
Der Juni ist die Zeit der Jungvögel, die das Nest verlassen haben, aber noch nicht auf eigenen Beinen stehen. Genauer gesagt, das tun sie schon und flugfähig sind sie auch, aber die Nahrungsbeschaffung ist bei den ursprünglichen Nesthockern zunächst noch Sache der Eltern. Die liefern aber oft nicht mehr zuverlässig, was zwar die Unabhängigkeit der Jungvögel fördert, aber zu allerlei Verrenkungen, Gejammer und Geschrei beim hungrigen Nachwuchs führt. Das sieht man sehr schön beim Futterbetteln der Silbermöwe.
Wer derzeit am Strand, auf einer Wiese, am Waldrand oder in der Stadt unterwegs ist, hat gute Chancen dieses Betteln von flüggen Jungvögeln zu beobachten. Im Wald sind die Chancen durch dichtes Laubwerk eher gering. Meistens wird man durch ungewöhnliche, meist sehr monotone Laute – das ist definitiv kein Vogelgesang – auf die junge Brut, die gerade das Nest verlassen hat und nach Versorgung verlangt, aufmerksam.
Ich habe zwei Beispiele von bettelnden Silbermöwen ausgesucht, die ganz gut illustrieren, worum es geht. Ihr seht das auffällige Bettelverhalten auch bei Hausspatzen oder Nebelkrähen.
Mein erstes Beispiel stammt von der ostfriesischen Insel Wangerooge. Es ist deutlich, dass das Junge sich flach macht und den Kopf hebt, damit der Altvogel ihm den kleinen Seestern überlässt. Die adulte Silbermöwe reagiert auf das geduckt anschwimmende Junge wie gewünscht.

Altvogel übergibt dann den kleinen Seestern.[/caption]
Angeborenes Verhalten
Bei ganz jungen Silbermöwen läuft das anders: Kaum aus dem Ei geschlüpft, picken die Nesthocker gegen den Schnabel des Alttieres, damit es Futter hochwürgt und füttert. Der rote Punkt am gelben Schnabel ist dabei ein wichtiger Auslöser für das angeborene Bettelverhalten des Silbermöwen-Nestlings. Man spricht in der Biologie von einem Schlüsselreiz.
Der niederländische Ornithologe Nikolaas Tinbergen hat die Zusammenhänge Mitte des letzten Jahrhunderts mit verschiedenen Schnabelattrappen untersucht, wobei die Farbe des Flecks oder die Schnabelform variiert wurden.¹ Er bekam für seine Erforschung des Tierverhaltens zusammen mit Konrad Lorenz und Max von Frisch im Jahr 1973 den Nobelpreis.

An dem Versuchsaufbau wurde später Kritik geübt, und heute würde man die Studien sicher raffinierter machen und mögliche Einflussfaktoren besser kontrollieren. Das wichtige Ergebnis ist aber unbestritten: Dass es sich beim diesem Picken gegen den Schnabel nicht um ein erlerntes, sondern um ein angeborenes Verhalten als Reaktion auf einen angeborenen Schlüsselreiz handelt.
Ältere bettelnde Jungvögel lassen erkennen, wie auf dieser angeborenen Grundlage des Verhaltens gelernt wird. Denn die Jungvögel können sich mit der Zeit das Picken gegen den Schnabel sparen, sofern der Altvogel bereit ist, zu füttern. Und sie lernen neue Strategien. Das müssen sie auch, denn sobald sie das Nest verlassen, ist der elterliche Schnabel sowieso nicht mehr in unmittelbarer Nähe. Geschrei und andere Signale werden dann immer wichtiger.
Lästiges Silbermöwenkind
In Frankreich habe ich eine Silbermöwe beobachtet, die den Nachwuchs nicht füttern wollte. Dadurch kam es auf dem Sonnendach dieses Restaurants in Concarneau zu folgender Szene.

Das Junge schrie nicht nur nach dem Altvogel und rannte ihm hinterher, sondern versuchte auch gegen dessen Schnabel zu picken … Da reichte es dem Altvogel, er flatterte auf und flog kurz darauf davon. Der Nachwuchs sollte sich offenbar selbst versorgen. Bei den vielen Fischerbooten und Fischrestaurants am Hafen dürfte das nicht allzu schwer sein.
Das Futterbetteln ist hier erfolglos: der Altvogel reagiert nicht.
Kleine Silbermöwenkunde
Zum Schluss noch eine kleine Silbermöwenkunde: Ihr seht hier drei Altersstadien: einen hellen Altvogel mit rotem Schnabelfleck, silbrig-grauem Rückengefieder und gelbem Schnabel, davor einen Jungvogel aus dem Vorjahr, bei dem sich neben der grau-braunen Strichelung schon silbriges Gefieder zeigt und einen diesjährigen Jungvogel mit einem noch dunklen Schnabel und einem durchgehend gestrichelten Federkleid, dem „Jugendkleid”.

¹ Diese Grafik illustriert die verhaltensbiologischen Schlüsselreiztests bei der Silbermöwe. Kathrin Herwig © hat sie für mich angefertigt, und ich habe sie am 21.8.2021 eingefügt.
Silbermöwe | Goéland argenté | Herring Gull | Larus argentatus
…Fotos kann ich Dir nicht schicken, die ?schwalben sind zu schnell. Und die Fähre ebenfalls. Aber das besondere ist folgendes:
In Lenzen an der Elbe gibt es eine Motorfähre mit jeweils einem Ausleger an beiden Seiten. Ich vermute, dass die zahlreichen Schwalben unter den Auslegern an der senkrechten Pontonwand ihre Nester haben. Der Fährmann wußte es nicht, wo die Nester sind. Jedenfalls muss es dort sehr viele Nester geben. Die Schwalben füttern sowohl wenn der jeweilige Anleger aufsetzt als auch während der Überfahrt. Manchmal ruhen sie sich einfach am Anlegerrand sitzend aus. Ein faszinierendes Bild, wenn sie während der Fahrt unter den Auslegern verschwinden oder hervorkommen. Alles bei schneller Fahrt in jeder Richtung.
Grüße
charly
Hallo Charly, das hört sich spannend an. Sicher sind es Mehlschwalben, also die weißbäuchigen äußeren Hauschwalben, die im Gegensatz zur Rauchschwalbe, der inneren Hausschwalbe, ihre Nester von außen an Häuser und womöglich auch Fähranleger, heften. Vielleicht schaffe ich es mal nach Lenzen an der Elbe. Komme gerade von der Insel Neuwerk … auch an der Elbe … zurück. Dort gab es viele Seeschwalben, Großmöwen und Austernfischer zu bestaunen, deren Junge gerade flügge wurden.