Frühlingsgefühle: Haubentaucher

Diesen Blogpost widme ich Dietmar Todt, meinem Lehrer und Doktorvater an der Freien Universität Berlin, der am heutigen 4. April 2020 seinen 85. Geburtstag feiert. Dietmar war und ist von der Komplexität und Steuerung von Verhaltensabläufen begeistert, hat uns im Studium diese Faszination vermittelt und immer wieder Fragen der Verhaltensbiologie mit raffinierten, methodisch ausgeklügelten Experimenten beantworten können. Merci für großartige Tagungen, tiefgründige Diskussionen und spannende Jahre!
Haubentaucherpaar auf blauem Wasser, einer mit gespreoiztem breiten Kragen und aufgerichteten Federn der Haube
Die ganze Pracht: Haubentaucher bei der Balz

Die Balz der Haubentaucher ist ein alljährliches Schauspiel, das viele Menschen erfreut und zugleich verwundert. Mit ihrer schwarzen Federhaube, dem rostbraunen Kragen und ihren „putzigen“ Bewegungen sind die eleganten Taucher auf vielen Wasserflächen ein Hingucker. Beeindruckend sind immer wieder die Fotos, die Momente der Balzbewegung von verpaarten Haubentauchern festhalten.

Der See schillert leuchtend blau, am Ufer gelbes Schilf und noch kahle Bäume.
Schlachtensee im März

Wer Vögeln wie diesen bei der Balz zuschaut, der fragt sich natürlich: Warum der ganze Aufwand, dieses tagelange Vorspiel, bevor das Paar zur Tat schreitet, also kopuliert, das Nest für den Nachwuchs fertigstellt und endlich die Eier ins Nest kommen?
Darum ein paar allgemeine Bemerkungen vorweg. Und dann zu meinen Beobachtungen am Berliner Schlachtensee im März.

Warum der Aufwand?

Bei manchen Vogelarten bleiben die Paare das Jahr über zusammen. Bei vielen aber nicht: Sie schlagen sich getrennt durch die Monate der kalten Jahreszeit und ziehen etwa unabhängig voneinander nach Süden. Haubentaucher suchen im Herbst und Winter große freie Wasserflächen auf. Sie erscheinen dann auch an Flussmündungen und der Meeresküste. Ansonsten bevorzugen sie flache Binnenseen mit Schilfbestand am Ufer.

Langgestreckt un dmit vorgestrecktem Hals schwimmt ein Haubentaucher. Der Schnabel ist leicht geöffnet.
Den Rivalen im Auge: Mein Revier … sieh zu, dass du weg kommst.

Vor allem wenn ab Januar die Tage länger werden, triggert das bei Vögeln jene hormonelle Umstellungen, die Verhaltensweisen einleiten, die letztlich zur Fortpflanzung führen. Da werden durch Gesang, Präsenz an einem Ort, Drohen und Kampf zunächst Reviere abgesteckt und verteidigt. Einerseits.

Haubentaucher auf dem Wasser, schwimmt mit leicht vorgestrecktem Hals und blickt zu uns.
Der Haubentaucher hatte sich etwas abgeregt als er ins Zentrum seines Reviers zurückkehrte. Beäugte aber skeptisch die Fotografin: Komm mir nicht zu nah. Hier herrsche ich.

Anderseits müssen die beiden Geschlechter zusammenfinden und dazu die jeweilige Individualdistanz überwinden – austricksen könnte man fast sagen. Und dafür braucht es die Balz. Sie läuft bei einigen Arten akustisch ab – wer kennt nicht den Gesang der männlichen Amsel oder der Nachtigall, die damit um eine Partnerin werben und zugleich das Revier markieren.

Bei anderen Arten sind die Signale vor allem visuelle Muster, etwa bei den Haubentauchern, die zu den Lappentauchern gehören und akustisch nicht viel zu bieten haben. (Auch in dieser „Galerie” lassen sich alle Fotos vergrößern, mit ← zurück.)

In Ornithologie für Einsteiger (Springer Spektrum, 2014) fasst Michael Wink Sinn und Zwecke der Balz kurz und knapp so zusammen (S. 245)

Die Balz geht der Paarbildung voraus und ihr Ziel ist es, Partner anzulocken und zusammenzubringen. Mit ritualisierten Verhaltensweisen und lauten Balzgesängen wird sichergestellt, dass sich nur Angehörige derselben Art zusammenfinden.

Kontakt aufnehmen

Kürzlich konnte ich am Schlachtensee beobachten, wie sich die Partner, die dort oft in verschiedenen Bereichen nach Futter tauchen, aus größerer Entfernung annähern. Manchmal wird das akustisch von „Kröck- Kröck“-Rufen untermalt, manchmal nicht. – Und da wir uns an einem städtischen See befinden, hat mein Mikrofon neben Stockenten und Blässrallen auch Jogger eingefangen.

Bei ihrer Balz setzen Haubentaucher wie auch andere Vögel verschiedene Verhaltensweisen als Signale ein. Diese sind weitgehend ererbt und werden von den Geschlechtspartnern unterschiedlich aneinander gereiht. Dadurch entsteht das „putzige“ Balzgehabe, das so viele Menschen fasziniert.

Der österreichische Verhaltensforscher Irenäus Eibl-Eibesfeldt hat in Grundriss der vergleichenden Verhaltensforschung (Piper 1980, 6. Aufl.) erklärt, warum es Sinn macht, solche sozialen Signale, die im Tierreich nicht nur in der Balz, sondern auch bei Konflikten eine Rolle spielen, als Ausdrucksbewegungen¹ zu bezeichnen (S. 150)

Ein balzender Vogel benimmt sich recht auffällig. Er spreizt die Federn, nimmt bestimmte Haltungen ein, singt und bietet seinem Weibchen oft Futter und andere Geschenke an. … Verhaltensweisen dieser Art haben eine mitteilende Funktion. Ihre Wirksamkeit wird oft durch Hinzutreten besonders auffälliger morphologischer Strukturen (Federn, Mähnen) verstärkt. Man nennt die zu Signalen ausdifferenzierten Verhaltensweisen Ausdrucksbewegungen.

Woher kommen die Signale?

Wie die Ausdrucksbewegungen im Tierreich entstanden sind, ist eine Frage, die viele Verhaltensbiologen – auch Ethologen genannt – beschäftigt hat. Denn dass die arttypische Größe eines Vogels, seine Gefiederfarben oder die Schnabelform genetisch verankert ist und also vererbt wird, ist keine Frage. Aber Verhaltensabläufe? Und gibt es denn für die Balz ganz spezielle ererbte Signale?

Die Antwort ist etwas kompliziert. Denn die einzelnen Elemente solcher Ausdrucksbewegungen stammen üblicherweise aus anderen Zusammenhängen wie dem Füttern von Jungvögeln, dem Flucht- und Angriffsverhalten oder der Gefiederpflege. Und als solche sind sie auch genetisch verankert.²

Dazu ein Beispiel von den Haubentauchern, bei denen Elemente der Gefiederpflege als „Rückwärtiges Scheinputzen“ Teil der Balz sind. Es geht beim Scheinputzen eben nicht um echte Gefiederpflege, auch wenn eine Feder kurz durch den Schnabel gezogen wird – wie dies weiter unten der letzte Videoausschnitt zeigt.

Ein Haubentaucher von hinten mit aufgestellter Haube und gespreiztem Kragen, einer beugt sich nach hinten zum Federkleid.
Rückwärtiges Scheinputzen: Der Hals wird weit nach hinten geneigt und gedreht.

Manfred Melde, einer der wichtigen ornithologischen Freizeitforscher aus der Oberlausitz, beschreibt das Verhalten, das bei beiden Partnern gleichzeitig oder abwechselnd auftritt, in seiner Monographie Der Haubentaucher (Neue Brehm-Bücherei, Magdeburg, 1995/1973) auf Seite 58 so:

Während der Gegenüberstellungsphase legen die Partner den Kopf langsam zurück und mit geschlossenem Schnabel werden einige Federn des angelegten Flügels angehoben.

Ein Partner schaut zu uns, der andere Haubentaucher hat Hals und Kopf rückwärts zum Federkleid gebeugt.
Rückwärtiges Scheinputzen: Der Schnabel verschwindet im Gefieder.

Solche Verhaltensmuster aus anderen „Funktionskreisen“ – wie es in der Ethologie heißt – werden als Elemente der Balz gewissermaßen übertrieben, sowohl in der Ausführung als auch dadurch, dass die beteiligten Körperteile durch Farben oder Federn besonders auffällig sind. So werden sie zum Ritual. Dazu nochmals Irenäus Eibl-Eibesfeldt (S. 160):

Alle mit der Ritualisierung einhergehenden Änderungen zielen darauf ab, das Verhalten den Erfordernissen des Signalisierens am besten anzupassen, und das bedeutet, dass das Signal in den meisten Fällen auffällig, prägnant und unverwechselbar wird. Die Selektion erfolgt dabei seitens des Empfängers, der das Signal selektiv aufnimmt und beantwortet.

Dass die Balzsignale funktionieren ist also Sache der Evolution, die es bewerkstelligt hat, dass etwa das Kopfschütteln der Haubentaucher durch die Federn von Haube und Kragen besonders auffällig ist und vom Adressaten (oder Empfänger) richtig verstanden wird.³ Dietmar Todt hat darauf hingewiesen, dass das eine Koevolution erfordert, damit der Sender sozialer Signale nicht tolle Verhaltensmuster seinem Gegenüber präsentiert, die diesem – salopp gesagt – schnurz sind. (Hinweis-Charakter und Mittler-Funktionen von Verhalten, Zeitschrift für Semiotik, 1986, 3, S. 183)

Auch Pflanzenmaterial vom Grund zu holen und es dann im Schnabel dem Partner oder der Partnerin zu präsentieren, gehört zu den Ausdrucksbewegungen der Haubentaucher im Rahmen der Balz.

Ein Haubentaucher rägt Pflanzenmaterial - verottete Blätter - im Schnabel und zeigt sie dem Partner.
Hier hat ein Partner verrottete Blätter vom Grund geholt und präsentiert sie.

Das können beide

Abschließend noch eine allgemeine Anmerkung: Männliche und weibliche Haubentaucher sehen einander sehr ähnlich. Selbst die Größe der Haube hängt maßgeblich vom Alter des Tieres ab.

Dieser geringe Geschlechtsdimorphismus bedeutet bei Vögeln häufig, dass auch die Balzsignale von Männchen und Weibchen sehr ähnlich sind. Und teilweise laufen ihre Bewegungen synchron ab. All das macht die Faszination der Haubentaucher-Balz aus. Hier folgt nochmals eine Balzsequenz auf dem Schlachtensee, bei der beide Partner das „rückwärtige Scheinputzen” geradezu zelebrieren.

Kopuliert wird übrigens auf einer Nestanlage, auf der manchmal – aber nicht immer – auch das zukünftige Nest entsteht. Die Anlage ist zunächst nur eine schlichte Plattform. Aber dazu ein anderes Mal.

¹Ich verwende den Begriff Ausdrucksbewegung, obwohl er ungebräuchlich geworden ist. Er ist aber meiner Meinung nach passender als etwa „soziales Signal” oder englischsprachig „display“, weil in ihm noch steckt, dass diese Bewegung aus einem anderen Kontext stammt und nun als Ausdrucksverhalten im Rahmen der Balz eine neue Funktion hat.
²Das schließt nicht aus, dass diese Verhaltensabläufe durch Übung verbessert und durch Lernen gezielter eingesetzt werden können.
³Ich vermute übrigens, dass das Kopfschütteln dem Funktionskreis der Nahrungsaufnahme entstammt. Denn taucht ein Haubentaucher mit einem Fisch im Schnabel auf, dann schüttelt er oft den Kopf, um seine Beute zum Verschlucken in die richtige Position zu bekommen.

Haubentaucher | Grèbe huppé | Great Crested Grebe | Podiceps cristatus



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5 Kommentare zu “Frühlingsgefühle: Haubentaucher

    1. Oder andersrum: Sieht man, was Hormonkonstellationen bei Tieren auslösen können, dann lohnt es durchaus, sich darauf zu besinnen, dass nicht alles Kultur ist, was uns antreibt – auch wenn unser Handeln kulturell ge- oder überformt ist.

  1. Liebe Elke,
    heute habe ich mich erfreut an der Balz der Haubentaucher, da sind Dir wirklich tolle Aufnahmen gelungen! Auch Deine Ausführungen über Ursprünge und Hintergründe der Bewegungsabläufe fand ich sehr erhellend, eine schöne Ehrung für Dietmar Todt. In der Schule hatten wir einen 8mm-Film über die Balz, den ich meinen Abiturient*innen im Verhaltenssemester oft vorgeführt habe. Sie haben sich amüsiert – nebenbei auch über die veraltete Technik …

    Herzliche Grüße
    Irma

    1. Ja, liebe Irma, die Haubentaucherbalz ist ein Klassiker der Verhaltensbiologie. Wir haben im Studium ja auch nicht viel mehr gehabt als diese 8mm Filmchen oder eben Exkursionen ins Umland – für Westberliner hieß das oft: in den Grunewald.

    2. Die Haubentaucherbalz, liebe Irma, ist ja auch wirklich ein Klassiker der Verhaltensbiologie. Und an diese zitternden 8mm-Filme kann ich mit auch noch erinnern.

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