Wir haben uns so daran gewöhnt: Im Frühjahr kommen die Zugvögel zurück, sie und die hier gebliebenen Arten besetzen ein Brutrevier, balzen und paaren sich, bauen oder renovieren ein Nest. Und doch ist es zum Staunen: Allein die Energie und Finesse, mit der Vögel den optimalen Ort für das Gelege suchen und das Nest konstruieren!
Aber auch die Vielfalt der Anlagen, die auf den höchsten Baumwipfeln, in lehmigen Uferwänden oder auf dem Wasser schwimmend den Nachwuchs beherbergen, ist faszinierend. Zum Beispiel diese:
Mehrjähriger Horst eines Bartkauzes hoch oben in der Birke (Weißrussland).
Blässhuhn, auch Blässralle genannt, auf ihrem Schwimmnest – verankert am Ufergeäst (Berlin Schlachtensee).
Haubentaucher auf seiner schwimmenden Plattform aus Rohr und Wasserpflanzen im gerade noch transparenten Schilfgürtel (Berlin Schlachtensee).
Was treibt die Vögel zum Nestbau?
Die Sorge für Sicherheit und Eier der Jungen gebietet den meisten Vögeln, sich ein Nest zu bereiten.
Das schrieb Johann F. Naumann im 19. Jahrhundert (Naturgeschichte der Vögel Mitteleuropas, 1887-1905, 3. Aufl., Bd. I, S. 104). Damals wusste man noch nicht, dass das Licht – genau genommen die sich dehnende Tageslänge – auf das Hormonsystem einwirkt und dieses wiederum Verhaltensprogramme wie die Balz, den Reviergesang, die Paarung und den Nestbau triggert.
Die „Sorge“ ist also kein Mitgefühl, sondern eher ein Muss. Die Evolution hat per Selektion bewirkt, dass die Jungen in einer schützenden Umgebung auf die Welt kommen, damit die Fortpflanzung möglichst erfolgreich ist. Manches am Programm „Nestbau” ist vererbt und also genetisch fixiert. Anderes muss erlernt werden oder bessert sich durch Übung mit der Zeit.
Manchmal ist das Nest eine unspektakuläre Delle im Gras, wie beim Weißschwanzkiebitz. Manchmal ist das Nest kunstvoll gewebt, wie bei den Webervögeln.
Unauffälliges Bodennest eines Weißschwanzkiebitzes – verborgen hinter Kothaufen von Weidevieh (Armenien).
Ein Dorfweber über seinem selbstgewebten Nest, dessen Einflugloch nach unten zeigt. Daneben ist Platz für die Eier (Mauritius).
Die Dorfweber brüten in lockeren Kolonien, und jedes Männchen baut mehr als ein Nest (Mauritius).
Wunderwerke
Das Wunderbare am Nestbauverhalten ist zum einen, dass es überhaupt passiert und zu Ende gebracht wird. Zwei Wochen ackert zum Beispiel das Mehlschwalbenpaar, um sein Nest aus Schlammkügelchen fertigzustellen. Zum andern erstaunt die Vielfalt der Architekturen.
Zwei Lehmnester von Mehlschwalben, rechts und links daneben zwei Kunstnester, die der Schwalbenfreund Burkhard Schönfeld zusätzlich anbietet (Bremerhaven).
Es gibt allerlei Versuche, diese Vielfalt der Bauten und Bauweisen zu ordnen. Michael Wink präsentiert zum Beispiel eine Einteilung nach Nesttypen, wobei deren endgültige Form die Hauptrolle spielt (Ornithologie für Einsteiger, Springer Verlag, 2014, S. 249):
Plattform (Störche, Greifvögel, Tauben u.a.), Nestmulde (Falken, Watvögel u.a.), napfförmiges Nest (Singvögel wie die Amsel, die Mönchsgrasmücke u.a.), Baumhöhle (Spechte, Meisen, Kleiber u.a.), Erdhöhle (Bienenfresser, Eisvögel, Uferschwalbe u.a.), Haufennest (Flamingo), Kugelnest (mit Kuppel bei der Elster, als Kugelnest zwischen Ästen bei der Beutelmeise, von Ästen hängend bei den Webervögeln), Lehmnest (Schwalben und Kleiber u.a.).
Bizarres Lehmnest des Klippenkleibers an einer Hauswand (Armenien).
Schnabelwerk
Fast alle Vögel gebrauchen ihren Schnabel, um Nistmaterial heranzuschaffen, es auf das Nest zu legen und einzuflechten. Greifvögel nutzen allerdings fast immer ihre Zehen, die natürlich dafür bestens geeignet sind – zumal manche Greife mit dem länglichen Material in Baumkronen fliegen und die Zweige mit den Beinen so sicherlich besser durch das Geäst jonglieren können.
Was die Einteilung der Nestanlagen angeht, gefällt mir persönlich die Sichtweise von J.F. Naumann besonders gut. Das liegt aber dieses Mal nicht an der treffenden Wortwahl und malerischen Sprache des großartigen Vogelkundlers aus Köthen, sondern daran, dass er auf die die Aktivität der Vögel fokussiert. Wir haben also die
Miniervögel wie Uferschwalben und Bienenfresser, die an Minenarbeiter erinnern, weil sie „an steilen Ufern oder Sand- und Lehmwänden … Löcher mit waagerechten Gängen graben“.
Erdnister wie die Kiebitze, die „unmittelbar auf der Erde sich meist nur ein sehr kunstloses Nest bereiten“.
Maurer wie die Hausschwalben, die „ihr Nest aus Lehm und Erde bauen … und in nassem Zustande zusammenfügen“.
Zimmerer wie die Spechte, die „mit dem Schnabel in Bäumen sich Höhlen und Nistlöcher herausarbeiten“.
Plattformbauer wie die Störche, Greifvögel und Schwäne, die „sich aus Reisig und Ästen flache Nester anlegen“.
Korbmacher wie Ammern und andere Singvögel, die „ihre meist deutlich vertieften Nester aus … meist trockenen Stengeln zusammenflechten“.
Weber wie die Beutelmeise, die „ein Geflecht aus meist sehr dünnen Halmen … sehr sorgfältig herstellen“.
Filzmacher wie der Buchfink, die „Tier- und Pflanzenwolle dazu benutzen, andere feine Baustoffe zu einer dichten Masse zusammenzufilzen“.
Außerdem nennt Naumann noch die Leimkünstler, Gewölbebauer, Schneider und Wallnister oder Schaufler. Doch deren Vertreter sind in Mitteleuropa eher Ausnahmeerscheinungen.
Viele Baumeisterinnen
Über die Arbeitsteilung bei den verpaarten männlichen und weiblichen Vögeln, schrieb der Köthener Ornithologe auf der Grundlage seiner Beobachtungen und frei von jeglichem Feminismusverdacht (a.a.O. S. 105):
Wenngleich beide Gatten bei der Anlage und Verfertigung des Nestes in den meisten Fällen thätig mitwirken, so beschränkt sich die Beihilfe bei vielen Männchen doch nur auf das Herbeitragen der Materialien, weil fast durchgängig nur das Weibchen die Baumeisterin ist.
Das ist nicht falsch, denn gerade in unseren Breiten besetzen Männchen, wenn sie im Brutgebiet angekommen sind, ein Revier und sind dann mit dessen Verteidigung, mit Balz und Paarung gut ausgelastet. Das Nest bauen und das Nistmaterial arrangieren können daher die Weibchen, bevor sie meist lange auf dem Nest sitzen. Doch welche Rolle die Geschlechter beim Nestbau einnehmen, ist von Art zu Art sehr verschieden.
Manchmal liegt der Bau sozusagen im Schnabel des Weibchens und das Männchen schlägt nur den Brutplatz vor – wie beim Buchfink, beim Braunkehlchen, der Blau- und der Kohlmeise.
Bei manchen Arten beginnt das Männchen mit dem Bau und hilft ein wenig, wie bei der Rohrammer.
Eventuell legt das Männchen mehrere Nester an – wie beim Zaunkönig – und die Dame wählt eines davon und baut daran weiter.
Oder es bauen beide Partner, etwa beim Höckerschwan, beim Weißstorch und den Elstern.
Und manchmal bauen nur die Männchen. Das ist zum Beispiel bei den Webervögeln der Fall, die meist in größeren Kolonien brüten und bemüht sind, von ihrem hängenden Nest aus und dabei lauthals rufend ein Weibchen anzulocken.
Schließlich gibt es noch einige Arten, die es sich bequem machen und am liebsten das Nest einer anderen Art nutzen. Nestparasitismus wurde das Verhalten genannt. So brütete diese weißrussische Waldohreule ihre Jungen in einem Elsternnest aus dem Vorjahr aus.
Und vergessen wir nicht den Kuckuck, der sich den Nestbau schlichtweg spart, seine Eier in fremde Gemächer legt und die Jungen von den artfremden Eltern durchfüttern lässt. Der Fachbegriff dafür ist Brutparasitismus.
Außerdem gibt es noch die Strategie, Untermieter zu sein: Wer zu einem Storchenhorst hoch blickt, sieht häufig Sperlinge im Gewirr der Zweige ein- und ausfliegen. Sie brüten dort.
Schließlich sind da noch all die von Menschen gemachten Nisthilfen, die sich mal so und mal ganz anders mit der Wohnkultur von Homo sapiens verbinden.
Und zuletzt: Wir fotografieren keine Nester, in denen Eier liegen oder Junge geschlüpft sind, aus der Nähe und halten uns fern. Es kann passieren, dass die Eltern die Brut aufgeben. Das möchte niemand.
Liebe Elke, danke für Deinen interessanten Beitrag zu den Nestern in den verschiedensten Arten. Ja, auch damit muß man sich mal auseinandersetzen und intensiver befassen. Zum Bau der Horste vom Habicht habe ich oft beobachtet, dass beide Partner sich frische Zweige von Laub- wie auch Nadelgehölzen abbrechen und im Schnabel zum Horst transportieren. Herzliche Grüße von Ludwig.
Lieber Ludwig, vielen Dank für deinen Hinweis. Du hast völlig Recht, das kann man öfters beobachten – und es ist bei einigen Vogelarten verbreitet. Ich habe zum Begrünen des Nestes – wer macht es und warum – eine ältere Publikation zum „Greening“ von Wimberger ausgegraben und unter Wissenswertes in der Rubrik Books, Blogs & Infos zusammengefasst. Viele Grüße!