
Über die farbenprächtige Brandgans – auch als Brandente bekannt¹ – habe ich schon ausführlich berichtet. Aber der wundersame Schnabel des Vogels, der bei den Männchen während der Balzzeit einen imposanten Wulst hat, ist dabei etwas zu kurz gekommen. Weil er gewissermaßen nur saisonal aufblüht und dann wieder verkümmert, bekam ich ihn bisher noch nicht gut vor die Linse.

An der Kurischen Nehrung (Neringa) in Litauen konnte ich nun eine männliche Brandgans mit voll ausgebildetem Schnabelschmuck beobachten. Welch ein Wunderwerk der Evolution!
Der Ganter war mit seiner Gefährtin im Flachwasser auf der Seite des Haffs – also nicht zur Ostsee hin – auf Nahrungssuche und näherte sich dem Ufer. Schon aus der Ferne leuchtete ihr Gefieder in der warmen Maisonne ganz wunderbar.
Ich möchte an dieser Stelle wieder einmal den so kenntnisreichen und wortgewandten Ornithologen des 19. Jahrhunderts Johann F. Naumann zitieren, der in seiner Naturgeschichte der Vögel Mitteleuropas (3. Aufl, Bd. 9) die Brandgans so vorstellt, Seite 383
Diese durch ihre großartige Zeichnung in wenigen abstrakten Farben und vielem Weiß höchst ausgezeichnete und sehr buntscheckige Ente ist mit einer anderen inländischen Art nicht zu verwechseln.
Das stimmt. Auch bei geringer Artenkenntnis ist der Vogel, der heute zu den Gänsen gerechnet wird, leicht zu identifizieren.¹ Mit anderen Gänsearten, mit den Schwänen und den Enten bildet er die Ordnung der Entenvögel (Anseriformes).



Die Wulst: roter Schnabelhöcker
Die Geschlechtsunterschiede sind bei den Enten und Gänsen im Gefieder und bei der Körpergröße unterschiedlich stark ausgeprägt. Bei manchen Arten sehen Männchen und Weibchen im Prachtkleid, das sie zur Paarfindungs- und Balzzeit tragen, recht verschieden aus. Im sommerlichen Ruhekleid ähneln Entenvögel einander meist sehr.
Bei der Brandgans ist dieser Geschlechtsdimorphismus gering: Zwar sind die Ganter etwas größer, aber die Gefiederfarben beider Geschlechter sind gleich. Sie unterscheiden sich vor allem durch die auffällige Schnabelwulst – auch Schnabelhöcker genannt – des Männchens. Der ist zur Balzzeit unübersehbar.


Naumann schreibt über den Schnabel der männlichen Brandgans und die Wulst, die er Protuberanz nennt
Vor der Stirn geht er in eine nackte Protuberanz über, die beim Weibchen wenig bemerkbar, beim Männchen aber sehr auffallend, 8 bis 10 mm lang ist …
Und weiter steht dort über die Wulst, dass sie
… in der Fortpflanzungszeit so stark anschwillt, dass sie bei recht alten (Brandgänsen) fast die Größe einer halben Sauerkirsche erlangt, nach jener Zeit aber jedes Mal wieder einschrumpft, und im Winter bis zum Frühjahre sich allmählich wieder von neuem erhebt.
Bei der fleischigen Wulst handelt es sich um ein Gewebe, das zur Paarungszeit unter dem Einfluss männlicher Hormone wächst und dessen Größe übrigens mit der Größe der Hoden positiv korreliert ist. Also: Je größer diese, desto mächtiger die Wulst.
Was der Brandgans schmeckt
Brandgänse leben wie ihre große Enten- und Gänseverwandtschaft meist in Wassernähe. Bei uns sind das vor allem die Nordseeküste und auch die Boddenregion der Ostsee. Seit den 1950er Jahren breitet sich die Art längs der Flüsse, etwa von Elbe und Weser, weiter ins Binnenland aus.
Ihre Nahrung sucht die Brandgans meist in Flachwassergebieten, wie dem Watt, oder in teils etwas modrigen Uferzonen. Dort fahndet sie vor allem nach kleinen Schnecken, Würmern und Krebsen. Diese ergattern Brandgänse entweder schwimmend und indem sie den Kopf etwas eintauchen, oder sie „spazieren“ durch das Flachwasser und stecken den Kopf von Zeit zu Zeit ins Wasser. Dabei durchseihen – beziehungsweise durchsieben sie – das Wasser.
Eine Vegetarierin ist die hübsche Gans definitiv nicht. Aber sie frisst auch die Samen von Gräsern oder Algen mit darin enthaltenen Kleinstlebewesen.
Ihre Art der Nahrungsaufnahme unterscheidet sich grundsätzlich von Tauchenten wie der Reiherente. Auch ist das Gründeln der Schwimmenten, die mit dem Steert nach oben Nahrung suchen, nicht unbedingt ihr Metier. Das können Brandgänse zwar auch, tun es aber seltener.
Mit Gänsearten wie Ringelgans und Weißwangengans, die auf Wiesen und Feldern nach genießbaren Pflanzen suchen und sich gern über frische Saat hermachen, hat die Brandgans in Sachen Nahrungsaufnahme ebenfalls wenig gemein. Der Vorteil: anders als diese Gänsearten gerät sie mit den Landwirten nicht in Konflikt.
Bestandszunahme in Deutschland
Viele Brandgänse brüten in Island, an der Küste Irlands, Norwegens oder Schwedens und verbringen den Winter in der südlichen Nordsee. Aber auch hierzulande wird gebrütet. Eben darum konnte ich an der Nordsee sowohl balzende Brandgänse als auch Elternpaare mit ihren Jungen beobachten.
In den letzten Jahrzehnten hat es in Deutschland übrigens eine erfreuliche Bestandszunahme gegeben, lese ich im Atlas Deutscher Brutvogelarten (ADEBAR, Seite 90): Waren es laut Rote Liste 1995 um die 3.000 Brutpaare, so wurden schon im Jahr 2000 mit rund 6.000 Brutpaaren gerechnet, und im Zeitraum 2005 – 2009 kamen Ornithologen und Ornithologinnen bereits auf 6.300 bis 8.000 Brutpaare im Jahr.
Vom Leid der Tiere durch Krieg und seinen Folgen
Der positive Trend bei den Brandgänsen ist umso erfreulicher, als nach dem 2. Weltkrieg die mausernden Vögel auf grausige Art und Weise zu Tode kamen. Im Urania Tierreich (Ausgabe: rororo Tierwelt, Reinbek bei Hamburg, 1974) lese ich auf Seite 96
Auf dem Knechtsand wurden in den Jahren 1954 bis 1957 ungezählte tausende von Bomben zerrissen, als die britische Luftwaffe die Insel zum Zielgebiet erkoren hatte.
Die Brandgänse hatten damals keine Chance den (rechtmäßig abgeworfenen) Bomben zu entkommen. Der Grund: Die Knechtsände² waren und sind ihr traditionelles Mausergebiet. Dorthin fliegen sie zu tausenden aus hiesigen und den nordischen Brutgebieten, um weitgehend ungestört das Gefieder zu wechseln. Sie sind dann energetisch am Limit und für drei bis vier Wochen flugunfähig.
Fliegend konnten die Vögel den Bombenabwürfen also nicht entkommen. Und dass die Überlebenden im Folgejahr auf ihrem Mauserzug eine andere Richtung einschlagen würden, um ein passendes und sicheres Gebiet zu finden, sah ihr Verhaltensprogramm nicht vor.³
Der Ganter, den ich am haffseitigen Ufer der Nehrung in Litauen beobachten konnte, hatte übrigens ein Problem: ein zweiter Ganter hatte sich angenähert und interessierte sich offenbar für seine Gefährtin. Beschäftigt mit der Nahrungssuche, hatte er sie aus den Augen verloren.
Die beiden folgenden Videoausschnitte zeigen, wie der Ganter das Weibchen sucht, den Hals reckt und sich vom Ufer entfernt.
Im nächste Videoausschnitt lässt die Unruhe ablesen, mit der er nach der verlorengegangenen Partnerin links und rechts Ausschau hält.
Es dauerte dann nicht lange bis die drei Brandgänse aufeinander stießen, der Konflikt eskalierte und der Konkurrent vertrieben wurde.

¹ Lange war strittig, ob es sich um eine Ente oder eine Gans handelt. Doch mittlerweile steht fest, dass die Brandgans (Tadorna tadorna) wie die nahverwandte Rostgans (Tadorna ferruginea) zu den Gänsen zählt.
² In der Elbe-Wesermündung liegen mehrere Knechtsände. Der Große Knechtsand ist neben der Insel Trischen traditionell ein wichtiges Mausergebiet für Brandgänse
³ Zum Glück wurden durch engagierte Naturschützer und Verhandlungen mit den Briten die Bombenabwürfe nach drei Jahren endlich eingestellt.
Brandgans | Tadorne du Belon | Common Shelduck | Tadorna tadorna