Der schmucke Nachtfischer

Nachtreiher stehend auf einem Ast: mit schönem roten Auge und weißen SchmuckfedernIn Deutschland ist der reizvolle Nachtreiher eine Seltenheit. Denn dieser nachtaktive Vogel braucht zum Leben die naturbelassenen Uferzonen von Flussarmen oder seichte Gewässer.

Einzelne Brutpaare gibt es hierzulande an den Weihern der Donauniederung bei Passau und im mittleren Neckartal. Häufiger sind sie in südlichen Ländern Europas.¹

Seit ich vor einigen Jahren in Serbien am Ufer der Donau erstmals Nachtreiher in der Dämmerung erblickte, bin ich von dem kontrastreich gefärbten, etwa Krähen-großen Vogel fasziniert.

Kürzlich sah ich ihn wieder: am Kerkini See in Nordgriechenland – bei einer frühmorgendlichen Bootstour zu den Krauskopfpelikanen, von deren Brutplattformen ich ein anderes Mal berichten werde.

Als wir gegen 5.30 Uhr den See erreichten, war der Mond noch nicht untergegangen und die Sonne entschied sich gerade erst, über den Berggipfeln an der Grenze zu Bulgarien aufzugehen. Der erste Vogel, den ich im Dämmerlicht des Morgens sah, war kein Nachtreiher, sondern ein Rallenreiher.

Ein breiter Schilfgürtel, ganz klein darin ein Nachtreiher, der auf dem Foto mit einem Kreis markiert ist.
Hier steht ein Rallenreiher am Schilfrand; kein Nachtreiher.

Zum Glück waren am Kerkini See auch nach Sonnenaufgang sowohl die Rallen- als auch die Nachtreiher noch aktiv. Es gibt weltweit sieben verschiedene Arten in der biologisch definierten Gattung der Nachtreiher, aber ich kenne bislang nur eine von ihnen, nämlich Nyticorax nyticorax, für gr. ho kórax = Rabe und für gr. he nýx = die Nacht.² Mit anderen Worten: Ich sah den „Nachtraben″ schlechthin.

Ein breiter Schilfgürtel, ganz klein darin ein Nachtreiher, der auf dem Foto mit einem Kreis markiert ist.
Sonnenaufgang am Kerkini See

Unter Kormoranen

Am naturgeschützten Kerkini See leben mittlerweile fast 20.000 Kormorane. Sie stellen einerseits eine zunehmende Belastung dar, zum Beispiel sterben durch ihren Kot die Bäume ab, andererseits sind die Vögel ein Ereignis, wenn sie etwa zu Tausenden aufbrechen und gemeinsam auf Fischfang gehen oder wenn sie dicht bei dicht ihre Nester bauen und ihre plärrenden Jungen versorgen.

Fliegender Nachtreiher, dahinter die eine Kormorankolonie.
Anflug eines Nachtreihers
Nachtreiher versucht auf einem Baumstamm zwischen Kormoranen zu landen.
Punktgenau in der Kormorangruppe einschweben

Für die Nachtreiher sind Kormorane jedenfalls kein Problem: Dieser hier landete zwischen ihnen und wurde höchstens neugierig beäugt, aber nicht vertrieben. Nicht nur Kormorane, sondern auch Reiher leben und brüten in großen Kolonien, sind also „gesellig“. Das zahlt sich bei der Feindabwehr aus, denn viele Augen sehen mehr. Und wenn diverse Arten zusammenleben, haben die Vögel jeweils arttypische Wahrnehmungsweisen: Was den einen entgeht, bemerken womöglich die anderen.³ Dass zudem die Reiher gerne am Tisch anderer Vogelarten mitessen, ist bekannt. Beobachten lässt sich das regelmäßig beim dunklen Glockenreiher.

Nachtreiher spaziert zwischen den Kormoranen herum Alle auf einem Baumstamm.
In guter Nachbarschaft

Der Nachtreiher im Porträt

Der Nachtreiher ist definitiv kein hektisches Geschöpf. Wie auch andere Reiher fliegt er mit ruhigen kräftigen Schwüngen. Und wenn er seinen Platz wechselt, hat er es nicht eilig. Um das zu illustrieren, zitiere ich – wieder einmal – den so schön formulierenden, großartigen Ornithologen des 19. Jahrhunderts: Johann F. Naumann*, Seite 276

Der Gang ist ein bedächtiger Schritt; lebhafte Bewegungen sind dem Vogel überhaupt fremd; er schleicht mehr, meistens im Verborgenen, ist träge und verlässt oft stundenlang, zumal am Tage, dasselbe Plätzchen nicht.

Ein Nachtreiher läuft in geduckter Hlatung vor vier Kormoranen am Ufer
Typisch: geduckte Körperhaltung und schleichender Gang

Wenn der Nachtreiher ein passendes Plätzchen gefunden hat, starrt er bewegungslos auf die Wasserfläche oder den Bewuchs, um so einen kleinen Fisch oder ein Insekt zu erwischen. Auch Amphibien wie etwa Frösche und Kaulquappen packt er mit seinem 8 – 8,6 cm langen Schnabel und verschluckt sie. Schnecken mit weicher Schale und Würmer stehen ebenfalls auf seinem Speiseplan.

Der Nachtreiher in geduckter Stelleung blickt starr auf das Wasser.
Mit dem starren Blick des Jägers …

Wirklich aus der Ruhe bringen lassen sich Nachtreiher nicht so leicht. Selbst wenn die lärmenden, lebhaften Kormorane sich zu großen Trupps zusammenschließen, um auf Fischfang zu gehen, dreht der Reiher höchstens den Kopf nach ihnen um.

Das Besondere und vielleicht Auffälligste am Nachtreiher sind seine leuchtend roten Augen, deren farbige Regenbogenhaut, die Iris, vor allem tagsüber imponiert. Denn dann ist die dunkle Pupille klein, um den Lichteinfall zu reduzieren. Naumann schreibt über die Augenfarbe des Nachtreihers auf Seite 273: Seine Augen sind

prächtig karminrot und von einem ungemeinen Feuer.

Nachtreiher und Kormoran auf einem umgefallenen Baumsatmm, im Hintegrund eine Kormorankolonie.
Aus der Ferne
Nachtreiher mit leuchten roten Auge auf einem Baumstamm stehend
Aus der Nähe

Was dem etwas plump wirkenden Vogel einen grazilen Anstrich gibt, sind insbesondere seine weißen Schmuckfedern, die am Hinterkopf sprießen und 16 bis 22 cm lang werden. Solche schmückenden Federn wachsen in der Familie der Reiher (Ardidae) bei verschiedenen Arten und zwar bei beiden Geschlechtern. Gut zu sehen sind sie beim hierzulande häufigen Graureiher, sie zeigen sich im sogenannten Prachtgefieder auf dem Kopf und am Hals.

Solche Federn entstehen beim letzten Federwechsel vor der Fortpflanzungszeit (= Pränuptialmauser) und wachsen am Kopf, im Nacken, an der Brust oder am Rücken. Bei manchen Reiherarten sind sie lang und lanzettförmig, bei anderen besonders zart und flauschig. Schmuckfedern haben wichtige Signalfunktion in der Zeit der Paarbildung und der Balz. Zur Brutzeit gehen sie folgerichtig wieder verloren.

Vom „Nutzen“ der Schmuckfedern

Vor allem im 19. Jahrhundert und bis in die 1920er Jahre hinein wurden die Schmuckfedern mancher Vogelarten als Modeutensil genutzt. Bei Arten wie dem Rallenreiher und dem Seidenreiher so intensiv, dass ihr Bestand in manchen Gegenden oder die Art generell vom Aussterben bedroht war.

Johann F. Naumann, der aus Menschensicht auch den Nutzen und den Schaden der besprochenen Vogelart thematisiert hat, nennt den Nachtreiher zum einen einen schädlichen Fischräuber. Über seinen Nutzen lese ich in demselben Abschnitt seines Hauptwerks*, Seite 278:

Die herrlichen weißen Genickfedern alter Vögel, deren jeder freilich nie mehr als drei hat, werden von Federschmückern gesucht, und geben sehr zart aussehende Federbüsche. Sie haben als solche bei den Orientalen einen hohen Wert, werden gewöhnlich in goldene oft in Edelstein besetzte Kapseln befestigt und zieren so, in kurzen Büschen, den Turban vornehmer Türken.

Ich mag mir gar nicht vorstellen, wie viele Nachtreiher für diesen modischen „Nutzen” ihr Leben lassen mussten. Denn die Federn wurden sicher nicht gesammelt, sondern die Vögel erlegt! Und das in der Fortpflanzungszeit.

Mal verunsichert, mal stoisch

Zwei Menschen auf einer Bootstour
Vogelbeobachtung am Hauptzufluss zum Kerkini See, dem Fluss Strimonas

Den Tag verbringen Nachtreiher verborgen in dichter Vegetation, seltener im Schilf, meist im Gebüsch oder auf Bäumen. Weil ich bereits bei Sonnenaufgang unterwegs war, konnte ich sie vom Boot aus auch am Ufer beobachten. Sie mögen das aber nicht sonderlich und fliegen tagsüber rasch auf.

Eine nachtreiher steht im grünen Bewuchs am ufer und blickt zur Fotografin.

Auffliegender Nachtreiher zeigt seine langen Beine.
Die Unterseite des auffliegenden Reihers ist schneeweiß, die Iris leuchtet rot.

Anders ist das, wenn sie sich in Bäumen niederlassen. Dort sind die schmucken Nachtfischer – zumal auf totem Geäst – weithin sichtbar und fühlen sich offenbar dennoch sicher.

Nachtreiher auf Ast mit grünen Blättchen

¹ Nachtreiher sieht man auch auf kultivierten Flächen, etwa an Reisfeldern oder Fischteichen.
² Siehe Viktor Wember: Die Namen der Vögel Europas, Wiebelsheim 2017, 3. Aufl.
³ Josep de Hoyo, u.a. Handbook of the Birds of the World, Barcelona 1992, Bd. 1, S. 384

* Johann F. Naumann: Naturgeschichte der Vögel Mitteleuropas, 1887-1905, 3. Aufl., Bd. VI

Nachtreiher | Bihoreau gris | Black-crowned Night-heron | Nycticorax nycticorax



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4 Kommentare zu “Der schmucke Nachtfischer

  1. Hallo Elke,
    Sehr schön geschrieben und schöne Fotos. Ich lebe in China (Changzhou, Provinz Jiangsu) und hier sind Nachtreiher überall sehr präsent und das nicht nur an naturbelassenen Uferzonen. Ich kann verstehen, dass diese Vögel in Deutschland durchaus einen gewissen Reiz und Seltenheitswert haben, hier jedoch nicht. Sie treten auch sehr arrogant und unangenehm in Erscheinung und stellen dabei -völlig zu Unrecht- die äää schöneren, aber vielleicht nicht so plakativen Seidenreiher in den Schatten. Neulich hatte ich ein Gespräch mit einem Nachtreiher, was sehr unangenehm war, weil diese Vögel sich einfach aufgrund ihres Gefieders dermaßen für etwas Besseres halten und dadurch zu unerträglichen Zeitgenossen werden. Entschuldigen Sie bitte mein Pamphlet, aber das musste einfach mal gesagt werden!

  2. Liebe Elke,
    so ein Zufall: wir sahen auf unserer Reise in Norditalien auch Nachtreiher. In Mantua saßen zwei im Fluß, der die Stadt zwischen zwei Seen durchquert, auf einer kleinen Stein- und Gestrüppinsel. Wir kannten diese Vögel gar nicht, und sie saßen auch so weit entfernt, dass wir kein deutliches Foto machen, sie nur mit dem Fernglas sehen konnten. Aber dann erkannten wir sie auf einer Informationstafel in der Nähe: auf italienisch heißt er nitticora, das ist eben nyctticorax n.

    Liebe Grüße
    Irma

    1. Liebe Irma, das passt natürlich ganz wunderbar. Und wer in Italien in Feuchtgebieten oder an Flüssen unterwegs ist, der hat in der Tat gute Chancen, den Nachtreiher zu sehen. Vielleicht entdeckt ihr auch den Rallenreiher, der aus der Brutzeit jetzt noch ein hübsches, gelblich-ockerfarbenes Gefieder hat. Alle Gute wünscht dir Elke.

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