Elternzeit: Junge Kleiber

Ein grau-beigefarbener Vogel mit langem Schnabel schaut halb aus einer Baumhöhle.
In Besitz genommen: Baumhöhle für den Nachwuchs

Kleiber sind Höhlenbrüter, das heißt das Nest wird in einer Baumhöhle angelegt und die Jungen verbringen die ersten Lebenswochen in einer weitgehend dunklen Nische. Dort werden vom Weibchen die Eier ausgebrütet, junge Kleiber gehudert, beide Elternteile füttern den Nachwuchs mit allerlei Insekten, und die Stube wird sauber gehalten.

Kleiber mit grauem Rücken und orangefarbenem Bauch auf Ast sitzend.
Kleibermann beobachtet das Weibchen, das gerade die Höhle inspiziert.

Bereits früh im Jahr – oft schon im Februar – erkunden Kleiber die Nistmöglichkeiten in ihrem Revier. Das können auch tiefere Ritzen im Stamm oder ein künstlicher Nistkasten sein.

Zeit genug haben sie dafür, denn sie ziehen nicht in den Süden. Sie sind also Standvögel – auch Jahresvögel genannt.

Gerne nehmen Kleiberpaare ihre Höhlen aus dem Vorjahr wieder an, reinigen sie von altem Nistmaterial und tragen nach und nach neues ein.

Eine Nisthöhle finden

Eventuell ist der letztjährige Brutplatz aber schon besetzt, denn immer gibt es Rivalen. Das können auch Jungvögel sein, die im Territorium der Eltern unterwegs sind und sich erstmals eine Nistgelegenheit besorgen müssen.

„Besorgen“ ist vielleicht das passende Wort, denn Kleiber nutzen bestehende Baumhöhlen – etwa solche, die von einem Buntspecht angelegt wurden oder im faulen Holz allmählich entstanden sind. An diesen Höhlen wird dann viel herum gewerkelt:

◊ Ist das Einflugloch zu groß, wird es verkleinert. Die Kleiber holen dazu Lehm oder feuchte Erde, aber auch Tierdung im Schnabel heran und kleben die Kügelchen im Eingangsbereich fest. (Daher der Name Kleiber = Kleber.) Die Kügelchen werden festgeklopft, quasi festgehämmert. Und da zeigt sich dann – wie im nächsten Video –, warum Kleiber zumindest früher auch „Spechtmeisen“ genannt wurden.

◊ Manchmal bearbeiten sie mit ihrem kräftigen Schnabel offenbar auch den Kallus im Eingangsbereich. Diesen dicken Wulst bilden Bäume aus, wenn sie durch Astbruch oder Astschnitt verletzt wurden. Die Wucherung des Holzgewebes Kambium wirkt dabei wie ein Wundverschluss, stört aber manchmal Vögel wie den Kleiber und die Kleiberin¹, wenn sie eine dahinter liegende Höhlung im morschen Holz nutzen wollen.

Baumstamm mit Wucherung um ein Loch herum
Wundreaktion: Kallusbildung an einem gekappten Ast
Ein Loch im beigefarbenen Stamm
Kleiberhöhle: vom Kallus befreit

Das Paar, das ich von März bis Ende Mai in dem Berliner Stadtpark längs der Bäke beobachten konnte, bearbeitete den Kallus jedenfalls intensiv, bevor es dort einzog. Gleichzeitig wurde der Eingang mit Kügelchen aus Lehm oder Erde abgerundet und passend gemacht. Andere Kleiberarten legen übrigens tunnelförmige Vorbauten an, etwa der Klippenkleiber.

 

Die Kleiber-„Wiege“

Je nach Witterung ist Ende März oder Anfang April die Nisthöhle unseres Kleiber (Sitta europaea) ausstaffiert, wobei vor allem kleinere Hölzer und Rindenstücke zum Einsatz kommen. Auch trockene Blätter tragen der Kleiber und vor allem die Kleiberin ein. In der schönen Monografie Der Kleiber (Hans Löhrl, Die Neue Brehm-Bücherei, Nr. 196, Wittenberg/Magdeburg 1957) lese ich auf Seite 43

Das bevorzugte Baumaterial für das Kleibernest besteht aus der dünnen Spiegelrinde von Kiefern. Dieses Baumaterial wird allem anderen vorgezogen, und einzelne Kiefern, die sich etwa auf neutralem Gebiet oder an der Grenze zweier Territorien befinden, werden dauernd von mehreren Paaren aufgesucht, die sich dort vielfach bekämpfen.

Ein filigranes Nest, das geschickt zwischen Zweigen eingewebt wird, entsteht jedenfalls nicht. Aber junge Kleiber werden eben auch nicht auf dem platten Boden groß – wie wir es etwa von Turmfalken kennen.

Kleiber schaut aus dem Einflugloch zu uns.
Die Vorbereitungen laufen: Im Schatten ist ein Kügelchen an der Schnabelspitze erkennbar.

Kopulationen habe ich in diesem Frühjahr nicht beobachtet – vielleicht gelingt das in der nächsten Brutsaison. Aber Anfang April wurden die Eier gelegt, und in der letzten Aprilwoche sind die Jungen geschlüpft. Das lässt sich leicht errechnen, denn 15 bis 18 Tage wird gebrütet, und etwa 24 bis 27 Tage bleiben junge Kleiber bis zum Ausfliegen noch in der Höhle und lassen sich dort versorgen. Am 19. Mai hatten Jung und Alt jedenfalls ihre Nisthöhle verlassen – ich sah und hörte danach nichts mehr von ihnen.

Kleine Kinder

Kleiber von hinten, nur noch Beine und Hinterteil zu sehen. Der Rest ist bereits in der Höhle.
Das Männchen taucht zum Füttern in die Höhle ab.

Die Kleiberfamilie und die elterliche Brutfürsorge konnte ich natürlich nur von außen beobachten, und bei Wind flatterten immer wieder Blätter vor das Einflugloch.

Aber was ich sah, war dennoch spannend – und wer einmal eine Nisthöhle entdeckt hat, dem kann ich nur empfehlen, sie regelmäßig zu besuchen. Es ist unterhaltsam und amüsant.

Anfangs sah ich von den jungen Kleibern: nichts. Und wenn die Eltern mit Futter anflogen, verschwanden sie vollständig im Einflugloch. Denn die Jungen sitzen zunächst unten im Nest und sperren. Das heißt sie strecken den Hals hoch und sperren den Schnabel weit auf. Die erste Zeit sperren sie senkrecht nach oben, denn von dort kommen die Eltern. Dieses Verhalten ist angeboren, es wird aber bald modifiziert.

Zwei Schwarz-Weiß-Fotosvon Nackten Jungvöglen, die den Hals hoch strecken. Unten das ältereTier.

 

Sperrende junge Kleiber

In dem Maße, in dem sie die Augen öffnen, also der Lichtsinn sich entwickelt, richtet sich die Sperrbewegung zur Helligkeit aus – also zum Einflugloch. Das geschieht etwa am 9. Tag.

Wie junge Kleiber sperren, konnte ich mir in dem Klassiker Die Vögel Mitteleuropas von Oskar und Magdalena Heinroth genauer anschauen (Berlin-Lichterfelde, 1926, Bd. I, S.131).

Diese Fotografien, die das Ornithologenpaar Heinroth mit unglaublichem Engagement vor über 100 Jahren von handaufgezogenen Nestlingen gemacht hat, veranschaulichen das Verhalten der  2-3 Tage alten nackten, blinden Jungen und des 13 Tage alten Jungvogel.²

Der ältere Kleiber sieht bereits und hockt. Seitlich entwickelt sich der rechte Flügel.

Was das Sperrverhalten angeht, machte Hans Löhrl, der durch „Gucklöcher“ und eingebaute Scheiben Kleiberfamilien in ihrer Nisthöhle regelmäßig belauerte und fotografierte, eine interessante Beobachtung. Er schreibt, Seite 54:

An einer Kleiberhöhle, in die ich Einblick hatte, schien gegen Abend die Sonne zum Flugloch herein und bildete auf der Rückwand einen hell erleuchteten Fleck. In dieser Zeit sperrten die Jungen nicht mehr zum Flugloch hin, sondern gerade verkehrt nach hinten in Richtung auf diesen Sonnenfleck… Verschwand die Sonne nach einiger Zeit, so sperrten sie wieder in der alten Richtung.

Der sogenannte Kindersegen ist auch bei Kleibereltern eine spezielle Herausforderung. Sie haben diverse Aufgaben zu erfüllen:
Die Kleiberin brütet und muss die Jungen, vor allem solange die Federn noch wachsen, wärmen – also hudern.
Beide Eltern füttern den Nachwuchs mit feinen Raupen und zunehmend größeren Insekten. Manchmal passt die Beute nicht in den Schnabel der Jungvögel, darauf müssen sie reagieren.
Beim Ein- und Ausfliegen sichern die Eltern, denn es gibt immer allerlei Nesträuber – etwa Eichhörnchen – , die sie nicht auf die Spur ihrer Brut setzen wollen.

Kleiber streckt Kopf und Hals aus Abflugloch
Erst sichern.
Kleiber weit vorgebeugt am Rand des Einflugloches stehend
Dann Schwung holen.
Kleiber fliegt mit gestrecktem Körper ab
Schließlich abfliegen.

Nach dem Füttern warten die Eltern etwas ab und kontrollieren, ob die Jungen Kot abgesetzt haben. Die Ausscheidungen der ganz jungen Vögel fressen sie selbst, später werden die Kotportionen fliegend hinausgetragen.

 

Große Kinder

Während die kleinen Kinder – also die wenige Tage alten Jungvögel – auf dem Nest liegen und bald schon hocken, können ältere Kleiberkinder sich weiter aufrichten und irgendwann stehen. Dann verschwinden die Eltern beim Schnäbelstopfen nicht mehr so tief in der Höhle.

Der Oberkörper des Vogels ist im Höhleneingang verschwunden, das Hinterteil ist zu sehen, die Füße festgeklammert am Höhleneingang.
Füttern vom Abflugloch aus

Diese Entwicklung illustrieren ein Videoauschnitt vom 5. Mai und ein Ausschnitt vom 14. Mai. Im ersten verschindet der Vogel mit Futter in  der Nisthöhle:

Was im Videoausschnitt auch deutlich wird: Das Insekt im Schnabel ist ziemlich groß und vermutlich ein Maikäfer oder bereits ein Junikäfer. Von denen flogen diesen Sommer unzählige in Berlin herum. Solche Beute ist aber manchmal zu groß und zu herb für den Schnabel eines Nestlings. Dann misslingt die Fütterung. – Ich sah tatsächlich einen Altvogel mit der Beute wieder abfliegen – vermutlich hat er den großen Käfer selbst verspeist.

Beim zweiten Ausschnitt füttert der Altvogel vom Einflugloch aus, und beim Anflug zeigt sich bereits der junge Kleiber, der zu diesem Zeitpunkt etwa drei Wochen alt ist:

In diesem Fall hat die Übergabe aber geklappt, was vermutlich daran liegt, dass die Jungen weit genug entwickelt waren. Außerdem ist ihr Rachen generell voller Speichel, so dass Nahrung in der Regel leicht durchrutscht.

Kleiber am einflugloch stehend mit bienenartigem Insekt im Schnabel
Altvogel mit bienenähnlichem Insekt – das sollte passen.

Die größeren Junge lauern geradezu am Einflugloch, zum einen weil sie die Annäherung der Altvögel hören, sicher aber auch, weil sie neugierig sind. Und das führt natürlich dazu, dass sie das Umfeld entdecken, in das sie bald abfliegen.

Kopf des Jungvogels im Einflugloch
Hunger!
Kleiberjunges schaut aus dem Einflugloch
Kecker Blick aus dem Einflugloch.

Gerade am Ende der Brut und Jungenaufzucht bilden Alt und Jung ein eingespieltes Team. Um das zu illustrieren, hier abschließend die Sequenz einer schnellen Fütterung inklusive der sichernden Blicke beim Abflug.

Die Elternzeit war nun fast vorbei und das Gefieder der Altvögel erschien ungepflegt und struppig. Unglaubliche temporeich fütterten sie ihren hungrigen Nachwuchs. Das würden sie auch noch einige Tage nach dem Auszug der Jungen tun – aber dann müssen die junge Kleiber alleine klar kommen.

 

¹ Von „der Kleiberin“ sprechen übrigens auch Oskar und Magdalena Heinroth in dem vierbändigen Klassiker der Ornithologie Die Vögel Mitteleuropas, das sie vor rund 100 Jahren verfasst haben, z.B. Bd. 1, S. 132.
² Diese Schwarz-Weiß-Fotos habe ich zur Illustration von meinem Exemplar des Heinrothschen Werkes abfotografiert.

Kleiber | Sitelle torchepot | Nuthatch | Sitta europaea



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