Die Hecken-Hocker

zwei männliche und zwei weibliche Spatzen sitzen auf einer Hecke
Zwei männliche und zwei weibliche Haussperlinge auf einer Hecke.

Bei der Wintervogelzählung, die der Naturschutzbund Deutschland (NABU) und der LBV alljährlich organisieren, ist der Haussperling im Januar 2021 auf Platz 1 gelandet. Keine andere Vogelart haben die Deutschen in Stadt und Land häufiger gesehen, wenn sie am zweiten Wochenende nach Neujahr eine Stunde lang Vögel beobachtet haben.

Haussperlinge und Feldsperlinge sitzen in der Winterlandschaft vor einem Dorf auf Felsgestein.
Oben: Haussperling männlich, darunter weiblich Unten: Feldsperling männlich, darunter weiblich (Foto aus dem „Naumann“, Tafel 42, siehe Blog)

Spatzen, wie unsere Haussperlinge – und auch die nahverwandten Feldsperlinge – meist kurz und knapp genannt werden, sind bei vielen Menschen beliebt.

Wie schön, wenn sie ans Futterhaus kommen, wenn die Hausspatzen unter dem Dach brüten und ihre stürmisch bettelnden Jungen durchfüttern.

Da nehmen nicht nur Vogelbegeisterte ihr ständiges Schilpen – so nennt man ihre „zwitschernden“ Lautäußerungen – gerne in Kauf.

Zudem: Im Winterhalbjahr sind Sperlinge leiser, und sie halten auch öfter den Schnabel.

Spatzen ziehen nicht weg

Die kleinen, braun-grau gefiederten Sperlinge sind keine Zugvögel, sondern Standvögel. In dem Hauptwerk von Johann Friedrich Naumann, der Naturgeschichte der Vögel Mitteleuropas, aus dem ich in diesem Blogpost mehrfach zitiere, ist das bereits umfassend formuliert, Seite 363¹

Es sind unsere treuesten Gefährten, welche uns das ganze Jahr nicht verlassen, wohl im Herbste umherstreifen, sich aber nur stundenweise entfernen, … aber bald wiederkehren. Sie sind daher wahre Standvögel, denn die allermeisten entfernen sich nie über eine Stunde weit von ihrem Geburtsorte.

Darum können wir Sperlinge ganzjährig beobachten, sofern sie nicht durch radikale Gebäudesanierungen vertrieben und ihre Nester unter Dachziegeln oder in Jalousiekästen zertört werden. Dagegen helfen manchmal künstliche Nistangebote in Form von „Reihenhäusern”, denn Spatzen – verwandt mit den afrikanischen Webervögeln – nisten gerne gemeinsam. Koloniebrüter werden solche Vogelarten auch genannt.

Der Sperling als „Dieb“

Nicht immer und überall war der Spatz so beliebt, wie er es heute in der Regel ist. Davon zeugen Namen wie Dieb, Hausdieb, Speicherdieb, Felddieb und Gerstendieb, die Johann Friedrich Naumann als bekannte Trivialnamen² auf Seite 359 gelistet hat. Und sein Schilpen, klingt es nicht manchmal wie „dieb, dieb, dieb…”?

Vier grau-braune Spatzen sitzen auf blattlosen Zweigen
Karge Zeit: Winterspatzen auf kahlen Zweigen

Die ablehnenden Bezeichnungen für Spatzen rühren vor allem daher, dass sie

♦ im Frühjahr in Gärten die frisch gesäten Samen aus der Erde picken,
♦ zarte Erbsen als Leckerbissen betrachten,
♦ von Salat und Spinat die jungen Schösslinge herausrupfen,
♦ sich im Sommer von reifen Beeren, Kirschen und Trauben ernähren und
♦ auf den Feldern kurz vor der Ernte das fast reife Getreide verzehren.

Zu Naumanns Zeiten wurde auf allerlei Art versucht, den gefiederten Dieben beizukommen, indem etwa immer wieder die Eier aus den Nestern genommen wurden – um die Vermehrung zu stoppen – und indem die Vögel gefangen oder erschossen wurden. Singvögel zu essen, war im 19. Jahrhundert auch bei uns üblich, und über die Spatzen schreibt Naumann auf Seite 368, dass sie

ohnehin kein schlechtes Gericht abgeben …

Von diesen und vielen anderen Interventionen hielt der angesehene deutsche Ornithologe aus Köthen allerdings nicht viel und vertrat die Meinung, dass Sperlinge als Schädlinge überbewertet werden. An den Kirschbäumen zum Beispiel würden andere Vogelarten viel mehr räubern, und zu Schäden an Feldfrüchten käme es nur partiell. Meist bemerke der Bauer nur an einer Stelle oder nur am Wegrand, dass Sperlinge im Getreide waren – und verallgemeinere das.

Auch im 20. Jahrhundert wurden Sperlinge als Schädlinge für die Reis- und Getreidernte betrachtet und bekämpft: die Nester verbrannt, die Vögel vergiftet.

Haussperling auf Zweig
Mit dem kräftigen Schnabel lässt sich so Einiges kleinkriegen. (Grauer Scheitel = männlicher Hausspatz)

Die Kost von Sperlingen ist vielfältig: In der Stadt stürzen sie sich auf gedeckte Tische und Speisereste, räumen auf Spielplätzen und Schulhöfen ab. Nicht nur was die Behausung angeht – also ihre Nester zwischen Dachrinnen und Dachziegeln – sondern auch ernährungstechnisch sind sie echte Kulturfolger.

Zwischen Dachziegeln schaut ein Spatz heraus
Schlupfloch und darunter Nistmaterial

Traditionell fressen Spatzen mehlhaltige Getreidesamen, die sie mit ihrem Schnabel praktisch schälen. Dabei werden die festen Hülsen und Spelzen, die das Samenkorn umgeben, im Schnabel durch Rotieren des Korns entfernt.

Aber auch zarte Blätter, Knospen und Blüten, weiche Früchte, Beeren und Insekten sowie Insektenlarven stehen auf ihrem Speiseplan.

Zur animalischen Kost zählen etwa Schmetterlingsraupen und viele Schädlinge wie die recht großen Maikäfer und deren Larven. Davon fressen Sperlinge oft nur das Innere. Zuvor nutzen sie ihren kräftigen, kreiselförmigen Schnabel, um beispielsweise die feste Hülle einer Maikäferlarve oder die Flügel und Beine von Fluginsekten zu entfernen.

Haussperling im Winter

Während die Hausspatzen im Frühjahr und Sommer zwar nah beieinander wohnen, aber vornehmlich als Familie unterwegs sind, sieht man sie im Spätsommer meist als größere Gruppe – oder Schar. Eine solche Vogelschar wächst nach und nach weiter an, fliegt mal hierhin, mal dorthin. Und auf dem Land ziehen die Vögel auf die erntereifen Felder.

Eine Gruppe Spatzen sitzt im Baum
In der kalten Jahreszeit werden die Gruppen größer.

Mit zunehmender Kälte bleiben Sperlinge meist Tag und Nacht in der Nähe der Menschen, weil sie beispielsweise in ländlichen Gebieten rund um den Bauernhof noch Sämereien finden³ und weil sie in der Stadt an Futterhäusern unter anderem mit Sonnenblumenkernen durchgefüttert werden.

Im Winter erlebe ich Spatzen als rechte Spaßvögel, wenn sie in großen Gruppen auf einer Hecke sitzen und unermüdlich schilpen. Es lohnt sich, stehenzubleiben und ihnen zuzusehen. Das ist den Hecken-Hockern meist zunächst suspekt, und sie verschwinden darum in der Hecke oder huschen auf einen benachbarten Baum. Aber sie sind in der Regel bald zurück!

Eine große Gruppe spatzen sitzt auf einer grünen Hecke
Winterspatzen auf einer Hecke

Kommen Spaziergänger zu nahe, sind sie flugs in der Hecke verschwunden – sie tauchen förmlich ab – und sind kaum zu entdecken. Hier eine kurze Videosequenz mit einem einzelnen, gut verborgenen Spatz.

Oder sie retten sich in den nächstbesten Baum. Ist die Luft dann wieder rein, kommen sie erneut angeflogen und platzieren sich auf der Hecke, die Übersicht und etwas Windschutz bietet.

Sechs Spatzen auf Kahlen Ästen eines Baumes
In den nächstbesten Baum gerettet.
Mehrere Spatzen fliegen auf eine Hecke, wo schon andere sitzen.
Ist die Gefahr vorbei, kommt der Schwarm zurück…
Sehr viele Spatzen sitzen dicht gedrängt auf einer Hecke.
… bevor sich alle wieder in den Baum oder ins Innere der Hecke flüchten.

Das ständige Her und Her einer Spatzenschar zwischen sicheren Aufenthaltsorten ist typisch und notwendig. Denn kleine Vögel müssen sich vor Prädatoren schützen. Dazu lasse ich nochmals Naumann zu Wort kommen, Seite 363

Am liebsten sind sie immer dort, wo es einiges Gebüsch, eine Dornhecke, Baumreihe oder wenigstens einzelne Feldbäume giebt, wohin sie bei jeder Gefahr flüchten und sich notdürftig verbergen können…

Genauso wichtig wie das schnelle Hin und Her ist der Zusammenhalt der Gruppe. Im Schwarm sind die einzelnen Individuen relativ sicher. Da schützt sie unter anderem die kollektive Wachsamkeit. Das gilt nicht nur für Vögel, sondern ebenso für Fische und für Säugetiere – man denke etwa an die Herden afrikanischer Weißbartgnus.

Viele Spatzen in einem Baum

Gefährlich wird es daher für die kleinen, bei uns überwinternden Vögel immer dann, wenn sie sich einzeln an ein Futterhaus oder eine Wasserstelle wagen.

Dort warten insbesondere die Sperber, die Spatzen und andere Singvögel im Sitzen überraschen und im Fluge verfolgen, und zwar den Haussperling bis zu seinem Nest unterm Dach.

Aber auch der Habicht, gelegentlich der Turmfalke, der Merlin und sogar der Eichelhäher, der durchaus kein Vegetarier ist, erbeuten unvorsichtige Sperlinge, Amseln, Kohl- oder Blaumeisen. Oft lauern sie, verborgen im Geäst eines Baumes, nahe einer Futterstelle.

Haussperling | Moineau domestique | House Sparrow | Passer domesticus

¹ Meine Ausgabe vom „Naumann”: 1887-1905, 3. Aufl., Bd. III
² Trivialnamen sind die umgangssprchlichen Bezeichnungen  – im Gegensatz zu den wissenschaftlichen Namen. Siehe auch meine Buchbesprechung: Die Namen der Vögel Europas
³ Nur noch selten kann man heute zuschauen, wenn Spatzen aus dem Mist oder aus Pferdeäpfeln unverdaute Körner herauspicken.



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2 Kommentare zu “Die Hecken-Hocker

  1. „Brennholz für Kartoffelschalen“ rief der Pferdekutscher und schwang seine Glocke, während die Spatzen in den Pferdeäpfeln pickten – Kindheit in Berlin. Schön, dass die Spatzen in Ihrem Beitrag so gut wegkommen. „Naturschutzfachlich“ werden sie als „Allerweltsvögel“ ja immer noch gering geachtet; gehören für diese Naturfreunde nicht zu den „wertgebenden“ oder gar „prioritären“ Arten.

    1. Hallo Herr Pomplun, schön, dass Sie nochmals die Pferdeäpfel hervorheben. Ich habe als Kind vor allem auf der ostfriesischen Insel Wangerooge beobachtet, wie sich die Spatzen auf Pferdeäpfel stürzten, weil es dort damals praktisch nur Pferdekutschen gab – und keine Autos. Leider haben E-Autos einen Großteil der Pferdekutschen verdrängt.

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