Von Zuträgern und Baumeisterinnen

11. April 2019 | Mensch & Vogel, Wissenswertes | 2 Kommentare

Wir haben uns so daran gewöhnt: Im Frühjahr kommen die Zugvögel zurück, sie und die hier gebliebenen Arten besetzen ein Brutrevier, balzen und paaren sich, bauen oder renovieren ein Nest. Und doch ist es zum Staunen: Allein die Energie und Finesse, mit der Vögel den optimalen Ort für das Gelege suchen und das Nest konstruieren!

Aber auch die Vielfalt der Anlagen, die auf den höchsten Baumwipfeln, in lehmigen Uferwänden oder auf dem Wasser schwimmend den Nachwuchs beherbergen, ist faszinierend. Zum Beispiel diese:

 

Mehrjähriger Horst eines Bartkauzes hoch oben in der Birke (Weißrussland).

 

Blässhuhn, auch Blässralle genannt, auf ihrem Schwimmnest – verankert am Ufergeäst (Berlin Schlachtensee).

 

Haubentaucher auf seiner schwimmenden Plattform aus Rohr und Wasserpflanzen im gerade noch transparenten Schilfgürtel (Berlin Schlachtensee).

Was treibt die Vögel zum Nestbau?

Die Sorge für Sicherheit und Eier der Jungen gebietet den meisten Vögeln, sich ein Nest zu bereiten.

Das schrieb Johann F. Naumann im 19. Jahrhundert (Naturgeschichte der Vögel Mitteleuropas, 1887-1905, 3. Aufl., Bd. I, S. 104). Damals wusste man noch nicht, dass das Licht – genau genommen die sich dehnende Tageslänge – auf das Hormonsystem einwirkt und dieses wiederum Verhaltensprogramme wie die Balz, den Reviergesang, die Paarung und den Nestbau triggert.

Die „Sorge“ ist also kein Mitgefühl, sondern eher ein Muss. Die Evolution hat per Selektion bewirkt, dass die Jungen in einer schützenden Umgebung auf die Welt kommen, damit die Fortpflanzung möglichst erfolgreich ist. Manches am Programm „Nestbau” ist vererbt und also genetisch fixiert. Anderes muss erlernt werden oder bessert sich durch Übung mit der Zeit.

Manchmal ist das Nest eine unspektakuläre Delle im Gras, wie beim Weißschwanzkiebitz. Manchmal ist das Nest kunstvoll gewebt, wie bei den Webervögeln.

 

Unauffälliges Bodennest eines Weißschwanzkiebitzes – verborgen hinter Kothaufen von Weidevieh (Armenien).

 

Ein Dorfweber über seinem selbstgewebten Nest, dessen Einflugloch nach unten zeigt. Daneben ist Platz für die Eier (Mauritius).

 

Die Dorfweber brüten in lockeren Kolonien, und jedes Männchen baut mehr als ein Nest (Mauritius).

Wunderwerke

Das Wunderbare am Nestbauverhalten ist zum einen, dass es überhaupt passiert und zu Ende gebracht wird. Zwei Wochen ackert zum Beispiel das Mehlschwalbenpaar, um sein Nest aus Schlammkügelchen fertigzustellen. Zum andern erstaunt die Vielfalt der Architekturen.

 

Zwei Lehmnester von Mehlschwalben, rechts und links daneben zwei Kunstnester, die der Schwalbenfreund Burkhard Schönfeld zusätzlich anbietet (Bremerhaven).

Es gibt allerlei Versuche, diese Vielfalt der Bauten und Bauweisen zu ordnen. Michael Wink präsentiert zum Beispiel eine Einteilung nach Nesttypen, wobei deren endgültige Form die Hauptrolle spielt (Ornithologie für Einsteiger, Springer Verlag, 2014, S. 249):

Plattform (Störche, Greifvögel, Tauben u.a.), Nestmulde (Falken, Watvögel u.a.), napfförmiges Nest (Singvögel wie die Amsel, die Mönchsgrasmücke u.a.), Baumhöhle (Spechte, Meisen, Kleiber u.a.), Erdhöhle (Bienenfresser, Eisvögel, Uferschwalbe u.a.), Haufennest (Flamingo), Kugelnest (mit Kuppel bei der Elster, als Kugelnest zwischen Ästen bei der Beutelmeise, von Ästen hängend bei den Webervögeln), Lehmnest (Schwalben und Kleiber u.a.).

 

Bizarres Lehmnest des Klippenkleibers an einer Hauswand (Armenien).

Schnabelwerk

Fast alle Vögel gebrauchen ihren Schnabel, um Nistmaterial heranzuschaffen, es auf das Nest zu legen und einzuflechten. Greifvögel nutzen allerdings fast immer ihre Zehen, die natürlich dafür bestens geeignet sind – zumal manche Greife mit dem länglichen Material in Baumkronen fliegen und die Zweige mit den Beinen so sicherlich besser durch das Geäst jonglieren können.

Auch wenn Madame schon brütet, wird Nistmaterial zum Auskleiden des Nestes herantransportiert; hier stammt es von einem Misthaufen (Naturpark Nuthe-Nieplitz).

Was die Einteilung der Nestanlagen angeht, gefällt mir persönlich die Sichtweise von J.F. Naumann besonders gut. Das liegt aber dieses Mal nicht an der treffenden Wortwahl und malerischen Sprache des großartigen Vogelkundlers aus Köthen, sondern daran, dass er auf die die Aktivität der Vögel fokussiert. Wir haben also die

Miniervögel wie Uferschwalben und Bienenfresser, die an Minenarbeiter erinnern, weil sie „an steilen Ufern oder Sand- und Lehmwänden … Löcher mit waagerechten Gängen graben“.

Anfang Mai sind die Uferschwalben, die in diesen Höhlen am Steilufer brüten, noch nicht zurück (Armenien).

Erdnister wie die Kiebitze, die „unmittelbar auf der Erde sich meist nur ein sehr kunstloses Nest bereiten“.

Maurer wie die Hausschwalben, die „ihr Nest aus Lehm und Erde bauen … und in nassem Zustande zusammenfügen“.

Zimmerer wie die Spechte, die „mit dem Schnabel in Bäumen sich Höhlen und Nistlöcher herausarbeiten“.

Der Grünspecht zimmert am Eingang seiner Nisthöhle (Botanischer Garten Berlin).

Plattformbauer wie die Störche, Greifvögel und Schwäne, die „sich aus Reisig und Ästen flache Nester anlegen“.

In einer reich verzweigten Astgabel ruht der Habichthorst – schon im April verschwindet die gesamte Nestanlage hinter den Buchenblättern (Berlin).

Korbmacher wie Ammern und andere Singvögel, die „ihre meist deutlich vertieften Nester aus … meist trockenen Stengeln zusammenflechten“.

Viele Singvögel fabrizieren solche Napfnester mit vertieftem Boden, die zwischen Zweigen stecken. Hier war sehr wahrscheinlich ein Blassspötter am Werk (Armenien).

Weber wie die Beutelmeise, die „ein Geflecht aus meist sehr dünnen Halmen … sehr sorgfältig herstellen“.

Filzmacher wie der Buchfink, die „Tier- und Pflanzenwolle dazu benutzen, andere feine Baustoffe zu einer dichten Masse zusammenzufilzen“.

Außerdem nennt Naumann noch die Leimkünstler, Gewölbebauer, Schneider und Wallnister oder Schaufler. Doch deren Vertreter sind in Mitteleuropa eher Ausnahmeerscheinungen.

Viele Baumeisterinnen

Über die Arbeitsteilung bei den verpaarten männlichen und weiblichen Vögeln, schrieb der Köthener Ornithologe auf der Grundlage seiner Beobachtungen und frei von jeglichem Feminismusverdacht (a.a.O. S. 105):

Wenngleich beide Gatten bei der Anlage und Verfertigung des Nestes in den meisten Fällen thätig mitwirken, so beschränkt sich die Beihilfe bei vielen Männchen doch nur auf das Herbeitragen der Materialien, weil fast durchgängig nur das Weibchen die Baumeisterin ist.

Das ist nicht falsch, denn gerade in unseren Breiten besetzen Männchen, wenn sie im Brutgebiet angekommen sind, ein Revier und sind dann mit dessen Verteidigung, mit Balz und Paarung gut ausgelastet. Das Nest bauen und das Nistmaterial arrangieren können daher die Weibchen, bevor sie meist lange auf dem Nest sitzen. Doch welche Rolle die Geschlechter beim Nestbau einnehmen, ist von Art zu Art sehr verschieden.

Manchmal liegt der Bau sozusagen im Schnabel des Weibchens und das Männchen schlägt nur den Brutplatz vor – wie beim Buchfink, beim Braunkehlchen, der Blau- und der Kohlmeise.

Höhlenbrüter wie die Blaumeise nehmen gerne Ersatzbauten an und sind dann vor allem mit dem Auspolstern der Höhle beschäftigt (Stadtpark Steglitz, Berlin).

Bei manchen Arten beginnt das Männchen mit dem Bau und hilft ein wenig, wie bei der Rohrammer.

Eventuell legt das Männchen mehrere Nester an – wie beim Zaunkönig – und die Dame wählt eines davon und baut daran weiter.

Oder es bauen beide Partner, etwa beim Höckerschwan, beim Weißstorch und den Elstern.

Höckerschwäne bauen kräftige Plattformnester, die das Gewicht von Eltern und Nachwuchs halten (Nuthe-Nieplitz Naturpark).

Und manchmal bauen nur die Männchen. Das ist zum Beispiel bei den Webervögeln der Fall, die meist in größeren Kolonien brüten und bemüht sind, von ihrem hängenden Nest aus und dabei lauthals rufend ein Weibchen anzulocken.

An sein Nest geklammert, schlägt der Dorfweber mit den Flügeln, um ein Weibchen anzulocken (Mauritius).

Webervogelnester sind unverwüstlich. Dieses Exemplar habe ich vor acht Jahren an der Straße unter der Brutkolonie aufgesammelt (Mauritius). Es ist mit feinem Kraut gepolstert, das etwas bröselig geworden ist. Aber ansonsten: alles perfekt.

Schließlich gibt es noch einige Arten, die es sich bequem machen und am liebsten das Nest einer anderen Art nutzen. Nestparasitismus wurde das Verhalten genannt. So brütete diese weißrussische Waldohreule ihre Jungen in einem Elsternnest aus dem Vorjahr aus.

Hinter den Mistelzweigen befindet sich das Nest der Waldohreule, das im Jahr zuvor ein Elsternpaar gebaut hatte.

Und vergessen wir nicht den Kuckuck, der sich den Nestbau schlichtweg spart, seine Eier in fremde Gemächer legt und die Jungen von den artfremden Eltern durchfüttern lässt. Der Fachbegriff dafür ist Brutparasitismus.

Außerdem gibt es noch die Strategie, Untermieter zu sein: Wer zu einem Storchenhorst hoch blickt, sieht häufig Sperlinge im Gewirr der Zweige ein- und ausfliegen. Sie brüten dort.

Schließlich sind da noch all die von Menschen gemachten Nisthilfen, die sich mal so und mal ganz anders mit der Wohnkultur von Homo sapiens verbinden.

Sperlinge leben gern in enger Nachbarschaft. Hier hat sich der menschliche Baumeister für den Neubau eine farbenfrohe Variante ausgedacht (Weißrussland). Und die Sperlinge waren’s zufrieden: fast alle Häuschen sind besetzt.

 

Und zuletzt: Wir fotografieren keine Nester, in denen Eier liegen oder Junge geschlüpft sind, aus der Nähe und halten uns fern. Es kann passieren, dass die Eltern die Brut aufgeben. Das möchte niemand.

Liebe Fans meiner Fotos, ich freue mich, wenn euch das eine oder andere Foto so gefällt, dass ihr es von meiner Website herunterladen möchtet. Allerdings sind alle mit ©Copyright geschützt. Darum fragt mich bitte per E-Mail vor jedem Download. Elke Brüser

2 Kommentare

  1. Liebe Elke, danke für Deinen interessanten Beitrag zu den Nestern in den verschiedensten Arten. Ja, auch damit muß man sich mal auseinandersetzen und intensiver befassen. Zum Bau der Horste vom Habicht habe ich oft beobachtet, dass beide Partner sich frische Zweige von Laub- wie auch Nadelgehölzen abbrechen und im Schnabel zum Horst transportieren. Herzliche Grüße von Ludwig.

    Antworten
    • Lieber Ludwig, vielen Dank für deinen Hinweis. Du hast völlig Recht, das kann man öfters beobachten – und es ist bei einigen Vogelarten verbreitet. Ich habe zum Begrünen des Nestes – wer macht es und warum – eine ältere Publikation zum „Greening“ von Wimberger ausgegraben und unter Wissenswertes in der Rubrik Books, Blogs & Infos zusammengefasst. Viele Grüße!

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Frau mit Fernglas beobachtet etwas in der Ferne

Mit Fernglas und Kamera auf Vogel-„Jagd“ zu gehen, ist mancherorts geradezu ein Sport und von Wetteifer geprägt. Ich halte aber wenig davon, möglichst viele und auch seltene Arten aufspüren zu wollen, um sie akribisch in Listen zu erfassen. Mein Ding ist: stehen bleiben, lauschen und schauen, was Tiere so treiben.

Textes en français

Si cela t’intéresse: Ma chère amie Annie Riou a traduit quelques articles du blog en français. Et depuis 2023 Juliette Rakei, étudiante de la zoologie à Berlin et bilingue, fait des traductions. Merci! Tu les trouves ici.

Vogel des Jahres

Zwei schwarz-weiße Vögel mit teils schillernden Flügeln stehen sich gegenüber, unter ihnen ein kleiner Jungvogel.

2024  Der Kiebitz

Zwei Braunkehlchen sitzen auf einer Distelblüte, es sind Männchen und Weibchen.

2023  Das Braunkehlchen

Ein Rotkehlchen hockt auf einem Ast und füttert mit einem Wurm, den es im Schnabel hält, einen Jungvogel.

2022  Das Rotkehlchen

Wiedehopf mit gesträubter Haube - Ausschnitt aus einer Grafik im "Naumann" Bd.IV

2021  Der Wiedehopf

Eine rosabrüstige Taube sitzt auf einem Ast und blickt mit ihrem roten Auge zu uns.

2020  Die Turteltaube

Vier Lerchenvögel, in der Mitte ein adultes männliches Tier mit kleiner Holle.

2019  Die Feldlerche

Männlicher und weiblicher Star im Frühjahr im Prachtkleid - mit weißen Tupfern auf schwarzem Grund - auf einen Zweig sitzend.

2018  Der Star

Ein Waldkauz sitzt auf einem Ast; kolorierte Zeichnung aus Brehms Tierleben.

2017  Der Waldkauz

Ein Waldkauz sitzt auf einem Ast; kolorierte Zeichnung aus Brehms Tierleben.

2016  Der Stieglitz

Seevogel des Jahres

Ein Waldkauz sitzt auf einem Ast; kolorierte Zeichnung aus Brehms Tierleben.

2024  Der Sterntaucher

Brandseeschwalbe mit schwarzem Schädel und Mähne steht auf einem Felsen am Meer.

2023  Die Brandseeschwalbe

Ein möwenartiger Vogel steht auf einem Felsstein im nordisch anmutenden Meer

2022  Der Eissturmvogel

Der Jahresseevogel 2021 als Zeichnung: Zwei Weißwangengänse mit weißer Stirn und weißer Kehle vor einem nordischen Meer mit steilen Felsen.

2021  Die Weißwangengans

Auf einem Felsvorsprung am Meer steht eine Fluss-Seeschwalbe mit deutlich schwarzer Schnabelspitze. Links eine Zwergseeschwalbe und hinter ihr eine Küstenseeschwalbe.

2020  Die Fluss-Seeschwalbe

Eine schwarzweiß gemusterte Eiderente mit pfirsichfarbener Brust paddelt mit den Füßen im grünlich Meerwasser.

2019  Die Eiderente

Drei Sandregenpfeifer stehen am Meeresstrand. Links das Weibchen, rechts ein blasser gefärbter Jungvogel und in der Mitte das Männchen auf einem Stein. Jungtier

2018  Der Sandregenpfeifer

Vier Eisenten hocken auf Steinen im Wasser: großes männliches Tier mit brauner Brust, helleres weibliches Tier und zwei ebenfalls helle Jungvögel.

2017  Die Eisente

Drei Basstölpel in verschiedenen Altersstufen: weißes Baby, dunkler Jungvogel und weißer Altvogel mit gelblichem Kopf.

2016  Der Basstölpel

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