Ein Jahr mit der Brandgans

 

Brandgänse im September am ostfriesischen Jadebusen

Im Herbst und selbst im Winter stehen die Chancen nicht schlecht, große Gruppen von Brandgänsen im Wattenmeer der Nordsee zu beobachten.

Mit ihrem schönen, kontrastreichen Gefieder, das beide Geschlechter schmückt, ist die Brandgans eigentlich nicht zu übersehen.

Auch der rote Schnabel ist ein Hingucker. Er ist bei den männlichen Vertretern, den Gantern, mit einer imposanten Erhöhung, dem „Schnabelhöcker” oder „Stirnwulst”, besonders eindrucksvoll.

Ich habe diese Vögel, die früher auch als Brandenten bezeichnet wurden, zu allen Jahreszeiten an der Nordseeküste gesehen. Sie sollen nun endlich einen Platz in diesem Blog haben – und sie bekommen sogar einen ziemlich großen.

Im Frühjahr balzen

Es war Ende März als ich in Schleswig-Holstein die Balz beobachten konnte, und zwar am Rand einer zu dieser Jahreszeit wenig befahrenen Straße nahe Sankt Peter Ording. Da hatten sich auf einer Wiese hinter dem Deich, mehrere männliche und weibliche Tiere auf einem Balzplatz eingefunden – wie das bei Brandgänsen üblich ist. Morgens war es kalt am Tümlauer Koog, denn nachts herrschten noch Minustemperaturen.

Brandgans-Balzplatz hinter dem Deich, die Wiese ist noch leicht überfroren.
Wer den Kopf reckt, erhebt Ansprüche: Rechts nähert sich ein Paar. Der „Platzhirsch“ streckt den Hals.

An solchen Balzplätzen treffen zwischen Januar und Anfang April regelmäßig mehrere Weibchen und Männchen aufeinander und handeln aus, wer in Sachen Begattung, Nest- und Jungenfürsorge künftig zu wem gehört.

Ende März, Anfang April haben sich die Paare bereits mehr oder weniger gut sortiert. Aber immer wieder kommt es zu Rangeleien. Und wer einem Paar zu nahe kommt, wird gejagt. Bei Enten spricht man auch von „Hetzen“.

Zwar wird von den Brandgänsen auf dem Balzplatz kein festes Revier verteidigt, aber es wird demonstriert, wer hier zu wem gehört und wer doch bitte Abstand halten soll. Kommt eine Brandgans einem Paar zu nahe, wird sie darum vehement vertrieben.

Bei der Balz und den Auseinandersetzungen nutzen viele Vogelarten ritualisierte Ausdrucksbewegungen, die eine klare Ansage an das Gegenüber sind – ohne allerdings dem Adressaten weh zu tun oder ihn gar zu verletzten. Den Kopf zu heben und zu schütteln, gehört zu diesen Bewegungen mit Signalfunktion.

Vögel verständigen sich eben nicht nur akustisch, sondern auch via Körpersprache. Für eher verborgen lebende Waldvögel spielen einzelne Laute und der Gesang natürlich eine größere Rolle als optische Verhaltensäußerungen. Logisch, denn dafür muss man sich ja sehen können.

Bei den Brandgänsen fällt außer dem Kopfrecken („Ich bin der Stärkste“) und dem Verjagen oder Hetzen („Verschwinde!“) schließlich noch ein Kreisen auf. Es besteht aus Halsbewegungen, bei denen der Hals kreisend abwärts und aufwärts bewegt wird. Solche Verhaltensmuster sind bei verschiedenen Entenarten Teil des Balzverhaltens. Und übrigens: Gänse gehören wie auch die Schwäne zur großen Familie der Enten (Anatidae).

Der Erpel links im Bild zeigt das Kreisen. Bitte beachten, wie die Vögel paarweise¹ auf Abstand stehen.

All diese auffällige Ausdrucksbewegungen, üblich ist dafür auch der englische Terminus „Display“, führten die Brandgänse vor, die ich am frühen Morgen beim langsamen Vorbeifahren entdeckt hatte.

Die wenigen vorbeisausenden Autos irritierten die Vögel wenig. Mein kleiner PKW, den ich hinter Gebüsch abstellte, war ihnen zunächst suspekt. Um die Brandgänse nicht zu irritieren, stieg ich allerdings nicht aus und hatte darum fast immer ein paar Zweige oder Halme vor der Linse.²

Genug gebalzt, die Brandgänse ziehen in Richtung Nordsee ab, und der Greif auf dem Strommast wärmt sich noch auf.

Kinder“segen“

Bisher habe ich noch keine frisch geschlüpften Brandgänse gesehen, geschweige einen Brutplatz. Der ist übrigens etwas Besonderes, denn Brandgänse suchen sich zum Nisten verlassene Erdhöhlen von Kaninchen und anderen Höhlenbewohnern. Man findet Nester aber auch in verlassenen Gebäuden oder unter dichtem Buschwerk.

Drei Gössel, wie man die Gänseküken auch nennt, an einem Entwässerungsgraben zur Nordsee.

Immerhin begegneten mir wenige Tage alte Gänse bei einer ihrer Expeditionen auf der Insel Neuwerk, wo ich mit Begeisterung Brandseeschwalben beobachtet habe. Die jungen Nestflüchter, die sich von Anfang an selbst ernähren, sind wirklich hübsch und äußerst unterhaltsam. Die Eltern kontrollieren den Nachwuchs so gut es geht.

Weibliche (rechts) und männliche (links) Brandgans. Beim Erpel ist der Schnabel- oder Stirnhöcker bereits etwas eingefallen. Im Winterhalbjahr ist er besonders erhaben und leuchtet karminrot.

Einer der Jungvögel war offenbar ein neugieriges und eher draufgängerisches Kind. Doch die Eltern behielten ihn und die kleine Schar von – nur noch – vier Vögeln gut im Auge. Sicher hatte ein Greifvogel, ein Fuchs oder eine der kräftigen Silbermöwen sich bereits bedient. Denn Brandgänse legen meist zwischen 7 und 12 Eier.

Das neugierigste Brandgans-Küken unterwegs

Brandgänse sind Gemischtköstler, die Wasserpflanzen, Algen und Sämereien, aber auch Krebstiere und Schnecken fressen. Sie suchen nicht gründeln wie die Stockenten nach Nahrung und auch nicht tauchend wie etwa Reiherenten, sondern entweder schwimmend oder auf zwei Beinen. Und dabei bevorzugen sie das Watt, wie dieser Jungvogel. Der Vater hatte den kleinen Draufgänger immer im Auge und wich nicht von seiner Seite.

Wie sorgfältig Brandgänse ihre Jungen beobachten, zeigt dieses Video – untermalt von Möwengeschrei und Windrauschen. Beide Eltern bleiben in der Nähe.

Mit wenigen Wochen werden erstmals die Federn gewechselt, so dass aus den flauschigen Dunenjungen mit recht hellem, kontrastreichem Federkleid nach und nach grau-braune, unauffällige Gänslein werden. So ausgestattet, quasi Wattenmeer-mäßig getarnt, sind sie gut geschützt.

In dieser Zeit führen die Eltern den Nachwuchs bereits weiter aufs Meer hinaus. Dabei lernen sie auch mit Wind und Wellengang umzugehen.

Der Weg zur offenen Nordsee
Die Familie mit sieben Jungen unterwegs
Alle eingesammelt und Rückführung zum Inselufer: Aber es sind nicht sieben, sondern acht Junge!

Der Sommer

Im Sommer sieht man die adulten Vögel oft ruhen. Sie sind nun kurz vor der Mauser, die am Strand von flachen, unberührten Inseln – wie dem Großen Knechtsand in der Wesermündung – stattfindet. Hier sind die Vögel sicher, wenn sie das Kleingefieder und auch das Großgefieder, also die Federn von Flügeln und Schwanz, wechseln.³ Sicherheit ist wichtig, denn sie sind zeitweise flugunfähig.

Vor dem Leuchtturm: ruhende Brandgänse auf Neuwerk

Während die Ganter und jene Brandgänse, die nicht gebrütet haben, schon Ende Juni mit dem Wechsel des Federkleids beginnen, kommen viele Weibchen erst im August an die Mauserplätze, wo sich dann viele Tausend Vögel versammeln.

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Der Lebensraum der Brandgans in der Wesermündung mit der Insel Neuwerk, mit dem Großen Knechtsand als Mauserplatz und mit dem Jadebusen und seinem ausgedehnten Wattgebiet.

(Wikimedia Commons: Alexrk, CC BY-SA 3.0)

Nach der Mauser

Nach der Mauser erscheinen die Brandgänse in großen Gruppen an der deutschen und auch der niederländischen Nordseeküste. Sie sind insbesondere dort anzutreffen, wo durch das abfließende Wasser der Wattboden frei liegt und bei aufflaufendem Wasser zusätzliche Nahrungspartikel angeschwemmt werden.

Nahrungssuche im Watt am Jadebusen bei Ebbe
Hungrige Vögel: Fast alle haben die Köpfe gesenkt. Aber ein, zwei Gänse sind immer wachsam.

Die Buhnen, die als Küstenschutz gebaut werden, dienen vielen Seevögeln als Ruheplatz. Hier dösen sie, pflegen das Gefieder, sind in der Gruppen – ergänzt durch Arten wie der Silbermöwe und Kormoran – vor Beutegreifern relativ gut geschützt.

Brandgänse ruhen bei Flut auf einer Buhne

Unruhe kommt auf, wenn einer oder mehrere Vögel eine potenzielle Gefahr entdeckt haben. (Auch diese Fotos der Galerie lassen sich vergrößern: Bitte anklicken oder ziehen und mit ← zurück.)

All diese Szenen stammen vom ostfriesischen Jadebusen, wo ich die Brandgänse im September 2020 sah. Um einen Eindruck von der wunderschönen Landschaft zu vermitteln, habe ich zwei Fotos im Moment eines heftigen Wetterwechsels in den Blogpost eingefügt.

Und im Winter

Den Winter über bleiben die Brandgänse zusammen, bevor sie sich an Plätzen, die sich für die Gruppenbalz eignen, wieder auseinander dividieren. An sonnigen, eiskalten Wintertagen sehen die kontrastreichen Vögel in der Weite der Nordsee faszinierend aus.

Dass auf der Weser Eisschollen schwimmen, kommt nicht mehr so oft vor. Eine bizarre Landschaft überraschte mich im Januar 2019 zwischen Cuxhaven und Bremerhaven.

Buhnen in der Wesermündung bei Eisgang. Der Pfeil markiert den Sitzplatz von Austernfischern und den Aufenthaltsort von Brandgänsen.

Auch im Winter spielen Buhnen eine wesentliche Rolle für die Wasservögel. Sie bieten trockene Sitzplätze, Windschutz und ruhiges Wasser. In der Wesermündung sah ich auf der dunklen Buhne hunderte Austernfischer sitzen und davor schwammen: Brandgänse.

Auf der Buhne: Austernfischer; vor der Buhne: Brandgänse

 

¹ Die linksseitige Dreiergruppe löste sich rasch auf, ein Erpel ging einfach weg.
² Wer Vögel beobachten möchte und mit dem PKW unterwegs ist, sollte immer im Wagen sitzen bleiben. Weitere Tipps gibt es hier.
³ Dort waren sie nicht immer sicher. Die Erklärung steht in diesem Brandgans-Blogpost.

 

Brandgans | Tadorne du Belon | Common Shelduck | Tadorna tadorna



Liebe Fans meiner Fotos, ich freue mich, wenn euch das eine oder andere Foto so gefällt, dass ihr es von meiner Website herunterladen möchtet. Allerdings sind alle mit ©Copyright geschützt. Darum fragt mich bitte per E-Mail vor jedem Download. Elke Brüser

3 Kommentare zu “Ein Jahr mit der Brandgans

  1. Liebe Frau Brüser,
    was für ein gelungener und dank der vielen wunderschönen Fotos und „Filmchen“ auch detailreich illustrierter Bericht über die Brandgans! Ich mag Gänse (und auch Enten) sehr gerne, bekomme sie hier im Süden nur leider sehr selten (bzw. manche Arten gar nicht) zu Gesicht. Umso schöner, wenn man sie in einem Ihrer stets interessanten Berichte so nahe gebracht bekommt.

    1. @Silke Banzhaf und @Gabriele Greaney, Enten und Gänse haben wirklich mehr Aufmerksamkeit verdient, als sie oft bekommen. Schön, dass ihr ihnen auch gerne zuschaut. Und ich danke euch für die freundlichen Kommentare.

  2. Habe diesen Bericht mit großem Interesse gelesen – die Beschreibung war sehr detail- und aufschlußreich – danke !! Ich konnte übrigens Brandgänse am Werder (Alte Elbe) Anfang April d.J beobachten und noch einmal Mitte Juni am Gülper See, dieses Mal mit zwei Jungen; die waren sehr lebendig, tauchten, planschten, aber immer in Sichtweite des Elternpaars. Für mich war es das erste Mal, daß ich an diesem See Brandgänse beobachten konnte.

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