Ende Mai ist es so weit: Am Lummenfelsen¹ von Helgoland schlüpfen die ersten jungen Basstölpel aus dem Ei. Die Altvögel haben etwa sieben Wochen abwechselnd gebrütet, wenn der Jungvogel von innen mit dem sogenannten Eizahn – einem kleinen Höcker auf seinem Schnabel – gegen die Eischale klopft und sie mit reibenden Bewegungen zum Zerbersten bringt.
Bis das dunkelhäutige, kaum befiederte Junge auf der Welt ist, kann es durchaus eineinhalb Tage dauern, ermittelt wurde eine Spanne von bis zu 36 Stunden.
In dieser Zeit liegt das Ei nicht mehr unter den Schwimmflossen des Altvogel, sondern gewissermaßen auf seinen Fußspitzen. So beschreibt es Hans Heinrich Reinsch in der Monografie Der Basstölpel (Neue Brehm-Bücherei, 1969, Wittenberg/Magdeburg), wobei er sich vor allem auf die Studien des Zoologen Joseph B. Nelson von der Universität Oxford bezieht.
Nach dem Schlüpfen: spärlich befiedert
Bei meiner diesjährigen Vogelexkursion war ich wirklich begeistert, am Kliff von Helgoland gleich am ersten Tag nicht nur die gut getarnten Eier unter den brütenden Vögeln zu entdecken, sondern auch garade geschlüpfte, junge Basstölpel.
Im Schatten des elterlichen Körpers sind die 60 – 90 Gramm schweren „Babys“ kaum auszumachen. Denn die weißen Dunen sprießen anfangs nur spärlich. Viele Passanten, die sich auf Helgoland an den lautstarken und gar nicht scheuen Seevögeln erfreuen, übersehen den noch jungen Nachwuchs. Es lohnt sich also, länger stehen zu bleiben und die Vögel im Nest mit Respekt zu beobachten oder zu fotografieren.²
Ganz ungefährlich ist der Platz zwischen den Füßen des Altvogels übrigens nicht. Anfangs wirken die Kleinen oft schlaff und geradezu zerbrechlich.
Gefiederpflege und Aufräumarbeiten am Nest sind unerlässlich, auch wenn sie manchmal vor allem der Erregungsabfuhr dienen. Denn in der Brutkolonie ist mit den startenden und landenden Vögeln, den Begrüßungszeremonien und den territorialen Auseinandersetzungen unter Nachbarn immer viel los.
Betrachtet man diesen Videoausschnitt, lässt sich nachvollziehen, dass die „Babys“ manchmal von einem Elternteil totgetreten werden. Basstölpel sind jedoch sehr aufmerksame Eltern.
Durchaus riskante Manöver für das Junge.
Empfehlung für Vogelbegeisterte
Wer junge Basstölpel beobachten möchte, hat es nicht schwer. Er oder sie muss aber nach Helgoland reisen, wo die Vögel gut an Menschen gewöhnt und gut sichtbar sind.
Zudem werden die Jungen von den Altvögel drei Monate lang betreut, also gefüttert. Und sie bleiben praktisch den ganzen Sommer über brav im Nest hocken.
Auch zieht sich die Zeit des Schlüpfens hin: Erfahrene Brutpaare haben meist schon früh ihr Ei gelegt – also Anfang oder Mitte April –, andere Paare kommen erst vier oder fünf Wochen später dazu. Ihre Jungen schlüpfen folglich zeitversetzt.
In einer Brutkolonie von Basstölpeln leben daher bis weit in den September hinein Vögel in unterschiedlichen Entwicklungsstadien auf engem Raum. Der zeitliche Spielraum für einen Besuch Helgolands ist also groß.
Junge Basstölpel scheinen tagsüber viel zu schlafen. Kein Wunder, denn die Eltern machen sie satt und ansonsten soll der Nachwuchs einfach wachsen. Adulte Basstölpel fliegen zur Nahrungssuche weit aufs Meer hinaus und kehren erst nach Stunden zurück. Beim Betreuen ihres Nachwuchses wechseln sich die Altvögel ab. Anfangs bleibt immer einer am Nest, um das Junge zu hudern und vor Räubern – wie Großmöwen oder Krähen – zu schützen.
Schlafende Basstölpeljunge legen ihren Kopf auf den Nestrand. Wenn sich die Eltern laut und mit ritualisierten Bewegungen begrüßen oder im Nest aufräumen, werden sie meist kurz wach – bevor sie tiefer unter das Gefieder des Altvogels rutschen; solange das möglich ist.
Ich hatte den Eindruck: Manchmal fühlen sie sich vom „Hausputz“ gestört. Dazu zwei Videoabschnitte:
Junge Basstölpel betteln
Wie viele andere Jungvögel auch, betteln junge Basstölpel die Eltern an. Dabei strecken sie Hals und Kopf hoch, touchieren den Schnabel des Altvogels und dieser würgt aus seinem Magen Nahrung hoch. Allerdings sparen junge Basstölpel sich beim Betteln das Flügelschlagen – wie wir es etwa von Sperlingen kennen. Dabei aus der Balance zu kommen, ist an der steilen Felskante – zumal bei Sturm und Wind – einfach zu riskant. (Nach dem Vergrößern der Fotos dieser Galerie per Anklicken bitte am PC per ← zurück.)
Das schnelle Wachstum der Federn geht sicher auf das Konto der energie- und eiweißreichen Nahrung. Es gibt Fisch, immer nur Fisch, und das zwei- bis dreimal am Tag. Anfangs wird von den Eltern eine Art Fischbrei hochgewürgt und in den Schnabel des Jungen gefüllt. Später sind es angedaute, aber ganze Fische.
Junge Basstölpel verlassen das Nest nicht. Sollten sie es versuchen, werden sie von den sehr territorialen Nachbarn mit Drohen und heftigen Bissen attackiert. Das hat den Vorteil, dass die Jungen – sie sind weder flug- noch schwimmfähig – nicht herumwandern und von der Felskante stürzen können.
Es bedeutet zudem, dass sie zuverlässig gefüttert werden. Denn ihr eigenes Junges nehmen die Eltern nur an Ort und Stelle – also im Nest – als ein solches wahr. Außerhalb des Nestes wird auch die eigene Brut attackiert. Das haben spannende Versuche des Zoologen Joseph B Nelson ergeben.
Wenn weiße Dunen wachsen
Frisch geschlüpfte Basstölpel sind in unseren Augen keine Schönheit. Das ändert sich von Tag zu Tag, weil ihnen rasch zarte weiße Dunen³ – auch Daunen oder Flaumfedern genannt – wachsen.
Mit der Zeit wirken junge Basstölpel wie kuschelige Teddybären… „Plüschbären“ fällt mir dazu sofort ein. Die mit weißen Dunen bekleideten Jungen haben phantastische Gesichter, darum hier zwei Porträtaufnahmen.
Ende Juli sind manche Basstölpel fast so groß wie die Altvögel, und Ende August wiegen sie sogar um ein Drittel mehr als ihre Eltern. Während diese rund 3.000 Gramm auf die Waage bringen, sind es bei den Jungen 4.000 Gramm.
Ein dunkles Federkleid am Schluss
Zum Ende der Brutsaison wechseln die Jungvögel nach und nach ihr Federkleid: aus weißen Plüschbären werden fast schwarze Seevögel, die bald darauf elternlos klar kommen und sich als Stosstaucher bewähren müssen.
Die Jungen springen ins Meer und müssen zunächst von ihren Fettreserven zehren. Vorläufig können sie weder fliegen noch nach Fisch tauchen. Aber: In dem Maße in dem sie an Gewicht verlieren, wächst ihre Bewegungsfähigkeit, die Chance einen Fisch zu ergattern und vom Wasser abzuheben.
Gerade das Abheben vom Wasser wie auch vom Boden fällt den Basstölpeln schwer. Sie müssen dazu zum Beispiel heftig das Wasser treten und mit den Flügeln schlagen – wie ein Schwan.
Allerdings ist das Flugvermögen der eleganten Segler und Stoßtaucher wirklich ein anderes spannendes Thema…
Unterschiedlich weit sind im Spätsommer die Jungen der Brutkolonie entwickelt: Da hockt in einem Nest ein weißer Plüschbär (Pfeil rechts), im nächsten lösen sich gerade die letzten weißen Dunen vom Vogelkopf (Pfeil mittig), und in einem anderen Nest hockt ein dunkler Vogel im fertigen Jugendkleid (Pfeil links), der mit seiner stromlinienförmigen Kontur den adulten Vögeln sehr ähnlich ist.
¹ Früher brüteten hier vor allem Lummen, daher der Name. Die Brutkolonie der Basstölpel besteht erst seit 1991. In der Saison 2020 brüteten auf Helgoland 1289 Paare, erfahre ich von Jochen Dierschke, Institut für Vogelforschung (Helgoland).
² Es ist keine Freude mitanzusehen, wie Fotografen ihr Stativ über den Zaun hieven, der die Brutplätze vom Fußweg abgrenzt, oder wenn eine Fotografin ihr Objektiv so weit ausfährt, dass es dem brütenden Vogel extrem nahe kommt. Die Folge: Er droht. Die Reaktion: Sie lacht.
³ Sie entsprechen nicht den Dunen adulter Vögel und sprießen dort aus der Haut, wo später die Konturfedern wachsen.
Basstölpel | Fou de Bassan | Northern gannet | Morus bassanus
Liebe Elke Brüser,
Wieder begeistern mich Ihre Basstoelpel/chen, der spannende Bericht und die Superphotos: Ein ganz herzliches Dankeschön und viele Grüße, Ihre Manuela Bayer