Vor langer Zeit habe ich versprochen, irgendwann einmal von meiner ersten Begegnung mit einem Sandfisch zu berichten. Dieser kleine Kerl ist allerdings weder ein Fisch noch ein Vogel, sondern ein geschupptes Kriechtier beziehungsweise ein Reptil.
Er ist ein so reizvolles Geschöpf, dass ich ihn in der Blogrubrik Leisetreter unbedingt vorstellen möchte.
Dass manche Menschen diese Echse als Apothekerskink kennen, macht nun vielleicht zusätzlich neugierig. Andere Menschen halten Skinke sogar im eigenen Terrarium, also quasi als Haustiere.
Das hübsch gezeichnete Exemplar, das ich hier präsentiere, begegnete mir im Erg Chebbi von Marokko, wo die Sahara uns mit mächtigen Sanddünen imponiert.
Hier lebt auch der Sahara-Steinschmätzer, der die Nähe menschlicher Behausungen keinesfalls fürchtet, weil er eher dort und nahe der fruchtbaren Oase auf Nahrung und Wasser stößt als in der vegetationsarmen Dünenlandschaft. – Doch diese lohnt bei moderaten Temperaturen einen Besuch. Denn den Lebewesen in der unbewohnt erscheinenden Wüste nahe zu kommen, ist ein besonderes Erlebnis.
Bei einer sachkundig geführten Tour entdeckten wir am Morgen zunächst die Fußspuren von einem Sandfisch. Er ist mit seinen kurzen Beinen entweder oben auf dem Sand unterwegs oder er schwimmt wie ein Fisch im feinen Saharasand. Manche sagen auch er taucht, denn tatsächlich gräbt er sich äußerst rasch ein, flieht oder versteckt sich dann unterirdisch.
Unterirdische Komfortzone
Unser Naturführer hatte zuerst die verräterischen Fußspuren betrachtet, bevor er das kleine Reptil mit einem geübten Griff aus dem Sand holte. Dass sich die Komfortzone des Sandfischs im Boden befindet, ist kein Wunder. Sein Lebensraum ist die Wüste, und in seinem Verbreitungsgebiet, das sich von West- und Nordafrika bis Saudi-Arabien erstreckt, wird es bekanntlich tagsüber extrem heiß. Da ist es unterirdisch angenehmer. Und weil Wüstennächte oft sehr kalt werden, fühlen sich die wärmeliebenden Echsen auch nachts im Boden gut aufgehoben.
Von Luftmangel werden sie übrigens unterirdisch nicht geplagt. Denn der Sandfisch hat einen geringen Sauerstoffbedarf und kann die Gasvolumina nutzen, die zwischen lockeren Sandkörnern bestehen. Dabei hilft ihm auch, dass er seinen Stoffwechsel herunterregeln kann.
Untersuchungen aus dem Forschungsmuseum Koenig haben außerdem ergeben, dass der Sandfisch die allgegenwärtigen Sandkörner keinesfalls tief einatmet – die Lungen waren frei davon – und dass dafür seine unterirdische Atemtechnik ausschlaggebend ist. Die führt unter anderem dazu, dass er Sandpartikel teils aushustet und dass sie teils im Darm landen, bevor sie später ausgeschieden werden.¹
Der Begriff Sandfisch geht auf eine traditionelle französische Benennung des Tieres zurück: Poisson de sable.
In Deutschland wird die 20 cm lange Echse manchmal noch als Apothekerskink bezeichnet – obwohl sie zum Glück schon lange aus dem Arzneischrank aussortiert ist.
Einordnung: Das Reptil gehört in die große Familie der Glattechsen (Scincidae), bei denen Kopf und Rumpf reptilientypisch mit Schuppen besetzt sind, die Oberfläche aber glatt und glänzend aussieht. Innerhalb dieser Familie gehört der Sandfisch zur Gattung der Sandskinke (Scincus). Sein wissenschaftlicher Artname lautet Scincus scincus. Der Körper ist langgestreckt, der Kopf spitzschnauzig und sein Schwanz nur mäßig lang. All das lässt das Foto der schön gemusterten Echse in der Hand des marokkanischen Naturführers erkennen.
Anpassungen an das Habitat
Auffällig sind die kurzen Arme und Beine des Sandfischs und seine fünfgliedrigen Hände und Füße. Über derart differenzierte Extremitäten verfügen nicht alle Glattechsen. Denn gerade in dieser Reptilienfamilie mit ihren rund 1500 Arten weltweit, gibt es diverse Anpassungen an den jeweils speziellen Lebensraum, wie sich in Grzimeks Tierleben gut nachlesen lässt.²
Solche Anpassungen via Mutation und Selektion haben unter anderem dazu geführt, dass Gliedmaßen mehr oder minder stark zurückgebildet sind. Manchmal erfasste der evolutionäre Prozess ausschließlich Finger und Zehen, manchmal blieb von der Extremität nur noch ein kurzer Stummel übrig, oder die Gliedmaßen sind gänzlich verschwunden.
In der Verwandtschaft der Sandskinke sind solche Rückbildungen generell nicht so verbreitet wie bei den Schlangenechsen, die ständig im Erdboden leben. Wahrscheinlich sind beim Laufen auf dem Sand die kurzen Extremitäten von Vorteil und nützlicher als schlängelnde Bewegungen. Diese sind allerdings gefragt, wenn der Sandfisch sich bei Gefahr – durch Wüstenwarane, die Diademnatter oder Menschen – flink einbuddeln muss und durch feinen Sand manövriert.
Hierzu ein kurzer Viedeoausschnitt in starker Zeitlupe. Im eigentlichen Leben verläuft das Einbuddeln viermal so schnell.
Anhand von bildgebenden Verfahren (Fotos, 3D-Laser, Magnetresonanz) haben Wissenschaftler die unterirdische Fortbewegungsart beim Sandfisch untersucht und stellten fest: Hände und Füße nutzt er durchaus, aber vor allem treiben ihn seine schlängelnden Bewegungen vorwärts.³
Der Sandfisch auf Beutezug
Sandfische ernähren sich vornehmlich von Heuschrecken, von Spinnen und Käfern, pflanzliche Kost spielt eine geringe Rolle. Sie jagen oberirdisch und sogar zur heißen Mittagszeit. Offenbar orten sie Beute, wenn sie sich bewegt, mit Ohren und Augen. Zusätzlich soll der Hautsinn eine Rolle spielen, also taktile Reize, wenn sich durch Bewegungen die Sandkörner verschieben.
Vernünftigerweise haben Sandskinke ein Gehör, dessen Gehörgang nach außen durch Schuppen geschützt ist. Sand im Ohr zu haben, ist eben nicht wünschenswert und nicht förderlich.
Im Gegensatz zu anderen Glattechsen besitzt der Sandfisch ganz normale Augenlider, also keine transparenten Lider. Die kommen bei einigen sich im Boden vergrabenden Arten vor und schützen ihre Augen vor reibenden Sandkörnern. Der Trick: die Tiere können durch das Lid wie durch ein Fenster hindurchgucken.²
Für mich ist und bleibt es ein Wunder, wie detailliert sich Tierarten anatomisch, physiologisch und im Verhalten über viele Jahrtausende ihrer Umwelt angepasst haben. Ein Jammer also, dass sie gejagt und pulverisiert wurden, weil man ihnen abenteuerliche und nie bewiesene Heilkräfte – wie eine Steigerung der sogenannten Liebeskraft – zusprach.*
Aktuell gelten Sandfische als nicht bedrohte Tierart. Das ist eine gute Botschaft.
¹ A. Stadler u.a.: Adaptation to life in aeolian sand: how the sandfish lizard, Scincus scincus, prevents sand particles from entering its lungs, J Exp Biol, 2016, 219 (22), S. 3597–3604 oder https://doi.org/10.1242/jeb.138107
² I.E. Fuhn: Glattechsen und Schlangenechsen in Grzimeks Tierleben, Kindler, 1970, Bd. VI, S. 264 ff.
³ W. Baumgartner u.a.: Investigating the Locomotion of the Sandfish in Desert Sand Using NMR-Imaging. PLoS ONE, 2008, 3(10): e3309 oder https://doi.org/10.1371/journal.pone.0003309
* Dass Sandfische von Bewohnern der Sahara als traditionelle Eiweißquelle geschätzt und verspeist wurden, wird hier nicht kritisiert.
Sandfisch | Poisson de sable | Sandfish oder Common Skink | Scincus scincus
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