüser
Wie Kraniche schlafen
Kleine Vögel schlafen in Nestern, in einer Baumhöhle oder auf einem Zweig. Auch größere Vögel übernachten teilweise auf Bäumen – etwa Haushühner oder auch Pfaue. Durch dieses „Aufbaumen“ bringen sie sich in Sicherheit. Daneben gibt es aber große Arten wie den Strauß oder den Nandu, die auf dem Boden liegend ruhen. Und schließlich bevorzugen viele Vogelarten das Wasser als sicheren Ort für die Nacht. Hierzu zählt der Graue Kranich.
Arnd Stiefel hat in Ruhe und Schlaf bei Vögeln (Die Neue Brehm-Bücherei, Nr. 487) sehr schön erklärt, wie es Vögeln, die im Stehen schlafen, gelingt das Gleichgewicht zu halten, Seite 9
Bei vielen Vögeln wird in der Schlafhaltung der Kopf über den Schwerpunkt des Körpers gebracht. Die Mehrzahl legt den Hals in enge Windungen, so dass der Kopf nach hinten weist und der Schnabel den Schulterblättern aufliegt.
Dafür ist etwa der Flamingo ein Beispiel, der die Nacht auf einem Bein stehend verbringt. Hartwig Prange, Kranichexperte und Herausgeber des Klassikers Die Welt der Kraniche (MediaNatur.Verlag, 2016), beschreibt das Schlafverhalten des Grauen Kranichs so, Seite 214
Schlafende Kraniche legen Hals und Kopf auf die Seite und der Schnabel wird in die Schultern- und Rückenfedern geschoben. Brütende Vögel und Küken schlafend sitzend … Im flachen Wasser stehen die Kraniche nachts auf beiden Beinen, seltener auf einem, das dann gelegentlich gewechselt wird.
Doppelte Faszination
Die Faszination des abendlichen Einflugs beruht zum einen auf der scheinbar unerschöpflichen Menge an Individuen, die zunächst in kleineren Gruppen am Schlafplatz ankommen und dann in immer größeren. Dazu nochmals Arnd Stiefel, Seite 49
Die Hauptmasse trifft kurz nach Sonnenuntergang ein, und danach ebbt der Zuflug wieder ab, bis in völliger Dunkelheit die letzten landen.
Bleibenden Eindruck erzeugen die Kraniche zum anderen durch ihre imposante Lautgebung: Nicht nur die Ankömmlinge rufen, zugleich werden vom Boden aus die einfliegenden Scharen lauthals begrüßt.
Auf meiner Boddentour an der Großen Kirr wehte ein heftiger Wind, dennoch sind die knurrenden und trompetenden Kranichrufe zu hören – zumal das Geschnatter der Passagiere an Deck mit der Zeit abebbte, das Schiff praktisch stand und der Schiffsmotor im Flüstergang lief.
Im Anflug rufende Kraniche
Erst als es fast dunkel war, ging es zurück zum Hafen von Zingst. Wir passierten in großem Abstand die Uferzone mit Gänsen, Enten und Kranichen, die noch längst nicht schliefen. Erst ab Mitternacht kehrt an den Schlafplätzen Ruhe ein. Allerdings schlafen nie alle Tiere gleichzeitig. Es gibt immer Vögel mit Wächterfunktion, die das Umfeld kontrollieren – und Rufe ertönen auch nach Mitternacht.
Es folgen zwei Videoabschnitte mit Ton, also Kranichrufen und Windgeräuschen. Das erste Video ist etwas aufgehellt, das zweite nicht.
Die attraktiven Zugvögel haben sich mit den Touristen, Fotografinnen, Birdern und Ornithologinnen arrangiert – so scheint es zumindest. Um die Kraniche so zu sehen wie in diesem Blogpost, braucht es ein Fernglas und eine Kamera mit lichtstarkem Zoom. Denn generell ist es wichtig, ausreichend Abstand zu halten und Respekt vor den weitgereisten Gefiederten zu haben, die mit ihren Jungen erstmals auf weiter Reise sind.
Dass rücksichtsvoller Schlafplatzbesuch den abendlichen Einflug nicht stört, konnte mir Karsten Peter von Kranichschutz Deutschland bestätigen. Als NABU-Repräsentant, der auf fast alle Fragen eine Antwort weiß, begleitet er seit langem Schiffstouren zu den Kranichschlafplätzen bei Pramort.
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