Bei den Silbermöwen gehen die Meinungen auseinander: Die einen stören sich an ihrem Gekreische oder finden sie lästig, weil sie einem beim Strandurlaub sogar das Fischbrötchen aus der Hand stehlen wollen. Die anderen können sich an den munteren Gesellen nicht satt sehen und lieben das Möwengeschrei. Zu letzteren gehöre ich. Für mich bedeuten Möwen immer auch Heimat, Nordsee, Meeresrauschen.¹
Man könnte es auch anders wenden: Was dem Berliner die Nebelkrähen und andere Rabenverwandte sind, sind dem Küstenanrainer die Möwen. Durchaus nachvollziehbar schrieb Alfred Edmund Brehm über das weiße Pendant zu den schwarzen Hauptstadtbewohnern (Brehms Tierleben, 1900, Bd. IV, S. 105):
„Raben des Meeres“ nenne ich die Möwen (Laridae), denn jenen Vögeln entsprechen sie in ihrem Sein und Wesen… Der Leib ist kräftig, der Hals kurz, der Kopf ziemlich groß, der Schnabel mittellang, seitlich zusammengedrückt …
Weil „Tiervater Brehm“ den Eindruck, den Möwen auf viele Menschen machen, wirklich passend charakterisiert hat, noch ein Zitat von ihm:
Ansprechend sind Gestalt und Färbung, anmutig die Bewegungen der Möwen, anziehend ist ihr Treiben. Ihre Stellung auf festem Boden nennen wir edel, weil sie einen gewissen Stolz bekundet; ihr Gang ist gut und verhältnismäßig rasch … sie liegen leicht wie Schaumbälle auf den Wogen und stechen durch ihre blendenden Farben von diesen so lebhaft ab, daß sie dem Meere zum wahren Schmucke werden.
Munteres Trio
Ich hatte zuletzt großes Vergnügen daran, drei Silbermöwen am Strand von Wangerooge, der sich jenseits der Strandkörbe kilometerweit nach Osten zieht, etwas länger zu beobachten.
Sie suchten im Spülsaum nach Genießbarem, also in jenem Gewirr aus Algen, Muscheln, Krebstieren und mehr oder minder zerstückelten Fischleibern, die das Meer bei jeder Flut anspült. Mal stolzierten sie am Spülsaum entlang, mal schaukelten sie, mehr als dass sie schwammen, auf den Wellen. Mal flogen sie kurz auf, landeten aber sofort wieder. Großen Hunger hatte dieses Trio offenkundig nicht. Es sah eher nach Zeitvertreib aus.
Die drei Kumpane schienen ständig etwas zu verhandeln, riefen lauthals und begleitet von allerlei ritualisierten Bewegungen, mit denen sich der Nobelpreisträger Nikolaas Tinbergen jahrelang beschäftigt hat. Aber dazu ein anderes Mal – und zwar in diesem Blogpost: Die jungen Bettler.
Das hochfrequente Gekreische oder auch Jauchzen der Möwen kommt nicht von ungefähr. So lässt sich das allgegenwärtige Meeresrauschen übertönen.
Flinker Krebsfänger
Jedenfalls war ich in der Tat überrascht, als plötzlich eine der Möwen einen kleinen Taschenkrebs im Schnabel hielt. Das Krustentier hatte sie vom Strand in der Nähe des Spülsaums gepickt und entfernte sich damit zügig aus meiner Nähe Richtung Meer.
Schwer zu sagen ist übrigens, wie das Silbermöwen-Trio zusammengesetzt war, ob ich also männliche oder weibliche Silbermöwen vor mir hatte. Die Geschlechter sind kaum zu unterscheiden. Von einem gering ausgeprägten Geschlechtsdimorphismus sprechen BiologInnen. Sieht man allerdings ein Paar, ist das Weibchen in der Regel etwas kleiner.
¹ Natürlich leben auch in Berlin Möwen, vor allem im Winter ziehen sie entlang der Flüsse ins Binnenland, viele Silber- und Lachmöwen sind darunter. Aber sie mischen die Stadt akustisch nicht so auf wie etwa in Bremerhaven oder Rotterdam.
Silbermöwe | Goéland argenté | Herring Gull | Larus argentatus
Eine schöne und lesenswerte Präsentation ist das mal wieder. Es müssen ja nicht immer die Exoten sein, denen man
sein Interesse schenkt. Ich mag die Möwen. Habe viele Jahre auf Norderney gewohnt, direkt am Wasser. Immer nachts, wenn das „miauen“ anfing, wußte ich, die Flut war zurück :)) Allerdings war es auch damals schon verboten, sie zu füttern, weil ihr ätzender Kot erhebliche Schäden an den Hausfronten anrichtete.
Und welch`eine Liebeserklärung des Klassikers: Die Möwe Jonathan – wer es liest, muß Zuneigung für diese stolzen Vögel empfinden :))
Damals in den 70iger Jahren habe ich noch öfters große Mantelmöwen gesehen; die scheinen ja inzwischen verschwunden – sie wurden m.E. nie wieder erwähnt.
Wie gut, liebe Gabriele, dass du an „Die Möwe Jonathan“ erinnerst. Sie wird hoffentlich noch irgendwo in meinem Regal stehen. Da werde ich mal wieder reinschauen.
Danke für diese Liebeserklärung an die Möwen. Ich war zuletzt ziemlich sauer auf sie. Am ersten Tag meines Kurzurlaubs in Warnemünde stürzte sich eine riesige Möwe im Steilflug auf mich und schnappte sich mein soeben gekauftes Eis. Was für ein Schrecken. Zehn Minuten vorher hatte ich noch gelacht, als sie einem Mann das Fischbrötchen aus der Hand rissen. Gute Fischverkäufer warnen ihre Kunden vor den Möwen. Wir haben dann auch nur noch im Schutz von Sonnenschirmen, Vordächern und Hauseingängen Eis und Fischbrötchen gegessen.
Ja, so kann’s kommen. Darum ist das Füttern von Möwen am Strand fast überall verboten. Es sind eben kluge Tiere, die sich das Leben gelegentlich mit Eis und Fischbrötchen verschönern und bekanntlich auch auf Müllkippen über die Runden kommen – nur gibt es bei uns so gut wie keine offenen Müllkippen mehr.