Kürzlich habe ich berichtet, wie Rothalstaucher ihr Revier behaupten, in dem sie – meistens als Paar – an den Grenzen patrouillieren und es lauthals markieren. Das ist eine eher sanfte Form des Drohens.
Reagiert dann der potentielle Rivale oder ein aufdringliches Paar nicht mit Rückzug, geht es eventuell im Direktflug in Richtung der respektlosen Nachbarn oder Eindringlinge. Dieses zielgerichtete Anfliegen, eher ein Laufen auf dem Wasser, ist bereits eine Steigerung und eine heftige Form des Drohens.
Aber es gibt noch mehr als Drohen. Und von einer Begebenheit, die sich an diesem See im Norden Berlins abspielte, möchte ich berichten.
In dieser interessanten Uferzone leben viele Fische und abgestorbene Bäume schaffen Strukturen, die zum Nestbau einladen. Oft stranden hier kleine Zweige, die Blässhuhn, Teichhuhn, Rothalstaucher und Haubentaucher gerne verbauen. Teilweise nutzen sie auch die Überbleibsel von Nestern und verrottende Pflanzen.
Drohen oder Kämpfen?
Zu den territorialen Auseinandersetzungen ein paar Überlegungen vorab: Drohverhalten ist unter rivalisierenden Tieren verbreitet und soll Artgenossen vom etablierten Revier und den Nahrungsressourcen, von der Partnerin, dem Nest oder den Jungen fernhalten. Üblicherweise ist es mit Imponiergehabe verbunden: sich größer machen, abschreckende Farben oder Muster präsentieren, demonstrativ singen, lauthals bellen und so weiter.
Stärke zu zeigen, aber nicht anzuwenden, hat sich in der Evolution bewährt. Denn drohendes Imponieren hält Rivalen auf Distanz, ohne sich selbst oder sie stark zu beschädigen oder zu vernichten.
Kämpfe sind daher die seltene Ausnahme.
Der Nobelpreisträger Niko Tinbergen hat in dem Klassiker Instinktlehre. Vergleichende Erforschung angeborenen Verhaltens wunderbar erklärt, warum es Sinn macht, einander nicht vernichtend zu bekämpfen.
Ich habe sein Buch seit langem wieder zur Hand genommen (Parey 1972, 5. Aufl., Seite 167). Auffällig ist, so schreibt er, dass
die meisten Kämpfe überhaupt nicht stattfinden. Meist genügt die Drohung. Bedenkt man, wieviel Zeit viele Arten zur Revierverteidigung aufwenden, so ist es erstaunlich genug, dass man wirklichen Kampf so selten sieht. Dem entspricht, dass der Kampf zur Arterhaltung neben seinen guten auch seine schlechten Seiten hat. Gut ist, wie besprochen, die Paare räumlich voneinander zu sondern; ausgesprochen nachteilig aber ist Verletzung und Tod von ebenfalls zur Fortpflanzung bereiten Artgenossen. Der Kompromiß besteht im Heranzüchten von Auslösern, die einschüchtern, ohne zu verletzen. Deshalb gehört unbedingt zum Kampfverhalten das oft so ausgearbeitete Imponiergehabe, das gladiatorenhafte Säbelrasseln.
Mehr als drohendes Säbelrasseln
Nun zu meiner Beobachtung: Im März hatte sich neben vier Paaren von Rothalstauchern auch ein Haubentaucher-Paar eingefunden. Ich sah sie auf dem See balzen, und am gegenüberliegenden Ufer entstand bald ein Nest.
Haubentaucher balzen mit viel Kopfschütteln und präsentieren dabei Pflanzenmaterial.
Während ich den beiden zuschaute, bemerkte ich, dass sich Herr Haubentaucher aus dem Revier entfernte und langsam von der Mitte des Sees aus in meine Richtung schwamm. Er steuerte direkt auf die abgestorbenen Äste und Zweige zu – eine Art Hotspot für die Wasservögel dieser Uferzone.
Dort wollte er offenbar Nistmaterial besorgen, denn er machte sich an dem trockenen Geäst zu schaffen, nahm mit dem Schnabel Zweige auf. Zu diesem Zeitpunkt lag der See ruhig da.
Doch dann wurde es plötzlich laut, und wie aus dem Nichts kam ein Rothalstaucher angerauscht. Der stürzte sich förmlich auf den größeren Haubentaucher. Der Angreifer verschwand zunächst im Wasser – kein Wunder, denn diese Taucher starten ihre Attacke gerne unter der Wasserlinie – und dann tauchte er auf.
Und schon attackierten Rothalstaucher und Haubentaucher einander mit Schnabelhieben – es sind eher Stiche mit dem spitzen Schnabel gegen die Brust –, während das hinzugeeilte Weibchen laut rief.
Kurz darauf flüchtete der männliche Haubentaucher in Richtung Seemitte. Das laute Geschrei der Taucher ist auf den Fotos leider nicht zu hören. Alles geschah binnen weniger Sekunden. Und ich konnte es nur festhalten, weil die Kamera gerade auf den Haubentaucher fokussiert war.
Alles wieder gut
Es sah so aus, als hätte sich keiner der beiden Draufgänger – das ist übrigens ein sehr anschaulicher Begriff – verletzt. Vor allem die Rothalstaucher „meckerten” anschließend noch viel, der Haubentaucher richtete sich flügelschlagend im Wasser auf (Imponieren!) und der Rothalstaucher tat es ihm gleich. Dann entfernten sich die Paare voneinander und nahmen ihr „Alltagsleben” wieder auf.
Das Rothalstaucher-Paar schwamm nach kurzer Zeit relativ entspannt auf dem See herum, bevor es wieder die Nestanlage ansteuerte. Die Haubentaucher waren weiterhin in Balzstimmung.
Erklärungsversuche
Natürlich stellt sich die Frage, warum es zu der kämpferischen Attacke zwischen den nah verwandten Arten kam. Verstehen sie die Signale der jeweils anderen nicht? Es gibt mehrere plausible Antworten, und wie so oft kommen einige Faktoren zusammen:
Möglicherweise hat der Haubentaucher den Rothalstaucher zu wenig beachtet und dessen „empörtes Rufen“, das er allerdings wirklich oft erschallen lässt, falsch eingeschätzt – also unterschätzt.
Arten unterscheiden sich darin, wie kämpferisch sie auftreten. Und obwohl viele Auseinandersetzungen durch ritualisiertes Drohen und sogenannte Kommentkämpfe bereinigt werden, gibt es immer auch Kämpfe, in denen es hart auf hart geht. – Das liegt an individuellen Unterschieden, was wir auch von Primaten kennen, und evolutionsbiologisch betrachtet, macht es Sinn: Andernfalls würde Drohen irgendwann als harmlos erkannt und von Rivalen nicht mehr ernst genommen werden.¹
Schließlich ist dieses Fleckchen auf dem See mit seinem modernden Geäst ein Hotspot für verschiedene Arten, die hier immer wieder aufeinander stoßen, wenn sie Zweige zum Nestbau, einen Nistplatz oder ein Ruheplätzchen suchen. Und auch dann, wenn sie sich sonnen wollen.
Das alles illustriert im Übrigen, wie wichtig es ist, umgekippte Bäume und tote Äste – zumal in einem See – nicht zu beseitigen, sondern der Natur zu überlassen. Ein Dank an das Umwelt- und Naturschutzamt in Reinickendorf! Denn so entstehen höchst attraktive Biotopinseln – selbst für ausgesetzte Wasserschildkröten.
Die Gelbwangen-Schmuckschildkröten findet einen Ankerplatz am umgestürzten Baumstamm; hier kann sie allerdings nicht hochklettern, um sich zu sonnen. Und im Videoausschnitt: unverkennbar sind die Rufe der Rothalstaucher.
¹Immer nur drohend zu imponieren, das ist auf lange Sicht eine Show, die Artgenossen durchschauen können. Es gibt darum in Tierpopulationen eine Art Gleichgewicht zwischen 1. „tätlichen“ Auseinandersetzungen mit bösen Folgen und ungefährlichen Schaukämpfen sowie 2. zwischen Individuen, die mehr zum Kampf und solchen die mehr zur Show neigen. Darauf hat der Brite John Maynard Smith hingewiesen. Im Fokus des theoretischen Biologen stand die Evolutionsbiologie und der Erhalt von Populationen durch so genannte Evolutionär Stabile Strategien.
Haubentaucher | Grèbe huppé | Great Crested Grebe | Podiceps cristatus
Rothalstaucher | Grèbe jougris | Red-necked Grebe | Podiceps griseigena
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