Die Uferschwalbe ist ein bewundernswerter Vogel. Sie gräbt mit ihren sehr kurzen Zehen lange, waagerechte Röhren in Steilhänge, legt an deren Ende ihre – meist vier – weißen Eier ab, brütet sie aus und zieht schließlich ihre Jungen dort groß. Sie baut also kein Nest aus klebrigen Materialien wie ihre bekannteren Verwandten, die Rauchschwalbe und die Mehlschwalbe.
Die röhrenbrütende Art ist kleiner als ihre beiden Geschwisterarten und oberseits grau-braun getönt, während jene eine geradezu blauschwarze Oberseite haben. Unterseits ist die Uferschwalbe weiß, hat aber im Gegensatz zur Mehlschwalbe ein braunes Brustband.
Die Rauchschwalbe ist vor allem an ihrer rotbraunen Kehle und den langen Spießen – gebildet von dem tiefgegabelten Schwanz – gut zu erkennen.
Nistende Uferschwalben beobachtete ich erstmals vor vielen Jahren an der Steilküste von Mecklenburg-Vorpommern – also an der Ostsee.
Bis heute brüten sie dort an den teils senkrechten Abhängen, und zwar immer als Gruppe. Sie leben also in einer Brutkolonie wie es auch die Grafik aus Johann F. Naumanns Naturgeschichte der Vögel Mitteleuropas (Aufl. 3, Bd 4, Tafel 26) zeigt.
Nach Afrika und zurück
Selbst wenn die Jungen großgezogen sind, die röhrenförmige Höhle verlassen haben und mit den adulten Vögeln in ihr afrikanisches Winterquartier jenseits der Sahara ziehen, können wir die Fluglöcher vom Strand oder Meer aus entdecken.
Aber wir sehen sie dann nicht mehr oberhalb ihrer Nisthöhlen herumfliegen oder direkt vor der Steilwand.
Üblicherweise machen sich die Uferschwalben zwischen Mitte August und Ende September auf den Weg und treffen im April wieder bei uns ein. Hierzulande lebende Schwalben ziehen mehrheitlich über Spanien und Marokko südwärts, manche reisen auch via Italien und Sizilien nach Afrika und nehmen diese Flugrouten auch auf dem Rückweg. Weite Strecken über das Mittelmeer zu fliegen, vermeiden sie.
Wenn die Uferschwalben im Frühjahr zurückkehren, finden sie sich an ihren vorjährigen Brutplätzen ein. Zunächst müssen sie sehen, dass sie genug Insekten fangen, um satt zu werden. Aber Anfang Mai beginnen sie erhalten gebliebene Brutröhren zu reinigen oder – wenn Wind, Wetter oder der Mensch diese zerstört haben – neue zu bauen.
Ein Paar werden
In dieser Zeit findet die Paarbildung statt, die unkomplizierter ist, wenn sich die Partner bereits kennen und länger dauert, wenn sich ein neues Paar findet. Günter Pannach hat die einzelnen Schritte in der Monogrphie Die Uferschwalbe beschrieben. Kurz zusammengefasst, geht die Paarbildung so:
Wenn eine männliche Uferschwalbe einen Höhlenzugang gräbt, ist sie für weibliche Artgenossen offenbar besonders attraktiv. Immer wieder fliegen diese an der Steilwand vorbei, und oft wirbt die männliche Schwalbe mit Verfolgungsflügen um eine potenzielle Partnerin. Dann wieder hockt er vor einem Röhreneingang und balzt. Lässt sich eine weibliche Schwalbe am Eingang nieder, zieht er sich singend in die Röhre zurück. Und sie folgt, sofern sie paarungsbereit ist. Und – das klingt fast zu schön um wahr zu sein – in der Röhre kann man dann beide singen hören, versichert der Ornithologe Pannach.
Ich hatte eingangs gesagt, dass die nur 12-13 cm lange Uferschwalbe ein bewundernswerter Vogel ist. Um das zu unterstreichen, möchte ich den Ornithologen Johann Friedrich Naumann zitieren, dessen blumige Sprache des 19. Jahrhunderts mir hier besonders passend erscheint. Auf Seite 219 seines bereits erwähneten Hauptwerks Naturgeschichte der Vögel Mitteleuropas heißt es:
Es grenzt freilich ans Unglaubliche und muss unsere Bewunderung in hohem Grade erregen, ein so zartes Vögelchen mit so schwachen Werkzeugen, nämlich seinem Schnäbelchen und seinen kleinen Füsschen, ein solches Riesenwerk vollenden zu sehen, und noch dazu in so kurzer Zeit; denn in zwei bis drei Tagen vollendet ein Pärchen die Aushöhlung einer … in waagerechter oder wenig aufsteigender Richtung wenigstens 0,5 m, oft aber auch 1,75 m tief gerade in das Ufer eindringenden Röhre.
An ihrem Ende ist die 5 bis 7 cm weite Röhre vergrößert. Dort wird mit Grashalmen, Haaren und Federn ein Nest für den Nachwuchs eingerichtet.
Brüten an der Nordsee
In diesem Sommer stieß ich ganz unerwartet auf Uferschwalben, und zwar an der Nordsee, auf Spiekeroog. Dort ist an der Westseite der Insel durch Dünenabbruch eine Steilwand entstanden. Und diese haben Uferschwalben vor vier Jahren als gute Nistgelegenheit für sich entdeckt.
Das Leben in dieser Kolonie mit 40 Brutpaaren und einer Reihe von Jungen war Anfang August äußerst munter: Über den Dünen sausten die Vögel flach dahin, kurvten zu den Höhlenzugängen, klammerten sich dort fest, düsten wieder ab.
Bei meinem Besuch waren die Jungen schon groß und ließen sich kaum von den adulten Vögeln unterscheiden. Manche der diesjährigen Uferschwalben hockten etwa beim Sonnen in der Nähe von Altvögeln, andere waren jünger, saßen noch im Eingang der Röhre und warteten auf Futter.
Das allerdings verweigern die Eltern, wenn ihre Jungen im Prinzip flügge sind. Der biologische Sinn: Kurz vorm Ausfliegen sollen die Jungen an Gewicht verlieren … das fördert ihr Flugvermögen. Statt zu füttern, fordern in dieser Phase die Eltern ihren Nachwuchs mit Lockrufen auf, die Röhre zu verlassen.
Ein solches Verhalten ist gegen Ende in dem folgenden Video zu sehen. Ich muss erklären, worum es darin geht:
Das Video besteht aus mehreren Abschnitten und zeigt zunächst, wie lebhaft es vor der Steilwand zugeht. Der erste Abschnitt läuft im normalen Tempo und mit den Windgeräuschen, daran anschließend sind die ersten 10 Sekunden nochmals mit halbem Tempo und ohne Windgeräusche zu sehen.
Angefügt habe ich ein Video, das wiedergibt, wie Uferschwalbeneltern ihr Junges animieren, die Bruthöhle zu verlassen: Zunächst sitzen drei Uferschwalben vor einer Höhlenöffnung, zwei fliegen ab, eine bleibt. Dann kommt eine zweite Uferschwalbe angeflogen. Der Jungvogel versucht mit seinem Schnabel den Schnabel eines Altvogels zu erreichen, will also gefüttert werden. Aber darauf lässt sich das Elternteil nicht ein. Im letzten kurzen Videoabschnitt versucht der Jungvogel nochmals, Futter zu ergattern. Umsonst! Der Altvogel schreckt förmlich zurück, und die Eltern fliegen gemeinsam ab.
Es war jedenfalls viel los an dieser kleinen Steilwand auf Spiekeroog. Und ruhig waren nur die Vögel, die auf dem Sand hockend, geradezu angekuschelt, ein Sonnenbad nahmen. Das soll der Körperpflege dienen und hat wahrscheinlich vielfältige Funktionen. (Aber vieles ist hier noch rätselhaft und nicht abschließend erforscht.)
Was man den Fotos ansieht: Ich hielt zu der Kolonie einen größeren Abstand ein und überließ das „Anpirschen“ meinem guten Fernglas und der Zoomfunktion meiner Kamera mit starkem 800 mm-Objektiv. Sie erlaubt mir, relativ gute Ausschnittvergrößerungen zu machen und die starken Hell-Dunkel-Kontraste anzupassen. Gute Porträtaufnahmen entstehen dabei nicht. Aber stören wollte ich die Vögel definitiv nicht.
Schützenswert und doch vertrieben
Die Uferschwalbe ist schützenswert. Ohne Frage. Sie steht auf der Vornwarnliste des Rote-Liste-Zentrums. Doch manche Menschen tun sich schwer damit, den Lebensraum von Vögeln und deren Bedürfnis nach Distanz zu respektieren. Vom Zentrum der Insel Spiekeroog liegt die Uferschwalbenkolonie zu Fuß mehr als eine halbe Stunde entfernt. Das ist gut. Aber ein Campingplatz ist gleich um die Ecke. Und in den Dünen sind – obgleich verboten – Sonnenhungrige und spielende Kinder immer wieder zu sehen. Das kann neben harschen Winterstürmen zum Abbruch von Dünen führen und kann den kleinen Steilhang – also das Bruthabitat der Uferschwalben – zerstören.
Auf Spiekeroog gibt es ein weiteres Risiko für die Uferschwalbe: Der bestehende Steilhang auf der Westseite wird von einer Düne gebildet, die gleichzeitig dem Küstenschutz dient. Sie wurde zuletzt 2023 für viel Geld mit aufgespültem Sand verstärkt.
Aufspülen bedeutet allerdings, dass die Brutröhren der Uferschwalbe beschädigt werden. Und damit ihr schlichtweg die Lust vergeht, hier überhaupt Röhren zu graben, wenn sie im Frühjahr aus dem Winterquartier zurückkommt, wird bereits im Winterhalbjahr die steile Abbruchkante der Düne abgeschrägt.
Ziel der Maßnahme ist, die „Ansiedlung von Uferschwalben als besonders geschützte Art im Planungsbereich wenn möglich zu verhindern,“ lässt der Niedersächsische Landesbetrieb für Wasserwirtschaft, Küsten- und Naturschutz diesbezüglich wissen.² Soweit die Logik einer Behörde, die von einer geschützten Art weiß und sie „vorsorglich“ aus ihrem Habitat vertreibt. Gibt es keine anderen Ideen?
Edgar Schonert³, der wie kein anderer die Avifauna der Insel kennt und auch als Inselornithologe bezeichnet wird, hält es für sinnvoll, künstliche Niströhren möglichst weit oben am Steilhang anzubringen. Spülarbeiten würden die Uferschwalben dann weniger tangieren. Was außer Kosten dagegen spricht, wissen er und seine Kooperationspartnerin Johanna Falk nicht.
Alte und neue Bruthabitate
Nicht nur an Steilküsten auch an den sogenannten Prallhängen von Flüssen graben Uferschwalben Brutröhren. In beiden Fällen handelt es sich um Primärhabitate der Vogelart.
Prallhänge bilden sich immer dann, wenn ein stark strömender Wasserlauf seine Richtung ändert. Wo in einer Biegung das Wasser schwungvoll ans Ufer prallt und das Flussbett sich tiefer eingräbt, können so steile Ufer und gute Brutgelegenheiten entstehen.
Eingriffe des Menschen in die Natur machen Uferschwalben jedoch nicht nur auf Spiekeroog das Leben schwer. Fatal ist für sie das Regulieren von Wasserläufen durch Flussbegradigung und das Abflachen von Ufern. Außerdem leidet die Uferschwalbe, wenn Moore und Feuchtgebiete trockengelegt oder Schilfbestände reduziert werden. Verloren gehen dabei nicht nur Bruthabitate und Nahrungsflächen, sondern auch Schlafplätze, die von Uferschwalben und anderen Arten genutzt werden.
Zum Glück zeigt sich die Uferschwalbe flexibel und ist nicht auf natürlich entstandene Steilufer und Steilküsten angewiesen. Heute nutzt sie auch Sekundärhabitate.
Das heißt, sie brütet vielfach in Sand- und Kiesgruben, vereinzelt auch in Steinbrüchen und Torfstichen, in Lösswänden, Mauerlöchern, erdnahen Silowänden und Baugruben.
Das lese ich auf Seite 450 im wunderbaren Atlas deutscher Brutvogelarten kurz ADEBAR von 2014, der für einen digitalen Auftritt neu erarbeitet wird.
In Deutschland wird der Bestand an Uferschwalben-Brutpaaren auf 105 000 – 165 000 beziffert. Bei den anstehenden Zählungen könnten es jedoch weniger sein. Schon jetzt ist nämlich klar, dass im Nordosten der Trend nach unten geht.
Verwunderlich ist das nicht, denn auch die neuen Bruthabitate gehen leicht verloren, wenn Sand- und Kiesgruben von Fischereiverbänden beansprucht werden, wenn sie als Sportplatz oder Mülldeponie genutzt werden. Eine solche Lebensraumzerstörung beklagt nicht nur Günter Pannach in Die Uferschwalbe. Aber Vögel können sich nicht dagegen wehren, und ihre Lobby ist kraftlos.
¹ Günter Pannach: Die Uferschwalbe, Die Neue Brehm-Bücherei, 2006
² Ostfriesen Zeitung: Schutzdüne auf Spiekeroog wird ab August verstärkt, 15.7.2023
³ Edgar Schonert hat mehrere Bücher zur Vogelwelt von Spiekeroog verfasst. Etwa: Brutvögel der Insel Spiekeroog.
* Einige der Fotos stammen von Wolfgang Becker-Brüser, auch das Video zum Herauslocken des Jungvogels.
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