Eine Schar tschilpender „Spatzen“ begleiten mich tagaus, tagein. Diese Hausspelringe wohnen über mir, direkt unter den Ziegeln des Daches. Dort bauen und reparieren sie ihre Nester, suchen Schutz, brüten und füttern ihre Jungen. Die kleinen Sperlinge sind Nesthocker und wachsen zunächst im Verborgenen heran.
Dieses Jahr entschied sich ein Spatzenpaar, den Nistkasten der Mauersegler zu besetzen und ermöglichte mir neue Einblicke in das Familienleben.
Der hölzerne Nistkasten ist über dem Balkon auf der Nordseite des Hauses angebracht, wo es auch in warmen Sommern kühl bleibt und wo die Mauersegler seit Jahren ihre Kurven fliegen. Den vor einem Jahr angebrachten Nistkasten haben sie allerdings noch nicht genutzt. Aber ich weiß, dass das seine Zeit braucht.
Die Spatzen treiben sich jedenfalls das ganze Jahr über viel auf dem Balkon herum. Denn hier steht ein Futterhaus, mit dem nicht nur Buntspecht und Star, Amsel, Blau- und Kohlmeise liebäugeln – sondern vor allem die Sperlinge. Passendes Futter und auch Wasser finden die Vögel dort im Winter und im Sommer.¹
Schon im März saß immer wieder ein männlicher Haussperling oben auf dem Nistkasten, der ja eigentlich Mauersegler zum Brüten verführen soll. Er war bemüht, eine Spatzendame mit Gesang anzulocken – während er männliche Konkurrenz vertrieb. Auch Stare inspizierten den Kasten, entschieden sich aber für eine Nistgelegenheit auf dem Nachbargrundstück. Mit ihren Jungen kamen sie aber regelmäßig vorbei.
Die Verpaarung
Im April wurde in den Nestern unterm Dach schon fleißig gebrütet, während auf dem Balkon der männliche Sperling – oder ein Artgenosse – unermüdlich am Balzen war.² Und immer wieder war ein weiblicher Spatz in der Nähe. Erst im Mai wurde auch Nistmaterial durch das Einflugloch ins Innere getragen: lange Halme aus dem Garten, Blüten und Federchen.
Wie sich die Vögel zur Zeit der Verpaarung „benehmen“, finde ich im Handbuch der Vögel Mitteleuropas passend und anschaulich beschrieben³, Seite 105
Das unverpaarte Männchen wirbt mit aufgeplustertem Gefieder und hohen „tschili“, „tschi-it“, „tschi tschiilit”, „tschii“, „szilib“-Rufen vor einem potentiellen Nistplatz. Verpaarte fremde Weibchen versucht es zeitweise aktiv abzuwerben, indem es sie mit hängenden Flügeln und gestelztem Schwanz verfolgt. Bekundet ein Weibchen Interesse, zeigt ihm das Männchen den Nistplatz, indem es mit trockenen Halmen im Schnabel einschlüpft und dabei „tschui“-Rufe hören läßt. Das Weibchen antwortet zitternd mit „zü zü“-Rufen und folgt dem Männchen durch kurzes Einschlüpfen. Das Männchen reagiert mit „ziüt“ auf die Anwesenheit des den Nistplatz prüfenden Weibchens.
Sowohl auf der Balkonbrüstung als auch in den Johannisbeersträuchern trieben sich nun Spatzenmann und Spatzenfrau ständig herum, und Begattungen waren gewissermaßen an der Tagesordnung. Und als beide Geschlechter hin und wieder im Einflugloch des Nistkastens verschwanden, lag die Vermutung nahe, dass hier bald gebrütet wird.
Auch diese Phase ist im Handbuch der Vögel Mitteleuropas sehr schön beschrieben, Seite 83
Der Neuanlage von Nestern im Frühjahr geht, besonders bei Erstbrütern, eine Phase zunächst ziellosen Umhertragens von Niststoffen voraus, oft durch das Männchen allein, das auch schon geringe Mengen an den Nistplatz bringen kann. Effizientes Eintragen beginnt nach fester Verpaarung und ist am intensivsten in der Woche vor Legebeginn. Beide Geschlechter beteiligen sich.
Eigentlich bevorzugt der Haussperling Standorte zwischen 1 und 10 m Höhe über dem Erdboden. Aber bei guten Anflugmöglichkeiten, darf es auch etwas höher sein. So wie bei unserem Mehrfamilienhaus, wo große Birken, Robinien, Vogelbeeren usw. nah am Haus im Garten stehen. Vor allem die Johannisbeersträucher auf dem Balkon erwiesen sich beim Anflug an Futterhaus und Nistkasten als gute Anflugmöglichkeit.
Und wenn sie brüten
Ich verlor das Paar durch meine Vogelreise nach Litauen ein wenig aus den Augen. Es war inzwischen auch ruhiger geworden auf dem Balkon, außer wenn die Stare mit ihren Jungen einfielen.
Aber eines Tages ließ sich ein leises Piepsen aus dem Nistkasten vernehmen. Das musste Nachwuchs sein. Und unübersehbar wurde jetzt auch gefüttert.
Dort waren also Junge verborgen, die schon einige Tage alt waren. Von Tag zu Tag wurde ihr Piepsen lauter.
Es ist dies ein überlebenswichtiges Signal und bedeutet in etwa: Wir sind da, wir haben Hunger, kommt!
Besonders laut wird gepiepst, wenn die Altvögel das Einflugloch erreichen. Anfangs schlüpfen die Spatzeneltern noch mit dem Futter ins Nest hinein, d.h. unters Dach beziehungsweise in den Nistkasten. In der zweiten Woche zeigt sich aber immer öfter der kleine Schnabel am Einflugloch.
In diesem Fall waren es oft zwei Spatzenschnäbel. Und der fütternde Altvogel stopfte die Insektennahrung direkt am Einflugloch seinen Jungen in den sogenannten Sperrrachen.
Nesthocker sperren den Schnabel auf
Der Sperrrachen kommt bei vielen Nesthockern vor. Er wird weit aufgerissen, und bei manchen Arten ist das Innere – quasi die Mundhöhle – kontrastreich gefärbt. Bei den Sperlingen ist das Innere „nur“ rosafarben.
Typisch sind die breiten, fleischigen Wülste in den „Mundwinkeln“, die mehr Dehnung erlauben und sehr reizempfindlich sind. Bei Berührung durch den Altvogel reißen schon die ganz kleinen Nesthocker ihren Schnabel weit auf.
Ich hatte das Glück, die Fütterung der Jungvögel mehrmals beobachten zu können, denn in der Regel flogen die Eltern mit ihren Ameisen, Spinnen, kleinen Raupen usw. oft von der Johannisbeere aus den Nistkasten an. So ließ sich die Kamera rechtzeitig nach schräg oben auf das Einflugloch richten.
Das musste jedoch zügig erfolgen, denn wirklich lange hielten sich die fütternden Eltern nicht am Nistkasten festgeklammert auf. Sicher ist diese Körperhaltung für Haussperlinge kräftezehrend.
Wer öfter Spatzen beobachtet, wie sie auf dem Boden oder im Gebüsch hocken und herumhüpfen, wird erkennen, dass die Haltung am Flugloch nicht gerade komfortabel ist. Aber ich habe gewissermaßen sportliche Haussperlinge. (Davon erzähle ich ein anderes Mal.)
Das Sperren der Jungen erleichtert Vogeleltern das Füttern, vor allem wenn der Nachwuchs in einem dunklen Nest oder – wie bei Höhlenbrütern – in einer finsteren Höhlung groß wird. So gesehen ist der Sperrrachen eine der vielen evolutionär entstandenen Anpassungen an den Lebensraum.
Unter den zahleichen Vogelarten gibt es unterschiedliche Strategien, die dafür sorgen sollen, dass der Nachwuchs erfolgreich groß wird. Das betrifft nicht nur das Verhalten der Eltern und Fragen wie: Wer baut das Nest, wer brütet, wer füttert, wer bewacht beziehungsweise führt die Jungen? Sondern das betrifft ebenso das Verhalten und die Ausstattung der Jungvögel. Grob lassen sich zwei Modelle unterscheiden.
Nestflüchter und Nesthocker
Bei Modell 1 handelt es sich um Vogelarten, bei denen die frisch aus dem Ei geschlüpften Nachkommen weitgehend selbstständig sind. Ihre Sinnesorgane funktionieren bereits, die Motorik ist gut ausgebildet und um Nahrung zu finden und zu fressen brauchen sie keine oder nur wenig elterliche Unterstützung. Das Modell 1 repräsentieren die Nestflüchter wie Höckerschwan, Stockente, Kranich und Blässhuhn: Einmal aus dem Ei geschlüpft, verlassen sie je nach Art unverzüglich, binnen Stunden oder erst nach ein bis zwei Tagen das Nest. Wie etwa Hühnerküken orientieren sich dann an den Altvögeln.
Das Modell 2 realisieren die Nesthocker, zu denen die Sperlingsvögel gehören. Sie schlüpfen weitgehend nackt – also unbefiedert – aus dem Ei. Augen und Ohren sind zunächst verschlossen und das Futter bringen die Eltern herbei. Der großartige Zoologe Oskar Heinroth hat klar gemacht, dass es unterschiedliche Typen von Nesthockern gibt. Sie sind mehr oder minder abhängig von elterlicher Brutpflege. Heinroth führte die Unterscheidung in eigentliche Nesthocker und uneigentliche Nesthocker ein.
Während etwa Sperling, Amsel und Meise im strengen Sinne Nesthocker sind und als eigentliche Nesthocker bezeichnet werden, sind Greifvögel wie Mäusebussard, Turmfalke und Habicht Vertreter des Typus uneigentliche Nesthocker. Ihre Sinne und die Motorik sind schon weiter entwickelt als etwa beim Sperling. Zudem tragen sie von Beginn an ein Dunenkleid, das etwa beim Habicht schon in den ersten Lebenswochen gewechselt wird.
Zurück zu den Sperlingen: Etwa 12 Tage lang werden die Eier bebrütet, bevor die Jungen schlüpfen. Zwei Wochen bleiben sie danach als Nesthocker „zu Hause”.
Wenn die jungen Haussperlinge schließlich flügge sind, können sie gleich recht gut fliegen. Und schon nach ein bis zwei Tagen fressen sie bereits ein wenig selbst.
Bis die Kleinen jedoch selbstständig sind, dauert es je nach Witterung und Nahrungsangebot weitere ein bis zwei Wochen. Eine heikle Lebensphase, in der die Spatzenkinder allerlei überstehen müssen. Ihr Gefieder bietet immerhin eine gute Tarnung.
¹ Vieles spricht dafür, Vögel das ganze Jahr über zu füttern. Allerdings sollte das Angebot nicht zu üppig sein, wenn die Natur genug zu bieten hat.
² Spatzen sind Koloniebrüten, bauen Nester also gern nah beieinander. Junge Männchen müssen mühsam ein Weibchen für sich und den vorgeschlagenen Nistplatz interessieren. Ist das gelungen, bleibt das Paar in der Regel länger zusammen.
³ Für die Recherche benutze ich die empfehlenswerte CD-Rom (Aula-Verlag/Vogelzug-Verlag), die über 15.000 Buchseiten zu 534 Vogelarten enthält. Hrsg. Urs N. Glutz von Boltzheim.
Haussperling | Moineau domestique | House Sparrow | Passer domesticus
Hallo Frau Brüser,
hier noch ein Nachtrag zu meinem vorausgegangenen Kommentar zur Nesthocker-Reportage.
Der an Ihrem Balkon vorhandene Mauerseglerkasten der Schweizer Vogelwarte scheint eine Schiebeklappe als Verschluss für das Einflugloch zu haben. Sofern solche Kästen in erreichbarer Höhe angebracht sind böten die Klappen die Möglichkeit, die Kästen erst zugänglich zu machen, wenn die Mauersegler im Frühjahr eingetroffen sind. Das würde frühe Belegungen der Kästen durch Spatzen, Meisen oder andere unterbinden und tragische Rausschmisse von Nestern durch Mauersegler verhindern. (Zitat einer erfahrenen Mauerseglerbetreuerin: „Wenn ein Mauersegler irgendwo brüten will, dann brütet er.“)
Die Seglerkästen an unserem Wohnblock hängen seit 3 Jahren, und ich habe von Anbeginn an Klangattrappen eingesetzt, um auf die Kästen aufmerksam zu machen und dies auch im Juli/August noch durchgeführt. Ich vermute stark, dass die Klangattrappen sehr zur Besiedelung der Kästen beigetragen haben. Das war mit einfachen technischen Mitteln zu bewerkstelligen (Smartphone plus mini-Bluetoothlautsprecher). Im Netz waren entsprechende mp3-Dateien zum Download verfügbar, und meine Wahl fiel auf die Dateien der Schweizer Vogelwarte.
Nochmals Dank und Grüße!
Auch das sind nochmals wichtige Tipps. Und ja, die Mauersegler können rabiat sein. Zu den Klangattrappen bin ich noch nicht gekommen, aber mit Ihren konkreten Tipps werde ich das nun noch angehen. Denn offenbar sind es die Jungen, die im Spätsommer schon mal nach Nistgelegenheiten Ausschau halten.
Es bleibt also spannend.
Liebe Frau Brüser,
vielen Dank für die detaillierte Reportage! Ich habe in diesem Frühjahr an den Mauerseglernistkästen an unserem Wohnblock die gleichen Abläufe beobachten können, wie Sie an Ihrem Kasten. Allerdings waren es bei uns 2 Feldsperlinge und der Kasten (einer von zehn) in ca. 14m Höhe. Bei Angebot von Holzbetonkästen der Firmen Schwegler und Hasselfeldt haben die Feldsperlinge sich für einen Schweglerkasten entschieden. Auffällig war die Präsenz der Sperlinge in Abendstunden, wenn viel Ein- und Ausflugbetrieb von Mauerseglern in den benachbarten Kästen stattfand. Sperlinge als Brutvögel erlebe ich in den über 20 Jahren, die wir jetzt hier wohnen, erstmalig und bin gespannt, ob sie bleiben. In Nachbarquartieren sind Sperlinge auch wieder abgewandert. Im Falle des Interesses von Mauerseglern am Sperlingskasten im nächsten Jahr könnten die Spatzen durchaus mitsamt einer evtl. vorhandenen Brut aus dem Kasten geworfen werden. Solche Fälle sind vorgekommen.
Ihre Empfehlung des Handbuches der Vögel Mitteleuropas teile ich mit Nachdruck: Ein großartiges Werk. Die CR-Rom-Ausgabe wird derzeit von einem großen Buchhändler online mit einem 25%-Rabatt vertrieben. Die CD-Rom enthält auch den Registerband und zusätzlich das ornithologische Lexikon von R. Wassmann. Die Rabattierung könnte bedeuten, dass die Lagerbestände abverkauft werden.
Herzliche Grüße aus Hamburg-Barmbek!
Hier noch ein Link, falls der vertretbar wäre, aber die CD-Rom ist wirklich eine großartige Empfehlung.
https://www.thalia.de/shop/home/artikeldetails/A1000037620
Lieber Bernd Seidel, vielen Dank für die ausführlichen Ergäzungen. Und ich finde, diese Art von Werbung darf sein. Und viele Grüße nach Hamburg-Barmbeck!